Einmal kollationierter Druckvolltext ohne Registerauszeichnung

Georg Wilhelm Friedrich Hegel an Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling TEI-Logo

Frankfurt am Main, den 2. Nov. 1800
Ich denke, lieber Schelling, eine Trennung mehrerer Jahre könne mich nicht verlegen machen, um eines partikulären Wunsches willen Deine Gefälligkeit anzusprechen. Meine Bitte betrifft einige Adressen nach Bamberg, wo ich mich einige Zeit aufzuhalten wünsche. Da ich mich endlich imstande sehe, meine bisherigen Verhältnisse zu verlassen, so bin ich entschlossen, eine Zeitlang in einer unabhängigen Lage zuzubringen und sie angefangenen Arbeiten und Studien zu widmen. Ehe ich mich dem literarischen Saus von Jena anzuvertrauen wage, will ich mich vorher durch einen Aufenthalt an einem dritten Ort stärken. Bamberg ist mir um so mehr eingefallen, da ich Dich dort anzutreffen hoffte; ich höre, Du bist wieder nach Jena zurück, und in Bamberg kenne ich keinen Menschen, noch weiß ich sonst eine Adresse dahin zu bekommen; erlaube mir, Dich darum und um Deinen guten Rat zu ersuchen; um eine Einrichtung wegen Kost, Logis und dergl. zu finden, würde es so mir höchst dienlich sein; je bestimmtere Angaben Du mir erteilen wirst, desto mehr [werde] ich Dir verbunden sein und desto mehr Zeit und unnütze Kosten ersparen; ebenso angenehm wird es mir sein, wenn Du mir den Weg zu einigen literarischen Bekanntschaften verschaffen wirst. Sollte Deine Lokalkenntnis einen andern Ort, Erfurt, Eisenach oder dergl. vorziehen, so bitte ich Dich um Deinen Rat; ich suche wohlfeile Lebensmittel, meiner körperlichen Umstände willen ein gutes Bier, einige wenige Bekanntschaften; das übrige gleich – würde ich eine katholische Stadt einer protestantischen vorziehen; ich will jene Religion einmal in der Nähe sehen. – Entschuldige meine Bitte mit dem Mangel an Bekannten, die hierin näher lägen, und meine Umständlichkeit über solche Partikularitäten verzeih unserer alten Freundschaft.
Deinem öffentlichen großen Gange habe ich mit Bewunderung und Freude zugesehen; Du erläßt es mir, entweder demütig darüber zu sprechen oder mich auch Dir zeigen zu wollen; ich bediene mich des Mittelworts, daß ich hoffe, daß wir uns als Freunde wieder finden werden. In meiner wissenschaftlichen Bildung, die von untergeordnetem Bedürfnissen der Menschen anfing, mußte ich zur Wissenschaft vorgetrieben werden, und das Ideal des Jünglingsalters mußte sich zur Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln; ich frage mich jetzt, während ich noch damit beschäftigt bin, welche Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen zu finden ist. Von allen Menschen, die ich um mich sehe, sehe ich nur in Dir denjenigen, den ich auch in Rücksicht auf die Aeusserung und der Wirkung auf die Welt [als] meinen Freund finden möchte; denn ich sehe, daß Du rein, d. h. mit ganzem Gemüte und ohne Eitelkeit, den Menschen gefaßt hast. Ich schaue darum auch, in Rücksicht auf mich, so voll Zutrauen auf Dich, daß Du mein uneigennütziges Bestreben, wenn seine Sphäre auch niedriger wäre, erkennest und einen Wert in ihm finden könnest. – Bei dem Wunsche und der Hoffnung, Dir zu begegnen, muß ich, wie weit es sei, auch das Schicksal zu ehren wissen und von seiner Gunst erwarten, wie wir uns treffen werden.
Lebe wohl, ich ersuche Dich um baldige Antwort,
Dein
Freund Wilh. Hegel
Empfiehl mich unserem Freund Breyer
add. bei Herrn J. N. Gogel
auf dem Roßmarkt
An Herrn Fr. W. J. Schelling
Professor der Philosophie in Jena
[Auf dieser Seite steht noch von Schellings Hand:]
Abs. Identität –
Subjekt und Objekt = Identität
Briefkopfdaten
  • Datum: Sonntag, 2. November 1800
  • Absender: Georg Wilhelm Friedrich Hegel ·
  • Empfänger: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Absendeort: Frankfurt am Main · ·
  • Empfangsort: Jena · ·
  • Anmerkung:
Druck
  • Bibliographische Angabe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 285‒286.

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