Stuttgart den 12. März 1796.
Sie haben mich, hochzuverehrender Herr Doktor, zu großem Dank verbunden, daß Sie mich mit Ihren beiden Schriften bekannt machten, die ich mit vielem Interesse gelesen, und aus welchen ich mir manches Teffliche angemerkt habe. Es freute mich sehr, die neue Philosophie an einem Geiste erprobt zu finden, der dem Gang der Philosophie durch mehrere Zeitalter hindurch gefolgt, lange Wahrheit mit Eifer gesucht hatte und sie endlich da gefunden hat, wo sie schon längst die weisesten Männer der Vorwelt ahndeten. Ebenso sehr bin ich Ihnen für die Bemerkungen über meine Schrift und die historischen Notizen, mit welchen sie dieselbe begleiteten, verbunden. Was Leibnitz betrifft, so bin ich nicht ganz mit Ihnen einig. Ich glaube, daß mit Leibniz eigentlich das Mittelalter der Philosophie begonnen hat (obgleich die Scholastiker schon den Weg dazu gebahnt hatten), da man nämlich auch in der Philosophie anfing, das Absolute zu einem bloßen Wesen der Abstraktion zu machen, und Gott nicht als das Wesen aller Wesen, sondern (populärer Weise) als Wesen außer allen Wesen zu betrachten. Die älteste und heiligste Idee der Philosophie war ohne Zweifel das allem Existirenden zu Grunde liegende unwandelbare Sein. Erst als Spinozas vermeinter Atheism Theologie und Philosophie aufschreckte, nahm man in der Philosophie seine Zuflucht zu einem Gott außer allem Existirenden, dessen Idee nun nichts mehr als ein Compositum allgemeiner Abstractionen war. Diese Idee (durchs Christenthum und seine sinnliche Darstellungsart unterstützt) hatte sich so sehr aller Köpfe bemächtigt, daß man weder die alten Philosophen, Plato und Aristoteles, noch die später lebenden, Cartes (der doch schon unter den Scholastikern einige Vorgänger hatte), seinen Schüler Spinoza, Malebranche, und späterhin den besten Ausleger Spinozas, Jacobi, und Kant verstand. Dem Letzteren erging es ohne Zweifel gerade so, wie es Ihnen zufolge Leibnizen ergangen ist. Ich habe dieß ausführlicher in den Briefen über Dogmatismus und Kriticismus erklärt.
Ihr Wunsch, die neue Philosophie nur nicht zur Sprachmode werden zu lassen, ist völlig gegründet. Ich glaube, daß zu einer Nationalerziehung Mysterien gehören, in welche der Jüngling stufenweise eingeweiht wird. In diesen sollte die neue Philosophie gelehrt werden. Sie sollte die letzte Enthüllung seyn, die man dem erprobten Schüler der Weisheit widerfahren ließe (wenn sie anders etwas ist, das man von andern empfangen kann, und nicht sich selbst verschaffen muß.) Dieß ist aber bei der Flut unserer Literatur, durch die alles ins weite Publicum getrieben wird, unmöglich, und die besseren Schriftsteller können daher nichts thun, als ihrer Darstellung so viel Würde, Strenge und Erhabenheit des Vortrags geben, daß jedes Blatt dem Profanen zuruft: procul, procul esto!
Ich wünsche Ihnen, achtungswürdiger Greis, ein frohes und heiteres Alter. Wollen Sie mir ferner aus dem Schatz Ihrer literarischen und philosophischen Kenntnisse einiges mittheilen, so werde ich das dankbar benutzen. Da ich meinen hiesigen Aufenthaltsort verändere, so bitte ich, Ihren Brief allenfalls nur Hrn. Niethammer zum Einschluß an mich zu
geben.
Sie haben mich, hochzuverehrender Herr Doktor, zu großem Dank verbunden, daß Sie mich mit Ihren beiden Schriften bekannt machten, die ich mit vielem Interesse gelesen, und aus welchen ich mir manches Teffliche angemerkt habe. Es freute mich sehr, die neue Philosophie an einem Geiste erprobt zu finden, der dem Gang der Philosophie durch mehrere Zeitalter hindurch gefolgt, lange Wahrheit mit Eifer gesucht hatte und sie endlich da gefunden hat, wo sie schon längst die weisesten Männer der Vorwelt ahndeten. Ebenso sehr bin ich Ihnen für die Bemerkungen über meine Schrift und die historischen Notizen, mit welchen sie dieselbe begleiteten, verbunden. Was Leibnitz betrifft, so bin ich nicht ganz mit Ihnen einig. Ich glaube, daß mit Leibniz eigentlich das Mittelalter der Philosophie begonnen hat (obgleich die Scholastiker schon den Weg dazu gebahnt hatten), da man nämlich auch in der Philosophie anfing, das Absolute zu einem bloßen Wesen der Abstraktion zu machen, und Gott nicht als das Wesen aller Wesen, sondern (populärer Weise) als Wesen außer allen Wesen zu betrachten. Die älteste und heiligste Idee der Philosophie war ohne Zweifel das allem Existirenden zu Grunde liegende unwandelbare Sein. Erst als Spinozas vermeinter Atheism Theologie und Philosophie aufschreckte, nahm man in der Philosophie seine Zuflucht zu einem Gott außer allem Existirenden, dessen Idee nun nichts mehr als ein Compositum allgemeiner Abstractionen war. Diese Idee (durchs Christenthum und seine sinnliche Darstellungsart unterstützt) hatte sich so sehr aller Köpfe bemächtigt, daß man weder die alten Philosophen, Plato und Aristoteles, noch die später lebenden, Cartes (der doch schon unter den Scholastikern einige Vorgänger hatte), seinen Schüler Spinoza, Malebranche, und späterhin den besten Ausleger Spinozas, Jacobi, und Kant verstand. Dem Letzteren erging es ohne Zweifel gerade so, wie es Ihnen zufolge Leibnizen ergangen ist. Ich habe dieß ausführlicher in den Briefen über Dogmatismus und Kriticismus erklärt.
Ihr Wunsch, die neue Philosophie nur nicht zur Sprachmode werden zu lassen, ist völlig gegründet. Ich glaube, daß zu einer Nationalerziehung Mysterien gehören, in welche der Jüngling stufenweise eingeweiht wird. In diesen sollte die neue Philosophie gelehrt werden. Sie sollte die letzte Enthüllung seyn, die man dem erprobten Schüler der Weisheit widerfahren ließe (wenn sie anders etwas ist, das man von andern empfangen kann, und nicht sich selbst verschaffen muß.) Dieß ist aber bei der Flut unserer Literatur, durch die alles ins weite Publicum getrieben wird, unmöglich, und die besseren Schriftsteller können daher nichts thun, als ihrer Darstellung so viel Würde, Strenge und Erhabenheit des Vortrags geben, daß jedes Blatt dem Profanen zuruft: procul, procul esto!
Ich wünsche Ihnen, achtungswürdiger Greis, ein frohes und heiteres Alter. Wollen Sie mir ferner aus dem Schatz Ihrer literarischen und philosophischen Kenntnisse einiges mittheilen, so werde ich das dankbar benutzen. Da ich meinen hiesigen Aufenthaltsort verändere, so bitte ich, Ihren Brief allenfalls nur Hrn. Niethammer zum Einschluß an mich zu
geben.