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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Karl Josef Hieronymus Windischmann TEI-Logo

Jena, den 30. August 1801.
Viele Geschäfte, unter denen ich indeß begraben war, mögen mich bei Ihnen, theurer Freund, wegen des langen Verzugs der Antwort entschuldigen. Ihr Brief hat mir das innigste Vergnügen bereitet. Ich wünschte mit Ihnen eins zu sein, und ein gewisses Gefühl, das mir mehrere Ihrer Äußerungen gaben, sagte mir, daß wir es mehr seien, als Sie zu glauben schienen. Die neue Darstellung meiner Philosophie scheint Sie gleichfalls davon überzeugt zu haben, und Sie selbst geben in Ihrem Brief recht bestimmt die Puncte an, die uns, oder vielmehr die Sie mit mir, mich nicht mit Ihnen entzweiten. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich Ihre Grundzüge zur Erkenntnis der Natur des Menschen noch immer nicht gelesen habe, welches unverzeihlich ist, da ich weiß, daß von Ihnen nichts kommen kann, das nicht von hohem und für mich ganz eigenthümlichem Interesse wäre, gesetzt auch, daß ich nicht in allem meinen Sinn ausgedrückt finden, oder hinwiederum jedes Ihrer Urtheile mir aneignen könnte. Ich werde nun aber ungesäumt jenes Werk mir verschaffen und mit dem größten Eifer studiren. – Sie befinden sich recht mitten in der Sphäre des Ewigen, worin aller Unterschied von Zeit, Ort u.s.w. verschwindet, indem Sie das höchste Problem der Philosophie an dem Punct der Wiedererkennbarkeit anfassen, und ich habe an Ihren Gedanken nichts auszusetzen, als daß sie für mich in viel zu psychologischer Sprache ausgedrückt sind, so wie Ihnen vielleicht die meinigen in zu methaphysischer. Das sind mehr oder weniger Zufälligkeiten; die Hauptsache muß uns bleiben, nämlich das Ewige selbst, welches uns der einzige Gegenstand alles rechten Wissens sein soll.
Nächstens über diesen Punct mehr. –
Leben Sie wohl; es widerfahre Ihnen alles Gute, dessen Sie so würdig sind. –
Ganz
der Ihrige
Schelling.
N. S. Die neue Darstellung der Wissenschaftslehre von Fichte erscheint auf´s Neujahr. – Die einzelnen Hefte vom philosophischen Journal, die Sie verlangen, sollen Sie durch Gelegenheit erhalten.
Recht sehr wünsche Ich Ihren Beitrag, den Sie mir versprachen, und auf den ich mich sehr freue, noch vor November oder wenigstens im November d. J. zu erhalten, um ihn sogleich abdrucken zu lassen. Ich werde ihn so gut honoriren als ich kann.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 30. August 1801
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Karl Josef Hieronymus Windischmann ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Aschaffenburg · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 346‒347.

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