Freiberg im Sept. 1799.
Sie müssen diese wenigen Zeilen nicht als Antwort auf Ihren letzten mir so angenehmen Brief ansehen. Ich schreibe hauptsächlich nur, um mich zu entschuldigen, wenn ich ein nur gar zu voreilig gethanes Versprechen nicht zu erfüllen im Stande bin. – Wie gern ich, eben jetzt, nach Jena reisen möchte, können Sie sich leicht vorstellen – Ich brauche gewiß nicht weitläufig zu versichern, daß ich die langweiligen Stunden in Freiberg mit den reichhaltigen in Jena von Herzen gern vertauschen möchte. Aber ich habe alle Einrichtungen so getroffen, daß ich um Weihnachten gewiß nach Jena komme.
Die Einleitung zu Ihrem Entwurf ist mir äußerst interessant und wichtig gewesen. Die Auseinandersetzung des Gegensatzes zwischen Anschauung und Reflexion hat mir Licht gegeben, wo ich freilich den wahren Sinn zu fassen glaubte, wo aber doch immer eine gewisse Dunkelheit zurückbleibt, die ich beim ersten Durchstudieren Ihres Entwurfs nicht vertreiben konnte. So ist mir die entgegengesetzte Richtung Ihrer Untersuchung in der Einleitung von der Thätigkeit nach dem Hervorgebrachten auch darum so wichtig gewesen, weil sie mich überzeugt hat, daß ich die wahre Tendenz Ihrer rein wissenschaftlichen Speculation schon vorher gefaßt hatte. Ich gehe den Entwurf mit der Einleitung jetzt zum drittenmal durch und – Sie werden das, was ich hier mit wahrer Freude über die mancherlei zum Theil unerwarteten Entdeckungen, die ich mache, sage, nicht für kahle Schmeichelei halten – erstaune über die Tiefe und den Reichthum des Systems. Wie vieles, was ich bis jetzt schlechthin annahm, weil sich mir die Nothwendigkeit der Annahme bewußtlos aufdrängte, wird hier bewiesen, wie vieles, was ich nur dunkel ahndete, kommt mir hier mit einer Klarheit entgegen, vor der ich fast erschrecke. – Wahrlich ich wollte fast wünschen, daß Sie meine Collegien-Hefte aus Kiel einmal haben. – Welch ein dunkles, bewußtloses Ringen nach dem Unbekannten, das mir immer aus einer wunderbaren Ferne entgegenstrahlte, und floh, wenn ich es ergreifen wollte. – Mein elendes Buch über die Mineralogie etc. ist nur deshalb so elend geworden, weil ich nicht Muth hatte, das auszusprechen, was ich dachte. – Hier aber, wo ich von allen Zerstreuungen, von allem Geräusch entfernt, meine alten Träume über die Natur wieder hervorrufe, meiner vormals gebrauchten Bildersprache mich erinnere, und die Auflösung aller dieser wunderbaren Räthsel in Ihrer Naturphilosophie finde, hier fühle ich so ganz deutlich, daß ich Ihr Schüler werden mußte. Ich behalte mir vor, über einige Räthsel, die noch immer Zurückbleiben, über andere, die ich in Ihrer Naturphilosophie zuerst aufgestellt aber nicht enträthselt finde, mich mündlich mit Ihnen zu unterhalten.
