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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Georg Wilhelm Friedrich Hegel TEI-Logo

Leipzig, den 20. Juni 96.
Ich schreibe Dir, mein Bester, mit umgehender Post und eben deswegen kürzer, als ich Dir gerne schreiben möchte. Ich wartete schon lange auf Antwort von Dir, als mir neulich Süskind schrieb, Du würdest wahrscheinlich die Stelle in Frankfurt vorziehen. In der Ungewißheit, in der ich Deinetwegen war, konnte ich auch in Jena keine näheren Erkundigungen einziehen. Soviel kann ich Dir noch jetzt schreiben, daß die Bedingungen sehr vortheilhaft waren, unter denen man Lehrer zu engagiren suchte. Näheres weiß ich nicht mehr, und ich sorge sogar, entweder, daß Du jetzt zu spät kämest, oder gar, daß das ganze Project gescheitert hat. Bis jetzt wenigstens habe ich nichts mehr davon gehört. Auf jeden Fall aber werde ich mich bei einer kleinen Reise, die ich diese Woche noch nach Jena machen werde, oder, wenn dieß nicht geschehen sollte, sogleich schriftlich des Nähern erkundigen. Sollte noch nichts versäumt sein, so werde ich Dir unverzüglich Nachricht davon ertheilen. So viel ich weiß, sollte die Pension vorzüglich für junge Leute von 12-18 Jahren errichtet werden. Ob die Lehrer sehr spezielle Aufsicht haben, weiß ich nicht. Wie sehr würde ich mich freuen, Dich, mein Bester, nach langer Entfernung so nahe bei mir zu wissen, besonders, da ich hierselbst von allem Zusammenhang mit meinen alten Freunden losgerissen bin. Ich bin hier der ein[z]ige Würtemberger. Aber es könnten viele Landsleute hier sein, die mir nicht das werth wären, was Du allein mir sein würdest. – Erlaube mir, daß ich Dir noch etwas sage! Du scheinst gegenwärtig in einem Zustand der Unentschlossenheit und – nach Deinem letzten Briefe an mich – sogar Niedergeschlagenheit zu sein, der Deiner ganz unwürdig ist. Pfui! ein Mann von Deinen Kräften muß diese Unentschlossenheit nie in sich aufkommen lassen. Reiße Dich baldmöglichst los. Sollte es mit Frankfurt und Weimar nicht gelingen, so erlaube mir, daß ich mit Dir einen Plan verabrede, Dich aus Deiner jetzigen Lage zu ziehen. Für Dich muß es überall Mittel genug geben. Du siehst, ich rechne viel auf unsre Freundschaft, indem ich so gerade heraus spreche. Freunde müssen dieß Recht gegeneinander haben. Noch ein Mal, Deine jetzige Lage ist Deiner Kräfte und Ansprüche unwürdig!
Tausend Dank für Dein Urtheil über meine Briefe. Es war mir interessant, zu wissen, ob sie an Dir die Probe halten. – Du wirst doch wohl auch Nicolai's Reisebeschreibung, neuesten Theil, und seine Erbärmlichkeiten über mich etc. gelesen haben. Ich werde Dir nächstens die Antwort darauf zuschicken können. Bald ein Mehreres. Unveränderlich der Deinige
Schelling.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 20. Juni 1796
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Georg Wilhelm Friedrich Hegel ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Tschugg ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 104‒105.

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