Leipzig, den 30. März 98.
Ihr Brief, theuerster Vater, hat mir die größte Freude gemacht. So kann nur der beste Vater für seinen Sohn besorgt sein. Ich erkenne darin die Wünsche, die Sie in Ansehung meiner hegen; wie glücklich, wenn es von mir allein abhinge, sie zu erfüllen! Allein, damit weder Sie noch ich mit leeren Hoffnungen uns täuschen, müssen wir einander gestehen, daß jene Wünsche so bald gewiß nicht erfüllt werden. Was Ihnen Spittler über den Geist des Tübinger Senats gesagt hat, ist so wahr, daß sich nichts dagegen aufbringen läßt. Glauben Sie, daß diesen Menschen daran liege, irgend einen thätigen Kopf, der durch sein Beispiel sie beschämen müßte, neben sich auf kommen zu lassen? –
Ich habe so eben den Tübinger Lectionscatalog gelesen; ist es nicht das Non plus ultra der Dummheit, daß sie ihre Armuth noch öffentlich aufdecken? und welche andere als eigennützige Absichten kann man haben, wenn man wünscht, in Tübingen angestellt zu werden, wo in Vergleichung mit der jetzt überall herrschenden ungewöhnlichen Thätigkeit aller Köpfe die größte Schläfrigkeit herrscht und uns die unentbehrlichsten Anstalten zur Beförderung wissenschaftlicher Cultur fehlen. – Es wäre möglich gewesen, wenn Bök noch einige Jahre seine Stelle behalten und ich etwa eine außerordentliche Professur erhalten hätte, dann den Tübingern seine Stelle abzuzwingen; aber wenn ich jetzt auch nur vor Abel den Gedanken äußerte, Ordinarius zu werden, würde ich ein allgemeines Staunen erregen. Sie werden mir daher verzeihen, daß ich Ihnen keinen Brief an den Senat schicke. Sie können versichert sein, daß höchstens vielleicht Bök (vielleicht aus einer Nebenabsicht, welche zu erfüllen ich nicht die geringste Lust habe), sich für die Sache interessiren, aber als ein furchtsamer Politicus bei dem allgemeinen Widerstand sich sogleich zurückziehen würde. Sollte seine Stelle vacant werden und Sie wollten sich in einem Privatbrief bei Schnurrer (der seinem Brief nach und nach dem zu urtheilen, was er in seinen Briefen an seine hiesigen Correspondenten schreibt, noch immer mein sehr großer Freund ist) — und bei Bök nach der Lage der Sachen erkundigen, so wäre dann wenigstens ich nicht compromittirt; denn ich gestehe Ihnen, daß ich (repulsae nescius sordidae), wenn ich nur die geringste fehlgeschlagene Hoffnung geäußert hätte, gewiß nicht als Repetent nach Tübingen gehen würde. Ich überlasse das alles Ihrer väterlichen Vorsorge und Klugheit, und bitte Sie nur, da Sie als Vater das Recht dazu haben, anstatt meiner, aber nicht in meinem Namen zu agiren. Ich gebe Ihretwegen den Plan nicht auf, anstatt Repetent gleich Prof. extraord. zu werden, wozu ich nicht einmal des Consistoriums, sondern nur des Herzogs und Geh. Raths bedarf; ich zähle dabei auf Spittler, der gut für mich gesinnt scheint und den ich mir auch durch einen Brief nebst Übersendung meiner Schrift noch mehr zu gewinnen hoffe.
