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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Joseph Friedrich Schelling, Gottliebin Maria Schelling TEI-Logo

Theuerste Eltern!
4. Sept. 97.
Wenn Ihnen der lange Verzug meiner letzten Antwort Sorge verursacht hat, so will ich jetzt auf Ihr letztes Schreiben desto schneller antworten, unerachtet ich hoffe, daß Sie indeß bereits den Brief erhalten haben, der den Ihren ohne Zweifel durchkreuzt hat. Endlich habe ich zwölf Exemplare meiner Schrift nach Stuttgart schicken können; ich habe sie dort an Süskind adressirt, dem ich, weil ich nicht an den Onkel dachte, den Auftrag gab, ein Exemplar dem Dir. R. zu überreichen, die übrigen beim Secretariat abzugeben. Wenn Sie glauben, daß der Onkel es übel nimmt, daß der Brief nicht durch ihn an seine Behörde kommt, so bitte ich Sie, beiliegendes Briefchen an Süskind zu schicken, der die Commission gerne abtreten wird. Dann aber muß der Onkel auch ein Exemplar haben. Dazu reicht aber die Zahl nicht zu, sechs kommen ins Consistorium, drei sind nach Tübingen bestimmt, zwei bleiben noch in Stuttgart und eins ist für Sie. Süskind wird Ihnen vier Exemplare zuschicken, wovon ich Sie bitte, drei ungeheftet oder geheftet nebst den beiliegenden Briefen (aber alle zugleich) nach Tübingen zu schicken. Sollte etwa einer der Consistorialräthe abwesend sein oder Bernhard abgehen, so kann der Onkel das sechste Exemplar behalten. Ich bitte Sie, lieber Vater, in den nach Tübingen bestimmten Exemplaren statt Theologie am Ende der Vorrede (die ich nicht selbst corrigiren konnte) Teleologie zu corrigiren. Der Brief an Dir. R. wird, hoffe ich, Ihren und seinen Beifall haben – Ihren, weil Ihnen die Satire unschuldig erscheinen, seinen, weil er sie nicht verstehen wird.
Nun muß ich Sie noch fragen, ob Sie nicht für nöthig halten, daß ich auch Exemplare ins Ministerium schicke und ob ich nicht etwa an Spittler schreiben solle. Ich möchte wissen, ob man wohl bei seinen Planen auf diesen Mann rechnen dürfte?
Zugleich bitte ich Sie, lieber Vater, mir mit dem Postwagen (denn alsdann dürfen Sie das Paket nicht frankiren) folgende Disputationen zu schicken, wenn Sie dieselben etwa haben sollten:
Ploucquet de natione Vitae,
Ploucquet de mensura virium,
Ploucquet de Hylozoismo,
auch wenn Ploucquet sonst etwas über die Physik geschrieben hat. Ferner: Kies (auctore Koestlin) de effectibus electricitatis in corpora organica Tub. 1775. Gmelin de irritabilitate. Ich erinnere mich freilich in diesem Augenblick, daß Sie alle Ihre Disputationen zusammengebunden haben und daß es zu viel gefordert ist, wenn ich Sie bitte, dieselben (in Rücksicht, daß sie wieder eingebunden werden können) auszuschneiden. Ich wünschte diese Disputationen zu haben, weil ich an einer Theorie des thierischen Lebens arbeite. Auch wenn Sie sonst etwas hätten, das dahin einschlägt!
Für Karl immer noch nichts! – Wenn ich die Leute ansehe, denen er sich gleichstellen soll, die ihn eine Zeit lang hudeln dürfen und unter denen er wenigstens sein ganzes Leben zubringen wird, und dagegen seine Talente halte, so dauert er mich wegen seines Entschlusses in der Seele. Wenn er sich der Medicin widmet, so ist er in sechs bis sieben Jahren ein gemachter Mensch. Diese Wissenschaft hat in kurzer Zeit so große Fortschritte gemacht und wird bis er anfängt zu studiren, so einfach sein, daß er in wenigen Jahren Meister davon sein kann. Wie glücklich schätzte ich mich, diese Wissenschaft noch jetzt studiren zu dürfen, so wie ich sie auch wirklich zu studiren angefangen habe. – Ob es in diesem Fall gut wäre, ihn einer Witwe als Kostgänger ins Haus und unter die Zucht des Onkels in Blaubeuren zu geben, ist noch eine Frage, über die ich mir einige Bemerkungen erlauben würde.
