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Jacob Hermann Obereit to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling TEI-Logo

Hochzuverehrender Herr!
Ich möchte Sie Geistes-Freund zugleich nennen, da Sie mit Fichten gleichen Sinn haben, und ich mit ihm, indem Fichte und ich bey der ersten Zusammenkunft in einer Viertelstunde uns in theoretischen und praktischen Principien einig fanden, ob wir gleich ganz verschiedne, ja entgegengesezt scheinende Sprache führten, uns doch verstanden, und so in ungleicher Sprache uns noch verstehen. Ich mache nun als ein 70-jähriger stiller Philosophant einen einsamen Versuch, ob Sie und ich einander auch verstehen können zu einem gemeinsamen Zwek, wie entgegengesezte Strahlen, und 1000 derselben, zu Einem Mittelpunct gehen.
Hiemit habe die Ehre, eine Final-Vernunftskritik und einen Original-Gemeinsinn als eine kleine Popular-Vernunftkritik zu einem Zeichen meiner besten Ergebenheit zu schicken. Ich bin eine Art Popular-Philophron, aber nicht empirisch, vielmehr rational-practisch à priori, worauf rechte Empirie sich gründen soll, und absolute Realität zum ersten Grund in uns hat. Wie Baco de Verulam die ganze Physic, von aller unfruchtbaren Scholastic abstrahirend, allgemein regelmässig practisch-experimental machte, und damit unendlich real fruchtbar, wie jezt am Tag ist, so sollte eine Real-Metaphysik in uns werden, und noch ist kein allgemein realgeistiger Baco de Verulam darzu da, wenigstens nicht der Welt bekannt noch geläufig, obgleich Christus, die höchste practische Real-Metaphysik in Person, allen vorangegangen. Selbst das practisch-philosophische bei uns Occidentalern bisher ist noch zu viel blosse Idealitaet, seys auch die strengste und schönste; der Kopf wächst bei uns an Ideen bis ins unendliche, und das arme Herz ah! – Und doch soll Moralität, Moral-Vollkommenheit, das Höchste der Menschheit seyn, das All-Ziel und Ein-Ziel in allem; u. was herrscht? Egoismus in bello omnium! Allein das sey nun vorläufig genug, Ihnen nur meinen General-Gesichtspunct in einem offnen Blik zu eröfnen. Erlauben Sie mir über dero Tractat vom Ich als Princip der Philosophie erst einige literarische Anmerkungen. Seite 60. Ihres Buches sagen Sie: „Leibniz soll vom Gattungsbegriffe des Dings überhaupt ausgegangen seyn!" Darzu sage ich: Nein! Leibniz und Wolf sind zweyerley. Leibniz ist, wie ich auch in einem seiner und Cartesens Gegner gefunden, vom Ente oder Esse A Se ausgegangen, ohne welches gar Nichts seyn kan, alles Nichts wäre. Absolutissime et simplicissime A priori ist Leibnizen Ens A se Grund seiner selbst und aller Möglichkeit, und wie Jacobi aus Leibnizen kräftig erinnert, uns allein unmittelbar gegenwärtig, da alle andre Dinge nur mittelbar, also jenes in uns absolut zu finden, als absolut substantives Ich von, durch, wegen sich selbst vollkommen, und weil, wenn nichts sich zuerst absolut praesentirt, auch nichts zu repraesentiren ist, alle entia ab alio aber repraesentativa Autoris absoluti sind, quasi specula DEI, und als spontaneè repraesentativa, auch automata spiritualia, so folgt hieraus die Monadologie und praestabilitirte Universal-Harmonie gar natürlich, wie auch die Practic, participatio activa et perceptiva perfectionis communis, Justitia universalis in Monarchia divina Summi Boni omnibus aequi, daher war Leibnizen selbst die ganze Philosophie Scientia felicitatis oder perfektionis felicitantis, dagegen dem cholastisch speculativen Wolf Scientia possibilium.
