Tübingen, d. 4ten Febr. 95.
Nein, Freund, wir sind uns nicht fremd geworden, wir finden uns auf den alten Wegen zusammen; und haben diese auch eine Wendung genommen, die wir vielleicht beide nicht vermutheten, so ist es bei uns beiden dieselbe. Wir wollen beide weiter, – wir wollen beide verhindern, daß nicht das Große, was unser Zeitalter hervorgebracht hat, sich wieder mit dem verlegnen Sauerteig vergangner Zeiten zusammenfinde; – es soll rein, wie es aus dem Geist seines Urhebers ging, unter uns bleiben, und ist es möglich, nicht mit Verunstaltungen und Herabstimmungen zur alten hergebrachten Form, sondern in seiner ganzen Vollendung, in seiner erhabensten Gestalt und mit der lauten Verkündigung, daß es der ganzen bisherigen Verfassung der Welt und der Wissenschaften den Streit auf Sieg oder Untergang anbiete, von uns zur Nachwelt gehen.
Bei Reinhold's Versuchen, die Philosophie auf ihre letzten Principien zurückzuführen, hat Dich Deine Vermuthung, daß sie die Revolution selbst, die durch die Kritik der reinen Vernunft hervorgebracht war, nicht weiter führen, gewiß nicht getäuscht. Indessen war auch das eine Stufe, über welche die Wissenschaft gehen mußte, und ich weiß nicht, ob man es nicht Reinholden zu verdanken hat, daß wir nun so bald, als es meinen sichersten Erwartungen nach geschehen muß, auf dem höchsten Punkte stehen werden. Von diesem letzten Schritt der Philosophie erwarte ich auch, daß dann vollends der letzte Schleier niederfallen – das letzte philosophische abergläubische Spinnengewebe der privilegirten Philosophen zerreißen werde. Mit Kant ging die Morgenröthe auf, – was Wunder, daß hie und da in einem sumpfigen Thal noch ein kleiner Nebel zurückblieb, während die höchsten Berge schon im Sonnenglanz standen. Die Morgenröthe muß vor der Sonne vorhergehen, auch hat die Natur durch das allmähliche Entstehen des vollen Tags und den Uebergang durch die Dämmerung mütterlich für blöde Augen gesorgt: aber, wenn die Morgenröthe einmal da ist, dann muß die Sonne kommen, und auch in die tiefsten Winkel Licht und Leben ausstrahlen und die Sumpfnebel zerstreuen.
Ein herrlicher Gedanke, den Du auszuführen im Sinne hast. Ich beschwöre Dich, so eilig als möglich Hand an's Werk zu legen. Wenn Du entschlossen bist, nicht müßig zu bleiben, so hast Du hier ein Feld ehrlicher Erndte und großen Verdienstes. Du hast dann noch vollends die letzte Thüre des Aberglaubens verrammelt. Du schreibst es selbst, daß, solange jene Schlußart, die Fichte in der „Kritik aller Offenbarung" – vielleicht aus Akkomodation, oder um seine Freude mit dem Aberglauben zu haben und den Dank der Theologen lachend einzustecken – wieder aufbrachte, noch als gültig angesehen wird, der philosophischen Thorheit kein Ende ist. Schon oft wollt' ich im Aerger über den Unfug der Theologen zur Satire die Zuflucht nehmen und die ganze Dogmatik – mit allen Anhängseln der finstersten Jahrhunderte auf praktische Glaubensgründe zurückführen; aber die Zeit mangelte mir, und Gott weiß, ob's nicht, wenn die Satire durchgeführt worden wäre, von den Meisten im Ernst genommen worden wäre und ich so schon in meinen jungen Jahren, im Stillen wenigstens, die Freude gehabt hätte, als ein philosophisches Kirchenlicht zu glänzen. – Die Sache muß mit Ernst angegriffen werden, und aus Deiner Hand, Freund, will ich den Anfang dazu erwarten. – Noch eine Antwort auf Deine Frage: ob ich glaube, wir reichen mit dem moralischen Beweis nicht zu einem persönlichen Wesen? Ich gestehe, die Frage hat mich überrascht; ich hätte sie von einem Vertrauten Lessings nicht erwartet – doch Du hast sie wohl nur gethan, um zu erfahren, ob sie bei mir ganz entschieden seie; für Dich ist sie gewiß schon längst entschieden.
