Bern, am heiligen Abend vor Weihnachten
Mein Lieber!
Schon längst hätte ich gern die freundschaftliche Verbindung, in der wir ehmals miteinander standen, einigermaßen mit Dir erneuert. – Dies Verlangen erwachte vor kurzem wieder von neuem, indem ich (erst neulich) die Anzeige eines Aufsatzes von Dir in den Paulus'schen Memorabilien las und Dich auf Deinem alten Wege antraf, wichtige theologische Begriffe aufzuklären und nach und nach den alten Sauerteig auf die Seite zu schaffen zu helfen . – Ich kann Dir nicht anders als eine erfreuliche Teilnahme darüber bezeugen, – ich glaube, die Zeit ist gekommen, da man überhaupt freier mit der Sprache heraus sollte, zum Teil auch schon tut und darf. – Nur meine Entfernung von den Schauplätzen literarischer Tätigkeit setzt mich außer Stand, von einer Sache, die mich so sehr interessiert, hie und da Nachrichten zu erhalten, – und Du würdest mich sehr verbinden, wenn Du mir teils davon, teils von Deinen Arbeiten von Zeit zu Zeit Nachricht geben wolltest. Ich sehne mich sehr nach einer Lage, – in Tübingen nicht, – wo ich das, was ich ehmals versäumte, hereinbringen und selbst hie und da Hand ans Werk legen könnte. – Ganz müßig bin ich nicht, aber meine zu heterogene und oft unterbrochene Beschäftigung läßt mich zu nichts Rechtem kommen. –
Zufälligerweise sprach ich vor einigen Tagen hier den Verfasser der Dir wohl bekannten Briefe in Archenholz' Minerva, – von O. unterzeichnet, angeblich einem Engländer. Der Verf. ist aber ein Schlesier und heißt Oelsner. Er gab mir Nachricht von einigen Württembergern in Paris, auch von Reinhard, der im Departement des affaires étrangères einen Posten von großer Bedeutung hat. Oelsner ist ein noch junger Mann, dem man ansieht, daß er viel gearbeitet; – er privatisiert diesen Winter hier.
Was macht denn Renz? Hat er sein Pfund vergraben? Ich hoffe nicht; – es wäre gewiß der Mühe wert, ihn zu veranlassen oder aufzumuntern, daß er seine gewiß gründlichen Untersuchungen über wichtige Gegenstände zusammentrüge; dies könnte ihn vielleicht für den Verdruß schadlos halten, den er seit langer Zeit gehabt hat. Ich habe einige Freunde in Sachsen, die ihm wohl zum weitern Unterbringen behülflich wären. Wenn Du ihn nicht für ganz abgeneigt hältst, so muntere ihn zu so etwas auf, suche seine Bescheidenheit zu überwinden, in jedem Falle grüße ihn meinetwegen.
Wie sieht es denn sonst in Tübingen aus? Ehe nicht eine Art von Reinhold oder Fichte dort auf einem Katheder sitzt, wird nichts Reelles herauskommen. Nirgends wird wohl so getreulich als dort das alte System fortgepflanzt; – und wenn dies auch auf einzelne gute Köpfe keinen Einfluß hat, so behauptet sich die Sache doch in dem größeren Teil, in den mechanischen Köpfen; – in Ansehung dieser ist es sehr wichtig, was ein Professor für ein System, für einen Geist hat, denn durch sie wird dies größtenteils in Umlauf gebracht oder recht darin erhalten.
Von andern Widersprüchen als den Storr'schen gegen Kants Religionlehre habe ich noch nicht gehört, doch wird sie wohl schon mehr erfahren haben. Aber der Einfluß derselben, der jetzt freilich noch still ist, wird erst mit der Zeit ans Tageslicht kommen.
Daß Carrier guillotiniert ist, werdet ihr wissen. Lest Ihr noch französische Papiere? Wenn ich mich recht erinnere, hat man mir gesagt, sie seien in Württemberg verboten. Dieser Prozeß ist sehr wichtig und hat die ganze Schändlichkeit der Robespierroten enthüllt.
Tausend Grüße an Süskind und Kapff
Dein Freund
Hgl.
Chez Mr. le Capit. Steiger
[Am Rande der 2. Seite:]
Mögling sagte mir neulich, Süskind glaube, die Briefe in die Schweiz werden alle auf gebrochen; aber ich versichere Dich, Ihr könnt hierüber ganz unbesorgt sein.
[Am Rande der 3. Seite:]
Noch eine Bitte: ob mir Süskind nicht die Blätter aus der Oberdeutschen Zeitung schicken könnte, worin Maucharts Repertorium rezensiert ist? – Ich wüßte sie hier nicht aufzutreiben.
An
Herrn M. Schelling
Fr. Schafhous
im Kloster Tübingen
Mein Lieber!
