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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Joseph Friedrich Schelling, Gottliebin Maria Schelling TEI-Logo

Leipzig, den 27. Mai 96.
Beinahe fing ich an, Ihretwegen ängstlich zu werden, weil ich so lange keine Briefe mehr bekam. Ich antworte Ihnen dießmal sogleich, so wenig ich auch Interessantes Ihnen mitzutheilen weiß. Ich wünschte nämlich von Ihnen, lieber Vater, die Beantwortung der beiliegenden Fragen baldmöglichst zu erhalten. Ich habe die Bücher nicht bei der Hand, um sie mir selbst aus ihnen zu beantworten. – Ich bin mit einer Antwort auf Nicolai's Ausfälle schon ziemlich weit vorgerückt. Schweigen kann ich nicht; besonders in meiner gegenwärtigen Lage. Ich weiß, daß die Vormünder meiner Eleven Nicolai's Reisebeschreibung lesen, es ist nothwendig, ihnen den rechten Gesichtspunkt anzuweisen, aus dem sie die Sache betrachten müssen. Sorgen Sie nicht, daß ich mich compromittiren werde. – Auch aus Stuttgart sind mir Beiträge versprochen. Was Le bret betrifft, so sind die Spuren, die ihn verrathen, gar zu deutlich. Ich sehe nicht, was mich zurückhalten könnte, diesen Mann zu züchtigen. Er ist längst in das politische Nichts zurückgesunken, das er verdient. In Tübingen ist er allgemein so verachtet, daß man dort sicher jedermann auf seiner Seite hat, wenn man gegen ihn spricht. Mir hat es in Tübingen und Stuttgart geschadet, daß ich sein guter Freund war. Also auch Augusts wegen dürfen Sie nichts fürchten. Nennen werde ich ihn freilich nicht, weil ich nichts beweisen kann. Könnte ich beweisen, so fürchtete ich mich nicht, ihn namentlich an den Pranger zu stellen. Aber mit Fingern will ich auf ihn weisen, daß jeder, der ihn kennt, wissen soll, wen ich meine.
Für Ihre Nachrichten aus dem Vaterland bin ich Ihnen großen Dank schuldig.
Der Dr. U. in T. findet sein Gegenstück an Dr. Burscher allhier; dieß ist ein eitler, stolzer Mann, wo möglich in Chronologie und Orthodoxie noch versirter als U. – Von den hiesigen Theologen habe ich sonst noch keinen kennen gelernt als Dr. Keil, einen Mann von vieler Gelehrsamkeit, übrigens höchst uninteressant. – Rosenmüllern hörte ich zufällig ein paar Augenblicke predigen. Da sagt' er unter anderm: „Dieß ist der Rath, den uns der Apostel Paulus giebt, folget ihm, meine Lieben, ihr werdet euch wohl dabei befinden!" – Mehr interessirt mich ein junger, gelehrter Mann, Prof. Carus, mit dem ich bereits sehr gut Freund bin. – Mit der Orthodoxie ist es hier wo möglich noch schlimmer als in T. Alle Wochen beinahe kömmt ein neues Rescript aus Dresden an, das die Wächter Zions aufruft. – Durch Schnurrers Empfehlung habe ich ein sehr freundschaftliches Haus kennen gelernt, das Haus des Dr. Weich, Diaconus an der Nicolaikirche. Noch mehr Interesse hat für mich Prof. Hindenburgs Haus und die Gesellschaft, die dort unter dem Präsidium seiner geistvollen Frau zu einer der interessantesten gehört, die man hier finden kann.
