Einmal kollationierter Druckvolltext ohne Registerauszeichnung

Henrik Steffens an Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling TEI-Logo

Freiberg, den 18. Oct. 1800.
Ich mußte in Dresden auf einen Wechsel warten und kam deshalb weit später weg, als ich eigentlich wollte. Ihr Brief war daher schon ziemlich alt, als ich ihn in Freiberg erhielt. Aber auch damals reiste ich nur durch Freiberg, um mich nach Briefen zu erkundigen, und weiter nach den böhmischen und einem Theil der schlesischen Gebirge. Ich schob die Antwort auf, weil ich glaubte binnen acht Tagen wieder in Freiberg zu sein und weil ich mich nicht einmal eine Nacht da aufhielt. In aller Eile schrieb ich nur ein paar Zeilen an Ihren Bruder um sicher zu sein, daß ich bei meiner Zurückkunft das zweite Heft vorfinden könnte. Es sind noch keine acht Tage her, seitdem ich wiederkam; denn aus einer wöchentlichen Reise wurde fast eine monatliche, die meines Geldmangels wegen abenteuerlich genug war. Ich war genöthigt diese Reise zu machen um die Regierung zufrieden zu stellen, und auch für die Wissenschaft ist diese Reise, wie überhaupt meine häufigen geognostischen Sommerexcursionen, nicht ohne Erfolg geblieben. –
Als ich zurückkam, schrieb mir Gries, daß Sie in seiner Gesellschaft nach Jena reisen wollten. – Unsicher wo Sie meine Briefe treffen würden, schob ich die Beantwortung auf, und schrieb – leider! – grade an A. W. Schlegel. – Ich eile Ihnen zu antworten.
Sie sind krank? – Doch nicht gefährlich? Nicht etwa die alte Brustkrankheit? – Ich hoffe auf allen Fall bald Ihre Wiederherstellung zu erfahren und bin nach dem, was Sie in den zwei letzten Briefen mir geschrieben haben, nicht ohne Besorgnisse.
Ich habe freilich schon an A. W. Schlegel geschrieben und ihm einen Aufsatz über Ihre Abhandlung und über den gegenwärtigen Zustand der Geologie angeboten; indessen versteht es sich von selbst, daß ich zurücktreten werde. Sie wissen es, daß ich von jeher mit den Schlegels wenig sympathisirte – Ihr Mangel an eigentlicher Wissenschaft war mir immer zuwider, und Fr. Schlegels philosophirende Poesie ohne lebendige Gestalt und seine poetisirende Philosophie ohne tiefen Gehalt, ist allerdingsein Product, in welchem sich die hohe Tendenz des Zeitalters durchdrungen, aber wahrlich auch neutralisirt hat. Daß Sie sich bald von diesem Menschen trennen würden, sahe ich längst voraus. Ich trete auf die Seite der wahren Wissenschaft, die mehr ist als immerwiederkehrende, auf neue Art ausgeschmückte Bizarrerie. Was ich zu leisten vermag, werde ich leisten, und erwarte etwas Näheres sobald wie möglich zu erfahren; denn leider kann ich so schnell nicht von hier wegkommen – aus mehreren Gründen.
Der Vorwurf, den Sie mir machten, hat – obgleich ich wohl fühle, daß er begründet ist – doch auch seinen Grund in meiner unruhigen Lebensart. Ich mußte immer reisen und den ganzen Sommer hindurch bin ich kaum vierzehn Tage hintereinander zu Hause gewesen. Was ließ sich da von Bedeutung ausrichten? Jetzt ordne ich meine Papiere, beschließe meine Reisen und der Druck meiner Beiträge fängt endlich einmal an. Dieses giebt mir nun vielerlei zu schaffen. Wirklich darf ich hoffen, daß Sie in der Zeitschrift nicht zu viel versprochen haben. – Denn daß der ganze feste Erdboden mit seinen Residuen einer erloschenen