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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Johann Gottlieb Fichte TEI-Logo

Jena, den 25. Januar 1802.
Zuvörderst thue ich sehr gern Verzicht auf die namentliche Kenntniß desjenigen, welcher eine Erklärung von mir gegen Sie gelesen zu haben glaubte. Sie haben Recht, es ist genug, daß sie nirgends existirt.
Was die persönlichen Beleidigungen betrifft, deren Sie mich anklagen, so bitte ich Sie, es für keine zu halten, wenn ich nicht verhehle, daß alles, was in [/] meinem Brief dieses Ansehen haben kann, mir nur den Geist Ihres eignen Tons gegen mich wiederzugeben schien, indem ich dennoch meine, mir nichts verstattet zu haben, das z. B. Ihrem Anerbieten des Einlenkens noch im letzten Briefe gleich zu setzen wäre, und gebe Ihnen übrigens zu bedenken, ob nicht, alles andere bei Seite gesetzt, jede umwundene Aeußerung in Ansehung eines Freundes, wie die in der Ankündigung der Wissenschaftslehre, die gerechte Empfindlichkeit desselben allerdings stärker erregen muß, als alles, was auf geradem Wege geschieht.
Der gerade Weg und Aufrichtigkeit der Gesinnung haben mich stets Ihnen gegenüber geleitet, und werden es ferner unverrückt thun. Ich erlaubte mir bloß, Ihnen mitzutheilen, was ich über unser Verhältniß denke, und habe mit keinem Wort meine Achtung für Sie gegen einen Dritten verläugnet. Mir hingegen (unter andern auch) ist noch nicht lange eine Mittheilung gegen einen Dritten von Ihrer Seite zu Gesicht gekommen, worin steht, daß Sie mein „Vorgeben u.s.w. in seiner ganzen Blöße“ darzustellen gedenken, und daß ich die Wissenschaftslehre nicht besser verstehe als sie Friedrich Nicolai auch versteht, nebst mehreren Ausdrücken, die so lange Achtung besteht, auch nur, die Sie noch im extremsten Falle geloben, die schwerlich vor ihr, es sey wodurch es wolle, zu rechtfertigen sind. [/]
Noch mehr freilich, als über die erste Argumentation in der zurückbehaltenen Antwort, welche Sie jetzt beigelegt haben, betreffend das Quantitative meines Absoluten, welches Ihnen keineswegs aus meiner Darstellung §. 25, den Sie ansehen mögen, sondern daher entstanden ist, daß Sie in meinem Briefe die zweite Hälfte des Perioden übersehen, indem es dort heißt: „Dieses Absolute existirt (erscheint) unter der Form der quantitativen Differenz im Einzelnen und der gleichen Indifferenz im Ganzen,“ habe ich darüber lächeln müssen, daß in eben erwähnter Mittheilung dieselbe Voraussetzung, daß ich „glücklich das Absolute unter Quantitätsformen existiren lasse“ – glücklich wieder als Hauptargument gegen mich gebraucht ist, wobei es mich doch gefreut hat, am Ende des Schreibens Spuren einer indirecten Bestätigung Ihrer directen Aeußerung zu finden: „Wir möchten wohl, was die Sachen betrifft, ziemlich einig seyn.“
Daß solchergestalt seit meinem letzten Brief sich einiges im Stand der Sachen verändert hat, ergiebt sich von selbst. Meine Erklärung existirt nicht, welche Sie gegen mich erbittert hat, aber Ihre zweideutige Aeußerung in der Ankündigung der Wissenschaftslehre und der Brief an Herrn Schad existiren wirklich.
Es bleibt dabei, daß ich Ihre neue Darstellung abwarten werde. Wenn Sie darin den Spinoza zu [/] Ihrem imaginären Gegner machen, so scheint mir das wiederum nicht der gerade Weg zu seyn, auch kann er Sie dahin führen, mehr zu widerlegen als im Spinoza enthalten ist, (vorausgesetzt, daß es nicht weniger seyn wird) und ich habe dann das doppelte Geschäft, sowohl scharf abzuscheiden, was ihm und was mir gehört, als auch sonst das Nöthige zu thun, indem ich keineswegs zuzugeben gedenke, daß er unter meinem, noch daß ich unter seinem Namen mißdeutet werde.
Das ist alles was ich Ihnen jetzt erwiedern kann. Es ist noch immer mein Plan und meine Hoffnung, Sie im Frühjahr persönlich zu begrüßen.
Schelling.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 25. Januar 1802
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 5: Briefe 1801–1806. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Erich Fuchs, Kurt Hiller, Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1982, S. 115‒117.

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