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Henrik Steffens to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling TEI-Logo

Freiberg, den 26. Juli 1799.
Verzeihen Sie, lieber Schelling, daß ich erst jetzt Ihnen schreibe. Schon längst wünschte ich zu erfahren, wie Sie sich in Jena befinden, schämte mich aber, durch einen magern, nichtsbedeutenden Brief interessante Nachrichten zu erkaufen. Etwas habe ich indessen aus Jena erfahren. Ein Student – Heise – hatte es auf sich genommen, die Sache mit der Medaille in Richtigkeit zu bringen, in Jena, indeß ich in Berlin mit Medailleur Loos das nöthige verabredete. Aber die Jenaer Studenten sind elende Menschen. Sie beschließen schnell genug, geben aber ihre Entschlüsse eben so schnell wieder auf. Heise und Beyer waren nicht im Stande, so viele zum Subscribiren zu bringen, wie durchaus nothwendig war. Ich hatte in Berlin mit Loos gesprochen, er hatte eine Art von Instruction für die Jenaer aufgesetzt – und nun treten sie zurück. Auf einen zweiten Brief, den ich aus Berlin an Heise schrieb, habe ich gar keine Antwort erhalten. – Die Sache hat mich im hohen Grade verdrießlich gemacht.
Soll ich Ihnen von den jämmerlichen berühmten Philosophen schreiben, die ich auf meiner Reise gesprochen habe – von Platner, der sich gar sehr über die Confiscation des Fichtischen Aufsatzes wunderte, der, wie er sagte, höchst unbedeutend war und gar nichts neues enthielt. – Das alles hatte der Herr Hofrath schon seit längstem gewußt – Von Jakob, sein affectirtes Interesse für Fichte – dessen Sache – es klang wunderbar in Jakobs Munde – die Sache der Gelehrten überhaupt war. – Der Mensch mit seinem flachen täppischen Gesichte widersteht mir wie wenige. – Von Reil, der ebenso unbedeutend aussieht wie seine Philosophie und wo möglich noch dümmer spricht als er schreibt. – Ich gestehe es, ich schätze die Herren zu wenig, um auch nur ein Wort mehr über sie zu verlieren. Ich war in Halle in einem Professoren-Club – einige Herren, die kein Mensch kennt, witzelten über die Fichtische Sache auf eine so dumme und alberne Weise, daß ich mich ihrentwegen tief im Innersten meiner Seele schämte. Ein gewisser Rüdiger – der seinem Äußeren nach für einen Schiffer, seinem Sprechen nach aber höchstens für Matros genommen werden konnte, zeichnete sich besonders aus. Der große Literator – Curt Sprengel – fand, daß Sie, mein lieber Schelling, ein ganz außerordentlicher Schwärmer sein müßten, weil Sie – in unseren aufgeklärten Zeiten – die Träumereien der Alchemisten von einer Weltseele wieder aufwärmen könnten – und die ganze Gesellschaft fand diese Bemerkung sehr klug, tief und richtig. Welche Menschen!
Wie freute ich mich, da ich einige Tage nachher auf dem Postwagen mit einer Krämerfrau aus Leipzig, ein paar Brabanter Kaufleuten und einem Juden in Gesellschaft kam — es waren doch wenigstens vernünftige Leute, mit welchen man ein gescheutes Wort sprechen konnte.
In Berlin lernte ich Schlegel kennen. Ein Mensch, der behaupten kann, die Menschen sollen nicht consequent sein, der bloß von Gedanken und, wie er sich ausdrückt, unmittelbaren Anschauungen lebt, der es Jacobi vorwirft, daß er immer auf einen Punct zurückkommt, weil er, ich bin davon überzeugt, nie einen solchen Punct hatte, von welchem er ausging, und auf welchen er zurückkommen kann. Ich sprach ihn oft, weil ich Tieck bei ihm traf. Er setzte mich nicht wenig in Verlegenheit durch sein ächtschlegelsches Eindringen in mich, meine unmaßgebliche Meinung über – Lucinde zu sagen.
