Jena, den 19. November 1800.
Ich danke Ihnen, mein innigst verehrter Freund, für den Beitritt zu einer gemeinschaftlichen kritischen Arbeit. Es versteht sich von selbst, daß alle Nebenbestimmungen des Unternehmens vorerst völlig wegbleiben [/] können; wichtig schien mir nur, daß überhaupt etwas geschehe in Kurzem. Es ist mir genug zu wissen, daß Sie theilnehmen wollen, und daß der Ungersche Plan Sie nicht mehr fesselt. Im Vorbeigehen soviel ich merke ist das Schlegelsche Institut, von Cotta wenigstens, hinausgeschoben, d. h. aufgegeben, und es ist billig, daß solche Menschen, wie der, dessen Nachbeten und Uebertreiben fremder Urtheile ich schon längst gehaßt habe, wenigstens kein Urtheil haben. Sein Bruder, der ein Urtheil hat, und Tieck werden es sich schon zu verschaffen wissen. Was mir sehr am Herzen liegt, ehe wir uns zu etwas Gemeinschaftlichem vereinigen können, ins Reine zu bringen, ist unser Einverständniß über Punkte, die Sie in Ihrem Brief zum Theil berühren, und die für den Idealismus, so wie ich ihn wenigstens nehme, und immer genommen habe, von höchster Wichtigkeit sind. Ich bin aber jetzt nicht im Stande, Ihnen darüber Etwas zu schreiben, das mir selbst nur einigermaaßen Genüge thäte, da ich seit einigen Tagen krank gelegen habe und mich eben erst erhole. Der Gegensatz zwischen Transscendentalphilosophie und Naturphilosophie ist der Hauptpunkt. Ich kann Ihnen nur soviel versichern: der Grund, warum ich diesen Gegensatz mache, liegt nicht in der Unterscheidung zwischen idealer und realer Thätigkeit, er liegt etwas höher. Von der zum Bewußtseyn hinzukommenden Sache, und dem zur Sache [/] hinzukommenden Bewußtseyn spreche ich in der Einleitung, wo ich eben erst vom gemeinen Standpunkte zum philosophischen mich zu erheben suche. Auf jenem erscheint jene Einheit allerdings als ein Hinzukommen. Gewiß trauen Sie mir nicht zu, daß ich mir im System selbst die Sache ebenso denke, und wollen Sie zum Ueberfluß im Zusammenhang des Systems da nachsehen, wo ich die ideale und reale Thätigkeit zugleich objectiv d. h. producirend werden lasse, (in der Theorie der productiven Anschauung) so finden Sie, daß ich eben auch, wie Sie, in Ein und dasselbe Ich beide Thätigkeiten setze – hier liegt also der Grund nicht. Der Grund liegt darin, daß eben jenes als ideal-real blos objective, ebendeßwegen zugleich producirende Ich, in diesem seinem Produciren selber nichts anders, als Natur ist, von der das Ich der intellectuellen Anschauung, oder das des Selbstbewußtseyns nur die höhere Potenz ist. Ich kann mir durchaus nicht denken, daß die Realität in der Transscendentalphilosophie nur ein Gefundenes seye, auch nicht ein nach immanenten Gesetzen der Intelligenz Gefundenes; denn sie wird doch wohl nach diesen immanenten Gesetzen gefunden nur von dem Philosophen, nicht aber vom Object der Philosophie, was nicht das Findende, sondern das Hervorbringende selbst ist; ja selbst dem Philosophen ist sie nicht ein bloß Gefundenes, sondern nur dem gemeinen Bewußtseyn. [/]