Für die Instruction im Kloster giebt es taugliche Subjecte genug – weniger für den Locus und übrige wissenschaftliche Beschäftigungen, zu denen ich mich unter jener Bedingung anheischig machen wollte. Mit dem Repetentengehalt könnte ich bei meinen übrigen Resourcen leicht zuwarten, bis ich auf irgend einem Wege eine vortheilhafte Vocation ins Ausland erhielte, woran es mir nicht fehlen kann, wenn gleich gerade jetzt keine Gelegenheit sich zeigt. Wünschte ich nicht sehnlich, mit Ihnen zu leben, und hätte ich nicht schwache Hoffnung, in Tübingen einen besseren Geist verbreiten und so dem Vaterland nützen zu können, so würde ich nicht einmal diesen Plan haben. – Mit Jena ist vorerst nichts zu machen. Der Minister Voigt in Weimar wollte mir dahin helfen. Die zwei andern Höfe aber, die Miterhalter der Universität sind, machten Schwierigkeiten. Man wollte, daß ich erst ein Halbjahr lang als Privatdocent Vorlesungen in Jena halte und versprach mir unter dieser Bedingung auf nächsten Herbst eine Professur; allein außerdem, daß ich mich nicht so schnell aus meinen bisherigen Verhältnissen reißen konnte, war mir diese Bedingung nicht anständig, und so hat sich die Sache vorerst ganz zerschlagen. – Mit Göttingen ist auch nichts zu machen, weil man dort aller neueren Philosophie Haß geschworen hat, obgleich dort jetzt die Stelle eines Professors der Philosophie vacant ist, die ich nach einigen Jahren gar wohl noch erhalten könnte, da ich doch einige Freunde in Göttingen habe. – Indeß habe ich noch mehrere andere Aussichten, von welchen ich Ihnen noch nichts schreiben will, weil sich noch nichts Bestimmtes darüber schreiben läßt. – Daß Sie den Dir. R. zum Confident in dieser Sache gemacht haben, dünkt mir sehr gewagt. Es ist unglaublich, welchen blinden Haß dieser eingeschränkte Kopf allem Neueren geschworen hat. Wenn er auch gegen Sie nichts geäußert hat, ist er mir doch im Stillen ganz entgegen, um so mehr, da er, Gott weiß warum, mich für einen Menschen hielt, an welchem die Orthodoxie noch Hoffnung hätte, und sich jetzt betrogen glaubt und mich für einen Heuchler hält, da ich ihm doch nie zu jener Meinung Veranlassung gegeben. Sie können versichert sein, daß, wenn es auch nicht an sich unmöglich wäre, daß ich Professor in Tübingen würde, er manibus pedibusque dagegen arbeiten würde, wär´ es auch nur, weil ich so aus den Klauen des Consistoriums käme. – Es ist sonderbar, daß ich eben, da ich Ihren Brief erhielt, eine Recension von Schlossers Scarteke, die Sie in der Allgem. Zeitung finden werden, niedergeschrieben hatte. Wenn der Herr Director ein wenig mehr Verstand hätte, wünschte ich, daß ihm diese Recension in die Hände käme.
Doch genug hievon. Ich überlasse alles Weitere Ihrer Klugheit und Vorsorge.
Ich bitte Sie inständigst, Ihr Manuscript doch ja nicht an Heerbrandt zu geben. Außerdem, daß er es schlecht drucken würde, wird die Schrift auch durch ihn nicht hinlänglich bekannt. Sie können sich ganz gewiß darauf verlassen, daß sie hier hübsch und correct gedruckt wird. Daß Sie etliche Dutzend Freiexemplarien erhalten, versteht sich; ich hoffe, sogar noch mehr zu erhalten. Wenn ich bedenke, daß das Manuscript beinahe ein Jahr schon aus Ihren Händen ist, so müßte ich mich meines gethanen Versprechens bei Ihnen schämen, wenn ich nicht alles angewandt hätte und jetzt gewiß wäre, daß es gleich nach der Ostermesse unter die Presse kommt.
Ich muß jetzt schließen und kann nur noch Ihnen, 1. Mamma, schreiben, daß Sie die Kleider ganz gewiß erhalten. Auf der Post kann ich sie nicht schicken, weil alle sächsischen Postwagen offen sind und ich sie nicht so packen kann, daß sie unverderbt bleiben. Andere Gelegenheiten habe ich bisher nicht gekannt und auch durch andere nicht erfahren können, weil ich, wie Sie wohl selbst einsehen, nicht jedermann vertrauen mag, daß ich – Kleider nach Haus schicke. – Vor dem Sommer aber sollen sie in Schorndorf sein.
Sind Sie denn entschlossen, was Sie mit Gottlieb anfangen, wenn er wirklich frei wird, woran ich immer noch zweifle. Je länger es dauert, desto schwerer, ihn noch auf vernünftige Weise unterzubringen.
Leben Sie wohl und glücklich, beste Eltern. Meine innigsten Wünsche sind für Sie und Ihr Wohlsein. Ich grüße meine Geschwister und bin
Ihr
Fritz.
