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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Friedrich Immanuel Niethammer TEI-Logo

den 8ten Febr. – 97.
Ich melde Ihnen, daß ich Ihre Aufträge besorgt habe. Aus dem beiliegenden Briefe können Sie schließen, daß ich mich auch in Ansehung meiner Erwartung, wegen philos. Principien fortgeschikt zu werden, zum 2tenmal getäuscht habe. – Von der Rechnung will dieser Brief (des bedeutendsten Vormünders) auch nichts wissen. Und die Klage über Mangel an Publicisten in Leipzig findet auch keinen Eingang.
Was zu thun also? Meinen Abschied geradezu fordern, nicht mehr erwarten? Als ich Ihnen das leztemal schrieb, hatte ich eine Aussicht, die nun auch wieder verschwunden ist. Was mir übrig bleibt, ist, so Gott will, mein Kopf und meine Hände. Aber ich fürchte, es je so weit kommen zu lassen, daß diese meine Freunde in der Noth werden. – Ferner, da ich von Tag zu Tag, wie man's haben will, klüger werde, so denke ich nachgerade auch an die Zukunft. Gesezt ich erhalte mich eine Zeitlang über Wasser, was dann? – Und wenn ich mir selbst eine gelehrte Carriere eröffne – oder eigentlr. gesagt, erschreibe, werde ich mich, dabei Zeitlebens wohlbefinden Ich zweifle sehr. Was in aller Welt kann ein gelehrtes Leben (von gelehrter Bildung, Beschäftigung u.s.w., ist nicht die Rede), erwünscht machen, als etwa der kleine Ruhm, der damit verbunden ist? Und eben, weil dieses Motiv so klein ist, glaube ich daß man die Vorteile eines wissenschaftlichen – der Wahrheit gewidmeten – Lebens reiner genießt, je weniger es an äußre Verhältnisse geknüpft ist, und der glücklichste gewiß ist der Gelehrte, der nicht Gelehrter (von Profession) ist. Werden Sie mir also verargen, wenn ich Plane, auf die Sie in Ihrem Briefe anspielen, nicht aufgebe, aber doch nicht zum Regulativ meines Handelns mache; wenn ich einige Jahre – im eigentlichsten Sinne des Worts – aufopfre, – arbeite, und dulde, um mir nur einige Jahre Freiheit um diesen Preis zu erkaufen, und wenn diese genossen sind, mich in eine kleine, völlig beschränkte Sphäre von Thätigkeit und Glükseligkeit zurükzuziehen. Diß ist mein Plan, den ich ausführen kann, und bei dem ich also vernünftiger Weise bleiben muß, bis ich einen andern nicht zu entwerfen, sondern zu realisiren weiß. – Verzeihen Sie, daß ich soviel von mir selbst rede, ich wollte aber Ihrer Auffordrung gehorchen.
Ich bitte Sie, mir zu schreiben, wann Sie die Fortsezung der Revision nöthig haben. Noch Etwas! Prof. Ströhlin schreibt mir, daß das Stuttgarter Publikum, nachdem es anfangs mich für den Vrf. der Gukkastenphilosophie gehalten, endlich mit seiner Vermutung sich bis zu Ihnen erhoben habe. Da ich das Buch nicht genau kenne, also auch nicht weiß, wie viel oder wie wenig Ihnen daran liegen kann, für den Verf. zu gelten, so hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen diese Nachricht mitzuteilen.
So eben erhalte ich Nicolai's Anhang zu S. Musenallm. In diesem wirft er nun vollends alles zusammen – Schillers Grobheit und die formale Philos., Göthe's moralisch-ästhetisch-politischen Aristokratism und Fichte's Philos. Je mehr er besonders Recht hat, den leztern in sr. ganzen Unerträglkeit zu schildern, und je sichrer er bei'm gemeinen Volk sowol als bei der rechtln. u. nüchternen Mittelklasse gegen den ersten Recht findet, desto mehr wäre zu wünschen, daß man sich auf eine Wochen ein votum patientiae auflegte, um mit aller Schafsgeduld, die diesem Schwäzer eigentümlich ist, seine innerste Blöße, so populär u. gemeinverständlich als möglich aufzudeken. Man kann u. wird ihn nicht anders zum Schweigen bringen, als wenn man sich zu seiner Art zu schreiben u. zu demonstriren herabläßt.
Leben Sie wohl, 1. Freund, u. empfelen Sie mich Fichte, Göriz u.s.w.
Ihr
gehorsamster
Sch.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 8. Februar 1797
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Immanuel Niethammer ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 1. 1775‒1809. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1962, S. 100‒102.

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