Ich lege Ihnen kurz den Gang meiner Gedanken vor, wie er seit Jahren gewesen ist, bis ich auf den Punkt kam, wo ich jetzt stehe. Was erstens Wissenschaftslehre betrifft, so sondre ich dieß gleich ab; diese steht völlig für sich, an ihr ist nichts zu ändern und nichts zu machen; diese ist vollendet, und muß es seyn ihrer Natur nach. Aber Wissenschaftslehre, (reine nämlich, so wie sie von Ihnen aufgestellt worden ist), ist noch nicht Philosophie selbst; für jene gilt, was Sie sagen, wenn ich Sie recht verstehe, nämlich, sie verfährt ganz bloß logisch, hat mit Realität gar nichts zu thun. Sie ist, so viel ich einsehe, der formelle Beweis des Idealismus, darum die Wissenschaft κατ’ ἐξοχήν. Was ich indeß Philosophie nennen will, ist der materielle Beweis des Idealismus. In diesem ist allerdings die Natur, und zwar in ihrer Objectivität, in ihrer Unabhängigkeit, nicht vom Ich, welches selbst objectiv ist, sondern vom subjectiven und philosophirenden, mit allen ihren Bestimmungen zu deduciren. Dieß geschieht im theoretischen Theil der Philosophie. Er entsteht durch eine Abstraction von der allgemeinen Wissenschaftslehre. Es wird nämlich abstrahirt von der subjectiven, (anschauenden) Thätigkeit, welche das Subject=Object im Selbstbewußtseyn als identisch mit sich setzt, durch welches identisch Setzen dieses eben erst = Ich wird (die Wissenschaftslehre hebt jene Identität nie auf und [/] ist eben deßwegen ideal=realistisch). Es bleibt nach jener Abstraction der Begriff des reinen, (bloß objectiven) Subject=Objects zurück; dieser ist Princip des theoretischen, oder wie ich ihn mit Recht nennen zu können glaube, realistischen Theils der Philosophie. Das Ich, welches das Subject=Object des Bewußtseyns, oder wie ich es auch nenne, das potenzirte Subject=Object ist, ist von jenem nur die höhere Potenz. Es ist Princip des idealistischen (bisher praktisch genannten) Theils der Philosophie, der also durch jenen theoretischen selbst erst seine Grundlage erhält. Die Aufhebung der Antithesis, die durch jene erste Abstraction gesetzt war, giebt einen, nicht bloß philosophischen, sondern wirklich objectiven Ideal = Realismus (die Kunst); jene Aufhebung geschieht in der Philosophie der Kunst, dem dritten Theile in einem System der Philosophie.
Ich weiß nun nicht:
1) Werden Sie gegen mich behaupten, Wissenschaftslehre seye = Philosophie, Philosophie = Wissenschaftslehre, die Begriffe beider erschöpfen sich, so würden wir um Worte streiten. Nennen Sie Wissenschaftslehre Philosophie, und erlauben Sie mir, was ich bisher theoretische Philosophie nannte, Physik (im Sinne der Griechen), was ich practische, Ethik (gleichfalls im Sinne der Griechen) zu nennen, ich bin es zufrieden. Was ich Naturphilosophie nenne ist dann ebendeß[/] wegen, wie ich behaupte, eine von der Wissenschaftslehre völlig verschiedene Wissenschaft. Der Wissenschaftslehre kann Naturphilosophie nie entgegengesetzt seyn, wohl aber dem Idealismus, und, wenn die Darstellung des letzteren Transscendentalphilosophie heißt, der Transscendentalphilosophie, (wie ich dieß auch in der oben angeführten Einleitung gethan habe). Jetzt aber, wie Sie wohl sehen, betrachte ich Natur= und Transscendentalphilosophie nicht mehr als entgegengesetzte Wissenschaften, sondern nur als entgegengesetzte Theile eines und desselben Ganzen, nämlich des Systems der Philosophie, die sich ebenso entgegengesetzt sind, wie bisher theoretische und practische Philosophie.