Es soll mich sehr freuen, wenn Bernhard Prälat und Bök noch aufgespart wird. Ich gestehe Ihnen, daß wenn ich die geringste Aussicht im Ausland habe, ich sie dem Repetenten-werden vorziehe, wenn man mich nicht zugleich zum Professor macht. Bin ich einmal so weit, so soll es mich wenig kosten, den erbärmlichen Schächer Schott so herunterzulesen und herunterzumachen, daß man sich schämen wird, ihn mir (so jung ich auch bin) vorzuziehen. Ich vertraue Ihnen hier einen Plan, der Ihnen vielleicht chimärisch dünkt. Indeß bitte ich Sie, wenn Sie zum voraus für diesen Plan etwas wirken können, nichts zu versäumen.
Ich mußte in größter Eile schreiben und es bleibt mir nichts weiter übrig, als Sie insgesammt zu grüßen.
Ihr
Fr.
N. S. Den Abend, da dieser Brief auf die Post soll, erhalte ich noch Ihr Schreiben. Ich kann nur einige Worte hier beisetzen.
An die drei nach Tübingen gegangenen Exemplarien dacht´ ich nicht. Es steht bei Ihnen, wie Sie die Sache nun arrangiren wollen. An Bölk hab´ ich nicht geschrieben, weil ich niemand gerne schreibe, der nicht antwortet. Glauben Sie, daß es nöthig ist, so sein Sie so gütig, ihm ein Exemplar nebst ein Paar Linien zu schreiben. Ich muthe Ihnen bei Ihren vielen Geschäften viel zu, allein ich kann jetzt nicht anders. – Wegen dem Professorat in Tübingen werden Sie wohl gescherzt haben. Sie wissen doch wohl, daß Schott da ist. Ebendeßwegen, wenn Sie wollen, daß ich im Vaterlande angestellt werde, ist es nöthig, mir durch eine Stelle im Ausland den Weg zu einem Professoral anstatt der Repetentenstelle zu bahnen. Bin ich einmal Prof, extraord., so soll Schott seine liebe Noth kriegen. Von einer Begleitung meines Eleven nach Wien ist also ohnehin keine Rede. Denn diese führt mich doch zu nichts – interea ruit hora. Sie haben mich einmal zum Gelehrten erzogen, und müssen jetzt nicht wollen, daß ich auch noch den Weltmann daneben spiele. Eins oder das andere ganz. – Ein alter Hofmeister, der über dem Hofmeisterleben alt geworden, taugt zu nichts mehr. Für die goldene Mittelmäßigkeit ist er verdorben, für die höhere Sphäre zu kurz. Es giebt für mich kein Glück, als in dem Stande, den ich einmal gewählt habe. Ich will nichts und verlange nichts, als studiren zu dürfen. – Wollen Sie, daß ich aufs Vaterland Verzicht thue, ich bin sogleich bereit dazu; wer den Grad von Aufklärung und literarischer Thätigkeit in anderen Gegenden, z. B. Sachsen, kennen gelernt hat, hat wahrlich kein großes Verlangen nach Würtemberg. Aber Ihretwegen und meiner Geschwister wegen will ich dahin. Zur Theologie tauge ich nicht, weil ich indeß um nichts orthodoxer geworden bin. Kriege ich nicht Bök's Stelle, dann adieu Vaterland! – Überdieß ist mir gar nicht zugesagt, daß ich meinen Eleven nach Wien begleiten solle. Dieß alles ist ganz ungewiß und sogar unwahrscheinlich. Also beruhigen Sie sich nur. Ob ich ein halbes Jahr früher meine Stelle aufgebe, als ich sie verliere, oder nicht, ist doch wohl gleichgültig. Verspricht man mir positiv, daß ich mit ihm reisen werde, dann ist es anders. Dieß hat mir aber niemand positiv zugesagt und Sie supponiren es, weil es Ihnen so gefällt. Ich bitte Sie also, ganz ruhig zu sein. Ich habe wahrlich in kurzer Zeit Erfahrungen genug gemacht, um keinen unüberlegten Schritt zu thun. Ehe ich etwas entscheidendes thue, sind auf jeden Fall Sie die Ersten, die darum wissen sollen. Fürchten Sie also nichts.
Was urtheilt man denn von meinem Buche? – Sagen Sie wegen der Literaturzeitung nichts aus, ich habe Flatt's Magazin darin recensirt und dem Herm Herausgeber ein wenig die Meinung gesagt, so doch, daß niemand in Würtemberg auf mich fallen kann. Es ist recht und billig, daß man das Elend aufdecke.
An Gottlieb werde ich schreiben.
Ihr
Fr.
N. S. Es ist möglich, daß Sie durch Süskind noch soviel Exemplare erhalten, als für den Geh. Rath zureichen. In diesem Fall bitte ich Sie, dieselben binden zu lassen, und ein Brief soll gleich folgen, sobald Sie mir schreiben an wen.
Nachts 1 Uhr.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 4. September 1797
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Joseph Friedrich Schelling · , Gottliebin Maria Schelling ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 120‒125.

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