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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Joseph Friedrich Schelling, Gottliebin Maria Schelling TEI-Logo

Leipzig, den 6. Aug. 98.
Eben als ich die Feder ansetzen wollte, Ihnen, liebe Eltern, zu schreiben, erhalte ich Ihren Brief vom 31. Jul. – Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen und Sie um Verzeihung bitten wegen der Äußerungen in meinem letzten Briefe. – Sie werden aber dieselben jetzt entschuldigen, nachdem der Erfolg gezeigt hat, daß ich die Leute gekannt habe, vor denen Sie, unendlich würdiger Mann, meinetwegen (o wie kann ich es Ihnen vergelten!) sich gebückt haben. Wär´ es nun nicht besser, wenn jene Briefe (außer an Schnurrer) nicht geschrieben worden wären? – Doch genug davon! Sie erhalten anbei eine zweite Copie meines Memorials ans Consistorium. Den förmlichen Ruf habe ich indeß erhalten und, weil ich den Ausgang vorausgesehen, bereits angenommen. Ich halte es nicht für nöthig, Ihnen denselben mitzuschicken, denn das Consistorium braucht ihn nicht zu lesen, braucht nicht zu wissen, daß ich vorerst nur als Extraordinarius ohne Besoldung dahin gehe – obgleich es gar nicht fehlen kann, daß ich gleich anfangs das, noch ehe ich nach Jena kam, vakant gewordene Ordinariat erhalte, indem man doch keinen Fremden hin berufen wird, da man mich zu rufen für gut fand, ehe man meiner bedurfte.
Ich bitte Sie, indeß mich bei Schnurrer zu entschuldigen, wenn ich ihm nicht sogleich selbst schreibe – (obgleich ich mich höchlich verwundere, wie schnell er in seinem letzten Briefe zurücktritt, damit auch nicht Einer da wäre, der für mich stimmte) – indem ich eben jetzt im Ausräumen zur bald bevorstehenden Abreise begriffen bin. Ich habe von den beiden Vormündern meine Entlassung mit Bedauern von ihrer Seite und in sehr ehrenvollen Ausdrücken erhalten. Nichts bindet mich mehr an Leipzig. Ich werde also vorher noch eine längst ersehnte Reise nach Dresden machen – denn Ihren Wunsch, liebste Mama, vorher noch Sie zu besuchen, werde ich zwar als Befehl betrachten, sobald Sie darauf bestehen; indeß bitte ich Sie doch, zu bedenken, daß die kurze Zeit, welche mir noch vergönnt ist, größtentheils auf Vorbereitung verwendet werden muß, und daß auch die wenigen Augenblicke, die ich bei Ihnen zubrächte, keine Augenblicke des freien Genusses sein würden, da mir jetzt der Kopf voll ist von dem, was ich in Jena zu thun habe. Dagegen wenn ich dort ein Jahr lang mein Amt versehen und auf einigen errungenen Lorberen eine Zeit lang wenigstens ausruhen kann – dann, dann eile ich zu Ihnen und unsere Freude wird nach längerer Trennung nur um so größer sein. – Ohnehin wird Niethammer (bei dem ich in Jena wohnen werde) im Herbst 1799 mit seiner Frau auch nach Würtemberg reisen, erhält mich Gott bei Gesundheit, so ist dieß die beste Gelegenheit, nach Hause zu reisen. – Ein anderes Anerbieten aber von Ihnen, 1. Mutter, nehme ich dankbar an, wenn Sie mir noch vor dem September ein Bett nach Jena schaffen können – durch Frachtgelegenheit, die sich in Stuttgart oder durch Herrn Schröter erfragen läßt – (es müßte in Herrn Prof. Dr. Niethammer´s Haus adressirt werden) – so befreien Sie mich dadurch von der Noth, in einem Miethbette zu schlafen, worin Gott weiß wer? vorher geschlafen hat. – Ich werde also vorerst wenigstens eine kleine Reise nach Dresden machen und bitte Sie deßhalb, Ihre Briefe, die Sie nach Empfang des jetzigen erst schreiben, unter einer Enveloppe an Herrn Kaufmann Speidel in der Haynstraße allhier (durch welchen sie mir sicher zukommen werden) zu schicken. Sollten Sie auch nach Überlegung obiger Gründe noch darauf bestehen, daß ich noch vorher Sie besuche, so wird es dann Pflicht für mich, und ich werde mein Möglichstes thun, Ihren Wunsch zu erfüllen. In der zweiten Woche des October werde ich ganz gewiß in Jena sein und ich bitte Sie also, um diese Zeit Ihre Briefe mir gerade nach Jena zu schicken. Das Erstemal werden sie wohl meine Wohnung bei Dr. Niethammer darauf bemerken müssen.
Beinahe hätte ich vergessen, Ihnen zu schreiben, daß eine Antwort des Herzogs auf mein Schreiben zugleich mit Ihrem Brief hier angekommen ist – ich schicke es Ihnen hier, da ich doch nichts damit anzufangen weiß, daß es nur nicht gar vollends ins Publicum kommt, damit man auch das als Bewerbung ansehe. – Ich hoffe, Sie haben indeß einige Nachrichten doch von der Art und Weise der Tübinger Wahl erhalten – freilich wollte man an Schnurrer keinen Zeugen haben. Ist denn Flatt schon dabei gewesen? – Ich wünsche nähere Nachricht, nicht um Rache zu nehmen (denn diese ist meinem Herzen fremd), sondern – aus bloßer barer Neugierde.
Eines ist mir leid, daß ich jetzt die Correctur Ihrer Animadversiones nicht weiter besorgen kann. Professor Meißner hat jedoch sein Möglichstes versprochen. Es rückt erstaunend langsam fort, noch weiß ich nicht einmal, ob ich Ihnen den zweiten Bogen noch werde beischließen können. Ehe das Werk ausgegeben wird, sollen Sie alle Bogen bekommen.
Ihr treuer Sohn
Fritz.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 6. August 1798
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Joseph Friedrich Schelling · , Gottliebin Maria Schelling ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 158‒160.

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