Werden Sie aber
2) sagen, jene von mir sogenannte rein theoretische Philosophie seye sonach eben die Wissenschaft, von der Sie in Ihrem Briefe reden, die nämlich, welche die Natur allein sich zum Object mache, durch freie Abstraction, und sie daher durch eine (erlaubte) Fiction sich selbst construiren lasse, so ist dieß ganz und gar meine Meinung, wenn Sie nicht etwa unter jener Abstraction eine solche verstehen, durch welche etwas bloß Reales übrig bleibt, denn mit einem solchen läßt sich schlechthin nichts anfangen. Es bleibt nach jener Abstraction übrig ein Ideal = Reales, nur als solches bloß Objectives, nicht in seiner eignen Anschauung Begriffenes. Es bleibt [/] übrig mit Einem Wort dasselbe, was in einer höhern Potenz als Ich erscheint; nur sehen Sie wohl, daß es für das Resultat nicht gleichgültig ist, ob der Philosoph sein Object gleich in der höchsten Potenz, (als Ich) oder in der einfachen aufnimmt. In der Wissenschaftslehre muß eben weil sie Wissens = Lehre ist (da Wissen eben selbst schon jene höchste Potenz bezeichnet) der Philosoph sein Object allerdings schon als Ich, (d. h. als ursprünglich schon Wissendes, also nicht bloß Objectives) aufnehmen. In der Naturphilosophie, welche (als theoretischer Theil des Systems) durch Abstraction von der theoretisch=practischen Wissenschaftslehre entsteht, ist dieß nicht der Fall. Der transscendentale Idealismus gilt also auch nur für den, der sich ursprünglich schon vorgesetzt, vom Wissen in der höchsten Potenz, insofern es zugleich theoretisch und practisch ist, auszugehen; er gilt auch für den der vom practischen Standpunkt allein ausgeht, nicht aber für den, der vom rein theoretischen ausgeht. Von der theoretischen Philosophie aus kann also auch der transscendentale Idealismus nicht bestehen, es gehen aus ihr vielmehr die Resultate hervor, wegen der ich mich der Kürze halber auf den letzten Paragraphen meiner Abhandlung über den dynamischen Proceß in dem beiliegenden zweiten Heft meiner Zeitschrift berufe.
Hier weiß ich nun nicht, ob wir einig seyn können, [/] ob Ihnen nicht, da ich zuletzt doch, eben dadurch, daß ich mich mit meinem Object in die höchste Potenz erhebe, wo ich völlig mit ihm zusammenfalle, und Eins bin, auf den transscendentalen Idealismus wieder kommen muß, ob, sage ich, Ihnen das Alles nicht als unnütze Weiterung erscheint? Vielleicht. Ich habe aber geglaubt und glaube noch, daß eben auf diesem Wege alle Mißverständnisse über Idealismus aufs Gewisseste und auf immer beseitigt werden können. Dem seye wie ihm wolle, so glauben Sie, daß, wenn ich mich von Ihnen zu entfernen scheine, es nur geschieht, um mich Ihnen vollkommen zu nähern, und lassen Sie mich nur immer von der Kreislinie, in die Sie sich mit der Wissenschaftslehre einschließen müssen, in einer Tangente fortgehen, ich werde früher oder später, und, wie ich gewiß hoffe, mit vielen Schätzen bereichert in Ihren Mittelpunkt zurückkehren, und dadurch selbst Ihrem System eine Ausdehnung geben, die es ohne dieß meiner Ueberzeugung nach nicht erlangen kann.
Diese Differenz, von der ich zum Voraus weiß und sage, daß sie sich in die vollkommenste Uebereinstimmung auflösen wird, kann uns also nicht hindern, etwas Gemeinschaftliches ins Publikum zu bringen; es wird nur desto mehr die Thätigkeit beleben, wenn man uns, in vielleicht verschieden scheinenden Richtungen zu Einem Ziel gehen sieht, und selbst noch nicht begreift, [/] wie das möglich seye; dem Buchstaben jeder Art wird auch kräftiger Einhalt dadurch gethan, und Sie sind zu weit darüber erhaben, einen bloßen Anhänger an irgend Jemand zu begehren, um diesem eignen Weg, den ich nehmen will, nicht mit Vergnügen zuzusehen, und wenn Sie überzeugt werden, daß er zum Ziel führt, mich selbst darauf zu fördern. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich in allen wesentlichen Punkten Ihres Systems bis jetzt mit Ihnen einig bin, und Sie eben darum auch durchaus zu verstehen glaube. Wo ich nicht einig bin, und der Punkt doch wesentlich ist, (z. B. in der Religionslehre) glaube ich Sie noch nicht zu verstehen. Dieß ist aber eben ein Punkt, der uns bis jetzt wenigstens über die ersten Grundsätze völlig einig seyn läßt, also insofern, oder in Ansehung dieser nicht wesentlich ist.
