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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling to Joseph Friedrich Schelling TEI-Logo

Jena, den 28. Mai 1802.
Ihr Brief, theuerster Vater, hat mich innigst erfreut. Gewiß können Sie von Karl vorzügliche Hoffnungen fassen, und wenn er ferner, wie bisher unterstützt wird, wozu ich selbst, wenn ich nach Würtemberg komme, beizutragen suchen werde, werden diese Hoffnungen gewiß erfüllt werden. Ich rechne, daß der Kirchenrath, der an mich nichts gewendet hat, sich gegen Karl desto freigebiger beweisen soll; ich denke selbst für ihn bei dem Director und den vorzüglichsten Mitgliedern zu bitten, auch Herrn v. P. meine Aufwartung zu machen und ihn zu empfehlen. Was er hier unmöglich lernen konnte, wozu die Gelegenheit im Grunde gänzlich fehlt – sind die eigentlich praktischen Grundsätze. – Weder die Lehrer noch die hiesigen Anstalten qualificirten sich, ihn hierüber so gründlich zu unterrichten, als ich es verlangen mußte, denn lieber, denke ich, in solchen Dingen gar nichts oder gründlich gelernt. Desto mehr suchte ich ihn in allen rein theoretischen Kenntnissen fest zu machen. Diese sind ein sichrer Grund, auf dem er dann, wenn es die Gelegenheit giebt, leicht weiter bauen kann. Kielmeyer in Tübingen wird seine theoretische Bildung vollenden. Die praktische findet sich nicht auf Universitäten, wo keine Spitäler und großen Krankenanstalten sind. Diese soll er in Bamberg, wo Marcus, das größte praktische Genie in diesem Fach, das ich kennen gelernt habe, mein warmer Freund und Anhänger, der von Karls Gegenwart entzückt worden ist, und mich seitdem in jedem Brief bittet, ihm Karl zur letzten praktischen Bildung anzuvertrauen, ihm den größten Vortheil gewähren kann, vollends erhalten. Marcus wird ihn nicht als gewöhnlichen Schüler behandeln, sondern in unmittelbarem Umgang und Beispiel ihn in alle Geheimnisse der Kunst einweihen. Der nächste Ort ist Wien, wo er wieder viele Freunde findet. Hiermit würden seine medicinischen Lehrjahre vollendet, und er zur theoretischen und praktischen Laufbahn gleich geschickt sein. Auch ist dieß eben meine Meinung, daß er beide vereinigen solle.
Sie laden mich so liebreich zu sich ein, daß wenn ich nicht zum voraus schon entschlossen wäre, zu kommen, ich nun nicht widerstehen könnte.
Nur ist eine andere Reise, von der ich eben erst zurückgekehrt bin, dazwischen gekommen – eine Reise nach Berlin, die ich längst vorhatte, und die in diesen Ferien zu machen ich mich plötzlich entschlossen habe. Dieß hat mich um einige Wochen zurückgesetzt, so daß ich zweifle, ob vor Ende Junius meine Abreise von hier möglich sein wird. Madame Schlegel wird, wie ich immer noch hoffe, die Reise mit mir machen, Sie bedarf eines Bads, und hat hierzu in Würtemberg Gelegenheit. Karl wird Ihnen gesagt haben, was ich ihr schuldig bin. Sie ist meine treuste Freundin seit mehreren Jahren, die an allem, was mich betrifft, theilnimmt. Mich von ihr zu trennen, würde mir eben so schwer sein, als sie hier zurückzulassen. Sie verschönern und verlängern dadurch meinen Aufenthalt in Schwaben, daß Sie ihr Logis und Aufenthalt bei Ihnen anbieten. Die frugale schwäbische Kost ist gegen die gewöhnliche sächsische Kost sehr vorzüglich. Sie werden überhaupt an Madame Schlegel nicht nur eine sehr geistreiche, sondern auch eine sehr liebenswürdige, freundliche und gute Frau finden, deren Umgang meiner Schwester und der Mutter, gewiß ebensosehr auch Ihnen angenehm sein wird. Wollen Sie ihr ein Zimmer mit Aussicht ins Freie, und das zugleich der Sonne genießt, anweisen, so bin ich gewiß, daß es ihr bei Ihnen in jeder Rücksicht gefallen wird. – Die erste Zeit zwar des Aufenthalts in Schwaben wird auf die Badecur gehen, zu welcher Madame Schlegel den Julius brauchen wird. Den August und September aber werden wir ganz bei Ihnen zubringen. Vielleicht entschließen Sie sich selbst, die Muße, welche Ihnen Ihr jetziges Amt gewährt, dazu zu benutzen, mit uns nach dem Wildbad oder Teinach gemeinschaftliche Partie zu machen. Gewiß würde der Gebrauch eines Bads für Ihre beiderseitige Gesundheit höchst ersprießlich sein. Wollen Sie immer indeß sich erkundigen, welches von beiden Bädern das stärkendste ist, und wie man den Aufenthalt daselbst am wohlfeilsten einrichten kann. – Wir werden uns bestreben, unsern Aufenthalt in Murrhard Ihnen so angenehm als möglich zu machen, und unsre Dankbarkeit für Ihre freundliche und gastfreie Aufnahme so viel möglich zu bezeugen. Ich glaubte, für Madame Schlegel zum voraus das väterliche Haus für diese Reise ansprechen zu dürfen, da ich die Aussicht zu einer größern mit ihr zu machenden Reise nach Italien habe. Sowohl hiervon, als der Reise nach Schwaben bitte ich Sie aber vorläufig gegen Niemand als die nächsten Bekannten Erwähnung zu thun.
Wegen der Uhr ist mir sehr leid, daß ich die Bestellung in Weimar schon gemacht. Allein es ist mir da nicht besser ergangen, und ich habe sie auch bis jetzt nicht erhalten. Ich werde doch den Versuch machen, sie abzubestellen, und da ich nicht zweifle, daß dieß sehr leicht geschehen kann, so haben Sie die Güte, Herrn Steubel zu bewegen, daß er die Uhr immer noch bis zu meiner Anwesenheit in Schwaben aufhebe.
Ich grüße Sie sämmtlich bestens und bin wie immer
Ihr
Fr.
N. S. An Karl schreibe und schicke ich etwas durch Cotta.
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  • Date: Freitag, 28. Mai 1802
  • Sender: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling ·
  • Recipient: Joseph Friedrich Schelling ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Briefe und Dokumente. Bd. 2. 1775‒1809: Zusatzband. Hrsg. v. Horst Fuhrmans. Bonn 1973, S. 405‒407.

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