In Berlin blieb ich einen Monat. Mein Aufenthalt hier wurde mir aber durch einen Brief aus Dänemark, in welchem die hohe Direction des Fonds ad publicos usus mir mein Theoretisiren sehr ernstlich vorwarf und mir gnädigst befahl, mich mit dem Hüttenwesen zu beschäftigen, äußerst unangenehm gemacht. – Ich eilte, um die Herren zufrieden zu stellen, hierher und muß nun wenigstens ein Jahr hier bleiben. Dieser Aufenthalt kann mir indessen nützlich genug werden. Hier ist eine gute mineralogische und geologische Bibliothek. Werner, der es weiß, daß ich gegen ihn geschrieben habe, giebt sich alle mögliche Mühe, mich von der Untrüglichkeit seiner Theorie zu überzeugen, indeß Charpentier, der nicht ein Wort von meinem Buche versteht, sich angelegen sein läßt, mich von der Falschheit derselben Theorie zu überzeugen. Auf die Art kann ich binnen kurzer Zeit in die – freilich unbedeutenden – Geheimnisse der heutigen Geognosten eingeweiht werden und dann desto lauter mitsprechen. Die Leute hier ennuiren mich zu sehr, als daß ich ihren Umgang suchen sollte. So lebe ich denn ganz für mich und habe Zeit und Gelegenheit genug, mich mit meinen höheren Planen zu beschäftigen. – Nun ein paar Worte von meinen Ideen über den Magnetismus, Electricität und Verbrennungsprozess des Erdbodens: freilich bis jetzt so gut wie gar nichts.
Ich glaube Ihnen schon gesagt zu haben, daß ich etwas vor hatte ehe ich Jena verließ, und daß ich glaubte, einen Zusammenhang zwischen dem Erdmagnetismus und Elektricität zu finden. Meine Ideen, die ich auf der Reise mit den Erfahrungen, die sich meinem Gedächtnisse darboten – denn Bücher hatte ich nicht – verglich, erhielten immer mehr Wahrscheinlichkeit. Erst hier in Freiberg erhielt ich außer Gehler noch Monnier Loix du Magétisme und eine Menge Reisebeschreibungen. Nur mit unsäglicher Mühe konnte ich einige Schwierigkeiten aus dem Wege bringen und doch auf eine Weise, die mich selbst wenig befriedigte. Ich merkte zuletzt, daß ich auf einem falschen Wege war, und mußte, nach vieler Arbeit, alles aufgeben. – Jetzt habe ich etwas gefunden, was, wie ich gewiß glaube, mich auf die rechte Spur bringen wird. Eine Übereinkunft zwischen den Linien, welche auf Halleis und Lamberts Karten die Abweichung bezeichnen, mit den Linien, die durch das Streichen der Vulkane auf dem nordöstlichen Theil unseres Erdbodens gegen Norden, und auf dem südwestlichen Theil unseres Erdbodens gegen Süden herauskommen. Ebenso finde ich eine Zusammenstimmung, ein gesetzmäßiges Verhältnis zwischen den Puncten der Inclinationen auf Wulckes Karten mit den Orten, wo die Vulkane, die um den Äquator herum angehäuft sind, sich vorzüglich wirksam zeigen. Überhaupt nehme ich jetzt nicht bloß, wie bisher zwei Hauptpuncte der Vulkanität, sondern einen vulkanischen Erdgürtel an, der ungefähr mit 15° südlicher Breite anfängt, und bis 22°–23° nördlicher Breite geht. In dieser lebendigsten Zone unseres Erdkörpers treffen wir den magnetischen Indifferenz-Cirkel unseres Erdbodens, die Hauptwerkstätte der Erdelektricität und des Verbrennungsprocesses. Überhaupt nöthigen mich alle Phänomene, bis jetzt den physischen Äquator höher gen Norden zu legen als den geographischen, sowie alles Land höher gegen Norden hinaufgedrängt ist. Ich bin eben mit einer Karte beschäftigt, auf welcher ich, für mich, die vulcanischen Linien bezeichne, und ich zweifle im mindesten nicht daran, daß ich feste Gesetze dadurch werde ableiten können, daß sich die Anhäufung der Elektricität und Vulkanität um den Äquator durch den höchsten Grad der Inclination u.s.w. so wie das Streichen der Elektricität und Vulkanität durch die Abweichung (auch mit Rücksicht