Mit dem, was Sie über die Deduction der drei Dimensionen schreiben, bin ich zum Theil wenigstens einverstanden. Der reine Raum hat keine Dimensionen, aber eben deßwegen ist er auch nicht Kugel, denn die Kugel hat zwar nicht Länge und Breite, wohl aber Tiefe. Der Raum als Kugel ist also schon in der Reflexion auf den unendlichen Raum begränzte Anschauung. Die Philosophie der Mathematik ist meines Erachtens, ebenso wie die Philosophie des bloß formellen Denkens, d. h. die Logik, eine Abstraction der [/] Wissenschaftslehre ist, eine Abstraction der Naturphilosophie. Die Linie, als nach Einer Dimension auf= und absteigende Größe, ist das Schema der Arithmetik, deren Reihe auch nur diese Eine Dimension hat, die Fläche Schema der Geometrie u. s. w. Aber Linie, Fläche und Körper entstehen nur ursprünglich eben erst in der Naturphilosophie, und kommen erst durch Abstraction in die Philosophie der Mathematik. Naturphilosophie kann sie also nicht aus dieser voraussetzen.
Ich bewundere den Tiefsinn des Uebrigen, was Sie mir darüber mittheilen wollten. Es möchte auch wohl einen Punkt geben, wo ich mich darüber mit Ihnen vereinigen könnte. Vorerst ist mir aber so viel gewiß, und ist, wenn es bei Ihren vielen Geschäften nicht unbescheiden wäre, Sie zu bitten, den Aufsatz über den dynamischen Proceß in den beifolgenden Heften zu lesen, gewiß auch für Sie bewiesen, daß den drei Dimensionen drei Akte in der Natur entsprechen, (der Akt des Magnetismus, der Electricität und des chemischen Processes) und daß diese drei Akte wiederum dem Akt des Selbstbewußtseyns, der Empfindung, und der productiven Anschauung in dem Ich entsprechen. Vom Standpunkt der Reflexion aus aber möchte es wohl ebenso wahr seyn, daß uns die drei Dimensionen durch subsumirende, reflectirende Urtheilskraft und Vernunft, [/] wieder entstehen, nachdem sie durch jene ersten Akte bewußtlos gesetzt waren.
Ich kann Ihnen nicht genug sagen, wie sehr es mich freut, Sie diesen Winter wieder in dem Wirkungskreis zu sehen, den Sie sonst so herrlich erfüllt haben. Ich möchte sagen: das ist eine Epoche in der äußern Geschichte der Philosophie, daß Fichte seine Philosophie in Berlin vorträgt. Meinen innigsten Dank für die überschickte Schrift, die ich mit größtem Eifer studiren werde; so wie für die Bestimmung des Menschen, die ich, erst heute, doch wohl von Ihnen, durch Friedrich Schlegel geschickt bekommen habe. Daß Sie meine Zeitschrift nicht erhalten haben, ist einzige Schuld des saumseligen Gablers, dem ich in meiner Abwesenheit nicht auf die Finger sehen konnte.
Eine herrliche Lectüre haben Sie uns diese Tage bereitet durch die Recension von Bardili in der Erlanger Zeitung. Diese Recension ist wirklich tödtend, und so adäquat, daß sie es nicht mehr seyn könnte. Es ist hier (vielleicht durch Mehmel, der sich viel darauf zu gut thut, so ziemlich bekannt, daß Sie Verfasser sind). Goethe, der eben hier ist, hat sie sich von mir ausgebeten.
Wegen der Vereinigung mit Goethe und Schiller zu etwas Gemeinschaftlichem wünsche ich den besten Erfolg. Sehr denkbar ist es mir, und sehr erfreulich dazu. [/] Haben Sie Gelegenheit, Tieck herzlich zu grüßen, und zu sagen, ich werde ihm nächstens etwas schicken, das ich ihm lange bestimmt, so wird es mich freuen.
Leben Sie recht wohl, mein theuerster Freund und bleiben Sie gewogen
Ihrem ganz eignen
Schelling.
N. S. Ich überlese diesen Brief nochmals und finde mit welcher Verworrenheit er geschrieben ist. Halten Sie dieß dem Zustand meiner Gesundheit zu gut. Ich könnte mit Jacobi sagen: Fichte versteht mich auf’s halbe Wort. Von Reinholds Journal wird bereits das erste Heft gedruckt.
