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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Joseph Friedrich Schelling, Gottliebin Maria Schelling TEI-Logo

Jena, den 12. Nov. 1798. Liebste Eltern!
Herr D. Paulus ist wohl hier angekommen und hat mir frohe Nachrichten von Ihnen und den Brief gebracht. Ich danke Ihnen für die Nachrichten wegen Ihrer tübinger Reise, sie haben mir freilich wenig Vergnügen gemacht. Es scheint, daß Sie immer noch Hoffnung haben, mich als Professor in Tübingen zu sehen. Ich mag Sie nicht täuschen, und sage Ihnen also, daß mein Lebensplan nach einer ganz entgegengesetzten Seite gerichtet ist. Vorerst lebe ich hier glücklich. Nahrungssorgen werden mich nicht drücken. Mein erstes Privatcollegium, das ich noch dazu in einer Stunde (von 4–5) lese, die eine Menge Collisionen, besonders mit Brodcollegien hat, ist mit 40 Zuhörern besetzt; dieses eine Collegium bringt mir 40 Carolinen ein, wovon allein, wenn ich wollte, ich hier den ganzen Winter leben könnte. Künftig hoffe ich es noch höher zu treiben, und bin sogar ganz gewiß, es höher zu treiben. Indeß habe ich die schönste Muße, habe noch Jugend, Kraft und Muth, und kann in der Stille mich bilden, bis ich plötzlich vor Ihren und der Welt Augen metamorphosirt auftreten kann, wo Sie dann selbst bekennen werden, daß der Lehrstuhl der Logik und Metaphysik in Tübingen eine zu kleine Existenz für mich wäre. Dieser Lebensplan ist entworfen, und unter hohem Ausspicien so, daß er nicht mißlingen kann. Ich werde nächstens Gelegenheit haben, ihn dem Herzog von Weimar selbst vorzulegen. Der Ruf nach Cöln als Professor der Naturwissenschaft ist für mich unterwegs, es versteht sich, daß ich ihn nicht annehme, aber doch als Mittel brauche. Wenn alles reif ist, sollen Sie zuerst davon erfahren. Indeß werden Sie nicht von mir verlangen, daß ich mich enthalte, den tübinger Abderiten und namentlich dem Professor Gaab bei nächster Gelegenheit ein Denkmal zu setzen.
Hier erhalten Sie die Antwort vom Buchhändler Härtel aus Leipzig, wegen Ihres Jesaias. Sie werden daraus sehen, daß er jetzt alles Gute verspricht. Am Treiben von meiner Seite soll es nicht fehlen. Gerne wollte ich die Correcturen mir hierher schicken lassen, wenn es möglich wäre. Aber meine Zeit ist durch das Lesen, und die dem Lesen immer voraneilende Ausarbeitung des Entwurfs, über welchen ich lese, und wovon jetzt 4 Bogen erschienen sind (welche ich Ihnen nebst den folgenden bei nächster Gelegenheit zuschicken werde), so beengt, daß ich den Druck des Werks nur aufhalten müßte. Doch sollen Sie vor Schluß des Werks Aushängebogen erhalten.
Dem Prälaten Bök werde ich gelegentlich selbst schreiben. Gerne wollte ich Ihnen meine Principien vortragen, ich habe es lange gewünscht, aber das Schreiben kostet zu viel Zeit. Da ich im nächsten Jahr Sie ganz gewiß sehe, so wird dieß ein besonderer Gegenstand unserer Unterhaltungen werden können.
Noch bitte ich Sie, sich sobald es möglich ist, nach einem hübschen braven jungen Bedienten für mich umzusehen. Von dem hiesigen Volk mag ich keinen annehmen und doch brauche ich einen. Außer den gewöhnlichen Eigenschaften eines Bedienten verlange ich von ihm noch, daß er lesen und gut schreiben kann. Ist dieß auch nicht, so muß er wenigstens lernbegierig sein, in welchem Fall ich ihm einen Schreibemeister halten werde. Er muß thun, was ein Bedienter zu thun hat, auch einheizen, Stiefel wichsen, Caffee machen, und wo möglich abschreiben. Dafür erhält er 1) frei Logis, 2) 16 gr. d. h. 18 Batzen Kostgeld, wovon er gut leben kann, mich selbst kostet mein Essen wöchentlich einen Thaler, d. h. 9 Batzen mehr. Wird es theurer, so wird ihm verhältnismäßig aufgeschlagen, 3) jährlich 2mal Livree, für den Winter Oberrock, Stiefel und 1 Paar lederne Beinkleider; für den Sommer ein Reitcollet nebst Zubehörde, 1 Hut und ein Paar kleine Stiefel, 4) jährlich 30–50 Gulden Gage, 5) wenn er sich gut aufführt, bleibt er bei mir und bekommt mit der Zeit mehr oder wird weiter empfohlen. Er kann rechnen, daß er mit mir auf Reisen geht.
Ich wünsche, daß es ein Junge von 15–16 Jahren seie, auch daß er sobald wie möglich hierher komme, die Reisekosten bezahle ich. Herr Alle, den ich zu grüßen bitte, ist Ihnen wohl dazu behülflich. Nur daß es ein resoluter und munterer Bursche ist. Können Sie einen solchen noch wohlfeiler erhalten, so ist es mir auch recht. Es sollte mich sehr freuen, wenn er auf die Christfeiertage schon hier wäre, damit ich nicht genöthigt bin, von dem hiesigen Philisterpack einen zu nehmen.
Fast hätte ich das Bett vergessen. Es ist glücklich hier angekommen. Meinen gehorsamsten Dank dafür! Zu erfrieren habe ich keine Noth darin; denn es ist so bleischwer, daß man eher darin ersticken könnte.
Und nun leben Sie wohl, liebe Eltern. Wie immer
Ihr Fritz.
Jena, den 12. Nov. 98
N. S. Die Sache wegen des Bedienten empfehle ich Ihnen angelegentlichst.
Ich habe oben vergessen zu bemerken, daß die 16 gr. nur für Mittagstisch sind. Für Abendessen erhält er noch 8 gr. extra, im Ganzen 1 Thlr., wofür er hier zu Mittag und zu Abend so gut als er es nur erwarten kann, zu essen findet.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 12. November 1798
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Joseph Friedrich Schelling · , Gottliebin Maria Schelling ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 164‒166.

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