Ihr Brief, theuerster Vater, hat mir die größte Freude gemacht. So kann nur der beste Vater für seinen Sohn besorgt sein. Ich erkenne darin die Wünsche, die Sie in Ansehung meiner hegen; wie glücklich, wenn es von mir allein abhinge, sie zu erfüllen! Allein, damit weder Sie noch ich mit leeren Hoffnungen uns täuschen, müssen wir einander gestehen, daß jene Wünsche so bald gewiß nicht erfüllt werden. Was Ihnen Spittler über den Geist des Tübinger Senats gesagt hat, ist so wahr, daß sich nichts dagegen aufbringen läßt. Glauben Sie, daß diesen Menschen daran liege, irgend einen thätigen Kopf, der durch sein Beispiel sie beschämen müßte, neben sich auf kommen zu lassen? –
Ich habe so eben den Tübinger Lectionscatalog gelesen; ist es nicht das Non plus ultra der Dummheit, daß sie ihre Armuth noch öffentlich aufdecken? und welche andere als eigennützige Absichten kann man haben, wenn man wünscht, in Tübingen angestellt zu werden, wo in Vergleichung mit der jetzt überall herrschenden ungewöhnlichen Thätigkeit aller Köpfe die größte Schläfrigkeit herrscht und uns die unentbehrlichsten Anstalten zur Beförderung wissenschaftlicher Cultur fehlen. – Es wäre möglich gewesen, wenn Bök noch einige Jahre seine Stelle behalten und ich etwa eine außerordentliche Professur erhalten hätte, dann den Tübingern seine Stelle abzuzwingen; aber wenn ich jetzt auch nur vor Abel den Gedanken äußerte, Ordinarius zu werden, würde ich ein allgemeines Staunen erregen. Sie werden mir daher verzeihen, daß ich Ihnen keinen Brief an den Senat schicke. Sie können versichert sein, daß höchstens vielleicht Bök (vielleicht aus einer Nebenabsicht, welche zu erfüllen ich nicht die geringste Lust habe), sich für die Sache interessiren, aber als ein furchtsamer Politicus bei dem allgemeinen Widerstand sich sogleich zurückziehen würde. Sollte seine Stelle vacant werden und Sie wollten sich in einem Privatbrief bei Schnurrer (der seinem Brief nach und nach dem zu urtheilen, was er in seinen Briefen an seine hiesigen Correspondenten schreibt, noch immer mein sehr großer Freund ist) — und bei Bök nach der Lage der Sachen erkundigen, so wäre dann wenigstens ich nicht compromittirt; denn ich gestehe Ihnen, daß ich (repulsae nescius sordidae), wenn ich nur die geringste fehlgeschlagene Hoffnung geäußert hätte, gewiß nicht als Repetent nach Tübingen gehen würde. Ich überlasse das alles Ihrer väterlichen Vorsorge und Klugheit, und bitte Sie nur, da Sie als Vater das Recht dazu haben, anstatt meiner, aber nicht in meinem Namen zu agiren. Ich gebe Ihretwegen den Plan nicht auf, anstatt Repetent gleich Prof. extraord. zu werden, wozu ich nicht einmal des Consistoriums, sondern nur des Herzogs und Geh. Raths bedarf; ich zähle dabei auf Spittler, der gut für mich gesinnt scheint und den ich mir auch durch einen Brief nebst Übersendung meiner Schrift noch mehr zu gewinnen hoffe.