Ich danke Ihnen, mein innigst verehrter Freund, für den Beitritt zu einer gemeinschaftlichen kritischen Arbeit. Es versteht sich von selbst, daß alle Nebenbestimmungen des Unternehmens vorerst völlig wegbleiben [/] können; wichtig schien mir nur, daß überhaupt etwas geschehe in Kurzem. Es ist mir genug zu wissen, daß Sie theilnehmen wollen, und daß der Ungersche Plan Sie nicht mehr fesselt. Im Vorbeigehen soviel ich merke ist das Schlegelsche Institut, von Cotta wenigstens, hinausgeschoben, d. h. aufgegeben, und es ist billig, daß solche Menschen, wie der, dessen Nachbeten und Uebertreiben fremder Urtheile ich schon längst gehaßt habe, wenigstens kein Urtheil haben. Sein Bruder, der ein Urtheil hat, und Tieck werden es sich schon zu verschaffen wissen. Was mir sehr am Herzen liegt, ehe wir uns zu etwas Gemeinschaftlichem vereinigen können, ins Reine zu bringen, ist unser Einverständniß über Punkte, die Sie in Ihrem Brief zum Theil berühren, und die für den Idealismus, so wie ich ihn wenigstens nehme, und immer genommen habe, von höchster Wichtigkeit sind. Ich bin aber jetzt nicht im Stande, Ihnen darüber Etwas zu schreiben, das mir selbst nur einigermaaßen Genüge thäte, da ich seit einigen Tagen krank gelegen habe und mich eben erst erhole. Der Gegensatz zwischen Transscendentalphilosophie und Naturphilosophie ist der Hauptpunkt. Ich kann Ihnen nur soviel versichern: der Grund, warum ich diesen Gegensatz mache, liegt nicht in der Unterscheidung zwischen idealer und realer Thätigkeit, er liegt etwas höher. Von der zum Bewußtseyn hinzukommenden Sache, und dem zur Sache [/] hinzukommenden Bewußtseyn spreche ich in der Einleitung, wo ich eben erst vom gemeinen Standpunkte zum philosophischen mich zu erheben suche. Auf jenem erscheint jene Einheit allerdings als ein Hinzukommen. Gewiß trauen Sie mir nicht zu, daß ich mir im System selbst die Sache ebenso denke, und wollen Sie zum Ueberfluß im Zusammenhang des Systems da nachsehen, wo ich die ideale und reale Thätigkeit zugleich objectiv d. h. producirend werden lasse, (in der Theorie der productiven Anschauung) so finden Sie, daß ich eben auch, wie Sie, in Ein und dasselbe Ich beide Thätigkeiten setze – hier liegt also der Grund nicht. Der Grund liegt darin, daß eben jenes als ideal-real blos objective, ebendeßwegen zugleich producirende Ich, in diesem seinem Produciren selber nichts anders, als Natur ist, von der das Ich der intellectuellen Anschauung, oder das des Selbstbewußtseyns nur die höhere Potenz ist. Ich kann mir durchaus nicht denken, daß die Realität in der Transscendentalphilosophie nur ein Gefundenes seye, auch nicht ein nach immanenten Gesetzen der Intelligenz Gefundenes; denn sie wird doch wohl nach diesen immanenten Gesetzen gefunden nur von dem Philosophen, nicht aber vom Object der Philosophie, was nicht das Findende, sondern das Hervorbringende selbst ist; ja selbst dem Philosophen ist sie nicht ein bloß Gefundenes, sondern nur dem gemeinen Bewußtseyn. [/]
