Mein Theurer!
Ich habe indeß zu treu und zu ernst an Deiner Sache und an Deinem Ruhme Theil genommen, als daß ich es mir nicht gönnen sollte, Dich einmal wieder an mein Daseyn zu mahnen. Wenn ich indessen gegen Dich geschwiegen habe, so war es größtenteils, weil ich Dir, der mir so viel und immer mehre bedeutete, irgendeinmal in einer bedeutenderen Beziehung, oder doch in einem Grade des Werths, der Dich auf eine schiklichere Art an unsere Freundschaft mahnen könnte, entgegen zu kommen hofte.
Nun treibt mich eine Bitte früher zu Dir, und Du wirst mich auch in dieser Gestalt nicht verkennen. Ich habe die Einsamkeit, in der ich hier seit vorigem Jahre lebe, dahin verwandt, um unzerstreut und mit gesammelten, unabhängigen Kräften vieleicht etwas Reiferes, als bisher geschehen ist, zustande zu bringen, und wenn ich schon größtenteils der Poesie gelebt habe, so ließ mich doch Notwendigkeit und Neigung mich nicht so weit von der Wissenschaft entfernen, daß ich nicht meine Überzeugungen zu größerer Bestimmtheit und Vollständigkeit auszubilden und sie, so viel möglich, mit der jezigen und vergangenen Welt in Anwendung und Reaktion zu sezen gesucht hätte. Großentheils schränkte sich mein Nachdenken und meine Studien auf das, was ich zunächst trieb, die Poësie ein, insofern sie lebendige Kunst ist und zugleich aus Genie und Erfahrung und Reflexion hervorgeht und idealisch und systematisch und individuell ist. Diß führte mich zum Nachdenken über Bildung und Bildungstrieb überhaupt, über seinen Grund und seine Bestimmung, insofern er idealisch und insofern er thätig bildend ist, und wieder insofern er mit Bewußtsein seines Grundes und seines eigenen Wesens vom Ideal aus und insofern er instinctmäßig, aber doch seiner Materie nach als Kunst und Bildungstrieb wirkt etc., und ich glaubte am Ende meiner Untersuchungen den Gesichtspunkt der sogenannten Humanität (insofern auf ihm mehr auf das Vereinigende und Gemeinschaftliche in den Menschennaturen und ihren Richtungen gesehen wird als auf das Unterscheidende, was freilich ebenso wenig übersehen werden darf), vester und umfassender gesezt zu haben, als mir bisher bekannt war. Diese Materialien zusammen veranlaßten mich zu dem Entwurf eines humanistischen Journals, das in seinem gewöhnlichen Karakter ausübend poëtisch, dann auch historisch und philosophisch belehrend wäre über Poësie, endlich im Allgemeinen historisch und philosophisch belehrend aus dem Gesichtspuncte der Humanität.
Verzeihe mir diese schwerfällige Vorrede, mein Theurer! aber die Achtung gegen Dich ließ mir nicht zu, Dir mein Vorhaben so ex abrupto zu verkünden und es schien, als wär' ich Dir gewissermaßen Rechenschaft schuldig von meinen Beschäfftigungen, besonders da ich leicht fürchten konnte nach meinen bisherigen Producten, daß ich das Zutrauen, das Du ehemals in meine philosophischen und poëtischen Kräfte zu sezen schienst, jezt, da ich Dir hätte die Probe geben sollen, nicht mehr in dem vorigen Grade besitze.
Dir, der mit dieser nur zu seltenen Vollständigkeit und Gewandtheit die Natur des Menschen und seiner Elemente durchschaut und umfaßt, wird es ein Leichtes sein, Dich auf meinen beschränkteren Gesichtspunkt zu stellen und durch Deinen Nahmen und Deine Theilnahme ein Geschäft zu sanctioniren, das dienen soll, die Menschen, ohne Leichtsinn und Synkretismus, einander zu nähern, indem es zwar die einzelnen Kräfte und Richtungen und Beziehungen ihrer Natur weniger strenge behandelt und urgirt, aber doch mit Achtung gegen jede dieser Kräfte und Richtungen und Beziehungen faßlich und fühlbar zu machen sucht, wie sie innig und nothwendig verbunden sind und wie jede einzelne derselben nur in ihrer Vortrefflichkeit und Reinheit betrachtet werden darf, um einzusehen, daß sie einer andern, wenn die nur auch rein ist, nichts weniger als widerspricht, sondern daß jede schon in sich die freie Forderung zu gegenseitiger Wirksamkeit und zu harmonischem Wechsel enthält, und daß die Seele im organischen Bau, die allen Gliedern gemein und jedem eigen ist, kein einziges allein seyn läßt, daß auch die Seele nicht ohne Organe und die Organe nicht ohne die Seele bestehen können, und daß sie beede, wenn sie abgesondert und hiermit beede aorgisch vorhanden sind, sich zu organisiren streben müssen und den Bildungstrieb in sich voraussezen. Als Metapher durfte ich wohl diß sagen. Es sollte nichts weiter heißen, als daß das stofflose Genie nicht ohne Erfahrung und die seellose Erfahrung nicht ohne Genie bestehen können, sondern daß sie die Nothwendigkeit in sich haben, sich zu bilden und durch Urtheil und Kunst sich zu konstituiren, sich zusammen zu ordnen zu einem belebten, harmonisch wechselnden Ganzen, daß endlich die organisirende Kunst und der Bildungstrieb, aus dem sie hervorgeht, auch nicht bestehen können und nicht einmal denkbar sind ohne ihr inneres Element, die natürliche Anlage, das Genie, und ohne ihr äußeres, die Erfahrung und das historische Lernen.