Für die Instruction im Kloster giebt es taugliche Subjecte genug – weniger für den Locus und übrige wissenschaftliche Beschäftigungen, zu denen ich mich unter jener Bedingung anheischig machen wollte. Mit dem Repetentengehalt könnte ich bei meinen übrigen Resourcen leicht zuwarten, bis ich auf irgend einem Wege eine vortheilhafte Vocation ins Ausland erhielte, woran es mir nicht fehlen kann, wenn gleich gerade jetzt keine Gelegenheit sich zeigt. Wünschte ich nicht sehnlich, mit Ihnen zu leben, und hätte ich nicht schwache Hoffnung, in Tübingen einen besseren Geist verbreiten und so dem Vaterland nützen zu können, so würde ich nicht einmal diesen Plan haben. – Mit Jena ist vorerst nichts zu machen. Der Minister Voigt in Weimar wollte mir dahin helfen. Die zwei andern Höfe aber, die Miterhalter der Universität sind, machten Schwierigkeiten. Man wollte, daß ich erst ein Halbjahr lang als Privatdocent Vorlesungen in Jena halte und versprach mir unter dieser Bedingung auf nächsten Herbst eine Professur; allein außerdem, daß ich mich nicht so schnell aus meinen bisherigen Verhältnissen reißen konnte, war mir diese Bedingung nicht anständig, und so hat sich die Sache vorerst ganz zerschlagen. – Mit Göttingen ist auch nichts zu machen, weil man dort aller neueren Philosophie Haß geschworen hat, obgleich dort jetzt die Stelle eines Professors der Philosophie vacant ist, die ich nach einigen Jahren gar wohl noch erhalten könnte, da ich doch einige Freunde in Göttingen habe. – Indeß habe ich noch mehrere andere Aussichten, von welchen ich Ihnen noch nichts schreiben will, weil sich noch nichts Bestimmtes darüber schreiben läßt. – Daß Sie den Dir. R. zum Confident in dieser Sache gemacht haben, dünkt mir sehr gewagt. Es ist unglaublich, welchen blinden Haß dieser eingeschränkte Kopf allem Neueren geschworen hat. Wenn er auch gegen Sie nichts geäußert hat, ist er mir doch im Stillen ganz entgegen, um so mehr, da er, Gott weiß warum, mich für einen Menschen hielt, an welchem die Orthodoxie noch Hoffnung hätte, und sich jetzt betrogen glaubt und mich für einen Heuchler hält, da ich ihm doch nie zu jener Meinung Veranlassung gegeben. Sie können versichert sein, daß, wenn es auch nicht an sich unmöglich wäre, daß ich Professor in Tübingen würde, er manibus pedibusque dagegen arbeiten würde, wär´ es auch nur, weil ich so aus den Klauen des Consistoriums käme. – Es ist sonderbar, daß ich eben, da ich Ihren Brief erhielt, eine Recension von Schlossers Scarteke, die Sie in der Allgem. Zeitung finden werden, niedergeschrieben hatte. Wenn der Herr Director ein wenig mehr Verstand hätte, wünschte ich, daß ihm diese Recension in die Hände käme.
Doch genug hievon. Ich überlasse alles Weitere Ihrer Klugheit und Vorsorge.
Ich bitte Sie inständigst, Ihr Manuscript doch ja nicht an Heerbrandt zu geben. Außerdem, daß er es schlecht drucken würde, wird die Schrift auch durch ihn nicht hinlänglich bekannt. Sie können sich ganz gewiß darauf verlassen, daß sie hier hübsch und correct gedruckt wird. Daß Sie etliche Dutzend Freiexemplarien erhalten, versteht sich; ich hoffe, sogar noch mehr zu erhalten. Wenn ich bedenke, daß das Manuscript beinahe ein Jahr schon aus Ihren Händen ist, so müßte ich mich meines gethanen Versprechens bei Ihnen schämen, wenn ich nicht alles angewandt hätte und jetzt gewiß wäre, daß es gleich nach der Ostermesse unter die Presse kommt.
Ich muß jetzt schließen und kann nur noch Ihnen, 1. Mamma, schreiben, daß Sie die Kleider ganz gewiß erhalten. Auf der Post kann ich sie nicht schicken, weil alle sächsischen Postwagen offen sind und ich sie nicht so packen kann, daß sie unverderbt bleiben. Andere Gelegenheiten habe ich bisher nicht gekannt und auch durch andere nicht erfahren können, weil ich, wie Sie wohl selbst einsehen, nicht jedermann vertrauen mag, daß ich – Kleider nach Haus schicke. – Vor dem Sommer aber sollen sie in Schorndorf sein.
Sind Sie denn entschlossen, was Sie mit Gottlieb anfangen, wenn er wirklich frei wird, woran ich immer noch zweifle. Je länger es dauert, desto schwerer, ihn noch auf vernünftige Weise unterzubringen.
Leben Sie wohl und glücklich, beste Eltern. Meine innigsten Wünsche sind für Sie und Ihr Wohlsein. Ich grüße meine Geschwister und bin
Ihr
Fritz.