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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Carl A. Eschenmayer TEI-Logo

Bamberg, d. 22 t. 7br. 1800.
Ist es erlaubt, fast ein Halbjahr lang auf einen Brief und auf ein so angenehmes Geschenk, als Ihre von Röschlaub durch Ihre Vermittlung erhaltene Abhandlung ist, zu schweigen? Da ich eben damals als beide mir zukamen im Begriff war, Jena zu verlassen, um den Sommer hier zuzubringen, wurde ich verhindert; kaum hier angekommen wurde ich durch Umstände bestimmt, eine Reise nach dem Vaterland zu machen, wo ich Sie selbst zu sprechen ganz gewiß hoffte, als mich die Kriegsunruhen zwangen, schneller wie ich dachte abzureisen. Seit dieser Zeit aber habe ich in mancher Unruhe gelebt, und erhole mich nur eben von einer Krankheit, die mich schon mehrere Wochen ganz unthätig macht.
Sie erhalten hier die beiden 1sten Hefte meiner Zeitschrift für spekulative Physik, und ich bitte Sie, solche mit der mir sonst bewiesnen Freundschaft und als Beweis meiner wahren Hochachtung anzunehmen. Über mehrere in der Abh. über den dynam. Proceß geäußerten Ideen wünschte ich gar sehr Ihr Urtheil zu vernehmen, besonders Ihre Meinung über die ganze Idee, die 3. Stufen des dyn. Proc. den 3. Dimensionen der Materie gleichzusetzen. Mein System des transc. Ideal, haben Sie vielleicht gelesen, und ich würde es beilegen, wenn ich hier ein Exempl. vorräthig hätte. Vielleicht hat Sie dieses überzeugt, daß ich seitdem nicht müßig gewesen bin, die transcendentale Ansicht über alle Hauptgegenstände des Wissens auszudehnen.
Der Grund, warum Ihre Abhandlung noch nicht gedrukt ist, ist weil in den beiden Heften kein Raum für sie war. Die im 1sten Hefte abgebrochenen Abhandlungen mochte ich nicht zum zweitenmal abreißen, und diese nehmen auch von dem 2 ten Heft so viel, daß nicht einmal für Ihre Abh. noch weniger für eine Zugabe, die ich zu machen wünshe, um mich mit Ihnen völlig zu verständigen, Raum genug war. Sie ist aber eben jetzt im Druk und die 1ste im 3ten Heft. Empfangen Sie indeß meinen innigen Dank für die offene und scharfsinnige Beurtheilung, die Sie einem Theil meines Entwurfs haben widerfahren lassen, sowie für die vielen herrlichen Ideen, mit denen Sie mich bereichert haben. – Erlauben Sie mir noch den Wunsch, Sie zu einer recht bestimmten Theilnahme an der Zeitschrift geneigt zu sehen; es geschieht aus dem reinsten Interesse für die Wissenschaft, der ich davon die wahrsten Vortheile verspreche. Allmälich hoffe ich alle, die jezt mit naturphil. Studien sich beschäftigen, zu einer gemeinschaftl. Thätigkeit vereinigen zu können und so einen Mittelpunct für die neue Physik zu errichten, von wo aus sie sich verbreiten und Umfang gewinnen kann. Endlich werden doch auch die Empiriker gezwungen werden, die Ideen zu denken, welche sie jezt unverständlich nennen, wenn sie sehen, daß die unendlich realistischere und halsstarrigere Natur sich ihnen aufzuschließen genöthigt wird.
Lassen Sie mich bald wissen, ob ich mir fortgesezte Theilnahme für die Zeitschrift von Ihnen versprechen darf. Belieben Sie Ihren Brief nur hierher unter der Adresse bei Herrn Prof. Röschlaub zu schiken. Denn sollte er auch hier mich nicht mehr finden, so wird er mir doch gleich zugeschikt.
Lassen Sie mich Ihnen bestens empfohlen seyn, u. seyen Sie von der innigsten Hochachtung und Freundschaft überzeugt, mit der ich Ihnen zugethan bin.
Schelling.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 22. September 1800
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Carl A. Eschenmayer ·
  • Place of Dispatch: Bamberg · ·
  • Place of Destination: Sulz am Neckar ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 257‒258.

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