Je hellere Blicke ich in das Innere Ihres Systems thue, desto einleuchtender wird es mir, daß nichts isolirt erklärt werden kann, weil nichts isolirt existirt, sondern nur als thätiges Glied des ungeheuren Thiers; daß die Physiologie des Menschen, und wenn auch die Anatomie, das chemische Analysiren der Bestandtheile, das physiologische Experimentiren selbst noch so weit gedeihen sollte, erst dann völlig verstanden wird, wenn wir eine Physiologie des Universums, eine aus dieser abgeleitete Physiologie des Erdkörpers haben; desto wichtiger – desto heiliger möchte ich sagen, kömmt mir dann mein Geschäft vor. Da ich den Weg der Induction gehe, so kann ich vors erste freilich nichts anderes thun, als Gesetze für das Verhältnis der verschiedenen Phänomene zu einander aufsuchen, und das thue ich denn, als wenn ich an gar keinen höheren Zweck dächte. Von dieser Beschäftigung, die mir immer lieber wird, schreibe ich Ihnen – wenn ich wirklich antworte – und die Abhandlung werde ich gewiß um Weihnachten mitbringen. Alle meine bisherigen geologischen Untersuchungen haben mich genöthigt, mich mit der Meteorologie bekannt zu machen. Ich habe De Luc wieder durchstudiert und bin jetzt mit Volta beschäftigt; aber großer Gott! welch ein Chaos ist die Meteorologie. – Selbst das erste, was man kennen müßte, die Art der Verbindung der Gasarten in der Atmosphäre – ist noch ein Räthsel. – Es fiel mir ein, daß das Experimentiren mit den bösen Wettern in den Gruben vielleicht etwas Licht geben könnte. – Freilich sah ich ein, daß hier viele Nebenumstände – wie Oxydationen, die vor sich gehen können, Wasserzerlegungen, Ausdünstungen des Hydrogens aus den unterirdischen Pflanzen, Entwicklung des Kohlenstoffgases aus mehreren Gebirgsarten, die atmosphärische, hier eingeschlossene Luft verändern müßten. – Aber die Vermuthung des Humboldt, daß der Kohlenstoff den Sauerstoff binden und ein übersaures kohlensaures Gas bilden könnte, gab mir vor allen Muth. – Die Vermuthung ist mehr als wahrscheinlich. Bei einigen Versuchen, die man hier mit dem Humboldtschen Rettungsapparate anstellte, hat man eine Luft gesammelt, die den Sammelnden sehr beschwerlich fiel, in der kein Licht brannte und die doch nach Lampadius Analyse aus 24,6 Sauerstoffgas, 68,5 Stickstoffgas, 3,9 Kohlenstoffgas bestand – also völlig dieselben Bestandtheile hatte als die atmosphärische Luft. – Ich habe mir vorgesetzt, mehrere Versuche mit diesen und einigen andern bösen Wettern anzustellen. – Kann diese Gasart dem Lichte ausgesetzt sich verbessern? Vermag auch Stickstoffgas im Finstern Sauerstoff zu binden? Wird überhaupt Salzsäure im Finstern durch Kohlenstoffgas ihres überflüssigen Sauerstoffs beraubt? Die Resultate dieser Versuche könnten weiter führen. – Herrscht nicht in unsrer Atmosphäre (durch Hülfe des Lichts als belebendes Princip) ein immer anfangender und nie vollendeter chemischer Process? Ist nicht die positive Electricität unsrer Atmosphäre eine Folge dieses Zustandes? Ein allgemein bekanntes Phänomen – daß die Pflanzen des Tages Sauerstoffgas, des Nachts Kohlenstoffgas ausatmen, hätte uns längst darauf aufmerksam machen sollen, daß die Abwesenheit des Lichts eine Bindung des Sauerstoffs befördere. – Der Dualismus des Tages und der Nacht, der Einfluß der verschiedenen Tageszeiten auf verschiedene Thiere und Pflanzen würde – wie mir scheint, weit heller auseinander gesetzt werden können, da das Licht doch immer nur durch das Medium der Atmosphäre auf uns wirkt. Die Eintheilung der Thiere und Pflanzen in Tag- und Nachtthiere und Pflanzen deutet also auf das merkwürdige Verhältnis ihrer Organisation zu dem Zustand der Atmospäre. – Vor allem würde aber die Meteorologie gewinnen. Ich habe mir ein Humboldtisches Eudiometer verschrieben und werde mir auch ein Saussuresches Hygrometer und Voltaisches Electrometer anschaffen. Es ist noch vieles zu bemerken. Da, wo das Gestein viel Kohlenstoff liefert, scheint der Stickstoff fast ganz zu verschwinden. Man hat nichts als reines Kohlenstoffgas. Überhaupt kann ich die Hoffnung nicht aufgeben, durch fortgesetzte Versuche selbst über diesen räthselhaften Stoff Aufklärungen zu erhalten. Noch mehr – das Kohlenstoffgas scheint auch als Gas wie eine hygroskopische Substanz zu wirken. – Wenigstens bleibt es mir sonst unbegreiflich, wie das Kohlenstoffgas zuweilen als ein sichtbarer Nebel auf der Sohle bleiben kann. Wo die bösen Wetter aus Kohlenstoffgas bestehen, spürt man immer eine ungewöhnliche Kälte (kalte Wetter nennt man sie). Rührt dieses nicht daher, daß das Wasser, indem es durch seine Verwandtschaft zum Kohlenstoffgas dazu gezwungen, sich in Gas verwandelt, eine Menge Wärmestoff verschluckt? Kann dieser Wärmestoff nicht wieder, durch irgend einen Umstand, frei werden, und das Kohlenstoffgas, von Wasserdünsten umhüllt, als Nebel auf der Sohle erscheinen? Sie sehen, daß hier ein großes Feld für Versuche ist. Um einige Tage werde ich anfangen, ich habe schon alle Anstalten getroffen. – Wahrlich, ich wundere mich darüber, daß Humboldt nicht die Wichtigkeit dieser Versuche einsah, die mir so einleuchtend zu sein scheint.
