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Henrik Steffens to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling TEI-Logo

Dresden (am Elbberge No. 33) den 8. August 1800.
Ich muß Ihnen wohl noch einmal schreiben, nachdem ich (nun in drei Monaten) einen versprochenen Brief erwartet habe.
Was ich in der Sache mit der A. L. Z. gethan habe, werden Sie aus dem Intelligenzblatte erfahren haben. Ich glaubte es thun zu müssen – deshalb that ich es. Was ich da versprach, werde ich halten. – Es thut mir leid, daß ich da Ihren Process erwähnte. Ein allgemeines Gerücht sagte, daß er aufgehoben wäre. Bekannte aus Jena bestätigten es. Frommann widerlegte es wenigstens nicht. Daher der Irrthum. Finden Sie deshalb eine öffentliche Erklärung nöthig, so bin ich erbötig, sie zu geben. Ich bin es Ihnen – wenn Sie es fordern sollten, schuldig. Wegen der Fichtischen Verfolgungssache habe ich Fichte´s schriftliche Erlaubnis. – Was ich nur Ihnen sage – Fichte, Sie, ein jeder ist aus der Sache ausgeschlossen. – Ich stehe für was ich schreibe und ich allein. – So viel von dieser Sache.
Ich wünschte den letzten Theil der Recension umarbeiten zu können, wenn er noch nicht gedruckt ist. Den Schluß wollte ich auslassen, was auf ihn Bezug hat umändern, die allgemeine Wirkung des Magnetismus – in dieser der Sonne durch Vertheilung und Mittheilung weitläufiger anzeigen. – Ich wünschte recht sehr zu wissen, ob es möglich wäre.
Ich bin in die Naturphilosophie ganz versunken. Ein inneres Leben ist mir aufgegangen, über dessen Fülle ich erstaune. – Tag für Tag wird alles mir heller, die Hauptsätze evidenter, die Anwendung leichter. – Ich fühle es, daß ich selbst mir einen Punct fixirt habe. Was ich als Fremdes annahm, ist ganz mein geworden. – Mit dem Erdmagnetismus beschäftige ich mich unablässig. Es ist ein großes – ich möchte sagen ein colossalisches Werk, wenn es so aufgeführt werden soll, daß es Bestand hat. – Was ist Ehrgeiz der Gelehrten? Wenn nicht der Zweck seiner Individualität in dem immer sich fortwälzenden Strome zu erhalten und zu sichern. – Wirken können wir freilich alle. – Was wir thaten, verliert sich – aber seine Individualität als die ewige Quelle bestimmter Wirksamkeit auf immer festzustellen, heißt vergöttert werden, und die Ewigkeit, die ich nicht kenne und nicht glaube – da das ungeheure Thier, das mich gebar – mich auch verschlingen wird, gebe ich für jene auf, die ich erringen kann.
Nichts hat mich so begeistert wir Ihre Transcendental-Philosophie. Ich habe sie vier- bis fünfmal durchgelesen und wieder gelesen. Es ist das umfassendste, was ich kenne – das wahrste System – ein erhabenes Kunstwerk – immer flieht sich, was sich suchen soll – ich gerieth in die fürchterlichste Spannung, verlor mich, um die Welt zu behalten, und wieder die Welt, um mich zu behalten, vergrub mich immer tiefer und tiefer in die Hölle der Philosophie hinein, um von dort aus den Himmel zu schauen, weil ich ihn nicht, wie der dichtende Gott, unmittelbar in meinem Busen habe. – Hier sähe ich nach und nach die Sterne hervortreten — bis plötzlich die göttliche Sonne des Genies aufstieg und alles erhellte. Selten wurde ich in der letzten Zeit gerührt. — Hier aber ergriff mich eine wunderbare Rührung – Thränen der heiligsten Begeisterung stürzten aus meinen Augen und ich versank in der unendlichen Fülle der göttlichen Erscheinung. Nicht eine Stelle in dem Buch war mir dunkel. Es ist das wichtigste Geschenk, der transcendentale Idealismus. – Und hier lege ich – ich darf mitsprechen – den Kranz vor Ihre Füße, den ein künftiges Zeitalter Ihnen sicher reichen wird.
Meine cameralistisch-ökonomische Unbesonnenheit hat meine Finanzen erschöpft. Ich muß meine Reise nach Frankreich aufschieben – und mich diesen Winter nach Göttingen retiriren, weil da eine große Bibliothek ist und ich das finde, was ich zum Erdmagnetismus bedarf. – Erst im October gehe ich hin. – Bis dahin können mich Briefe hier finden. Von den Gebirgsreisen, die ich mache, komme ich immer wieder hier zurück.
Ich muß noch von etwas sprechen, wovon ich lieber nicht spräche. Das Geld habe ich erhalten. – Sie beliebten mir es ohne eine einzige Zeile durch Ihren Bruder zu übersenden, der wohl nicht den Auftrag hatte, über dieses wunderbare Betragen mir irgendeine Auskunft zu geben, weil er es sonst sicher nicht versäumt haben würde. – Sollten Sie es mir übel genommen haben, daß ich mich an Gabler wandte? – Es sollte mir leid thun – und ich kann weiter nichts als bei meiner Ehre versichern, daß ich nicht glaubte, daß ich dadurch in irgend eine Collision mit Ihnen kommen könnte. – Ich würde sonst lieber alles erduldet haben. – Ich darf fordern, daß Sie mir glauben. – Mögen Sie es aufgenommen haben, wie Sie wollen – aufdringen werde ich mich nie. – Ich habe eine Menge naturphilosophische – vorzüglich geologische – Entdeckungen, die ich Ihnen mitzutheilen gedenke. – Ich unterlasse es, weil ich nicht weiß, ob es Ihre Absicht ist, ferner eine Correspondenz mit mir zu unterhalten. – Einen Brief sind Sie mir auf alle Fälle schuldig. So gern ich in Vereinigung mit Ihnen – obgleich immer selbst – arbeiten möchte, so muß ich dem entsagen, wenn es nur durch eine Unterwerfung geschehen sollte, die unter meiner Würde wäre. – Verkennen Sie mich nicht. – Vielleicht thue ich Ihnen Unrecht und dann ist alles nicht geschrieben. – In dieser Hoffnung empfiehlt sich
Ihr Freund
H. Steffens.
Ich höre in diesem Augenblick, daß Auguste gestorben ist. – Es ist schrecklich!
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  • Date: Freitag, 8. August 1800
  • Sender: Henrik Steffens ·
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Bamberg · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 234‒236.

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