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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Joseph Friedrich Schelling TEI-Logo

Leipzig, den 4. Febr. 97.
Meinen geh. Dank, 1. Vater, für Ihren gütigen Brief. Wenn ich Ihnen auf Ihre literarischen Fragen nicht gleich bestimmte Antwort ertheilen kann, so muß ich um Verzeihung bitten, weil ich seit einiger Zeit so über Hals und Kopf beschäftigt war, daß ich auch nicht eine Viertelstunde hatte, die Bücher, wegen welcher Sie fragen, selbst anzusehen. Jedoch habe ich mich bei guten Freunden erkundigt, und gehört, daß Prof. Kuinoel's Arbeit, wie seine meisten übrigen, bloße, noch dazu schlechte, exegetisch-philologische Compilation, also nicht einmal von homiletischem Gebrauch ist. Das Magazin für Landprediger enthält mehr kirchenhistorische Nachrichten (Auszüge aus Henke's Archiv) und Pastoral-Abhandlungen, als homiletische Bearbeitungen. Als Muster einer praktischen Bearbeitung dieser Art werden allgemein die Entwürfe in Teller´s Magazin für Prediger genannt.
Ich erinnere mir, daß Sie einst die Güte hatten, mir den Auftrag zu einer solchen Arbeit zu geben. Haben Sie noch das gute Zutrauen zu mir, so will ich es versuchen, sobald ich müßige Stunden habe. Nur kenne ich die würtembergischen Perikopen (die ja verändert sind) nicht.
In Leipzig – dieser aufgeklärten Stadt – kam endlich zu Stande, was Sie schon seit mehreren Jahren besitzen – ein neues Gesangbuch; mit wie vielen Schwierigkeiten, können Sie aus Henke's Archiv sehen. Ich wollte mich Ihnen sehr gerne zu einer Vergleichung von Dathe, Döderlein (neue Ausg.) und Paulus anbieten, wenn ich nicht selbst eine Arbeit unter Händen hätte, zu der ich mich anheischig gemacht habe, und die mir beinahe alle Zeit raubt. Indeß, wenn Sie das Manuskript hier drucken ließen, so hätte dieß noch Zeit, denn zur nächsten Messe kommt das Buch schon nicht mehr, und die nothwendigen Supplimente wollte ich dann, nachdem ich sie Ihnen dargelegt hätte, an ihrer Stelle schon noch einrücken. Finden Sie in Ulm oder Tübingen nicht sogleich einen Verleger, so schicken Sie doch das Manuskript bald hierher; ich zweifle gar nicht, daß ich einen Liebhaber finde. Ich will die Adresse an den Herrn Soger (den ich unmöglich Zeit hatte aufzusuchen) benutzen, um es etwa in der Weidmannschen Buchhandlung, einer der solidesten hiesigen (und nur eine solche kauft ein solches Manuskript), anzubringen.
Wegen einer Antwort an Nicolai seien Sie ganz unbesorgt. Sie liegt geschrieben und fertig in meinem Pulte. Aber gute Gründe halten sie auch noch diese Messe zurück; desto gewisser soll sie nächsten Sommer nachfolgen. – Dagegen werde ich auf Ostern eine Schrift unter dem Titel Ideen zur Philosophie der Natur, erster Theil, herausgeben, auf die ich ohne Ruhm zu melden einige Ansprüche gründen darf, und wegen welcher ich daher so frei bin, Sie zu fragen, wie ich sie in Würtemberg am besten an Mann (d. h. an den rechten Ort) bringen kann.
Der arme Gottlieb ist also doch in Zeiten in Ruhe und Sicherheit gekommen? Der unglückliche! Nun muß er auch noch einem schlechten Kerl in die Hände fallen, der wohl gar sein Corporal ist, und dessen ich mich noch als des allerdurchtriebensten Spitzbubens, voll heimtückischer Hinterlist – erinnere. Wie gut haben Sie gethan, daß Sie ihm nicht getraut haben! – Der arme Gottlieb mußte wohl so gut von ihm schreiben, als er geschrieben hat.