Auch für uns sind die orthodoxen Begriffe von Gott nicht mehr. – Meine Antwort ist: wir reichen weiter noch als zum persönlichen Wesen. Ich bin indessen Spinozist geworden! Staune nicht. Du wirst bald hören, wie? Spinoza war die Welt (das Objekt schlechthin im Gegensatz gegen das Subjekt) – Alles, mir ist es das Ich. Der eigentliche Unterschied der kritischen und der dogmatischen Philosophie scheint mir darin zu liegen, daß jene vom absoluten (noch durch kein Objekt bedingten) Ich, diese vom absolutem Objekt oder Nicht-Ich ausgeht. Die letztere in ihrer höchsten Konsequenz führt auf Spinozas System, die erstere aufs Kantische. Vom Unbedingten muß die Philosophie ausgehen. Nun fragt sich's nur, worin dies Unbedingte liegt, im Ich oder im Nicht-Ich. Ist diese Frage entschieden, so ist Alles entschieden. – Mir ist das höchste Princip aller Philosophie das reine, absolute Ich d. h. das Ich, inwiefern es bloßes Ich, noch gar nicht durch Objekte bedingt, sondern durch Freiheit gesetzt ist. Das A und O aller Philosophie ist Freiheit. – Das absolute Ich befaßt eine unendliche Sphäre des absoluten Seins, in dieser bilden sich endliche Sphären, die durch Einschränkung der absoluten Sphäre durch ein Objekt entstehen (Sphären des Daseins – theoretische Philosophie.) In diesen ist lauter Bedingtheit, und das Unbedingte führt auf Widersprüche. – Aber wir sollen diese Schranken durchbrechen, d. h. wir sollen aus der endlichen Sphäre hinaus in die unendliche kommen (praktische Philosophie). Diese fordert also Zerstörung der Endlichkeit und führt uns dadurch in die übersinnliche Welt. (Was der theoretischen Vernunft unmöglich war, sintemal sie durch das Objekt geschwächt war, das thut die praktische Vernunft.) Allein in dieser können wir nichts finden als unser absolutes Ich, denn nur dieses hat die unendliche Sphäre beschrieben. Es gibt keine übersinnliche Welt für uns als die des absoluten Ichs. – Gott ist nichts als das absolute Ich, das Ich, insofern es Alles Theoretische zernichtet hat, in der theoretischen Philosophie also = 0 ist. Persönlichkeit entsteht durch Einheit des Bewußtseins. Bewußtsein aber ist nicht ohne Objekt möglich; für Gott aber d. h. für das absolute Ich gibt es gar kein Objekt, denn dadurch hörte es auf, absolut zu sein. – Mithin giebt es keinen persönlichen Gott, und unser höchstes Bestreben ist die Zerstörung unsrer Persönlichkeit, Uebergang in die absolute Sphäre des Seins, der aber in Ewigkeit nicht möglich ist; – daher nur praktische Annäherung zum Absoluten, und daher – Unsterblichkeit. Ich muß schließen. Lebe wohl. Antworte bald
Deinem Sch.
N. S. Die verlangten Bogen schicke ich Dir und erwarte Dein aufrichtiges, strenges Urtheil darüber. – An Renz verzweifle ich vor jetzt ganz. Nächstens ein Mehreres. Willst Du nicht an ihn schreiben? Ich will den Brief besorgen, aber der Brief müßte klug eingerichtet sein, damit ihn sein Onkel lesen dürfte.