Sie werden jetzt selber einsehen, wie wichtig mir Ihr letzter Brief sein mußte, wie überraschend die Blicke in die höhere Natur – wo Sauerstoff als das –, Licht das + und Electricität als der Urtypus aller Qualität erscheint. – Das nächste Mal mehr davon.
Ich habe Hardenbergen kennen gelernt und soll ich es gestehen, es hat mich nicht so sehr gefreut, wie ich geglaubt hatte. Er ist ein geistvoller Mensch; aber er hat mich von neuem davon überzeugt, daß selbst die geistvolleren Menschen unseres Zeitalters wenig Sinn haben für wissenschaftliche strenge Consequenz. – Er will nicht eine Urduplicität, sondern einen Urinfinitismus der Natur haben – so wenig versteht er die eigentliche Tendenz der Naturphilosophie. – Seine Denkungsart scheint mir zu jenem fragmentarischen Wesen, wo man die Natur gleichsam auf witzigen Einfällen zu ertappen sucht und alles nur auf ein regelloses Zusammenhäufen solcher Einfälle hinausläuft, kurz: auf Schlegelianismus der Naturwissenschaft zu führen.
Ich muß Wernern Gerechtigkeit widerfahren lassen. – Man hat ihn gräßlich mißverstanden. Diejenigen erbärmlichen Menschen, die seine Hefte drucken ließen, haben ihn durchaus nicht verstanden, und obgleich ich ihn nicht mit Hardenberg einen Goethe im Beobachten nennen möchte, so kann man doch nicht leugnen, daß er einige herrliche Sachen gesammelt hat.
Jetzt nur noch ein paar Worte über den Vorschlag des Hrn. Grönland, der wirklich Schimmelmanns Secretär ist. – Es leidet keinen Zweifel, daß Fichte, wenn er nach Kopenhagen käme, viel Beifall finden würde. Nur käme es darauf an, ob er ganz von selbst, oder vielleicht durch einen Wink von Seiten der Regierung dahin käm; wenigstens so, daß man versichert sein könnte, daß die Regierung seinen Aufenthalt gern sah. Die Ursache, warum ich dieses wünschte, ist folgende: Meine Landsleute sind Abderiten, die strenge Consequenz der F. Philosophie würde ihre gemächliche Ruhe stören und bald würden sie in die Arme des elenden Pädagogen Christiani und des noch elenderen Epicuräers Marezoll eilen. – Es würde sie im Anfange kitzeln, wenn es hieße, – die aufgeklärten Dänen verstehen den allenthalben verfolgten F. zu schätzen – aber lange würde es schwerlich dauern; nun könnte vielleicht ein Teufel ihnen zuflüstern, daß F. ein Deutscher wäre – und es wäre um ihn geschehen. – Die Marezoll, Christiani, alle aufgeklärte Leute, alle Patrioten, und das unermeßliche Heer der politischen Schmierer würden ein fürchterliches Geschrei erheben – die Andächtler würden sich mit ihnen vereinigen, und könnte gleich F. über die Narren insgesammt lachen, so würde ihm die Rolle eines Democrits doch gewiß zuletzt langweilig werden. Käme nun F. ohne einen Wink von Seiten der Regierung oder ohne von den Gesinnungen der Regierung überzeugt zu sein, nach Dänemark, so würde vielleicht eben der übermäßige Beifall des Volks ihn bei der Regierung verdächtig machen, und obgleich man bei uns keinen thätigen Schritt wagen würde – sein Zustand könnte unangenehm werden. Was anderes wäre es, wenn er – nicht eigentlich von der Regierung angestellt – aber doch so, daß er von der Seite sicher war – hinein kam. Denn so sehr ich auch vorher davon sprach, daß sein Beifall nicht lange dauern würde, so könnte doch wohl seine Autorität selbst seinen eifrigsten Gegnern Stillschweigen auferlegen, und allen Schreiern Furcht einjagen. Ich habe nach Kopenhagen – an einen meiner vertrautesten Freunde, der zugleich ein Schüler und zwar ein dankbarer Schüler von F. und ein talentvoller Mensch – auch ein Secretär bei Schimmelmann – an Rist geschrieben und ihm auferlegt, sich – insgeheim durch Schimmelmann nach den Gesinnungen von Seiten der Regierung – und in der Stadt nach den Gesinnungen der Nation zu erkundigen – und erwarte bald Antwort. Ich werde Ihnen dann noch mehr von dieser Sache schreiben können, die – das glaube ich Ihnen versichern zu müssen, bei meinem Freunde sehr gut verwahrt ist.