Schon längst hätte ich gern die freundschaftliche Verbindung, in der wir ehmals miteinander standen, einigermaßen mit Dir erneuert. – Dies Verlangen erwachte vor kurzem wieder von neuem, indem ich (erst neulich) die Anzeige eines Aufsatzes von Dir in den Paulus'schen Memorabilien las und Dich auf Deinem alten Wege antraf, wichtige theologische Begriffe aufzuklären und nach und nach den alten Sauerteig auf die Seite zu schaffen zu helfen . – Ich kann Dir nicht anders als eine erfreuliche Teilnahme darüber bezeugen, – ich glaube, die Zeit ist gekommen, da man überhaupt freier mit der Sprache heraus sollte, zum Teil auch schon tut und darf. – Nur meine Entfernung von den Schauplätzen literarischer Tätigkeit setzt mich außer Stand, von einer Sache, die mich so sehr interessiert, hie und da Nachrichten zu erhalten, – und Du würdest mich sehr verbinden, wenn Du mir teils davon, teils von Deinen Arbeiten von Zeit zu Zeit Nachricht geben wolltest. Ich sehne mich sehr nach einer Lage, – in Tübingen nicht, – wo ich das, was ich ehmals versäumte, hereinbringen und selbst hie und da Hand ans Werk legen könnte. – Ganz müßig bin ich nicht, aber meine zu heterogene und oft unterbrochene Beschäftigung läßt mich zu nichts Rechtem kommen. –
Zufälligerweise sprach ich vor einigen Tagen hier den Verfasser der Dir wohl bekannten Briefe in Archenholz' Minerva, – von O. unterzeichnet, angeblich einem Engländer. Der Verf. ist aber ein Schlesier und heißt Oelsner. Er gab mir Nachricht von einigen Württembergern in Paris, auch von Reinhard, der im Departement des affaires étrangères einen Posten von großer Bedeutung hat. Oelsner ist ein noch junger Mann, dem man ansieht, daß er viel gearbeitet; – er privatisiert diesen Winter hier.
Was macht denn Renz? Hat er sein Pfund vergraben? Ich hoffe nicht; – es wäre gewiß der Mühe wert, ihn zu veranlassen oder aufzumuntern, daß er seine gewiß gründlichen Untersuchungen über wichtige Gegenstände zusammentrüge; dies könnte ihn vielleicht für den Verdruß schadlos halten, den er seit langer Zeit gehabt hat. Ich habe einige Freunde in Sachsen, die ihm wohl zum weitern Unterbringen behülflich wären. Wenn Du ihn nicht für ganz abgeneigt hältst, so muntere ihn zu so etwas auf, suche seine Bescheidenheit zu überwinden, in jedem Falle grüße ihn meinetwegen.
Wie sieht es denn sonst in Tübingen aus? Ehe nicht eine Art von Reinhold oder Fichte dort auf einem Katheder sitzt, wird nichts Reelles herauskommen. Nirgends wird wohl so getreulich als dort das alte System fortgepflanzt; – und wenn dies auch auf einzelne gute Köpfe keinen Einfluß hat, so behauptet sich die Sache doch in dem größeren Teil, in den mechanischen Köpfen; – in Ansehung dieser ist es sehr wichtig, was ein Professor für ein System, für einen Geist hat, denn durch sie wird dies größtenteils in Umlauf gebracht oder recht darin erhalten.
Von andern Widersprüchen als den Storr'schen gegen Kants Religionlehre habe ich noch nicht gehört, doch wird sie wohl schon mehr erfahren haben. Aber der Einfluß derselben, der jetzt freilich noch still ist, wird erst mit der Zeit ans Tageslicht kommen.
Daß Carrier guillotiniert ist, werdet ihr wissen. Lest Ihr noch französische Papiere? Wenn ich mich recht erinnere, hat man mir gesagt, sie seien in Württemberg verboten. Dieser Prozeß ist sehr wichtig und hat die ganze Schändlichkeit der Robespierroten enthüllt.
Tausend Grüße an Süskind und Kapff
Dein Freund
Hgl.
Chez Mr. le Capit. Steiger
[Am Rande der 2. Seite:]
Mögling sagte mir neulich, Süskind glaube, die Briefe in die Schweiz werden alle auf gebrochen; aber ich versichere Dich, Ihr könnt hierüber ganz unbesorgt sein.
[Am Rande der 3. Seite:]
Noch eine Bitte: ob mir Süskind nicht die Blätter aus der Oberdeutschen Zeitung schicken könnte, worin Maucharts Repertorium rezensiert ist? – Ich wüßte sie hier nicht aufzutreiben.
An
Herrn M. Schelling
Fr. Schafhous
im Kloster Tübingen