So ist Leibnizens eignes System von einem absoluten Fundament aus, so consequent als das von Spinoza seyn kann, und real kritisch im Inhalt und That à la Jacobi, wenn gleich nicht in neuerer Form des abs. Ich. Und es ist die Frage, ob nicht Spinoza selbst mehr in roher einsamer Ausdrükungsart als eigentlicher Denkart und Intention Dogmatiste ist? Einmal nach Intention nicht, die er im Tr. de emendatione intellectus offenbar darlegt, wo er den Anfang seines real beobachtenden Philosophirens beschreibt, wie er in der That forschte, obs außer allem scheinbaren was gäbe, das wahrhaft gut sey u. sich mittheile, so daß die Seele von ihm allein, bey Verwerfung alles andern, Einwirkung erhalte?, ja obs was gäbe, das, wenn ers fände und hätte, ihm einen unverrükten, höchsten und ewigen Freudengenuß gewähren könnte? Das suchte er ja wohl in sich, nicht außer sich, in seinem reinsten Wesenszwek, final-kritisch in absoluter Realität, wovon alle relative nur abhängt. Und so wie bey Spinoza alles auf der substantia absoluta, wie bei Leibniz auf dem Ente A Se, der ersten absoluten Grundwahrheit in uns, ohne welche alles unmöglich, beruhet, so bekräftigen beyde in der That des großen Cartesii Ausspruch: Certitudinem et veritatem ab una veri Dei (:fundamenti et principii omnium realium et idealium:) cognitione pendere. Das war schon, wie man durch Jacobi Thomasii Origines Historiae Philosophicae et Ecclesiasticae gründlich belehrt wird, der Sinn Pythagorae, Platonis und Aristotelis, wenn sie unter dem Ens qua Ens absolute per excellentiam Gott als Urwesen verstanden, dessen Erkenntnis, ewige Anschauung in uns, die höchste, wesentlichste, alles begründende sey, daher Aristoteles in dieser ewigen Theorie die Seligkeit sezt, und auf die einige absolute Substanz alles bezieht, ihr alle übrige Kategorien unterordnet, wie sein bester systematischer Ausleger vorigen Jahrhunderts, der architectonisch beobachtende Dreyer von Königsberg, in Sapientia prima, Disp. Metaphys. Nur die über den schlecht arabisch übersezten, dann barbarisch latinisirten Aristoteles grübelnden Scholastiker führten die sachleeren Abstractions-Generalitaeten und Spizfindigkeiten ihres Dogmatismus ein. Dagegen die grösten practischen Realisten, Patriarchen, Propheten, Apostel, apostolische Väter und ihres gleichen, lauter allgemeinnüzige Popular-Theosophen oder Theoscopen, wiesen Gott in uns und alle Abhängigkeit von Ihm in uns selber an mit reiner Liebes-Erhebung zu ihm und Seinem Gerechtigkeits- und Liebes-Reich in allem, das in uns zu erweken und fortzupflanzen durch alles in allem.(?) Das war absolut real kritisch consequent, mehr als alle Weltweisen bisher. Eine pragmatisch real kritische Theologie müßte wahrscheinlich was realers geben als alle dogmatische über alle sogenannte Glaubensgeheimnisse und Wunder, die zuerst rein geistig practische Erfahrungen waren und bey reinster Practik noch seyn können, denn die fundamental-Data darzu, Gottheit in uns und ihr Band mit reinen Herzen und Geistern ist ja wohl noch nicht ganz ausgestorben, nur der Weg darzu scheint verlohren zu seyn. Dem sey wie ihm wolle oder könne, das mag ein Baco des Himmels in uns finden; laßt und nur das jezt noch mögliche Beste in u. und für uns beobachten. Malebranche und Berkeley waren fast gleiche Idealisten in der Idee von Gott als Darsteller aller Dinge in Seiner allbegreifenden Vorstellung, in der wir alles sehen sollen, was vorkommt. Ja, wenn wir sie eben selbst hätten, so hätten wir Wahrheit in allem durchaus wie etwan im Himmel. Wie unendlich weit davon, lehrt uns jeder Tag. Ohne solchen Idealismus, war zu Spinozens und Leibnizens Zeit noch ein nahmhafter Philosoph, der auf der simpelsten Idee von Gott in uns, so vollkommen consequent als Spinoza baute, und zwar ein vollständig System der Oeconomie Divine über alle Menschen und Zeiten bis zur seinigen, alle gebaut auf die einige Idee der Selbstgenügsamkeit Gottes, Entis sibi absolute sufficientis, purissimi Esse A Se, Sui, Sibi, die in uns grad absticht gegen unser und alles endliche NichtSeyn von, durch, wegen uns selbst absolut ohne anders, wie absolute Thesis und absolute Antithesis, die nur durch Synthesis göttlicher und menschlicher Freyheit zur Harmonie der Ewigkeit verbunden werden. Ist das nicht absolut real kritisch methodisch, hiermit ewig grundharmonisch? Nicht eben so von erstem simpelsten Grund aus, Betrachtens und Beobachtens würdig als Spinoza? So verschrien als Atheiste Spinoza war, so verschrieen auf der Gegenseite als theophanischer Supernaturalist war der Autor der Oeconomie Divine, ob dieser gleich so unendlich