Ich lege Ihnen kurz den Gang meiner Gedanken vor, wie er seit Jahren gewesen ist, bis ich auf den Punkt kam, wo ich jetzt stehe. Was erstens Wissenschaftslehre betrifft, so sondre ich dieß gleich ab; diese steht völlig für sich, an ihr ist nichts zu ändern und nichts zu machen; diese ist vollendet, und muß es seyn ihrer Natur nach. Aber Wissenschaftslehre, (reine nämlich, so wie sie von Ihnen aufgestellt worden ist), ist noch nicht Philosophie selbst; für jene gilt, was Sie sagen, wenn ich Sie recht verstehe, nämlich, sie verfährt ganz bloß logisch, hat mit Realität gar nichts zu thun. Sie ist, so viel ich einsehe, der formelle Beweis des Idealismus, darum die Wissenschaft κατ’ ἐξοχήν. Was ich indeß Philosophie nennen will, ist der materielle Beweis des Idealismus. In diesem ist allerdings die Natur, und zwar in ihrer Objectivität, in ihrer Unabhängigkeit, nicht vom Ich, welches selbst objectiv ist, sondern vom subjectiven und philosophirenden, mit allen ihren Bestimmungen zu deduciren. Dieß geschieht im theoretischen Theil der Philosophie. Er entsteht durch eine Abstraction von der allgemeinen Wissenschaftslehre. Es wird nämlich abstrahirt von der subjectiven, (anschauenden) Thätigkeit, welche das Subject=Object im Selbstbewußtseyn als identisch mit sich setzt, durch welches identisch Setzen dieses eben erst = Ich wird (die Wissenschaftslehre hebt jene Identität nie auf und [/] ist eben deßwegen ideal=realistisch). Es bleibt nach jener Abstraction der Begriff des reinen, (bloß objectiven) Subject=Objects zurück; dieser ist Princip des theoretischen, oder wie ich ihn mit Recht nennen zu können glaube, realistischen Theils der Philosophie. Das Ich, welches das Subject=Object des Bewußtseyns, oder wie ich es auch nenne, das potenzirte Subject=Object ist, ist von jenem nur die höhere Potenz. Es ist Princip des idealistischen (bisher praktisch genannten) Theils der Philosophie, der also durch jenen theoretischen selbst erst seine Grundlage erhält. Die Aufhebung der Antithesis, die durch jene erste Abstraction gesetzt war, giebt einen, nicht bloß philosophischen, sondern wirklich objectiven Ideal = Realismus (die Kunst); jene Aufhebung geschieht in der Philosophie der Kunst, dem dritten Theile in einem System der Philosophie.
Ich weiß nun nicht:
1) Werden Sie gegen mich behaupten, Wissenschaftslehre seye = Philosophie, Philosophie = Wissenschaftslehre, die Begriffe beider erschöpfen sich, so würden wir um Worte streiten. Nennen Sie Wissenschaftslehre Philosophie, und erlauben Sie mir, was ich bisher theoretische Philosophie nannte, Physik (im Sinne der Griechen), was ich practische, Ethik (gleichfalls im Sinne der Griechen) zu nennen, ich bin es zufrieden. Was ich Naturphilosophie nenne ist dann ebendeß[/] wegen, wie ich behaupte, eine von der Wissenschaftslehre völlig verschiedene Wissenschaft. Der Wissenschaftslehre kann Naturphilosophie nie entgegengesetzt seyn, wohl aber dem Idealismus, und, wenn die Darstellung des letzteren Transscendentalphilosophie heißt, der Transscendentalphilosophie, (wie ich dieß auch in der oben angeführten Einleitung gethan habe). Jetzt aber, wie Sie wohl sehen, betrachte ich Natur= und Transscendentalphilosophie nicht mehr als entgegengesetzte Wissenschaften, sondern nur als entgegengesetzte Theile eines und desselben Ganzen, nämlich des Systems der Philosophie, die sich ebenso entgegengesetzt sind, wie bisher theoretische und practische Philosophie.
