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Henrik Steffens to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling TEI-Logo

Dresden, den 1. Sept. 1800.
Ich wollte wünschen, daß Sie nicht eher geantwortet hätten, als nachdem mein letztes – freilich verworrenes – Schreiben angekommen wäre. Ich kann mir´s noch immer nicht vergeben, daß ich Sie zu so unangenehmen Erläuterungen gezwungen habe, und durch das freiwillige Geständnis, daß die Schuld ganz auf meiner Seite lag und in der vollkommenen Überzeugung, daß Sie mir verzeihen werden, was ich mir selbst nicht ganz verzeihen kann – sehe ich die Sache als abgethan an, ohne daß ich nöthig hätte, von etwas so Unangenehmem weiter zu sprechen.
Etwas muß aber genauer erläutert werden. Sie haben das Recht, auf eine genauere Erklärung zu dringen, und ich werde diese mit der größten Offenherzigkeit geben. Als die Zeitschrift herauskam und der erstaunliche Lärm anfieng, wurde natürlicher Weise auch von mir hier und dort gesprochen und man mochte sich fragen: wer doch der Mensch wäre, der so plötzlich hervortrat oder hervorgezogen wurde, von dem man bis jetzt nichts gehört hätte? Mir blieb es nicht unbekannt, daß man öfters darüber spöttelte, daß dieser Unbekannte Ihr – durch Sie selbst als ein solcher angekündigter Schüler und doch zugleich selbstgewählter Recensent war. Ich legte die Stelle, die dazu Anlaß gab, nicht so aus wie die anderen – ich sahe wohl ein, daß Sie damit nur gestehen wollten – es könnten in Ihren Schriften vielleicht dunkle Stellen vorkommen, die einem, der Ihren mündlichen Vortrag gehört hätte, verständlicher als einem andern vorkommen müßten, und die Art, wie Sie meiner weiterhin erwähnten, machte mir´s völlig klar. Indessen will ich nicht leugnen, daß diese Spötteleien mich höchst unangenehm trafen. – Einen gewissen Schriftsteller-point d´honneur besitze ich vielleicht in einem übertriebenen Grade, und eben weil ich meinen größten Stolz darein setzen würde, mich selbst für Ihren Schüler zu erklären, mußte es mir um desto empfindlicher sein, wenn ich vom Anfänge an bloß als ein solcher – ich möchte sagen – ausgeschrieen werden sollte. Es war mir daher nicht unangenehm, daß ich durch Hufeland veranlaßt wurde, mich darüber öffentlich zu erklären, und daß er mir selbst Gelegenheit gab, alles auf ihn zu schieben – um so mehr, da mir Ihre Unschuld völlig evident war. Sie werden in Hufelands Antwort bemerkt haben, daß er fein genug war, den Vorwurf von sich ab und auf Sie hinzuschieben, obgleich es, – wie bei ihm Plumpheit und Feinheit auf eine wunderliche Weise vereinigt ist – auf eine äußerst dumme Art geschah, weil ich ja selbst öffentlich gestand, daß ich Ihre Vorträge gehört und benutzt hätte, um Ihr System vollständiger beurtheilen zu können. – Daß ich dadurch gewissermaßen mit Goethe verglichen werden konnte, mußte mir sogar schmeicheln. – Durch diese öffentliche Erklärung hatte ich nun mein Ehrgefühl befriedigt – es war aber natürlich, daß diese durch Vernunft unterdrückte Empfindung – in einer Stimmung, wie die war, in welcher ich den verwünschten Brief schrieb – wieder erwachen und einige unbesonnene Ausdrücke veranlassen konnte. Indem ich dieses offenherzige Geständnis ablege, kann ich die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, Empfindungen laut werden zu lassen, die mein Verhältnis zu Ihnen, wie ich mir´s denke, völlig aufklären werden. – Von meiner frühesten Kindheit lebte und webte ich in der Natur, all das manichfaltige Leben umfaßte meine Einbildungskraft, zog mich unwiderstehlich an und ich war ein Dichter, wie Raphael ein Maler gewesen sein würde, wenn er ohne Hände geboren wäre. – Mich von der Natur lossagen, das vermochte ich nicht. – Ich entsagte allen Aussichten eines genußreichen Lebens, überwarf mich mit meinen reichen Verwandten und erlebte wunderliche und unangenehme Abenteuer genug – die immer mit einem wahren Künstlerleben, wie mein´s wirklich war, verknüpft sind. Aber es sollte ein neues, wesentliches Unglück meinen bis dahin festen und fröhlichen Muth erschüttern. – Ich suchte unverdrossen alles zusammen, lernte Thiere und Pflanzen und Steine kennen, strich herum in den Gebirgen und auf