Berlin, d. 27. Xbr. 1800.
Ich danke Ihnen mein geliebter Freund, für die zwei Stüke Ihres naturphilosophischen Journals, die ich mit Fleiß studiren werde.
Ich hatte Ihnen über einige Differenzen unsrer Ansicht geschrieben, nicht als ob ich sie für Hindernisse unsers Vereins zu einer gemeinschaftlichen Arbeit ansähe, sondern um Ihnen einen Beweiß meiner aufmerksamen Lektüre Ihrer Schriften zu geben.
Zu verstehen glaube ich Sie recht wohl, und verstand Sie so schon vorher. Nur glaube ich, daß diese Sätze nicht aus den bisherigen Principien des Transscendentalismus folgen, sondern ihnen vielmehr entgegen sind; daß sie nur durch eine noch weitere Ausdehnung der TransscendentalPhilosophie, selbst in ihren Principien, begründet werden können, zu welcher ohnedies das Zeitbedürfniß uns dringendst auffodert. – Ich habe diese ausgedehntem Principien noch nicht wissenschaftlich bearbeiten können; die deutlichsten Winke darüber finden sich im dritten Buche meiner Best. d. Menschen. Die Ausführung derselben wird, sobald ich mit der neuen Darstellung der Wissenschaftslehre fertig bin, meine erste Arbeit seyn. Mit einem Worte: es fehlt noch an einem transscendentalen Systeme der intelligiblen Welt; Ihren Saz, daß das Individuum nur eine höhere Potenz der Natur sey, kann ich nur unter der Bedingung richtig finden, daß ich die Natur nicht bloß als Phänomen (und insofern offenbar von der endlichen Intelligenz erzeugt, daher nicht wiedrum sie erzeugend) setze, sondern ein Intelligibles in ihr finde, von welchem über[/]haupt das Individuum die niedere, von etwas in ihm aber (dem nur bestimmbaren) die höhere Potenz (das bestimmte) ist. In diesem Systeme des Intelligiblen allein können wir uns über diese, und andere Differenzen durchaus verstehen, und vereinigen.
Denken Sie, was Reinhold thut. Ich lasse ihm durch die Erl. Redaction meine Rec. Bardilis schiken, und ersuche ihn, den transscendentalen Idealismus besser zu studiren, als er bis jezt gethan haben möge. Dies nimmt mir der Mann ernstlich übel; und will nunmehr beweisen, „daß die B´ische Philosophie vom Bewußtseyn, oder, was nur immer Thatsache seyn könne, nicht ausgehe, daß sie durchaus keine empirische Voraussetzung zulasse, oder bedürfe“.!! Wie wird er dies machen? – Auch hat er auf jene Recension sogleich ein offenes Sendschreiben an mich zum Abdruke in seinem neuen philosophischen Journale abgeschikt. Wird dieses Journal, wie ich vermuthe, in Jena gedrukt, so haben Sie doch die Güte mir es sogleich bei seiner Erscheinung überschiken zu lassen.
Nein, öffentlich lesen thue ich nicht. Die hiesigen Gelehrten machten niederträchtige Cabalen, und die andringenden Lehrbegierigen benahmen sich ungeschikt; mir lag nichts daran, und so ist es unterblieben. Nur zwei Privatisten habe ich. Jedoch werde ich nicht von Berlin gehen, [/] ohne die Köpfe auch auf diese Art in die Prüfung genommen zu haben.
Leben Sie wohl, und behalten Sie mich lieb.
Fichte
Herrn Professor Schelling
zu
Frei.
Jena.
Ich danke Ihnen mein geliebter Freund, für die zwei Stüke Ihres naturphilosophischen Journals, die ich mit Fleiß studiren werde.
Ich hatte Ihnen über einige Differenzen unsrer Ansicht geschrieben, nicht als ob ich sie für Hindernisse unsers Vereins zu einer gemeinschaftlichen Arbeit ansähe, sondern um Ihnen einen Beweiß meiner aufmerksamen Lektüre Ihrer Schriften zu geben.
Zu verstehen glaube ich Sie recht wohl, und verstand Sie so schon vorher. Nur glaube ich, daß diese Sätze nicht aus den bisherigen Principien des Transscendentalismus folgen, sondern ihnen vielmehr entgegen sind; daß sie nur durch eine noch weitere Ausdehnung der TransscendentalPhilosophie, selbst in ihren Principien, begründet werden können, zu welcher ohnedies das Zeitbedürfniß uns dringendst auffodert. – Ich habe diese ausgedehntem Principien noch nicht wissenschaftlich bearbeiten können; die deutlichsten Winke darüber finden sich im dritten Buche meiner Best. d. Menschen. Die Ausführung derselben wird, sobald ich mit der neuen Darstellung der Wissenschaftslehre fertig bin, meine erste Arbeit seyn. Mit einem Worte: es fehlt noch an einem transscendentalen Systeme der intelligiblen Welt; Ihren Saz, daß das Individuum nur eine höhere Potenz der Natur sey, kann ich nur unter der Bedingung richtig finden, daß ich die Natur nicht bloß als Phänomen (und insofern offenbar von der endlichen Intelligenz erzeugt, daher nicht wiedrum sie erzeugend) setze, sondern ein Intelligibles in ihr finde, von welchem über[/]haupt das Individuum die niedere, von etwas in ihm aber (dem nur bestimmbaren) die höhere Potenz (das bestimmte) ist. In diesem Systeme des Intelligiblen allein können wir uns über diese, und andere Differenzen durchaus verstehen, und vereinigen.
Denken Sie, was Reinhold thut. Ich lasse ihm durch die Erl. Redaction meine Rec. Bardilis schiken, und ersuche ihn, den transscendentalen Idealismus besser zu studiren, als er bis jezt gethan haben möge. Dies nimmt mir der Mann ernstlich übel; und will nunmehr beweisen, „daß die B´ische Philosophie vom Bewußtseyn, oder, was nur immer Thatsache seyn könne, nicht ausgehe, daß sie durchaus keine empirische Voraussetzung zulasse, oder bedürfe“.!! Wie wird er dies machen? – Auch hat er auf jene Recension sogleich ein offenes Sendschreiben an mich zum Abdruke in seinem neuen philosophischen Journale abgeschikt. Wird dieses Journal, wie ich vermuthe, in Jena gedrukt, so haben Sie doch die Güte mir es sogleich bei seiner Erscheinung überschiken zu lassen.
Nein, öffentlich lesen thue ich nicht. Die hiesigen Gelehrten machten niederträchtige Cabalen, und die andringenden Lehrbegierigen benahmen sich ungeschikt; mir lag nichts daran, und so ist es unterblieben. Nur zwei Privatisten habe ich. Jedoch werde ich nicht von Berlin gehen, [/] ohne die Köpfe auch auf diese Art in die Prüfung genommen zu haben.
Leben Sie wohl, und behalten Sie mich lieb.
Fichte
Herrn Professor Schelling
zu
Frei.
Jena.