Ich wollte Dir nur den allgemeinen Karakter des Journals, das, was man seinen Geist nennt, ungefähr berühren. Ich werde versuchen, in dem Vortrag und Ton so allgemein faßlich als möglich zu seyn.
Ich hielt es nicht ganz für schiklich, den Plan, den ich mir entwerfen mußte, oder auch die Materialien, die ich bereit habe, Dir bestimmter zu nennen, so sehr ich von der andern Seite versucht war, Dir, so viel es sich vor der Sache selber tun läßt, zu bezeugen, daß mein Project nicht ungründlich und leichtsinnig, auch vielleicht mehr zum Glüke gemacht ist, als meine bisherigen Producte, und daß ich, so viel ich Deinen Geist und Sinn kenne und ahne, in der Tendenz wenigstens nicht gegen Dich sündigen werde.
Ich will Deine Antwort, der ich mit Hofnung entgegensehen werde, und Deine Gesinnungen über die Sache abwarten um dann ausführlicher, wenn Du mich auffordern solltest, mich über den Geist und die Einrichtung des Journals, soweit ich es vor mir selber entwerfen durfte, und über die möglichen und vorhandenen Materialien desselben gegen Dich zu äußern.
In jedem Falle, Freund meiner Jugend! wirst Du mir verzeihen, daß ich mich mit dem alten Zutrauen an Dich gewandt und den Wunsch geäußert habe, Du möchtest durch Deine Theilnahme und Gesellschaft in dieser Sache meinen Muth mir erhalten, der durch meine Lage und andere Umstände indessen vielfältige Stöße erlitten hat, wie ich Dir wohl gestehen darf. Ich werde alles thun, um durch möglichste Reife meiner eigenen Beiträge und durch die gütige Theilnahme verdienstvoller Schriftsteller, mit der ich mir schmeichle, dem Journal den Werth zu geben, dessen es bedarf, wenn Du es vor Deinem Gewissen und dem Publikum sollst verantworten können, daß Du wenigstens Deinen Nahmen und, wenn Du mehr nicht könntest und möchtest, des Jahres einige Beiträge dazu gegeben hättest. –
Antiquar Steinkopf in Stuttgart, der sich bereitwillig und verständig gegen mich in der Sache geäußert hat, und der vieleicht eben, weil er ein Anfänger ist, um so beharrlicher und getreuer in seinem Theil sich verhält, verspricht jedem Mitarbeiter sichere Bezahlung, und ich habe es ihm zur Bedingung gemacht, jedem Mitarbeiter wenigstens ein Karolin für den Bogen zu schiken. Wenn ich schon beinahe ganz davon und dafür zu leben gedenke, so glaubt' ich dennoch für meine Person nicht weiter fordern zu dürfen, da ich noch als Schriftsteller so ziemlich ohne Glük bin und meine eingeschränkte Lebensart kein größeres Einkommen erfordert. Ich habe es aber seiner Dankbarkeit und Klugheit überlassen, bei den Mitarbeitern, in welchem Grade er will, eine Ausnahme zu machen. – Verzeih', daß ich auch davon spreche. Aber da es zur Sache gehört, so mag die Sache die Schuld tragen, daß sie ohne einen solchen Pendant nicht bestehen kann.
Habe die Güte, mein Teurer; mich wenigstens bald mit irgendeiner Antwort zu erfreuen, und glaube, daß ich immer und immer mehr Dich geachtet habe und achte.
Dein
Hölderlin.
N. S. Mein Verleger vereinigt seine Bitte ausdrüklich mit der meinen.
Meine Adresse: bei Glaser Wagner wohnhaft in Homburg bei Frankfurt.