den Feldern, zu Wasser und Lande, und sammelte vielleicht nicht ganz gewöhnliche Kenntnisse. Das leidige stückweise Theoretisiren steckte mich an, das herrliche Ganze, was von meiner Kindheit meine Seele durchdrang, erstarb mir unter den Händen, es zerfiel in tausend Trümmer und ich suchte vergebens aus dem zerschlagenen Gotte ein Ganzes kärglich zusammen zu leimen. Meine Freude war dahin, alles, was ich noch immer emsig zusammensammelte, – ward mehr eine drückende Last, die mich ängstigte, als ein erworbener Reichthum, der mich erfrischen könnte. Von jetzt an war der innere Frieden verloren, eine wunderliche Unruhe bezeichnete mein ganzes zerstörtes Wesen. Ich warf mich ins Leben hinein, um die Natur zu vergessen; daß dieses mein Unglück vollends beschleunigen mußte, können Sie leicht erraten.– Meine frühere Schrift – sonst in aller Rücksicht mislungen – ist aus dieser Periode und vielleicht nur dadurch merkwürdig, daß man das ängstliche Suchen nach etwas Verlornem, ich möchte sagen aus jeder Zeile lesen kann. Einige meinem Herzen sehr nahe treffende Umstände kamen dazu. Meine Verhältnisse ängstigten mich, das Leben erschien so wunderbar verworren, die schöne herrliche Natur war mir erstorben und nur eine Kraft, ein Trotz erhielt mich noch. – Ich hatte früh Goethe gekannt und konnte seinen Faust auswendig. Ein Strahl der Hoffnung keimte immer, wenn ich ihn las, ich glaubte oft wieder nach dem verlorenen Himmel hinauf steigen zu können; Gott weiß wie? aber immer stellte sich Linnee´s System und Werner´s Oryktognosie und die antiphlogistische Chemie vor mich und zog mich zu meiner Hölle hinab. Jacobi´s Spinoza war mir schädlicher als nützlich. Ich gieng in mich selbst zurück. Ich fühlte wohl, daß die ganze äußere Masse auf mich eindrang, um mich zu vernichten, daß ich mein Dasein erringen müßte, kämpfen müßte um Leben oder Tod. – Aber mit welchen Waffen?
Warum soll ich weitläufig sein? Was kommen wird, können Sie leicht errathen. – Ich lernte Sie kennen. – Es war, als hätten Sie für mich geschrieben, durchaus für mich. – Wie belebte sich die Hoffnung, meine verlorene Jugend wieder zu erleben? Wie klar war mir alles, wie hell, wie einleuchtend! Es war natürlich, daß ich Ihre Philosophie mit einer stürmischen Unruhe ergriff, daß ich das verworrene Gewebe, das mich an die Welt fesselte, nicht auf einmal zerreißen konnte. – Aber allmählich ordnete sich das meiste, was mir im Anfänge Hoffnung war, wurde mir Überzeugung. – Die Welt wurde mir heller, mein eignes Wesen verständlicher und meine Thätigkeit ruhiger und geordneter. Ich fing an, meine Jugend wieder zu leben, die Träume meiner Kindheit wurden mir lieb und das ganze Leben der Natur faßte mich – stärker, unwiderstehlicher als jemals. – Was Ihre Naturphilosophie anfieng, vollendete der transcendentale Idealismus – das Meisterstück Ihres Geistes – das – warum sollte ich verhehlen, was meine innigste Überzeugung mir sagt? das wichtigste philosophische Product unseres Zeitalters. – Wenn auch einige Anfälle mir wieder zustoßen, so sind sie doch mit jenen älteren nicht zu vergleichen, es sind gleichsam die letzten Anstrengungen der Furie, die mich verlassen muß. Im Ganzen genommen lebe ich lebendiger als je. – Ich weiß, daß ich für mein Fach geboren bin.
Ich bin Ihr Schüler, durchaus Ihr Schüler alles, was ich leisten werde, gehört Ihnen ursprünglich zu. – Es ist keine vorübergehende Empfindung, es ist feste Überzeugung, daß es so ist und ich schätze mich deshalb nicht geringer. Ich weiß, daß ich etwas ausrichten werde in meinem Fach. – Die innige Überzeugung, die ich habe, giebt mir die Gewißheit, daß ich überzeugen werde. Dann – wenn ein wahrhaft großes Product da ist, das ich mein nennen möchte, wenn es anerkannt ist, werde ich öffentlich auftreten – mit der Wärme der Begeisterung meinen Lehrer nennen und den errungenen Lorbeerkranz Ihnen reichen! –
Mein Gefühl verhindert mich, das, was ich Ihnen schuldig bin, zu verhehlen, mein Stolz zwingt mich, es laut und öffentlich zu bekennen. Sie werden dieses nicht für Schmeichelei halten. – Ich kann nur für mich stehen, wenn ich das behalte, was mein ist. – Fremdes sich zueignen heißt sich selbst vernichten.
