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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Joseph Friedrich Schelling TEI-Logo

Leipzig, November 97.
[Der Anfang des Briefes fehlt]
– – – Hätte nicht der November Wolken und Nebel über Leipzig herbeigeführt, so hätte mich der Genuß der frischen Luft längst ganz gesund gemacht. Denn im Zimmer, wo die Bilder der Krankheit mich umschweben, bin ich krank in der Meinung. Meine körperlichen Kräfte sind alle wieder da, ausgenommen die des Kopfs, der nicht nur den größten Theil des Haars verloren hat, sondern auch innerlich sich noch geschwächt fühlt. Die letzten Tage des Octobers habe ich benützt, einigemal auszufahren, einige schöne Tage, die der Vollmond gebracht hat, auszugehen, und bald hoffe ich, bei jeder Witterung und zu jeder Tageszeit ausgehen zu können.
Ohne Scheu würde ich Ihr gütiges Anerbieten, mir Geld zu schicken, annehmen, wenn ich es nöthig zu haben glaubte. Ich hoffe aber, daß die Vormünder meiner Eleven mir die Kosten der Krankheit abnehmen werden. Dieß ist wenigstens höchst billig, da ich Ihnen erklärt habe, daß ich bis jetzt ohne anderweitigen Zufluß mit meinem Gehalt nicht ausgereicht hätte (Ihnen wird das vielleicht unbegreiflich, weil Sie weder die hiesige Lebensart noch die hiesigen Preise kennen und nicht wissen, daß die hiesigen Verhältnisse mich nöthigten, mich von Fuß aus neu zu equipiren). Ich habe bisher von anderwärts verdientem Geld gerade so viel zugegesetzt, als die Kosten der Krankheit betragen werden, denn noch hab' ich sie nicht berechnet. Indeß hat Riedesel, der bei meiner Krankheit die Rechnung übernahm, alles für mich ausgelegt. – Die Langsamkeit, mit der die Vormünder alles unter sich verhandeln, läßt mich hoffen, daß die Entscheidung darüber vor Ostern nicht kommen wird, wo ich dann im Stande sein werde, im Nothfall selbst zu bezahlen.
Nun kommt aber noch ein neuer Umstand hinzu, den ich erst seit gestern gewiß weiß. Es ist höchstwahrscheinlich, daß ich noch vor Ostern einen Ruf als Professor der Philosophie nach Jena erhalte. An sich hat er nichts Reizendes, da man mir nur einen künftigen Gehalt verspricht. Unter den gegenwärtigen Umständen aber fühle ich mich sehr geneigt, ihm zu folgen, vorausgesetzt, daß ich Ihre Einwilligung erhalte. Denn was 1) mein Fortkommen betrifft, so tragen mir allein meine Arbeiten an Journalen, besonders wenn ich ihnen mehr Zeit als bisher widmen kann, mehr ein, als meine hiesige Stelle, die sonstige philosophische Schriftstellerei nicht gerechnet, die eben jetzt ein sehr lucrativer Artikel ist. – Zudem bin ich gewiß, in Jena nicht nur eine Anzahl Zuhörer zu finden, sondern auch so viel Beifall zu erhalten, daß der Ruf davon ins Vaterland dringt, wohin jetzt Ihretwegen alle meine Wünsche gerichtet sind. Es wäre möglich, gleich bei dieser Gelegenheit das Versprechen, anstatt Repetent Professor zu werden, im Vaterlande zu erhalten. (Abel thut mir seinen Wunsch kund, Einmal gemeinschaftlich mit mir zu arbeiten). Wenn dann nur der 1. Gott den Professor Bök in Tübingen bis dahin erhält, so wird er leicht dahin zu bringen sein, einem Jüngern, der sein Vicarius umsonst sein will, alle seine Lectionen abzutreten; so bin ich im Besitz und ich will sehen, wer mich daraus reißt. Doch das sind Möglichkeiten. Was gewiß ist, ist dieses, daß ich in Jena auch ohne Gehalt vollauf zu leben haben kann (ich könnte mit vierhundert Thlr. leben, kann aber beinah' auf das Doppelte zählen), und daß von dort aus mein Ruhm sich so schnell verbreiten