Wenn ich nach Jena komme, so denke ich Sie mit einem Landsmann – Hrn. Möller, mit dem ich hier zusammen wohne – bekannt zu machen, der Sie mit meinen so eben nicht von mir so vortheilhaft geschilderten Landsleuten – versöhnen wird. Er fängt an die Naturphilosophie zu studieren, hat mir mehrere Ideen zu Versuchen mit den Gasarten gegeben und verdient, von Ihnen gekannt zu werden.
Ich wollte nur einige Zeilen schreiben und es ist ein langer Brief geworden. Wie freue ich mich auf Weihnachten. Leben Sie solange wohl.
Ihr Freund
Steffens.
Sie müssen diese wenigen Zeilen nicht als Antwort auf Ihren letzten mir so angenehmen Brief ansehen. Ich schreibe hauptsächlich nur, um mich zu entschuldigen, wenn ich ein nur gar zu voreilig gethanes Versprechen nicht zu erfüllen im Stande bin. – Wie gern ich, eben jetzt, nach Jena reisen möchte, können Sie sich leicht vorstellen – Ich brauche gewiß nicht weitläufig zu versichern, daß ich die langweiligen Stunden in Freiberg mit den reichhaltigen in Jena von Herzen gern vertauschen möchte. Aber ich habe alle Einrichtungen so getroffen, daß ich um Weihnachten gewiß nach Jena komme.
Die Einleitung zu Ihrem Entwurf ist mir äußerst interessant und wichtig gewesen. Die Auseinandersetzung des Gegensatzes zwischen Anschauung und Reflexion hat mir Licht gegeben, wo ich freilich den wahren Sinn zu fassen glaubte, wo aber doch immer eine gewisse Dunkelheit zurückbleibt, die ich beim ersten Durchstudieren Ihres Entwurfs nicht vertreiben konnte. So ist mir die entgegengesetzte Richtung Ihrer Untersuchung in der Einleitung von der Thätigkeit nach dem Hervorgebrachten auch darum so wichtig gewesen, weil sie mich überzeugt hat, daß ich die wahre Tendenz Ihrer rein wissenschaftlichen Speculation schon vorher gefaßt hatte. Ich gehe den Entwurf mit der Einleitung jetzt zum drittenmal durch und – Sie werden das, was ich hier mit wahrer Freude über die mancherlei zum Theil unerwarteten Entdeckungen, die ich mache, sage, nicht für kahle Schmeichelei halten – erstaune über die Tiefe und den Reichthum des Systems. Wie vieles, was ich bis jetzt schlechthin annahm, weil sich mir die Nothwendigkeit der Annahme bewußtlos aufdrängte, wird hier bewiesen, wie vieles, was ich nur dunkel ahndete, kommt mir hier mit einer Klarheit entgegen, vor der ich fast erschrecke. – Wahrlich ich wollte fast wünschen, daß Sie meine Collegien-Hefte aus Kiel einmal haben. – Welch ein dunkles, bewußtloses Ringen nach dem Unbekannten, das mir immer aus einer wunderbaren Ferne entgegenstrahlte, und floh, wenn ich es ergreifen wollte. – Mein elendes Buch über die Mineralogie etc. ist nur deshalb so elend geworden, weil ich nicht Muth hatte, das auszusprechen, was ich dachte. – Hier aber, wo ich von allen Zerstreuungen, von allem Geräusch entfernt, meine alten Träume über die Natur wieder hervorrufe, meiner vormals gebrauchten Bildersprache mich erinnere, und die Auflösung aller dieser wunderbaren Räthsel in Ihrer Naturphilosophie finde, hier fühle ich so ganz deutlich, daß ich Ihr Schüler werden mußte. Ich behalte mir vor, über einige Räthsel, die noch immer Zurückbleiben, über andere, die ich in Ihrer Naturphilosophie zuerst aufgestellt aber nicht enträthselt finde, mich mündlich mit Ihnen zu unterhalten.
