Jena 9ten Nov. 99
Wenn Sie wissen könnten, mein vortrefflicher innigst hochgeachteter Freund, wie sehr es mich quält, wenn ich bedenke, wie lange durch meine Schuld unsre Verbindung unterbrochen worden ist, so würde ich bei Ihnen vielleicht leichter Verzeihung finden. Wenn ich Ihnen alles, was es mir bald der Zeit, bald der Stimmung nach unmöglich gemacht hat, einen ungleich gültigern Brief zu schreiben, auseinandersetzen wollte, so brauchte ich dazu selbst eine längere Zeit, als ich auf diesen Brief verwenden kann, den ich nur um das drückende Gefühl meiner Schuld Einmal loszuwerden, anfange, ohne daß ich noch weiß, ob ich ihn werde enden – ob ich das werde schreiben können, was ich Ihnen zu schreiben wünschte. Ich beklage noch immer, daß es mir nicht, wie ich erst hoffte, so gut geworden ist, Sie in dem Maße selbst zu sehen und zu sprechen. Glauben Sie doch, daß wenn auch äußere und innere Zufälle mich verhindern, Ihnen mein Andenken, so oft als ich wünschte, schriftl. zu bezeugen, doch meine Freundschaft u. Hochachtung für Sie immer unveränderlich bleiben.
Die Nachrichten, die Sie mir von den liter. Ereignissen in L. geben, haben mich aufs neue überzeugt, wie es dort immer schlechter werden muß, da Heuchelei, verbunden mit krasser, historischer u. philos. Unwissenheit der einzige Weg zu Stellen zu seyn scheint. – Ein neues Verdienst hat sich Leipzig durch den Hofrat Platner erworben, der, wie ich aus ganz sicherer Quelle weiß, der Hauptredacteur des unlängst erschienenen, heiß, wie es aus der Presse kam, nach Petersburg geschickten Zensuredicts in Dänemark ist.
Von der hiesigen Univ. ist zu erwarten, daß sie in kurzem zur Mediocretät des Ruhms reducirt seyn wird, Fichtes Schicksal wird noch weitere Folgen nach sich ziehen. – Glauben Sie keiner Sage, daß ich zu seiner Stelle bestimmt seye. Ich habe wenige Tage nach seiner erhaltnen Demission, als man von Weimar aus verbreitete, ich würde seine Collegien lesen, officiell versichert, daß ich nie F.s Nachfolger werden könne, dasselbe habe ich in der 1sten Vorlesung nach jenem Ereignis öffentlich versichert. – Auch ist mein Plan vorerst gar nicht hier zu bleiben, und da ich mich in Stand gesezt sehe, einige Zeit zu reisen, so werde ich viel. nächsten Sommer Jena verlassen wo mich dann wohl die Reise auch nach Wien führen kann. – Übrigens ist bei alldem unsre Lage hier noch immer bei weitem freier u. gewiß glücklicher als die Ihrige. Vor Einschränkungen der Denkfreiheit fürchtet man sich jezt wenigstens, u. will es schlechterdings nicht Wort haben. Für das, was man arbeitet, findet man Interesse; und daß Goethe Minister ist, verschafft keine geringen Vortheile. – Vor einiger Zeit brachte er mehrere Wochen hier zu, ich war eine Zeitlang täglich <?> bei ihm, u. mußte ihm meine Schrift über Naturphilos. vorlesen, und auseinandersezen. Welch' ein Ideen-Zuwachs für mich diese Gespräche gewesen sind, mögen Sie sich denken. – Diesen Winter lese ich noch auf Verlangen einer großen Anzahl das im vorigen Halbjahr gelesene Coll. über Transsz. ph., und schreibe zugleich an einem System des transscendentalen Idealismus, was, wie ich hoffe, manches jezt noch Dunkle ins Lichte sezen und indirect die beste Wiederlegung von manchem seyn wird, was einer directen nicht werth ist. – Fichtes Antwort auf Ks. Erkl. haben Sie ohne Zweifel gelesen. Pietät gegen den alten, ohne Zweifel aufgestifteten Mann, der von der Wissensch. Lehre bloß das Wort kennt, u. sein eigenes System fast vergessen zu haben scheint, erlaubte nur diese Art von Antwort. – Leben Sie wohl, mein Theurer, u. vergessen Sie nicht
Ihren treu ergebensten
Sch.
