Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Friedrich Immanuel Niethammer TEI-Logo

Stuttgart den 22ten Jan. 1796
Endlich kann ich Euer Wohlgebohrn den Beschluß der philosophischen Briefe schiken, den Sie gewiß früher erhalten hätten, wenn ich nicht durch die totale Verändrung meiner Lage, und die heterogenen Beschäftigungen, denen ich mich unterziehen mußte, an Ihrer Vollendung bis jezt gehindert worden wäre. Freylich wünsche ich nun, daß sie baldmöglichst abgedrukt würden. Noch mehr wünsche ich, auch über die 2te Abteilung Ihr Urteil zu hören. Die Zufriedenheit, die Sie über die erste Briefe bezeugt haben, war mir äußerst angenehm. Da in der Abhandlung selbst ein Unterschied gemacht wird zwischen Dogmatismus und Dogmaticismus, so bitte ich E. Wohlgebohrn geh., dafür zu sorgen, daß diß Wort überall gerade so gedrukt werde, als es im Mst. geschrieben ist. Zu dieser Bitte veranlaßt mich die Bemerkung, daß in der ersten Abtheilung überall Dogmaticism gedrukt ist. Wäre es möglich, daß auch von der zweiten Abtheilung einige besondre Abdrüke für mich gemacht würden, und wollten Sie dann die Güte haben, alles zusammen hieherzuschiken, so würden Sie mich zu neuem großem Dank verpflichten. Ebendeßwegen wünsche ich auch, daß die zweite Lieferung auf einmal abgedrukt und eher für ein späteres Stük aufgespart, als verstükelt würde.
Verzeihen Sie, daß ich Ihnen mit einer solchen Menge Bitten beschwerlich falle.
Ihren Auftrag, Fichte's Wissenschaftslehre zu recensiren, nehme ich mit desto größerem Vergnügen an, da ich selbst bisher nicht Zeit genug gehabt habe, diß Werk eigentlich zu studiren. Den praktischen Teil derselben habe ich bis jezt noch nicht einmal gelesen. Insofern also ist Ihr günstiges Urteil, als ob ich mich mit Fichte's Philosophie ganz vertraut gemacht hätte, allzugünstig. Doch glaube ich den Geist derselben im Allgemeinen gefaßt zu haben, wenn ich auch mit dem Detail und dem Buchstaben der Wißenschaftslehre bis jezt sehr wenig bekannt bin. Ebendeßwegen kann ich auch, (besonders da noch andre Beschäftigungen und tägliche Zerstreuungen hinzukommen) Ihren Auftrag nur unter der Bedingung annehmen, daß Sie mir die Frist von ungefähr zwei Monaten dazu vergönnen.
Ihre gütige Erkundigung nach meiner gegenwärtigen Lage weiß ich als Beweiß Ihrer Gewogenheit dankbar zu schäzen. Ich bin seit dem November vorigen Jahrs hier, in Stuttgardt, als künftiger Führer und Begleiter zweier Baronen v. Riedesel in H. Prof. Ströhlin's Haus. Diese Lage hat bis jezt wenig Angenehmes für mich, da ein großer Teil meiner Zeit für mich so gut wie verloren ist. Doch unterzog ich mich dieser Beschwerlichkeit, in der Hoffnung, künftig dafür entschädigt zu werden. Ich solle sie nächsten Frühling nach Leipzig, und wenn ich ihre Studienzeit dort aushalte, auf weitere Reisen — vielleicht nach England, und — wenn in Frankreich das Königthum wiederhergestellt seyn wird! — auch dahin begleiten. Zunächst kann ich also nur auf eine Reise nach Leipzig gewiße Rechnung machen. Überdiß sorge ich, man werde noch in Ansehung der Erziehung Forderungen an mich machen, die meinen Grundsätzen schlechterdings zuwider sind. In diesem Fall würde ich eher auf jene, als auf diese Verzicht thun. – Mein Plan ist, in diesem Fall auf eigne Rechnung zunächst eine deutsche Universität – (Göttingen oder Jena) – zu besuchen. Nur bin ich so wenig unterrichtet von der Art, sich mit Vorteil – und was die Hauptsache ist – mit wenigen Kosten da aufzuhalten, daß einige Nachricht darüber mir auf jeden Fall erwünscht wäre. Meine weitre Plane sind bis jezt ganz unbestimmt, und gehen – wie der Lebensplan jedes vernünftigen Wesens – zunächst auf nichts, als eine unabhängige und freie Existenz. Wo ich diese finde, da ist mein Vaterland. Ihr schmeichelhaftes Urteil über meine Bestimmung ist mir insofern mehr als nur schmeichelhaft, weil ich bei dieser Bestimmung jenen Zweck mehr als auf einem andern Wege zu erreichen hoffen dürfte. Ich bin entschlossen, eine Zeitlang mich größtenteils wenigstens der Philosophie zu widmen. Das nächste, was ich unternehme ist, ein System der Ethik, (ein Gegenstük zu Spinoza, ein Werk, dessen Idee mich schön längst begeisterte, und das schon begonnen ist) – eine Philosophie der Geschichte der Menschheit (die Einleitung dazu ist fertig: wenn Sie ihr einen Plaz im philos. Journal einräumen wollen, steht Sie Ihnen zu Befehl) – und eine Auslegung der Kritik der Urteilskraft nach meinen Principien. – Doch habe ich Theologie, Geschichte, Sprachen nicht aufgegeben. Zum Beweiß davon bin ich so frei, Ihnen eine akademische Abhandlung aus dem Fach der Theologie zu überschiken. – (Könnten Sie dieselbe allenfalls bei der A. L. Z. zur Recension befördern, so wäre mir diß aus mehrern Gründen sehr angenehm. – Wann wird denn wohl die neue Philosophie da zur Sprache kommen?) –
Sie sehen, hochzuverehrender H. Profeßor, daß meine Plane bis jezt ganz unbestimmt sind, und daß ich die nähere Bestimmung derselben vom Zufall, oder vom Rath und der Unterstützung guter Freunde abhängen laße. Wollten Sie die Güte haben, mir auf jeden Fall einigen guten Rath – vorzüglich über den Plan einer Besuchung deutscher Universitäten – mitzuteilen, so würden Sie sich dadurch neues Verdienst um mich erwerben. In diesem Fall aber muß ich geh. bitten, diß bald zu thun, weil ich im Anfang des März von hier abreisen werde.
Verzeihen Sie mein flüchtiges, regelloses Schreiben. Ich mußte eilen, um das Paquet noch auf die Post zu bringen.
Ich empfele mich Ihrer fortdauernden Gewogenheit, und habe die Ehre, mit vollkommenster Hochachtung zu seyn
Euer Wohlgebohrn
gehors. Diener
Schelling
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 22. Januar 1796
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Immanuel Niethammer ·
  • Place of Dispatch: Stuttgart · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 1. 1775‒1809. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1962, S. 59‒62.

Zur Benutzung · Zitieren