Je hellere Blicke ich in das Innere Ihres Systems thue, desto einleuchtender wird es mir, daß nichts isolirt erklärt werden kann, weil nichts isolirt existirt, sondern nur als thätiges Glied des ungeheuren Thiers; daß die Physiologie des Menschen, und wenn auch die Anatomie, das chemische Analysiren der Bestandtheile, das physiologische Experimentiren selbst noch so weit gedeihen sollte, erst dann völlig verstanden wird, wenn wir eine Physiologie des Universums, eine aus dieser abgeleitete Physiologie des Erdkörpers haben; desto wichtiger – desto heiliger möchte ich sagen, kömmt mir dann mein Geschäft vor. Da ich den Weg der Induction gehe, so kann ich vors erste freilich nichts anderes thun, als Gesetze für das Verhältnis der verschiedenen Phänomene zu einander aufsuchen, und das thue ich denn, als wenn ich an gar keinen höheren Zweck dächte. Von dieser Beschäftigung, die mir immer lieber wird, schreibe ich Ihnen – wenn ich wirklich antworte – und die Abhandlung werde ich gewiß um Weihnachten mitbringen. Alle meine bisherigen geologischen Untersuchungen haben mich genöthigt, mich mit der Meteorologie bekannt zu machen. Ich habe De Luc wieder durchstudiert und bin jetzt mit Volta beschäftigt; aber großer Gott! welch ein Chaos ist die Meteorologie. – Selbst das erste, was man kennen müßte, die Art der Verbindung der Gasarten in der Atmosphäre – ist noch ein Räthsel. – Es fiel mir ein, daß das Experimentiren mit den bösen Wettern in den Gruben vielleicht etwas Licht geben könnte. – Freilich sah ich ein, daß hier viele Nebenumstände – wie Oxydationen, die vor sich gehen können, Wasserzerlegungen, Ausdünstungen des Hydrogens aus den unterirdischen Pflanzen, Entwicklung des Kohlenstoffgases aus mehreren Gebirgsarten, die atmosphärische, hier eingeschlossene Luft verändern müßten. – Aber die Vermuthung des Humboldt, daß der Kohlenstoff den Sauerstoff binden und ein übersaures kohlensaures Gas bilden könnte, gab mir vor allen Muth. – Die Vermuthung ist mehr als wahrscheinlich. Bei einigen Versuchen, die man hier mit dem Humboldtschen Rettungsapparate anstellte, hat man eine Luft gesammelt, die den Sammelnden sehr beschwerlich fiel, in der kein Licht brannte und die doch nach Lampadius Analyse aus 24,6 Sauerstoffgas, 68,5 Stickstoffgas, 3,9 Kohlenstoffgas bestand – also völlig dieselben Bestandtheile hatte als die atmosphärische Luft. – Ich habe mir vorgesetzt, mehrere Versuche mit diesen und einigen andern bösen Wettern anzustellen. – Kann diese Gasart dem Lichte ausgesetzt sich verbessern? Vermag auch Stickstoffgas im Finstern Sauerstoff zu binden? Wird überhaupt Salzsäure im Finstern durch Kohlenstoffgas ihres überflüssigen Sauerstoffs beraubt? Die Resultate dieser Versuche könnten weiter führen. – Herrscht nicht in unsrer Atmosphäre (durch Hülfe des Lichts als belebendes Princip) ein immer anfangender und nie vollendeter chemischer Process? Ist nicht die positive Electricität unsrer Atmosphäre eine Folge dieses Zustandes? Ein allgemein bekanntes Phänomen – daß die Pflanzen des Tages Sauerstoffgas, des