Wenn Sie wissen könnten, mein vortrefflicher innigst hochgeachteter Freund, wie sehr es mich quält, wenn ich bedenke, wie lange durch meine Schuld unsre Verbindung unterbrochen worden ist, so würde ich bei Ihnen vielleicht leichter Verzeihung finden. Wenn ich Ihnen alles, was es mir bald der Zeit, bald der Stimmung nach unmöglich gemacht hat, einen ungleich gültigern Brief zu schreiben, auseinandersetzen wollte, so brauchte ich dazu selbst eine längere Zeit, als ich auf diesen Brief verwenden kann, den ich nur um das drückende Gefühl meiner Schuld Einmal loszuwerden, anfange, ohne daß ich noch weiß, ob ich ihn werde enden – ob ich das werde schreiben können, was ich Ihnen zu schreiben wünschte. Ich beklage noch immer, daß es mir nicht, wie ich erst hoffte, so gut geworden ist, Sie in dem Maße selbst zu sehen und zu sprechen. Glauben Sie doch, daß wenn auch äußere und innere Zufälle mich verhindern, Ihnen mein Andenken, so oft als ich wünschte, schriftl. zu bezeugen, doch meine Freundschaft u. Hochachtung für Sie immer unveränderlich bleiben.
Die Nachrichten, die Sie mir von den liter. Ereignissen in L. geben, haben mich aufs neue überzeugt, wie es dort immer schlechter werden muß, da Heuchelei, verbunden mit krasser, historischer u. philos. Unwissenheit der einzige Weg zu Stellen zu seyn scheint. – Ein neues Verdienst hat sich Leipzig durch den Hofrat Platner erworben, der, wie ich aus ganz sicherer Quelle weiß, der Hauptredacteur des unlängst erschienenen, heiß, wie es aus der Presse kam, nach Petersburg geschickten Zensuredicts in Dänemark ist.
Von der hiesigen Univ. ist zu erwarten, daß sie in kurzem zur Mediocretät des Ruhms reducirt seyn wird, Fichtes Schicksal wird noch weitere Folgen nach sich ziehen. – Glauben Sie keiner Sage, daß ich zu seiner Stelle bestimmt seye. Ich habe wenige Tage nach seiner erhaltnen Demission, als man von Weimar aus verbreitete, ich würde seine Collegien lesen, officiell versichert, daß ich nie F.s Nachfolger werden könne, dasselbe habe ich in der 1sten Vorlesung nach jenem Ereignis öffentlich versichert. – Auch ist mein Plan vorerst gar nicht hier zu bleiben, und da ich mich in Stand gesezt sehe, einige Zeit zu reisen, so werde ich viel. nächsten Sommer Jena verlassen wo mich dann wohl die Reise auch nach Wien führen kann. – Übrigens ist bei alldem unsre Lage hier noch immer bei weitem freier u. gewiß glücklicher als die Ihrige. Vor Einschränkungen der Denkfreiheit fürchtet man sich jezt wenigstens, u. will es schlechterdings nicht Wort haben. Für das, was man arbeitet, findet man Interesse; und daß Goethe Minister ist, verschafft keine geringen Vortheile. – Vor einiger Zeit brachte er mehrere Wochen hier zu, ich war eine Zeitlang täglich <?> bei ihm, u. mußte ihm meine Schrift über Naturphilos. vorlesen, und auseinandersezen. Welch' ein Ideen-Zuwachs für mich diese Gespräche gewesen sind, mögen Sie sich denken. – Diesen Winter lese ich noch auf Verlangen einer großen Anzahl das im vorigen Halbjahr gelesene Coll. über Transsz. ph., und schreibe zugleich an einem System des transscendentalen Idealismus, was, wie ich hoffe, manches jezt noch Dunkle ins Lichte sezen und indirect die beste Wiederlegung von manchem seyn wird, was einer directen nicht werth ist. – Fichtes Antwort auf Ks. Erkl. haben Sie ohne Zweifel gelesen. Pietät gegen den alten, ohne Zweifel aufgestifteten Mann, der von der Wissensch. Lehre bloß das Wort kennt, u. sein eigenes System fast vergessen zu haben scheint, erlaubte nur diese Art von Antwort. – Leben Sie wohl, mein Theurer, u. vergessen Sie nicht
Ihren treu ergebensten
Sch.