Werden Sie aber
2) sagen, jene von mir sogenannte rein theoretische Philosophie seye sonach eben die Wissenschaft, von der Sie in Ihrem Briefe reden, die nämlich, welche die Natur allein sich zum Object mache, durch freie Abstraction, und sie daher durch eine (erlaubte) Fiction sich selbst construiren lasse, so ist dieß ganz und gar meine Meinung, wenn Sie nicht etwa unter jener Abstraction eine solche verstehen, durch welche etwas bloß Reales übrig bleibt, denn mit einem solchen läßt sich schlechthin nichts anfangen. Es bleibt nach jener Abstraction übrig ein Ideal = Reales, nur als solches bloß Objectives, nicht in seiner eignen Anschauung Begriffenes. Es bleibt [/] übrig mit Einem Wort dasselbe, was in einer höhern Potenz als Ich erscheint; nur sehen Sie wohl, daß es für das Resultat nicht gleichgültig ist, ob der Philosoph sein Object gleich in der höchsten Potenz, (als Ich) oder in der einfachen aufnimmt. In der Wissenschaftslehre muß eben weil sie Wissens = Lehre ist (da Wissen eben selbst schon jene höchste Potenz bezeichnet) der Philosoph sein Object allerdings schon als Ich, (d. h. als ursprünglich schon Wissendes, also nicht bloß Objectives) aufnehmen. In der Naturphilosophie, welche (als theoretischer Theil des Systems) durch Abstraction von der theoretisch=practischen Wissenschaftslehre entsteht, ist dieß nicht der Fall. Der transscendentale Idealismus gilt also auch nur für den, der sich ursprünglich schon vorgesetzt, vom Wissen in der höchsten Potenz, insofern es zugleich theoretisch und practisch ist, auszugehen; er gilt auch für den der vom practischen Standpunkt allein ausgeht, nicht aber für den, der vom rein theoretischen ausgeht. Von der theoretischen Philosophie aus kann also auch der transscendentale Idealismus nicht bestehen, es gehen aus ihr vielmehr die Resultate hervor, wegen der ich mich der Kürze halber auf den letzten Paragraphen meiner Abhandlung über den dynamischen Proceß in dem beiliegenden zweiten Heft meiner Zeitschrift berufe.
Hier weiß ich nun nicht, ob wir einig seyn können, [/] ob Ihnen nicht, da ich zuletzt doch, eben dadurch, daß ich mich mit meinem Object in die höchste Potenz erhebe, wo ich völlig mit ihm zusammenfalle, und Eins bin, auf den transscendentalen Idealismus wieder kommen muß, ob, sage ich, Ihnen das Alles nicht als unnütze Weiterung erscheint? Vielleicht. Ich habe aber geglaubt und glaube noch, daß eben auf diesem Wege alle Mißverständnisse über Idealismus aufs Gewisseste und auf immer beseitigt werden können. Dem seye wie ihm wolle, so glauben Sie, daß, wenn ich mich von Ihnen zu entfernen scheine, es nur geschieht, um mich Ihnen vollkommen zu nähern, und lassen Sie mich nur immer von der Kreislinie, in die Sie sich mit der Wissenschaftslehre einschließen müssen, in einer Tangente fortgehen, ich werde früher oder später, und, wie ich gewiß hoffe, mit vielen Schätzen bereichert in Ihren Mittelpunkt zurückkehren, und dadurch selbst Ihrem System eine Ausdehnung geben, die es ohne dieß meiner Ueberzeugung nach nicht erlangen kann.
Diese Differenz, von der ich zum Voraus weiß und sage, daß sie sich in die vollkommenste Uebereinstimmung auflösen wird, kann uns also nicht hindern, etwas Gemeinschaftliches ins Publikum zu bringen; es wird nur desto mehr die Thätigkeit beleben, wenn man uns, in vielleicht verschieden scheinenden Richtungen zu Einem Ziel gehen sieht, und selbst noch nicht begreift, [/] wie das möglich seye; dem Buchstaben jeder Art wird auch kräftiger Einhalt dadurch gethan, und Sie sind zu weit darüber erhaben, einen bloßen Anhänger an irgend Jemand zu begehren, um diesem eignen Weg, den ich nehmen will, nicht mit Vergnügen zuzusehen, und wenn Sie überzeugt werden, daß er zum Ziel führt, mich selbst darauf zu fördern. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich in allen wesentlichen Punkten Ihres Systems bis jetzt mit Ihnen einig bin, und Sie eben darum auch durchaus zu verstehen glaube. Wo ich nicht einig bin, und der Punkt doch wesentlich ist, (z. B. in der Religionslehre) glaube ich Sie noch nicht zu verstehen. Dieß ist aber eben ein Punkt, der uns bis jetzt wenigstens über die ersten Grundsätze völlig einig seyn läßt, also insofern, oder in Ansehung dieser nicht wesentlich ist.