Nachts Kohlenstoffgas ausatmen, hätte uns längst darauf aufmerksam machen sollen, daß die Abwesenheit des Lichts eine Bindung des Sauerstoffs befördere. – Der Dualismus des Tages und der Nacht, der Einfluß der verschiedenen Tageszeiten auf verschiedene Thiere und Pflanzen würde – wie mir scheint, weit heller auseinander gesetzt werden können, da das Licht doch immer nur durch das Medium der Atmosphäre auf uns wirkt. Die Eintheilung der Thiere und Pflanzen in Tag- und Nachtthiere und Pflanzen deutet also auf das merkwürdige Verhältnis ihrer Organisation zu dem Zustand der Atmospäre. – Vor allem würde aber die Meteorologie gewinnen. Ich habe mir ein Humboldtisches Eudiometer verschrieben und werde mir auch ein Saussuresches Hygrometer und Voltaisches Electrometer anschaffen. Es ist noch vieles zu bemerken. Da, wo das Gestein viel Kohlenstoff liefert, scheint der Stickstoff fast ganz zu verschwinden. Man hat nichts als reines Kohlenstoffgas. Überhaupt kann ich die Hoffnung nicht aufgeben, durch fortgesetzte Versuche selbst über diesen räthselhaften Stoff Aufklärungen zu erhalten. Noch mehr – das Kohlenstoffgas scheint auch als Gas wie eine hygroskopische Substanz zu wirken. – Wenigstens bleibt es mir sonst unbegreiflich, wie das Kohlenstoffgas zuweilen als ein sichtbarer Nebel auf der Sohle bleiben kann. Wo die bösen Wetter aus Kohlenstoffgas bestehen, spürt man immer eine ungewöhnliche Kälte (kalte Wetter nennt man sie). Rührt dieses nicht daher, daß das Wasser, indem es durch seine Verwandtschaft zum Kohlenstoffgas dazu gezwungen, sich in Gas verwandelt, eine Menge Wärmestoff verschluckt? Kann dieser Wärmestoff nicht wieder, durch irgend einen Umstand, frei werden, und das Kohlenstoffgas, von Wasserdünsten umhüllt, als Nebel auf der Sohle erscheinen? Sie sehen, daß hier ein großes Feld für Versuche ist. Um einige Tage werde ich anfangen, ich habe schon alle Anstalten getroffen. – Wahrlich, ich wundere mich darüber, daß Humboldt nicht die Wichtigkeit dieser Versuche einsah, die mir so einleuchtend zu sein scheint.
Sie werden jetzt selber einsehen, wie wichtig mir Ihr letzter Brief sein mußte, wie überraschend die Blicke in die höhere Natur – wo Sauerstoff als das –, Licht das + und Electricität als der Urtypus aller Qualität erscheint. – Das nächste Mal mehr davon.
Ich habe Hardenbergen kennen gelernt und soll ich es gestehen, es hat mich nicht so sehr gefreut, wie ich geglaubt hatte. Er ist ein geistvoller Mensch; aber er hat mich von neuem davon überzeugt, daß selbst die geistvolleren Menschen unseres Zeitalters wenig Sinn haben für wissenschaftliche strenge Consequenz. – Er will nicht eine Urduplicität, sondern einen Urinfinitismus der Natur haben – so wenig versteht er die eigentliche Tendenz der Naturphilosophie. – Seine Denkungsart scheint mir zu jenem fragmentarischen Wesen, wo man die Natur gleichsam auf witzigen Einfällen zu ertappen sucht und alles nur auf ein regelloses Zusammenhäufen solcher Einfälle hinausläuft, kurz: auf Schlegelianismus der Naturwissenschaft zu führen.