wird, als ich es jetzt, im Hofmeisterleben, nimmermehr hoffen kann. – 2) Höchstwahrscheinlich werde ich bei den Riedesel nur noch anderthalb Jahre Brod finden. Was alsdann anfangen? Repetent werden? Nimmermehr, es wäre denn die höchste Noth. Die Vortheile meiner jetzigen Stelle bestehen allein darin, daß ich, wenn ich will, den Leib mästen und kleiden kann, die Repetitionen und andere Arbeiten mehren sich täglich, da ich die begonnene literarische Carriere nicht verlassen kann, muß ich künftig meine Kräfte über Maß anstrengen etc., es kostet noch kurze Zeit Ausdauer, so habe ich alle meine literarischen Gegner, von denen schon jetzt mehrere verstummt sind, zum Schweigen gebracht, meine philosophischen Principien greifen um sich – ich sehe also nicht ein, warum ich nicht alles anwenden soll, in dieser Laufbahn künftig ungehindert fortzugehen. Ich werde die Vormünder meiner Eleven nicht bitten, die Krankheitskosten zu übernehmen (dazu bin ich zu stolz), aber wenn sie es nicht von selbst und freiwillig thun (da ich unter den Arbeiten für ihre Mündel krank geworden bin und mit Recht fordern kann, daß mein Gehalt vermehrt werde, worauf ich bis jetzt noch nur Versprechungen erhalten habe), so ist klar, daß ich auf ihre Generosite weiter nicht rechnen kann und daß es klüger ist, einem anderweitigen Ruf zu folgen. Übernehmen sie aber die Kosten und der Ruf erfolgt, so überlasse ich es ganz Ihrem Urtheil, was zu thun ist. Weggehen kann ich dann freilich nicht, ohne die Kosten zu erstatten, aber ich bitte Sie, die obigen Bemerkungen wohl zu beherzigen, ehe Sie entscheiden. – Ich habe Ihnen mit Absicht schon jetzt umständlich über die Sache geschrieben, damit, wenn es eintrifft, ich Ihres Willens auf jeden Fall gewiß seie, ohnehin da die Sache schnell entschieden sein muß, wenn ich schon künftige Ostern nach Jena will. Daß ich die Sache im Vaterland so gut als möglich benutzen werde, versteht sich. Noch muß ich Ihnen sagen, daß ich mich um die Vocation keineswegs beworben habe. Es war mir ganz unerwartet, als ich erfuhr, daß Professor Fichte alles anwendet, mich nach Jena zu bringen. Er selbst geht einige Zeit auf Reisen und läßt (als der einige Professor philosophiae, der in Jena Credit hat) eben dadurch mir alle seine Zuhörer, die sich in einigen Collegien auf 200–300 belaufen.
Ich freue mich, daß Ihre Reise nach Blaubeuren (zugleich ein Beweis Ihres vollen Wohlseins) so vergnügt und glücklich war, ebenso sehr, daß Carl für eine Wissenschaft gewonnen worden ist, der ich seit Kurzem so viel verdanke. Indeß hat mich ohnedieß Erfahrung das traurige Leben eines praktischen Arztes kennen gelehrt und ich wünschte daher, daß Carl frühzeitig schon zum künftigen gelehrten Arzt gebildet würde. Daß er brav griechisch und lateinisch lernt, daran wird es wohl nicht fehlen. Wenn ihm nur der Onkel nicht nach seiner Gewohnheit mit allzu vieler Phraseologie und Exerzitien den Geschmack an Sprachen benimmt. Eine Hauptsache ist, daß er die neueren Sprachen, besonders das Französische nicht vernachlässigt, wozu er bei dem Onkel nicht nur, sondern auch bei Professor Breunlin die beste Gelegenheit hat; vor allem aber, daß er den Grund zu einem künftigen gründlichen Studium der Mathematik legt, ohne welche er nie ein großer Mediciner werden kann. Daß er unter den Alumnis Tag und Nacht zubringt, macht mich sehr für ihn besorgt.
Meine überflüssigen Kleider werde ich Ihnen alle durch Schröder, oder, da ich zweifle, daß dieser sich gerne damit belastet, durch Frachtwagen zuschicken.