Mit dem, was Sie über die Deduction der drei Dimensionen schreiben, bin ich zum Theil wenigstens einverstanden. Der reine Raum hat keine Dimensionen, aber eben deßwegen ist er auch nicht Kugel, denn die Kugel hat zwar nicht Länge und Breite, wohl aber Tiefe. Der Raum als Kugel ist also schon in der Reflexion auf den unendlichen Raum begränzte Anschauung. Die Philosophie der Mathematik ist meines Erachtens, ebenso wie die Philosophie des bloß formellen Denkens, d. h. die Logik, eine Abstraction der [/] Wissenschaftslehre ist, eine Abstraction der Naturphilosophie. Die Linie, als nach Einer Dimension auf= und absteigende Größe, ist das Schema der Arithmetik, deren Reihe auch nur diese Eine Dimension hat, die Fläche Schema der Geometrie u. s. w. Aber Linie, Fläche und Körper entstehen nur ursprünglich eben erst in der Naturphilosophie, und kommen erst durch Abstraction in die Philosophie der Mathematik. Naturphilosophie kann sie also nicht aus dieser voraussetzen.
Ich bewundere den Tiefsinn des Uebrigen, was Sie mir darüber mittheilen wollten. Es möchte auch wohl einen Punkt geben, wo ich mich darüber mit Ihnen vereinigen könnte. Vorerst ist mir aber so viel gewiß, und ist, wenn es bei Ihren vielen Geschäften nicht unbescheiden wäre, Sie zu bitten, den Aufsatz über den dynamischen Proceß in den beifolgenden Heften zu lesen, gewiß auch für Sie bewiesen, daß den drei Dimensionen drei Akte in der Natur entsprechen, (der Akt des Magnetismus, der Electricität und des chemischen Processes) und daß diese drei Akte wiederum dem Akt des Selbstbewußtseyns, der Empfindung, und der productiven Anschauung in dem Ich entsprechen. Vom Standpunkt der Reflexion aus aber möchte es wohl ebenso wahr seyn, daß uns die drei Dimensionen durch subsumirende, reflectirende Urtheilskraft und Vernunft, [/] wieder entstehen, nachdem sie durch jene ersten Akte bewußtlos gesetzt waren.
Ich kann Ihnen nicht genug sagen, wie sehr es mich freut, Sie diesen Winter wieder in dem Wirkungskreis zu sehen, den Sie sonst so herrlich erfüllt haben. Ich möchte sagen: das ist eine Epoche in der äußern Geschichte der Philosophie, daß Fichte seine Philosophie in Berlin vorträgt. Meinen innigsten Dank für die überschickte Schrift, die ich mit größtem Eifer studiren werde; so wie für die Bestimmung des Menschen, die ich, erst heute, doch wohl von Ihnen, durch Friedrich Schlegel geschickt bekommen habe. Daß Sie meine Zeitschrift nicht erhalten haben, ist einzige Schuld des saumseligen Gablers, dem ich in meiner Abwesenheit nicht auf die Finger sehen konnte.
Eine herrliche Lectüre haben Sie uns diese Tage bereitet durch die Recension von Bardili in der Erlanger Zeitung. Diese Recension ist wirklich tödtend, und so adäquat, daß sie es nicht mehr seyn könnte. Es ist hier (vielleicht durch Mehmel, der sich viel darauf zu gut thut, so ziemlich bekannt, daß Sie Verfasser sind). Goethe, der eben hier ist, hat sie sich von mir ausgebeten.
Wegen der Vereinigung mit Goethe und Schiller zu etwas Gemeinschaftlichem wünsche ich den besten Erfolg. Sehr denkbar ist es mir, und sehr erfreulich dazu. [/] Haben Sie Gelegenheit, Tieck herzlich zu grüßen, und zu sagen, ich werde ihm nächstens etwas schicken, das ich ihm lange bestimmt, so wird es mich freuen.
Leben Sie recht wohl, mein theuerster Freund und bleiben Sie gewogen
Ihrem ganz eignen
Schelling.
N. S. Ich überlese diesen Brief nochmals und finde mit welcher Verworrenheit er geschrieben ist. Halten Sie dieß dem Zustand meiner Gesundheit zu gut. Ich könnte mit Jacobi sagen: Fichte versteht mich auf’s halbe Wort. Von Reinholds Journal wird bereits das erste Heft gedruckt.