Ich muß Wernern Gerechtigkeit widerfahren lassen. – Man hat ihn gräßlich mißverstanden. Diejenigen erbärmlichen Menschen, die seine Hefte drucken ließen, haben ihn durchaus nicht verstanden, und obgleich ich ihn nicht mit Hardenberg einen Goethe im Beobachten nennen möchte, so kann man doch nicht leugnen, daß er einige herrliche Sachen gesammelt hat.
Jetzt nur noch ein paar Worte über den Vorschlag des Hrn. Grönland, der wirklich Schimmelmanns Secretär ist. – Es leidet keinen Zweifel, daß Fichte, wenn er nach Kopenhagen käme, viel Beifall finden würde. Nur käme es darauf an, ob er ganz von selbst, oder vielleicht durch einen Wink von Seiten der Regierung dahin käm; wenigstens so, daß man versichert sein könnte, daß die Regierung seinen Aufenthalt gern sah. Die Ursache, warum ich dieses wünschte, ist folgende: Meine Landsleute sind Abderiten, die strenge Consequenz der F. Philosophie würde ihre gemächliche Ruhe stören und bald würden sie in die Arme des elenden Pädagogen Christiani und des noch elenderen Epicuräers Marezoll eilen. – Es würde sie im Anfange kitzeln, wenn es hieße, – die aufgeklärten Dänen verstehen den allenthalben verfolgten F. zu schätzen – aber lange würde es schwerlich dauern; nun könnte vielleicht ein Teufel ihnen zuflüstern, daß F. ein Deutscher wäre – und es wäre um ihn geschehen. – Die Marezoll, Christiani, alle aufgeklärte Leute, alle Patrioten, und das unermeßliche Heer der politischen Schmierer würden ein fürchterliches Geschrei erheben – die Andächtler würden sich mit ihnen vereinigen, und könnte gleich F. über die Narren insgesammt lachen, so würde ihm die Rolle eines Democrits doch gewiß zuletzt langweilig werden. Käme nun F. ohne einen Wink von Seiten der Regierung oder ohne von den Gesinnungen der Regierung überzeugt zu sein, nach Dänemark, so würde vielleicht eben der übermäßige Beifall des Volks ihn bei der Regierung verdächtig machen, und obgleich man bei uns keinen thätigen Schritt wagen würde – sein Zustand könnte unangenehm werden. Was anderes wäre es, wenn er – nicht eigentlich von der Regierung angestellt – aber doch so, daß er von der Seite sicher war – hinein kam. Denn so sehr ich auch vorher davon sprach, daß sein Beifall nicht lange dauern würde, so könnte doch wohl seine Autorität selbst seinen eifrigsten Gegnern Stillschweigen auferlegen, und allen Schreiern Furcht einjagen. Ich habe nach Kopenhagen – an einen meiner vertrautesten Freunde, der zugleich ein Schüler und zwar ein dankbarer Schüler von F. und ein talentvoller Mensch – auch ein Secretär bei Schimmelmann – an Rist geschrieben und ihm auferlegt, sich – insgeheim durch Schimmelmann nach den Gesinnungen von Seiten der Regierung – und in der Stadt nach den Gesinnungen der Nation zu erkundigen – und erwarte bald Antwort. Ich werde Ihnen dann noch mehr von dieser Sache schreiben können, die – das glaube ich Ihnen versichern zu müssen, bei meinem Freunde sehr gut verwahrt ist.
Wenn ich nach Jena komme, so denke ich Sie mit einem Landsmann – Hrn. Möller, mit dem ich hier zusammen wohne – bekannt zu machen, der Sie mit meinen so eben nicht von mir so vortheilhaft geschilderten Landsleuten – versöhnen wird. Er fängt an die Naturphilosophie zu studieren, hat mir mehrere Ideen zu Versuchen mit den Gasarten gegeben und verdient, von Ihnen gekannt zu werden.
Ich wollte nur einige Zeilen schreiben und es ist ein langer Brief geworden. Wie freue ich mich auf Weihnachten. Leben Sie solange wohl.
Ihr Freund
Steffens.