Ich habe indeß zu treu und zu ernst an Deiner Sache und an Deinem Ruhme Theil genommen, als daß ich es mir nicht gönnen sollte, Dich einmal wieder an mein Daseyn zu mahnen. Wenn ich indessen gegen Dich geschwiegen habe, so war es größtenteils, weil ich Dir, der mir so viel und immer mehre bedeutete, irgendeinmal in einer bedeutenderen Beziehung, oder doch in einem Grade des Werths, der Dich auf eine schiklichere Art an unsere Freundschaft mahnen könnte, entgegen zu kommen hofte.
Nun treibt mich eine Bitte früher zu Dir, und Du wirst mich auch in dieser Gestalt nicht verkennen. Ich habe die Einsamkeit, in der ich hier seit vorigem Jahre lebe, dahin verwandt, um unzerstreut und mit gesammelten, unabhängigen Kräften vieleicht etwas Reiferes, als bisher geschehen ist, zustande zu bringen, und wenn ich schon größtenteils der Poesie gelebt habe, so ließ mich doch Notwendigkeit und Neigung mich nicht so weit von der Wissenschaft entfernen, daß ich nicht meine Überzeugungen zu größerer Bestimmtheit und Vollständigkeit auszubilden und sie, so viel möglich, mit der jezigen und vergangenen Welt in Anwendung und Reaktion zu sezen gesucht hätte. Großentheils schränkte sich mein Nachdenken und meine Studien auf das, was ich zunächst trieb, die Poësie ein, insofern sie lebendige Kunst ist und zugleich aus Genie und Erfahrung und Reflexion hervorgeht und idealisch und systematisch und individuell ist. Diß führte mich zum Nachdenken über Bildung und Bildungstrieb überhaupt, über seinen Grund und seine Bestimmung, insofern er idealisch und insofern er thätig bildend ist, und wieder insofern er mit Bewußtsein seines Grundes und seines eigenen Wesens vom Ideal aus und insofern er instinctmäßig, aber doch seiner Materie nach als Kunst und Bildungstrieb wirkt etc., und ich glaubte am Ende meiner Untersuchungen den Gesichtspunkt der sogenannten Humanität (insofern auf ihm mehr auf das Vereinigende und Gemeinschaftliche in den Menschennaturen und ihren Richtungen gesehen wird als auf das Unterscheidende, was freilich ebenso wenig übersehen werden darf), vester und umfassender gesezt zu haben, als mir bisher bekannt war. Diese Materialien zusammen veranlaßten mich zu dem Entwurf eines humanistischen Journals, das in seinem gewöhnlichen Karakter ausübend poëtisch, dann auch historisch und philosophisch belehrend wäre über Poësie, endlich im Allgemeinen historisch und philosophisch belehrend aus dem Gesichtspuncte der Humanität.
Verzeihe mir diese schwerfällige Vorrede, mein Theurer! aber die Achtung gegen Dich ließ mir nicht zu, Dir mein Vorhaben so ex abrupto zu verkünden und es schien, als wär' ich Dir gewissermaßen Rechenschaft schuldig von meinen Beschäfftigungen, besonders da ich leicht fürchten konnte nach meinen bisherigen Producten, daß ich das Zutrauen, das Du ehemals in meine philosophischen und poëtischen Kräfte zu sezen schienst, jezt, da ich Dir hätte die Probe geben sollen, nicht mehr in dem vorigen Grade besitze.
Dir, der mit dieser nur zu seltenen Vollständigkeit und Gewandtheit die Natur des Menschen und seiner Elemente durchschaut und umfaßt, wird es ein Leichtes sein, Dich auf meinen beschränkteren Gesichtspunkt zu stellen und durch Deinen Nahmen und Deine Theilnahme ein Geschäft zu sanctioniren, das dienen soll, die Menschen, ohne Leichtsinn und Synkretismus, einander zu nähern, indem es zwar die einzelnen Kräfte und Richtungen und Beziehungen ihrer Natur weniger strenge behandelt und urgirt, aber doch mit Achtung gegen jede dieser Kräfte und Richtungen und Beziehungen faßlich und fühlbar zu machen sucht, wie sie innig und nothwendig verbunden sind und wie jede einzelne derselben nur in ihrer Vortrefflichkeit und Reinheit betrachtet werden darf, um einzusehen, daß sie einer andern, wenn die nur auch rein ist, nichts weniger als widerspricht, sondern daß jede schon in sich die freie Forderung zu gegenseitiger Wirksamkeit und zu harmonischem Wechsel enthält, und daß die Seele im organischen Bau, die allen Gliedern gemein und jedem eigen ist, kein einziges allein seyn läßt, daß auch die Seele nicht ohne Organe und die Organe nicht ohne die Seele bestehen können, und daß sie beede, wenn sie abgesondert und hiermit beede aorgisch vorhanden sind, sich zu organisiren streben müssen und den Bildungstrieb in sich voraussezen. Als Metapher durfte ich wohl diß sagen. Es sollte nichts weiter heißen, als daß das stofflose Genie nicht ohne Erfahrung und die seellose Erfahrung nicht ohne Genie bestehen können, sondern daß sie die Nothwendigkeit in sich haben, sich zu bilden und durch Urtheil und Kunst sich zu konstituiren, sich zusammen zu ordnen zu einem belebten, harmonisch wechselnden Ganzen, daß endlich die organisirende Kunst und der Bildungstrieb, aus dem sie hervorgeht, auch nicht bestehen können und nicht einmal denkbar sind ohne ihr inneres Element, die natürliche Anlage, das Genie, und ohne ihr äußeres, die Erfahrung und das historische Lernen.