entfernt als Spinoza war, eine einzige Theophanie von oder bey sich selbst vorzugeben. Der Autor der Oeconomie war der so schwärmerisch verschriene Pierre Poiret, der auch in seinem Tractat de Eruditione solida, superficiaria et falsa eine real scharfe Vernunftkritik der Gelehrsamkeit seiner Zeit herausgab, doch im Vorurtheil der philosophisch-theologischen Sprache seiner Zeit, worein Spinoza sich gar nicht schikte, selbst auch ein scharfer Gegner Spinozas wurde, da er zugleich gegen die fatalistischen Praedestinatianer zu fechten hatte. Diese von erstem Grund aus zu demontiren schrieb er sein Oecon. Divine als der große Freund und Vertheidiger der Herzens- u. Geistesfreiheit über alles. Allen bloßen Speculanten, wie den alten blos dialectischen Scholastikern, hießen die real und rein practischen Metaphysiker nur Schwärmer, weil man sie nicht verstand, wenn sie auch gleich populär schrieben, heutiges Tages heißt alles Schwärmerey, was man nicht versteht, nicht gewohnt ist, wie endlich die ganz aus der Mode gekommene Bibel auch. Wer schwärmt aber mehr als nun alle eitle Welt? Was gäbs nicht für Schwarm, wenn das Absolute Ich in der Sprach-Mode jedem Narren populär würde? Da gäbs lauter absolute Götter des tollsten Egoismus, der so schon groß genug allherrschend ist. Das absolute Ich muß blos transcendental scientifisch bleiben, inacessible. Deswegen ist in meiner populär bestimmten Parallel-Grundlage des kritischen Realismus vom Ich eine ganz andre Sprache mit Fleiß gewählt. Syntheokritik und Ontostatik, sind erst nach Fichtens Zusammenkunft entworfen. Das Orakel der Fee im Gemeinsinn ist über Hrn. Prof. Flatts antikantische Briefe v. Moral-Relig. entstanden. Belieben Sie, Mein Hochwerthester Herr, es ihm zu communiciren, wie auch die Final-Kritik. Die Dinalitaet soll Subjectivitaet und Objectivitaet verbinden, in allseitige Harmonie bringen. Fiat per DEUM! – cum Leibnizio- Jacobi! Nach der allgemein subjectiv-relativen Theologie von Kants lezter Kritik der Urtheilskraft möchte die absolute Finalitaet, mit Jacobi-Abaris, nur der Schlußstein vom endlos progressiven Gewölbe Kants seyn! Dicite Pierides: in Fine reconvenit Orbis! S. Jacobi Briefe über Spinoza, neue Ausgabe v. 1789. pag. 40: Ich habe keinen Begrif der inniger als der v. d. Endursachen wäre etc. etc. Selbst Spinozas und Ihre absolute Macht (v. Ich, pag. 86): bringt mich einmal nicht davon ab: denn absolute Macht kann nicht anderst als ursprünglich gegen alles andre mögliche sich gleich absolut verhalten, da alles andre nur von ihr ursprünglich möglich ist, davon das Gröste wie das Kleinste gegen ihre absolute Unendlichkeit gleich Nichts ist, doch so fern es real, von ihr her real ist, sie also nicht anders kan als gegen alles von ihr her reale sich gleich absolut gehörig und anständig verhalten, hiemit wesentlich gleich recht und gut, so ist sie im wesentlich unendlichen Gleichgewicht ihrer Selbstgenügsamkeit wesentliche Allgerechtigkeit und Allgüte zugleich, hiermit auch wesentliche Allweisheit von, durch, wegen sich selbst absolut, da von, durch, zu Ihr selbst Sie selbst und alle Dinge sind, Röm. 11,36. In Termino A quo, Per quem, Ad quem alles vollkommen höchstmathematisch vollendet! Ihr sei Ehre in Ewigkeit, Amen!
Jam redit et Virgo: redeunt Saturnia regna: Concordes stabili Fatorum Numine Parcae! –
Virgil.
Mit unendl. progressiver Hochachtung u. Anwünschung alles Ewigen Rechts, Lichts, Guts habe ich die Ehre zu seyn
Ewer Liebden
Ewig verbundenster
Dr. Obereit
Jena, Mitte Jenners 1796.
P. S. Wenn Sie, Mein Hochwerthester Herr, einmal eine beliebige Antwort mir zukommen lassen wollen, wenns auch nur eine gütige Versicherung von Recepisse ist, wornach mein Alter sich sehnet, da der arme alte Abaris nichts anderst als durch Buchhändlergelegenheit ferner Correspondenz führen kan, so belieben Sie die Güte zu haben, Mein Theurster, das Recepisse oder die Antwort, versiegelt für mich, unter Couvert an die Kayseri, privilegirte Kunst = und Buchhandlung von Herren Schneider und Weigel in Nürnberg zu senden, die eine Handlungs Niederlage auch hier auf dem Markt in Jena hat, so kommts mir sicher zu. Vom Original-Gemeinsinn bei Strankmann hier erscheint nun eine zweyte Ausgabe unter dem Namen: Damen-Vernunftkritik, von Abaris, 1796. Per buono Aviso-
Carissimo, A Dio!
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  • Date: Mitte Januar 1796
  • Sender: Jacob Hermann Obereit ·
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Stuttgart · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 80‒85.

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