Nein, Freund, wir sind uns nicht fremd geworden, wir finden uns auf den alten Wegen zusammen; und haben diese auch eine Wendung genommen, die wir vielleicht beide nicht vermutheten, so ist es bei uns beiden dieselbe. Wir wollen beide weiter, – wir wollen beide verhindern, daß nicht das Große, was unser Zeitalter hervorgebracht hat, sich wieder mit dem verlegnen Sauerteig vergangner Zeiten zusammenfinde; – es soll rein, wie es aus dem Geist seines Urhebers ging, unter uns bleiben, und ist es möglich, nicht mit Verunstaltungen und Herabstimmungen zur alten hergebrachten Form, sondern in seiner ganzen Vollendung, in seiner erhabensten Gestalt und mit der lauten Verkündigung, daß es der ganzen bisherigen Verfassung der Welt und der Wissenschaften den Streit auf Sieg oder Untergang anbiete, von uns zur Nachwelt gehen.
Bei Reinhold's Versuchen, die Philosophie auf ihre letzten Principien zurückzuführen, hat Dich Deine Vermuthung, daß sie die Revolution selbst, die durch die Kritik der reinen Vernunft hervorgebracht war, nicht weiter führen, gewiß nicht getäuscht. Indessen war auch das eine Stufe, über welche die Wissenschaft gehen mußte, und ich weiß nicht, ob man es nicht Reinholden zu verdanken hat, daß wir nun so bald, als es meinen sichersten Erwartungen nach geschehen muß, auf dem höchsten Punkte stehen werden. Von diesem letzten Schritt der Philosophie erwarte ich auch, daß dann vollends der letzte Schleier niederfallen – das letzte philosophische abergläubische Spinnengewebe der privilegirten Philosophen zerreißen werde. Mit Kant ging die Morgenröthe auf, – was Wunder, daß hie und da in einem sumpfigen Thal noch ein kleiner Nebel zurückblieb, während die höchsten Berge schon im Sonnenglanz standen. Die Morgenröthe muß vor der Sonne vorhergehen, auch hat die Natur durch das allmähliche Entstehen des vollen Tags und den Uebergang durch die Dämmerung mütterlich für blöde Augen gesorgt: aber, wenn die Morgenröthe einmal da ist, dann muß die Sonne kommen, und auch in die tiefsten Winkel Licht und Leben ausstrahlen und die Sumpfnebel zerstreuen.
Ein herrlicher Gedanke, den Du auszuführen im Sinne hast. Ich beschwöre Dich, so eilig als möglich Hand an's Werk zu legen. Wenn Du entschlossen bist, nicht müßig zu bleiben, so hast Du hier ein Feld ehrlicher Erndte und großen Verdienstes. Du hast dann noch vollends die letzte Thüre des Aberglaubens verrammelt. Du schreibst es selbst, daß, solange jene Schlußart, die Fichte in der „Kritik aller Offenbarung" – vielleicht aus Akkomodation, oder um seine Freude mit dem Aberglauben zu haben und den Dank der Theologen lachend einzustecken – wieder aufbrachte, noch als gültig angesehen wird, der philosophischen Thorheit kein Ende ist. Schon oft wollt' ich im Aerger über den Unfug der Theologen zur Satire die Zuflucht nehmen und die ganze Dogmatik – mit allen Anhängseln der finstersten Jahrhunderte auf praktische Glaubensgründe zurückführen; aber die Zeit mangelte mir, und Gott weiß, ob's nicht, wenn die Satire durchgeführt worden wäre, von den Meisten im Ernst genommen worden wäre und ich so schon in meinen jungen Jahren, im Stillen wenigstens, die Freude gehabt hätte, als ein philosophisches Kirchenlicht zu glänzen. – Die Sache muß mit Ernst angegriffen werden, und aus Deiner Hand, Freund, will ich den Anfang dazu erwarten. – Noch eine Antwort auf Deine Frage: ob ich glaube, wir reichen mit dem moralischen Beweis nicht zu einem persönlichen Wesen? Ich gestehe, die Frage hat mich überrascht; ich hätte sie von einem Vertrauten Lessings nicht erwartet – doch Du hast sie wohl nur gethan, um zu erfahren, ob sie bei mir ganz entschieden seie; für Dich ist sie gewiß schon längst entschieden.