Der Ton, der in Ihrem letzten Brief herrscht, hat mich wahrlich erschrocken. – Sie scheinen – fast möchte ich sagen – muthlos zu sein und ich muß schließen, daß die Verstorbene Sie näher anging, als ich anfangs vermuthete – auch hier wird mir die Erinnerung an sie zu oft durch Madame Ernst erneuert.
Die venerable Recension habe ich gelesen, und ich habe sehr viel Beruhigung, einige Andacht und hinlängliche Erbauung daraus geschöpft. Armer Mann! dachte ich – der hat doch wahrlich einen langen und mühevollen Weg zurückgelegt, um am Ende wieder – Pater Professor zu werden – ob bei der jetzt so salbungsvollen Universität in Kiel oder bei den Barnabiten in Wien, ist am Ende doch dasselbe. Er entrann dem Glauben in Wien, fand den verderblichen Witz und die gefährliche Philosophie in Weimar, zog sich in die innern Tiefen seines Bewußtseins und Vorstellungsvermögens zurück, wo er aber bald Grund und Boden fand und als Fundament für die Philosophie aufstellte – dann winkte ihm der teuflische Idealismus, schon lief er gerade in den Höllenrachen hinein, als man ihn – Gott bewahre eine jede christliche Seele! – zum Gottesleugnen aufforderte – da erschien, noch zur rechten Zeit, ein Heiliger – St. Jacob – und trug ihn sanft ins Kloster zurück! Der Glückliche!
Ernstlich! – seine Reise wird schwerlich viel ausrichten außer bei alten Weibern und ihres Gleichen, die die alte Bemerkung erneuern können – daß alles Denken am Ende zum seligmachenden Glauben führt. – Der Wißbegierige wird sich von einer Philosophie, die vom Wissen nichts wissen will, gewiß nicht irre machen lassen. – Es ist auf dem Kampfplatze ein Kreis gezogen; wer nicht Muth hat da zu bleiben, der geht zu Hause – desto besser! – Was wir nun vollends in den Naturwissenschaften mit dem Glauben des Gewissens anfangen sollen, das mag Gott wissen. – Ich kann Reinholden alles vergeben, aber das gläubige Mönchwitzeln ist mir unerträglich und sein Triumph über das gefundene Unding scheint mir fast eine Niederträchtigkeit zu sein. Sie werden sich erinnern, wie er über die absolute Relativität und die relative Absolutheit – als über etwas, was Ihre Philosophie schlechthin zu Boden stürzte – eine unbändige Freude äußert. Daß ein Mann, der durch den häufigen Philosophiewechsel doch wenigstens – was sich nicht leugnen läßt, eine gewisse philosophische Routine erworben hat – nicht das Erbärmliche dieses Einwurfs fühlen sollte, kann ich mir kaum vorstellen, Ihnen ist ja die Subjectivität das einzig absolute. – Da wir die Natur im Ich finden, so müssen wir auch das Ich in der Natur finden – aber doch immer dieselbe absolute Subjectivität, das schaffende Princip des Alls. Daß wir es erkennen, ist mir begreiflich, weil es sich in uns offenbart, daß wir es als ein Princip des Alls erkennen, ist mir begreiflich, weil es zugleich in Allem ist – daß Alles außer uns uns zu dem Einem in uns führen kann (durch die Naturphilosophie) und das Eine in uns uns zum Allen außer uns hinausdrängen kann, wodurch doch nur dieselbe absolute Vereinigung des Einen und Allen zu Stande kommt – ist ihm ein Unding. – Wahrlich, ich verstehe ihn und seinen Triumphgesang nicht!
Sie erhalten hier eine Fortsetzung desjenigen, was ich Ihnen letzthin zuschickte. – Vielleicht wird Ihnen das Vorhergehende dadurch wichtiger erscheinen. – Mehr nächstens.
Apropos! die Redactoren der Erlang. L. Z. finden, daß ich – einen besondern innern Beruf – zum Recensiren habe. Das ist lächerlich genug! – Wie der Rathgeber in Tieck's Blaubart werde ich am Ende noch der Recensent κατ’ ἐξοχήν genannt werden. Ich habe es angenommen, um Ritter und noch etwas zu recensiren. – Man überläßt mir die Wahl der Schriften ganz und ich bin völlig ungebunden.
Das Exemplar des transcendentalen Idealismus haben Sie mir geschenkt, wofür ich Ihnen danke. Es fehlten aber die Bogen von S. 320–401, die ich noch nicht habe. – Von der Zeitschrift habe ich nur das Exemplar, was Sie mir schickten. – Ich brauche aber auch weiter nichts. – Schicken Sie Ihren nächsten Brief nach Freiberg, wo ich 3–4 Wochen bleibe.
Ihr
Steffens.
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  • Date: Montag, 1. September 1800
  • Sender: Henrik Steffens ·
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Bamberg · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 240‒244.

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