Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Johann Gottlieb Fichte TEI-Logo

den 24. Mai 1801.
Mein verehrungswürdiger Freund, ich habe vor wenigen Stunden Ihr Antwortschreiben an Reinhold erhalten und es seitdem zu wiederholten Malen schon gelesen. Es hat mich ergriffen, und stellenweise erschüttert; es ist das Zeichen von Ihnen, das ich längst erwartet habe, das wichtigste Geschenk, das Sie mir machen konnten. Ich bin von allem Zweifel nun befreit, und sehe mich aufs Neue in der Uebereinstimmung mit dem, mit welchem harmonisch zu denken mir wichtiger ist, als die Zustimmung der ganzen übrigen Welt mir seyn würde oder könnte. Fortan werde ich nie mehr in Verlegenheit seyn, zu sagen: das was ich will, ist nur dasselbe was Fichte denkt, und ihr könnt meine Darstellungen als bloße Variationen seines Themas betrachten. Ich werde nicht mehr durch diese Schüchternheit, etwas als unsre gemeinschaftliche Behauptung aufzustellen, was [/] doch vielleicht nur die meinige seyn, und [Ihren] Gedanken beim Publikum sogar im Wege stehen könnte, zurückgehalten werden; denn ich sehe aus dieser Ihrer Schrift, und Sie werden aus der indeß erhaltenen Darstellung meines Systems ersehen haben, daß wir beide nur Eine und dieselbe absolute Erkenntniß zugeben, welche in allem Erkennen die gleiche, immer wiederkehrende ist, und die in allem Wissen darzustellen und offenbar zu machen, unser beider Geschäft ist. Ueber diese Eine Erkenntniß kann keine gleiche Gewißheit seyn, ohne daß die Erkenntniß auch der Art nach dieselbe seye; denn eben in der Einzigkeit der Art dieser Erkenntniß liegt der Grund von der Einzigkeit der Gewißheit, die sie mit sich führt. Es ist die Erkenntniß, welche einmal gewonnen, nicht mehr irren läßt. Wir mögen uns über dieselbe verschieden ausdrücken, sie auf ganz verschiedene Art darzustellen streben, über sie selbst können wir nie mehr uneinig seyn, und wenn wir es je gewesen sind, so will ich gerne und willig die Schuld davon auf mich nehmen. Wenn diese Erkenntniß erst als einziges Thema und Princip des Philosophirens förmlich etablirt und festgesetzt ist, so wird dann die göttliche Philosophie ihrer ganzen Freiheit wieder gegeben seyn, und gleich dem Gegenstand, den sie darstellt, in unendlichen Formen [/] und Gestalten, immer nur das Eine Absolute wiederholen und an den Tag bringen. Was sie auch berühre, wird unmittelbar durch ihre Berührung das Heilige werden, und jene Erkenntniß wird Alles in das Göttliche selbst verwandeln. Es wird also fortan nur Ein Gegenstand seyn, und nur Ein Geist, Ein Erkennen, Ein Wissen dieses Gegenstandes, und auf der ersten Welt seiner Offenbarung wird sich durch Philosophie und Kunst eine zweite erheben, ebenso reich und manichfaltig wie die erste, und doch nur Darstellung dieses Einen in Gedanken und Werken.
Ich bitte Sie, mein theuerster Freund, mir über die Art und Form meiner Darstellung einige Gedanken zukommen zu lassen, denn es ist doch ein nothwendiges Bestreben, sich der ursprünglichen Form, unter welcher das Absolute dargestellt werden muß, so viel möglich anzunehmen, obgleich es freilich unter keiner Form unverkennbar wird, wo es nur wirklich ist. Wie sich aus dieser Darstellung das Bewußtseyn, oder das Ich, gleichsam als der Mittagspunkt der existirenden absoluten Identität, entwickele, werde ich in dem folgenden Heft, wie ich glaube mit vollkommner Evidenz darlegen können, und da das Ich allein die wirklich existirende Identität, die gesammte Natur aber bloß dieselbe absolute Identität ist, insofern sie den Grund ihrer eignen Existenz enthält, so geht an diesem Punkt auch der [/] Idealismus als die wahre alles befassende, begreifende, und durchdringende Sonne auf; es wird offenbar, daß Alles wirklich nur in demselben lebt und webt, und in welchem hohen Sinne alles = Ich und nur = Ich seye.
