<Januar 96>
Mein Bester!
Endlich komme ich dazu, Dir wieder zu schreiben und von meiner Existenz Nachricht zu geben. Du wirst mir verzeihen, daß ich unsere Correspondenz so lange vernachlässigte, wenn ich Dir sage, daß ich Dir erst dann wieder schreiben wollte, wenn ich Dir von meinem künftigen Aufenthalt zuverlässige Nachricht geben könnte. Dieser blieb aber bis in den November vorigen Jahres unbestimmt. Seitdem bin ich hier als Hofmeister zweier Barone v. Riedesel in Prof. Ströhlins Haus. Ich traf aber da so mannigfaltige – und zum Theil ganz neue Beschäftigungen – an, war auch bis jetzt wegen Beibehaltung der Stelle so unentschlossen, daß ich Dir nicht schreiben konnte und wollte. Ich nahm die Stelle an, weil man mir ganz unbedingt von einer Reise nach Frankreich und England, auf der ich die beiden jungen Leute begleiten sollte, gesprochen hatte. Erst, als ich sie antreten sollte, setzte man Bedingungen hinzu, daß das Königthum in Frankreich wiederhergestellt!! und der Friede mit England gemacht seye. Alle meine schönen Hoffnungen für eine solche Reise sind nun größtentheils dahin. Doch sehe ich allmälig ein, daß ich froh seyn muß, bei dieser Gelegenheit wenigstens aus Würtemberg hinaus zu kommen. Ich soll sie nächsten Frühling nach Leipzig – und wenn ich ihre Studienzeit da aushalte (die doch wohl nicht zu lange dauern wird) an die principales cours de l'Allemagne!! und – unter den oben genannten Bedingungen – auch weiter begleiten. Ich bin nun entschlossen, sie wenigstens nach Leipzig zu begleiten, wenn mir nicht ihre Vormünder bei einer persönlichen Zusammenkunft Forderungen machen, die ich nicht erfüllen kann und die sich so ziemlich aus den Fragen erraten lassen, die man hier und da wegen meiner gemacht hat, ob ich Demokrat, Aufklärer, Illuminab u.s.w. seie? In diesem Falle bin ich doch wenigstens außerhalb Würtembergs und dann entschlossen, auf eigne Rechnung irgendwo im Ausland mich auf einige Zeit niederzulassen und – ist es möglich – der guten Sache durch öffentliche Arbeiten zu dienen. Mein Plan geht vorzüglich auf Hamburg.
Willst Du mir, 1. Freund, nach hierher antworten, so bitte ich Dich, es sogleich zu thun, weil ich am Ende Februars von hier abreise. Du sollst, sobald ich irgendwo fest bin, wieder von mir hören. Verzeihe, daß ich solange von mir selbst sprach. Es ist Zeit, auch nach Dir selbst zu fragen.
Gewiß, 1. Freund, bist Du indeß nicht unthätig gewesen. Hast Du von Deinem Plane indeß nichts ausgeführt? Ich wartete immer, etwas von den Resultaten Deiner Untersuchungen irgendwo zu finden. Oder hast Du etwas Größeres unter der Hand, das Zeit fordert und womit Du Deine Freunde auf einmal überraschen willst? In der Tat, ich glaube von Dir fordern zu dürfen, daß Du Dich auch öffentlich an die gute Sache anschließest. Sie hat indeß mehr Freunde und Vertheidiger, als ich in meinem letzten Brief zu hoffen wagte. Es kommt darauf an, daß junge Männer, entschieden, alles zu wagen und zu unternehmen, sich vereinigen, um von verschiednen Seiten her dasselbe Werk zu betreiben, nicht auf Einem, sondern auf verschiedenen Wegen dem Ziel entgegenzugehen, überall aber gemeinschaftlich zu handeln übereinkommen, und der Sieg ist gewonnen. Es wird mir alles zu enge hier – in unserm Pfaffen- und Schreiberland. Wie froh will ich sein, wenn ich einmal freiere Lüfte atheme. Erst dann ist es mir vergönnt, an Plane ausgebreiteter Thätigkeit zu denken, wenn ich sie ausführen kann, und auf Dich, Freund, – auf Dich darf ich gewiß dabei rechnen?
Herr Klett, der mit zwei Herrn von Pr[?] im nämlichen Haus mit mir ist, hat mir gesagt, daß Du Dich wohl befindest und daß er eine kleine Reise mit Dir gemacht habe. In Lausanne ist von einem Berner – Namens Zehnter – eine philosophische Disputation erschienen, die – für jene Gegend wenigstens – merkwürdig sein muß. Du wirst sie ohne Zweifel gelesen haben: vielleicht könntest Du auch mir ein Exemplar davon schicken. – Hast Du Niethammers Journal bisher gelesen? Für Deine Arbeiten können vielleicht auch die philosophischen Briefe über Dogmatismus und Kriticismus (deren Fortsetzung nächstens folgen wird) einiges Interesse haben – Lebe wohl, tausendmal wohl. Ich hoffe, Du begleitest mich noch mit Deinen Segenswünschen auf dem ersten Ausflug aus dem Vaterland!
Viele Grüße von Süskind, der hier als Hofmeister – siedet. Auch von Pfister, item Hofmeister allhier. Grüße Mögling, der den Winter recht epikureisch – auf seinem Dörfchen verleben wird. Daß Hölderlin in Frankfurt ist, wirst Du wissen.
Der Deinige Sch.
A Monsieur Hegel
chez M. le Capitaine Steiger
à Berne
Mein Bester!