Thätigkeit im ganzen nichts aufweise, als das allmähliche Hervortreten der Entgegensetzung, die sich auf der höchsten Stufe als animalischer und vegetativer Proceß zeigt – hoffe ich als evident zeigen zu können – daß diese zwei Reihen durch Stickstoff auf der einen und Kohlenstoff auf der anderen Seite sich ausdrücken, daß diese Stoffe Repräsentanten des Magnetismus, wie Wasserstoff und Sauerstoff der Elektricität sind, wird, denke ich, kaum einigem Zweifel unterworfen sein. In vielem – vor allem in der Aufzeigung der größten relativen Cohärenz bei der Überhandnahme des negativen Magnetismus sind Sie mir zuvorgekommen, obgleich ich freilich Härte als den Ausdruck dafür brauchen wollte. – Sie werden in dem, was ich von der Cohärenz des Erdbodens gesagt habe, wahrscheinlich wenig finden, was Ihren Ideen widerspricht. – Ihrer Abhandlung verdanke ich aber sehr viel und mancherlei werde ich umändem. – Ich halte sie fast für das wichtigste, was Sie in der Naturphilosophie lieferten, und es trifft mit der Erfahrung auf eine auffallende Weise zusammen. – Ich muß jetzt einige Versuche anstellen und breche deshalb für heute ab. – Die Bogen meiner Beiträge werde ich Ihnen zuschicken, wie sie gedruckt werden. Mit dem – obgleich nicht ganz verdienstlosen – doch höchst verworrenen Herrn v. Arnim werde ich auch ein paar Worte sprechen.
Wann ich nach Göttingen gehen werde, kann ich kaum bestimmen – weil es von Geldsachen abhängt – auf allen Fall werde ich Sie aber noch einmal in Jena sprechen – vielleicht aber nicht so bald. –
Ich bitte, wenn es nicht zu spät ist – Inliegendes im ersten Heft einzurücken. – Das von der Schwere ist wirklich ein Abschreibefehler, obgleich ich – beim Nachschlagen des Manuscripts, wohl einsehe, wie er entstehen konnte. – Sie hätten – mein bester Freund! einsehen sollen, daß ich einen Fehler von der Art mit Besonnenheit nicht begehen konnte. – Der Schein, als wollte ich mir die Idee Sauerstoff und Wasserstoff als Repräsentanten der Elektricität anzusehen zueignen, ist wirklich da; und Sie müssen mit meiner Versicherung, daß es nicht meine Absicht war, zufrieden sein. –
Ihre Ideen über die elektrische Leiter erwarte ich mit Sehnsucht; ich bin über diesen Gegenstand nicht ganz im Reinen, und zweifle nicht daran, daß Sie glücklicher gewesen sind. –
Nehmen Sie mit diesem unordentlichen Brief vorlieb, ich habe meine Arbeit gewaltsam abbrechen müssen um ihn zu schreiben. Nächstens mehr. Leben Sie wohl, theurer Lehrer und Freund.
Ihr
Steffens.
Ich habe das Vergnügen einige meiner, durch theoretische Combinationen aufgefundenen Divinationen in Erfüllung gehen zu sehen. – Guylon hat Kohlenstoff in der Erde gefunden, was ich lange vorhergesagt habe. Ich kenne nur die Nachricht, sollten Sie etwas Näheres erfahren, so bitte ich mir´s zu sagen und den Ort: hier kommt alles sehr spät. Lampadius hat sich die Freiheit genommen, eine Idee von mir zu einer kleinen Abhandlung mit Versuchen anzuspinnen, ohne mich zu nennen.
Briefkopfdaten
  • Datum: Samstag, 18. Oktober 1800
  • Absender: Henrik Steffens ·
  • Empfänger: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Absendeort: Freiberg · ·
  • Empfangsort: Jena · ·
  • Anmerkung:
Druck
  • Bibliographische Angabe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 270‒273.

Zur Benutzung · Zitieren