Sie werden gefunden haben, daß ich Reinholden etwas sehr schnöde behandelt habe. Ich habe allerdings die Distinction nicht gemacht, die Sie machen, und kann sie wenigstens jetzt nicht zulassen, nachdem er sich nicht mehr als der bloße Schüler von Bardili, sondern als Zelot, und als wirklicher Verfolger gerirt. Lesen Sie doch, wenn Sie können, den angeführten Aufsatz im teutschen Merkur. Der Titel ist: „der Geist der Philosophie der Geist der Zeit.” Uebrigens würde ich mich vergebens bemühen, Ihnen meine Bewunderung der Art, und der Kunst, mit der Sie ihn behandelt haben, in Worten auszudrücken. Man wird diesen Aufsatz zugleich nebst der Annihilationsakte in der Nachwelt als den Gipfel der polemischen Kunst des ganzen Zeitalters ansehen. Mich hat die persönliche, und, fast kann ich sagen, physische Antipathie völlig unfähig gemacht, in dieser Sache etwas Besseres zu thun. Ich kenne Bardili; ich weiß längst, daß sein ganzes Wissen ein Cento [/] ist aus Plato, den er zu lesen affectirt, einigen Leibnitzschen Sätzen, Tübingisch=Ploucquetischer Philosophie (hier liegt der Hauptquell) und endlich aus Sätzen Ihres Systems, die er freilich auf jeden Fall nur aufgeschnappt hat, obgleich ich nachher in Erfahrung gebracht habe, daß er Ihre und meine Schriften allerdings gelesen, und wiedergelesen hat: ich weiß auch, daß es diesem Menschen durchaus um nichts zu thun war, als um Auslassen des lang verhaltenen Grolls, auf keine Weise die geringste Aufmerksamkeit erregen zu können. Die Unverschämtheit Bardilis oder Reinholds, (denn was jedem von beiden gehört, kann ich nicht genau unterscheiden, da ich jenen nie, diesen nur flüchtig gelesen habe) – die doch vielleicht nicht so unbewußt ist, als Sie sich vorzustellen scheinen, aus dem Idealismus selbst die Ideen zu nehmen, um den verdrehten und mißverstandenen zu widerlegen, in diesen gleich alles mögliche hineinzuschieben und mit sichtbarer Emsigkeit ihn so zu exegesiren, daß man leichte Mühe hat ihn abzuthun – diese Unverschämtheit war wirklich einzig. Ob Reinhold nicht doch unschuldig dabei seyn kann, will ich nicht sagen. Von Bardili weiß ich es gewiß, daß er es nicht ist, und daß er wohl weiß, was er aus Ihnen und von Ihnen hat. Das absurde Geschwätz vom Denken als einer objectiven Thätigkeit ist mit dem was daran wahr ist durchaus nichts anders als eben der Hauptsatz des [/] Idealismus, daß das einzig Existirende das Ich, und alles Existirende Subject (Reinholds Denken) und Object seye.
Wenn ich Reinholden zu schnöde behandelt habe, so haben Sie ihm, wie Sie selbst zu verstehen gaben, zu viel gegeben, nur um ihn überhaupt fassen zu können. In der That versichert mir ein Freund, der sich mit diesen Dingen sehr abgegeben hat, daß das Bardili=Reinholdische A, und die Wiederholbarkeit jenes A ins Unendliche durchaus nichts als der logisch=allgemeine Begriff, und die logische Allgemeinheit und Wiederholbarkeit, also freilich sehr entfernt seye von der absoluten Erkenntniß, die sich nach uns in allem wiederholt, von der wir sprechen, und die nach uns wirklich die einzige Erkenntniß ist, anstatt daß jene nur eine collective Erkenntniß, also auch eine, uns völlig unbekannte, Mehrheit von Erkenntnissen haben.
Verzeihen Sie, theuerster Freund, die Flüchtigkeit dieses Schreibens dem Styl und der Sache nach. Ich wünschte Ihnen meinen Dank und mein Gefühl gleich mit der ersten Post zuzubringen. Es ist schon spät und ich kann nur noch mit wenigen Worten hinzusetzen:
1) Daß ich alle Ihre Aufträge besorgt habe,
2) daß ich mich freue, Sie zu dem Gedanken der Zeitschrift zurückkehren zu sehen. Ich bin mit allen meinen Wünschen dabei. Ich verspreche, beständig und [/] mit Ernst und Treue Theil zu nehmen. Ich erwarte Ihre baldige bestimmte Nachricht, und bitte Sie, alles Uebrige nur zu veranstalten, wie es Ihnen gut und angemessen dünkt. Auf die Herbstmesse, denke ich, sollte bereits etwas davon erscheinen können.
Ich grüße Sie herzlich, mein innig geliebter und verehrter Freund, und bin mit dieser Gesinnung
Ganz der Ihrige
Schelling.
Nachschrift. Goethe, welchem Cotta schon das einzige Exemplar von der Messe mitgebracht hatte, habe ich damals gleich von Ihrer Schrift mit wahrer Liebe und Bewunderung sprechen hören.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 24. Mai 1801
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 5: Briefe 1801–1806. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Erich Fuchs, Kurt Hiller, Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1982, S. 39‒42.

Zur Benutzung · Zitieren