Wegen Gottliebs bin ich wenigstens insofern froh, als er nun aus der Unbestimmtheit heraustritt, in der er bisher schwebte. – Nun muß es sich doch entscheiden. Ich bin begierig, was er auf Ihren wiederholten Antrag antworten wird. Schlägt er ihn aus, oder – mißlingt. Ihr Versuch, ihn loszukaufen, so lassen Sie ihn ruhig nach Italien ziehen. Er wird dort wenig mehr zu thun finden, und vielleicht haben die Franzosen eher den Frieden auf dem Capitol in Rom diktirt, als er dort anlangt. Die Sache der Despoten geht schnell zu Ende. – Ich war hier wegen meines Vaterlands besorgt. Der Notenwechsel zwischen Barthelemy und dem Rath in Basel schien mir einen Bruch der Schweizer Neutralität mit Gewalt erzwingen zu sollen und ich fürchtete, Sie möchten die Franzosen nicht vom Rhein, sondern vom Breisgau her über den Hals bekommen. Ihr Stillschweigen hat mich beruhigt. Ist es wahr, daß die würtembergischen Landstände dem Kaiser Capitalien vorgestreckt haben ??? – Was soll denn Gottlieb in Wien – als Schildwache vor dem Rathause? Mußte man Truppen nach Wien ziehen? Wahrscheinlich Ausländer und Rekruten, die blindlings gehorchen? Ich sorge, er wird nicht nach Italien kommen. Ich hatte früher daran gedacht, ihm von hier aus zu schreiben. Ich bitte Sie, mir baldmöglichst Nachricht zu geben, ob ein Brief von mir ihn in Leoben treffen würde.
Ich weiß, daß ich auch gegen Sie Schuldner bin. Meine Hoffnung, Ihnen mit Meßgelegenheit das erstatten zu können, was Sie mir vorgestreckt hatten, schlug fehl, weil die Reise von unserem Geldvorrath so viel verzehrt hatte, daß ich kaum einiges, zu den nöthigsten Bedürfnissen hinreichendes, für mich davon abzuziehen wagen konnte. Aber ich werde nächste Woche Wechsel bekommen und dann werde ich meine Schuldigkeit nicht vergessen. Ich bitte Sie, mir keine Einwendungen zu machen, sondern eine Gelegenheit anzuweisen, durch die ich es an Sie bringen kann.
Ich bin äußerst froh, wenn Sie bis jetzt keines Vicars bedürftig waren. Ich will nun ruhig darüber sein, weil ich hoffe, Sie werden, sobald die Umstände sich ändern, sich um einen bleibenden Gehülfen umsehen. – Was macht denn der arme Teufel Funk?
Von Landsleuten habe ich hier einen Hofmann aus Stuttgart, einen Duttenhofer – einen Treffy aus Rudersberg, und Maier von Steinenberg kennen gelernt. Schröder hab' ich noch nicht gesehen. Er war indeß krank; ich wollte ihn besuchen, traf aber das Haus nicht, wo er wohnt. Er ist nun ganz außer Gefahr. Seinen Eltern schrieb man mit Absicht nichts davon, um sie nicht in unnöthige Furcht zu setzen. v Vorige Woche war auch M. Märklin aus St. bei mir hier und wir brachten einige vergnügte Tage mit einander zu.
Ich bitte Sie, 1. Mutter, wegen mir doch ganz ruhig zu sein. Bei der Ungewißheit, wann und ob meine Eleven weitere Reisen machen werden, als durch Deutschland, bleibe ich so lange, als es mir in Leipzig nicht entleidet ist. Dazu hat es bis jetzt wenigstens keinen Anschein. – Indeß hoffe ich mir einiges zu ersparen, hoffe so gut als Flatt und Bengel 500 fl. vom Kirchenrath werth zu sein und so meinen Plan, nach England zu reisen, ausführen zu können. Mit 1000 fl. läßt sich viel thun, und so viel hoffe ich doch wohl zusammen zu bringen. Uebrigens ehe ich Repetent in T. würde, wollte ich doch noch lieber Professor werden; denn dabei läßt sich doch wenigstens eben so gut leben. Empfehlen Sie mich überall und grüßen meine Freunde. Dir Beate und Dir, Bruder Carl, alles Gute! – August soll mir auch einmal ein Paar Linien schreiben. Er ist sein letztes Halbjahr in D. Ich hoffe, es solle gut gehen. – Unverändert
Ihr
Fr.
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  • Date: Freitag, 27. Mai 1796
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Joseph Friedrich Schelling · , Gottliebin Maria Schelling ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 101‒104.

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