Ich wollte Dir nur den allgemeinen Karakter des Journals, das, was man seinen Geist nennt, ungefähr berühren. Ich werde versuchen, in dem Vortrag und Ton so allgemein faßlich als möglich zu seyn.
Ich hielt es nicht ganz für schiklich, den Plan, den ich mir entwerfen mußte, oder auch die Materialien, die ich bereit habe, Dir bestimmter zu nennen, so sehr ich von der andern Seite versucht war, Dir, so viel es sich vor der Sache selber tun läßt, zu bezeugen, daß mein Project nicht ungründlich und leichtsinnig, auch vielleicht mehr zum Glüke gemacht ist, als meine bisherigen Producte, und daß ich, so viel ich Deinen Geist und Sinn kenne und ahne, in der Tendenz wenigstens nicht gegen Dich sündigen werde.
Ich will Deine Antwort, der ich mit Hofnung entgegensehen werde, und Deine Gesinnungen über die Sache abwarten um dann ausführlicher, wenn Du mich auffordern solltest, mich über den Geist und die Einrichtung des Journals, soweit ich es vor mir selber entwerfen durfte, und über die möglichen und vorhandenen Materialien desselben gegen Dich zu äußern.
In jedem Falle, Freund meiner Jugend! wirst Du mir verzeihen, daß ich mich mit dem alten Zutrauen an Dich gewandt und den Wunsch geäußert habe, Du möchtest durch Deine Theilnahme und Gesellschaft in dieser Sache meinen Muth mir erhalten, der durch meine Lage und andere Umstände indessen vielfältige Stöße erlitten hat, wie ich Dir wohl gestehen darf. Ich werde alles thun, um durch möglichste Reife meiner eigenen Beiträge und durch die gütige Theilnahme verdienstvoller Schriftsteller, mit der ich mir schmeichle, dem Journal den Werth zu geben, dessen es bedarf, wenn Du es vor Deinem Gewissen und dem Publikum sollst verantworten können, daß Du wenigstens Deinen Nahmen und, wenn Du mehr nicht könntest und möchtest, des Jahres einige Beiträge dazu gegeben hättest. –
Antiquar Steinkopf in Stuttgart, der sich bereitwillig und verständig gegen mich in der Sache geäußert hat, und der vieleicht eben, weil er ein Anfänger ist, um so beharrlicher und getreuer in seinem Theil sich verhält, verspricht jedem Mitarbeiter sichere Bezahlung, und ich habe es ihm zur Bedingung gemacht, jedem Mitarbeiter wenigstens ein Karolin für den Bogen zu schiken. Wenn ich schon beinahe ganz davon und dafür zu leben gedenke, so glaubt' ich dennoch für meine Person nicht weiter fordern zu dürfen, da ich noch als Schriftsteller so ziemlich ohne Glük bin und meine eingeschränkte Lebensart kein größeres Einkommen erfordert. Ich habe es aber seiner Dankbarkeit und Klugheit überlassen, bei den Mitarbeitern, in welchem Grade er will, eine Ausnahme zu machen. – Verzeih', daß ich auch davon spreche. Aber da es zur Sache gehört, so mag die Sache die Schuld tragen, daß sie ohne einen solchen Pendant nicht bestehen kann.
Habe die Güte, mein Teurer; mich wenigstens bald mit irgendeiner Antwort zu erfreuen, und glaube, daß ich immer und immer mehr Dich geachtet habe und achte.
Dein
Hölderlin.
N. S. Mein Verleger vereinigt seine Bitte ausdrüklich mit der meinen.
Meine Adresse: bei Glaser Wagner wohnhaft in Homburg bei Frankfurt.