Jetzt noch kurze Antwort auf Ihre vorhergehenden Briefe. 1) Ich hoffe, die Exemplare meiner Schrift werden indeß ihre Herren gefunden haben. Ich sehe aber aus Ihrem Briefe, daß Sie sich um drei Exemplare verrechnet haben, die ich bestimmt hatte, in Stuttgart zu bleiben. Ich hoffe aber, daß nicht zwölf sondern fünfzehn Exemplare nach Stuttgart gekommen sind, denn von Berlin aus schon gab ich dem Verleger Auftrag, mit den drei Tübinger Exemplaren auch drei nach Stuttgart zu schicken.
Wem das dritte Exemplar bestimmt ist? – Es versteht sich von selbst – Ihnen. Sollten Sie darauf beharren, daß an den Herzog ein Exemplar geschickt wird, so soll Er eins auf Postpapier erhalten. – Für den Geh. Rath sollen die Exemplare nachfolgen, wenn Sie nicht glauben, daß es besser ist, die frühere Schrift zugleich mit einer spätem, die diese Herbstmesse als Anhang erscheinen sollte, nun aber auf die Ostermesse erscheinen wird, zu überschicken, besonders wenn um diese Zeit auch die Frage wegen Jena einfallen sollte. – Nur an Schwab werde ich nimmermehr schreiben; er hat sich in Stuttgart bei jeder Gelegenheit so vornehm gegen mich betragen, daß es mich Überwindung kostete, wenn ich auch nur den Hut vor ihm abziehen sollte. Ich hoffe, seiner nicht zu bedürfen. – Ja, wenn Herzog Carl noch lebte. – – – Ich bin gesonnen, mich an Spittler zu wenden. Haben Sie ihn besucht? und sind Sie bei den Consistorialräthen in Stuttgart gewesen?
2) Es ist Zeit, Ihnen wegen Ihres Manuskripts Rechenschaft zu geben. Ich habe es freilich beklagt, daß ich die Messe versäumen mußte, da die Concurrenz von Buchhändlern (unter welchen ich mehrere ersprießliche Bekanntschaften gemacht habe) so groß ist. Indeß ist damit nichts versäumt. Ausgemacht ist zwar bisher nichts, weil kein Buchhändler, mit dem man an demselben Orte ist, sich auf schriftliche Verhandlung einläßt, die ihm viele Zeit nimmt. So bin ich auch mit Ihrem Manuskript auf künftige mündliche Unterhandlung verwiesen. Ich zweifle keineswegs, es bei Breitkopf, der zugleich Buchdrucker ist, anzubringen. Ein Anderer, der bloß Buchhändler ist, fürchtet sich wegen des Drucks, sobald er die hebräischen und arabischen Buchstaben erblickt.
Überhaupt muß man für eine solche Schrift keinen Alltagsbuchhändler suchen. Breitkopf, vielleicht der solideste Buchhändler in Leipzig, sucht seine Ehre darin, Schriften wie die Ihrigen, zu verlegen und thut es schon deßwegen, damit seine orientalischen Lettern nicht als ein Capital ohne Zinsen daliegen, sintemal dergleichen Bücher immer seltener werden. Überdieß ist er mein sehr guter Freund und Bekannter. Nur hat mich bisher die Feuchtigkeit in der Stadt verhindert, Besuche (besonders sehr weite) in der Stadt zu machen. Indeß habe ich die Sache vorbereitet, und wenn Sie fürchten, daß es zur nächsten Messe nicht fertig wird, so muß ich Ihnen sagen, daß es vor dem Februar die Presse nicht sehen wird. Sie glauben nicht, wie viele Pressen hier sind, (Breitkopf allein hat drei Häuser damit angefüllt) und mit welcher Schnelligkeit gedruckt wird. Bücher, die deutsch geschrieben sind, werden, wenn sie nicht zu groß sind, meist erst in den ersten drei Wochen der Messe gedruckt, weil sie erst in der vierten (der daher sogenannten Buchhändlerwoche) abgeliefert werden. Der Druck meiner Schrift, die doch mittelmäßig groß ist, hat auf mein Begehren, weil ich nach Berlin reiste, vier Wochen vor der Messe angefangen. Ich hoffe, Sie dadurch indeß beruhigt zu haben. Das nächstemal erhalten Sie bestimmte Antwort. Endlich muß ich schließen. Sie sehen, daß das hitzige Fieber geschwätzig macht.
Ihr
Fritz.
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  • Date: erste Novemberhälfte 1797
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Joseph Friedrich Schelling ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 125‒129.

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