Endlich komme ich dazu, Dir wieder zu schreiben und von meiner Existenz Nachricht zu geben. Du wirst mir verzeihen, daß ich unsere Correspondenz so lange vernachlässigte, wenn ich Dir sage, daß ich Dir erst dann wieder schreiben wollte, wenn ich Dir von meinem künftigen Aufenthalt zuverlässige Nachricht geben könnte. Dieser blieb aber bis in den November vorigen Jahres unbestimmt. Seitdem bin ich hier als Hofmeister zweier Barone v. Riedesel in Prof. Ströhlins Haus. Ich traf aber da so mannigfaltige – und zum Theil ganz neue Beschäftigungen – an, war auch bis jetzt wegen Beibehaltung der Stelle so unentschlossen, daß ich Dir nicht schreiben konnte und wollte. Ich nahm die Stelle an, weil man mir ganz unbedingt von einer Reise nach Frankreich und England, auf der ich die beiden jungen Leute begleiten sollte, gesprochen hatte. Erst, als ich sie antreten sollte, setzte man Bedingungen hinzu, daß das Königthum in Frankreich wiederhergestellt!! und der Friede mit England gemacht seye. Alle meine schönen Hoffnungen für eine solche Reise sind nun größtentheils dahin. Doch sehe ich allmälig ein, daß ich froh seyn muß, bei dieser Gelegenheit wenigstens aus Würtemberg hinaus zu kommen. Ich soll sie nächsten Frühling nach Leipzig – und wenn ich ihre Studienzeit da aushalte (die doch wohl nicht zu lange dauern wird) an die principales cours de l'Allemagne!! und – unter den oben genannten Bedingungen – auch weiter begleiten. Ich bin nun entschlossen, sie wenigstens nach Leipzig zu begleiten, wenn mir nicht ihre Vormünder bei einer persönlichen Zusammenkunft Forderungen machen, die ich nicht erfüllen kann und die sich so ziemlich aus den Fragen erraten lassen, die man hier und da wegen meiner gemacht hat, ob ich Demokrat, Aufklärer, Illuminab u.s.w. seie? In diesem Falle bin ich doch wenigstens außerhalb Würtembergs und dann entschlossen, auf eigne Rechnung irgendwo im Ausland mich auf einige Zeit niederzulassen und – ist es möglich – der guten Sache durch öffentliche Arbeiten zu dienen. Mein Plan geht vorzüglich auf Hamburg.
Willst Du mir, 1. Freund, nach hierher antworten, so bitte ich Dich, es sogleich zu thun, weil ich am Ende Februars von hier abreise. Du sollst, sobald ich irgendwo fest bin, wieder von mir hören. Verzeihe, daß ich solange von mir selbst sprach. Es ist Zeit, auch nach Dir selbst zu fragen.
Gewiß, 1. Freund, bist Du indeß nicht unthätig gewesen. Hast Du von Deinem Plane indeß nichts ausgeführt? Ich wartete immer, etwas von den Resultaten Deiner Untersuchungen irgendwo zu finden. Oder hast Du etwas Größeres unter der Hand, das Zeit fordert und womit Du Deine Freunde auf einmal überraschen willst? In der Tat, ich glaube von Dir fordern zu dürfen, daß Du Dich auch öffentlich an die gute Sache anschließest. Sie hat indeß mehr Freunde und Vertheidiger, als ich in meinem letzten Brief zu hoffen wagte. Es kommt darauf an, daß junge Männer, entschieden, alles zu wagen und zu unternehmen, sich vereinigen, um von verschiednen Seiten her dasselbe Werk zu betreiben, nicht auf Einem, sondern auf verschiedenen Wegen dem Ziel entgegenzugehen, überall aber gemeinschaftlich zu handeln übereinkommen, und der Sieg ist gewonnen. Es wird mir alles zu enge hier – in unserm Pfaffen- und Schreiberland. Wie froh will ich sein, wenn ich einmal freiere Lüfte atheme. Erst dann ist es mir vergönnt, an Plane ausgebreiteter Thätigkeit zu denken, wenn ich sie ausführen kann, und auf Dich, Freund, – auf Dich darf ich gewiß dabei rechnen?
Herr Klett, der mit zwei Herrn von Pr[?] im nämlichen Haus mit mir ist, hat mir gesagt, daß Du Dich wohl befindest und daß er eine kleine Reise mit Dir gemacht habe. In Lausanne ist von einem Berner – Namens Zehnter – eine philosophische Disputation erschienen, die – für jene Gegend wenigstens – merkwürdig sein muß. Du wirst sie ohne Zweifel gelesen haben: vielleicht könntest Du auch mir ein Exemplar davon schicken. – Hast Du Niethammers Journal bisher gelesen? Für Deine Arbeiten können vielleicht auch die philosophischen Briefe über Dogmatismus und Kriticismus (deren Fortsetzung nächstens folgen wird) einiges Interesse haben – Lebe wohl, tausendmal wohl. Ich hoffe, Du begleitest mich noch mit Deinen Segenswünschen auf dem ersten Ausflug aus dem Vaterland!
Viele Grüße von Süskind, der hier als Hofmeister – siedet. Auch von Pfister, item Hofmeister allhier. Grüße Mögling, der den Winter recht epikureisch – auf seinem Dörfchen verleben wird. Daß Hölderlin in Frankfurt ist, wirst Du wissen.
Der Deinige Sch.
A Monsieur Hegel
chez M. le Capitaine Steiger
à Berne