An August ist hier ein Brief. Der Mensch schreibt mir so gelehrt, daß ich ihm kaum zu antworten weiß. Wenn er nur nicht zu gelehrt wird.
Wegen Karls schreibt die Mama, daß er immer noch beim Kaufmannsstand beharrt, und daß ich mich hier wegen einer Stelle für ihn umsehen soll. Ich gestehe Ihnen aber, daß mich des jungen Menschen Kopf dauert, wenn er Kaufmann wird. Da er nicht mit Geld anfangen kann, so muß er sich lange im erbärmlichsten Handel herumtreiben, ehe er nur zu 'was kömmt. Auch sieht man hier nur gar zu deutlich, was das meistens für verwahrloste Menschen sind, die auf solche Art Kaufleute wurden, und daß das Leben eines Kaufmanns, der nicht Geld genug hat, wirklich das erbärmlichste und niederträchtigste von der Welt ist. Von dem Augenblicke, da er sich diesem Stand widmet, darf er keinen andern Gedanken mehr haben, als den an seinen Eigennutz und Gewinn! Weich' ein niedriger Beruf, dem nur der reiche und große Kaufmann (wozu aber etwas mehr gehört, als man sich einbildet) entgehen kann. – Ist es aber beschlossen, daß er Kaufmann werden soll – (wozu freilich nicht seine eigene Neigung, sondern sein eigner fester Entschluß, dessen er bald fähig werden muß, gehört), so zweifle ich, ob es für ihn vortheilhaft ist, hier zuerst eine Lehrstelle zu bekommen, in einer Stadt, wo der übertriebenste Luxus und ausgelassene Sittenlosigkeit selbst bis auf die Kaufmannsburschen herab sich verbreitet. Ich bin bei einigen hiesigen Kaufmannsleuten gut angeschrieben, durch die ich ihm auf jeden Fall eine Stelle bekommen kann, aber hier? – Dazu kann wenigstens ich nicht rathen. –
Noch etwas, was ich nicht zurückhalten kann. Sie sind nun von Ihrem bisherigen Gehülfen verlassen, und der Sommer, und damit Ihre überhäuften Geschäfte rücken allmählich wieder heran. Vermag ich also etwas über Sie, so bitte ich Sie so angelegentlich als ich kann, doch den Antrag von meinem Compromotional Beck zu benützen. Er ist ein guter Mensch, der in Ihrem Haus nicht den geringsten Rumor machen wird, eifrig auf's Predigen und noch eh'er von Tübingen wegkam, in allen Pastoralarbeiten, besonders Krankenbesuchen, die er in Tübingen aus freien Stücken machte, geübter, als mancher nach langejähriger Amtsverwaltung. Ich bin gewiß, daß Sie mit ihm zufrieden sein werden, und Sie sind es vor allem Ihnen selbst schuldig, bei herannahendem Alter Ihre kostbaren Kräfte immer mehr zu schonen. Auch kann Ihnen jetzt weder Kapf noch Hochstetter (mit denen Sie freilich viel weniger, als mit Beck, versehen gewesen waren), Verlegenheit machen, da, so viel ich weiß, beide ihr Geschäft haben.
Der Landtag eröffnet sich nun doch? – und Prof. Spittler wird – Geheimer Rath? Vortrefflich, wenn es wahr ist. Solch' ein Mann kann vielleicht den Schurkereien eines bornirten Schreibers, der jetzt à la tête des affaires in seinem dummen Wahne das Staatsruder leiten zu können glaubt – Einhalt thun.
Mit tausend Wünschen für Ihr fortdauerndes Wohlbefinden, und Hoffnung, Sie werden mir gewiß meine letztere Bitte gewähren
Ihr gehorsamer
Fritz.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 4. Februar 1797
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Joseph Friedrich Schelling ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 114‒116.

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