auf die Veränderlichkeit beider) wird bestimmen lassen. Merkwürdig ist es, daß in diesem Gürtel, wo die Hauptquelle alles Dualismus unseres Erdbodens zu sein scheint, auch die interessantesten meteorologischen Phänomene herrschen. Ich werde auf diesen vorzüglich Rücksicht nehmen. Weckt nicht die Sonne, deren Strahlen dort lothrecht hinabfallen, da alle Thätigkeit, und verbreitet von da aus Leben und Wirksamkeit mit ihren Strahlen gegen Norden und Süden? Mir ist die Hoffnung von dem Magnetismus auf die Elektricität, von dieser auf den Verbrennungsprocess und die übrigen chemischen Processe zu kommen, so lebendig geworden, daß ich fast an nichts anderes zu denken vermag und daß eben deshalb meine Muße an diesem stillen Ort mir lieber geworden ist als selbst eine Reise nach Paris, die ich nach einem Jahr viel besser anstellen kann. – Die Gebirge waren mir, ich gestehe es, immer im Wege. Alles ist da doch todt und das kleinliche Leben, das kümmerliche Spiel der Verwandschaften in den Gebirgen ist doch, vergleichen wir es mit der ganzen Masse, höchst unbedeutend. Es ist schwer, sich nicht durch Phänomene, die, indem sie uns so nahe sind, so großungeheuer erscheinen, obgleich sie in Bezug aufs Ganze sehr unbedeutend sind, hinreißen zu lassen, es ist schwer, zumal wenn man eine geognostische Reise macht, immer vor den Augen zu haben, daß die Gebirge, selbst die höchsten, gegen unseren Erdboden sich verhalten wie ein Korn, das eine Linie im Durchmesser hat, gegen eine Kugel, deren Durchmesser anderthalb Ellen ist, daß also das scheinbar todte in dieser dünnen Haut nichts beweist. Hat doch bis jetzt gar kein Geolog eingesehen, daß man sich aus dem engen Kreise der Phänomene, in welche wir selbst mit begriffen sind, losreißen und sich einen Standpunkt außerhalb der Erde wählen muß, um diesen umfassen zu können. – Ich glaube Versteinerungspuncte auf unserem Erdboden zu finden (analog mit den Verknöcherungspuncten in den animalischen Körpern). Von dem Granite aus ist ein versteinernder Bildungstrieb unaufhörlich wirksam, der gegen das eigentliche Lebendige immer ankämpft und ich sehe eine Periode voraus, wo unsere Erde vor Alter sterben könnte. Verzeihen Sie mir diese Schwärmereien, die doch nach dem, was ich schon weiß und was ich, wenn ich es geordnet habe, Ihnen mittheilen werde, wohl mehr als das ist.
Ich arbeite an einer Kritik der heutigen Geologie (die Wernersche, de Luc´sche, Delametrie´sche), die als der erste Theil meiner Beiträge zur Physiologie des Erdbodens zur Ostermesse erscheinen wird, und in welcher ich die Herren erst mit ihren eigenen Principien bestreiten werde und dann diese Principien selbst untersuche.
Sagen Sie mir aber, was ich mit meiner Abhandlung, die mir selbst so kleinlich vorkömmt, anfangen soll? Man hat sie ohne mein Wissen in Dänemark gedruckt. Freilich kann ich Ihnen versprechen, etwas zu liefern; aber ich muß Zeit haben. Grüßen Sie Rittern und sagen Sie ihm, daß ich mit der nächsten Post an ihn schreiben werde. Wie lebt Fichte ? und wie befinden Sie sich? – Wenn Sie mir eine kurze Zeit schenken könnten, wäre es mir sehr lieb. Vielleicht kann ich im Herbst einen Besuch in Jena ablegen. Mit wahrer Rührung gedenke der mir so wichtigen Zeit die ich mit Ihnen verlebte.
Ihr Freund
Steffens.
Ich wünschte recht sehr zu wissen, was man mit der scandaleusen Metakritik zu machen gedenkt.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 26. September 1799
  • Sender: Henrik Steffens ·
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Freiberg · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 175‒179.

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