Auch für uns sind die orthodoxen Begriffe von Gott nicht mehr. – Meine Antwort ist: wir reichen weiter noch als zum persönlichen Wesen. Ich bin indessen Spinozist geworden! Staune nicht. Du wirst bald hören, wie? Spinoza war die Welt (das Objekt schlechthin im Gegensatz gegen das Subjekt) – Alles, mir ist es das Ich. Der eigentliche Unterschied der kritischen und der dogmatischen Philosophie scheint mir darin zu liegen, daß jene vom absoluten (noch durch kein Objekt bedingten) Ich, diese vom absolutem Objekt oder Nicht-Ich ausgeht. Die letztere in ihrer höchsten Konsequenz führt auf Spinozas System, die erstere aufs Kantische. Vom Unbedingten muß die Philosophie ausgehen. Nun fragt sich's nur, worin dies Unbedingte liegt, im Ich oder im Nicht-Ich. Ist diese Frage entschieden, so ist Alles entschieden. – Mir ist das höchste Princip aller Philosophie das reine, absolute Ich d. h. das Ich, inwiefern es bloßes Ich, noch gar nicht durch Objekte bedingt, sondern durch Freiheit gesetzt ist. Das A und O aller Philosophie ist Freiheit. – Das absolute Ich befaßt eine unendliche Sphäre des absoluten Seins, in dieser bilden sich endliche Sphären, die durch Einschränkung der absoluten Sphäre durch ein Objekt entstehen (Sphären des Daseins – theoretische Philosophie.) In diesen ist lauter Bedingtheit, und das Unbedingte führt auf Widersprüche. – Aber wir sollen diese Schranken durchbrechen, d. h. wir sollen aus der endlichen Sphäre hinaus in die unendliche kommen (praktische Philosophie). Diese fordert also Zerstörung der Endlichkeit und führt uns dadurch in die übersinnliche Welt. (Was der theoretischen Vernunft unmöglich war, sintemal sie durch das Objekt geschwächt war, das thut die praktische Vernunft.) Allein in dieser können wir nichts finden als unser absolutes Ich, denn nur dieses hat die unendliche Sphäre beschrieben. Es gibt keine übersinnliche Welt für uns als die des absoluten Ichs. – Gott ist nichts als das absolute Ich, das Ich, insofern es Alles Theoretische zernichtet hat, in der theoretischen Philosophie also = 0 ist. Persönlichkeit entsteht durch Einheit des Bewußtseins. Bewußtsein aber ist nicht ohne Objekt möglich; für Gott aber d. h. für das absolute Ich gibt es gar kein Objekt, denn dadurch hörte es auf, absolut zu sein. – Mithin giebt es keinen persönlichen Gott, und unser höchstes Bestreben ist die Zerstörung unsrer Persönlichkeit, Uebergang in die absolute Sphäre des Seins, der aber in Ewigkeit nicht möglich ist; – daher nur praktische Annäherung zum Absoluten, und daher – Unsterblichkeit. Ich muß schließen. Lebe wohl. Antworte bald
Deinem Sch.
N. S. Die verlangten Bogen schicke ich Dir und erwarte Dein aufrichtiges, strenges Urtheil darüber. – An Renz verzweifle ich vor jetzt ganz. Nächstens ein Mehreres. Willst Du nicht an ihn schreiben? Ich will den Brief besorgen, aber der Brief müßte klug eingerichtet sein, damit ihn sein Onkel lesen dürfte.