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August Wilhelm Iffland to Ludwig Tieck TEI-Logo

Hochgeehrter Herr!
Die Thorheiten und Laster, welche durch gelungene Darstellungen auf der Bühne lächerlich und abscheulich gemacht werden, sind überall zu Hause. Einzelne Züge eines treffend geschilderten Characters müssen bei einzelnen Menschen zutreffen, wenn gleich diese Menschen dem Dichter und dem Künstler unbekannt waren, welche beide nicht individualisiren, sondern besonders ihre komischen Personen als Repräsentanten einer Gattung Narren angesehen wissen wollen. Unerhört ist es daher, einen Geizigen, einen Verläumder, einen Intriganten auftreten zu sehen, der dem Dichter und Künstler zuruft: haltet ein mit der Darstellung des Geizes, der Verläumdung, der Intrigue: sie paßt auf mich! Nur Molierens Tartüffe soll eine ähnliche Wirkung hervorgebracht haben. Urtheilen Sie folglich, was ich empfinden mußte, als ein Mann Ihrer Art zu mir kam, und mir klagte, der elende Schulberg werde auf ihn gedeutet. Ich konnte Sie in diesem Augenblick nur für krank halten, und wünschen, man hätte Sie lieber an einen Arzt als an mich gewiesen. Indessen behandelte ich Sie wie einen achtungswürdigen Kranken, dessen man schont, wenn man ihn nicht zu heilen versteht. Ich fürchtete Sie durch Widerspruch ohne Noth zu reizen, ich gab Ihrer wiederholten Zudringlichkeit so viel nach, daß wenn man etwas gewaltsam zu deuten entschlossen sei, gewisse übertriebene Ausdrücke Schulbergs die Sprache Friedrich Schlegels nachahmen zu wollen scheinen könnten, ich überließ es sogar Ihrem Ermessen, ein Stück von der hiesigen Bühne auf einige Zeit zu entfernen, das freilich nur dann auf Sie angewendet werden kann, wenn man es nicht kennt. Ich sezte natürlicherweise dabei zum voraus, daß Ihre bessere Besinnung zurückkehren und Ihnen selbst in kurzem sagen würde was eigene Vernunft wohlthätiger als fremde geltend zu machen weiß.
Sie haben mich mißverstanden, und Ihr lezter Brief beweiset mir, daß Sie mehr als jemals von der Stimmung entfernt sind, auf welche Nachsicht und Mäßigung heilsam wirken. Aber was ich Ihnen vielleicht nicht mehr schuldig bin, kann ich doch, meiner selbst wegen, nicht aus den Augen setzen.
Nein, mein Herr! Sie sind nicht Schulberg, und keiner Ihrer Freunde ist es. Keiner von Ihnen schmeichelt sich für adlich zu gelten, ohne geadelt zu seyn, keiner von Ihnen kriecht, schmarozt und borgt von kleinen Großen, keiner macht einem thörichten alten Weibe den Hof, um sich vor Pfändungen der Juden zu sichern, keiner von Ihnen verlebt seine Nächte in leeren Schilderhäusern und Portchaisen. Gott verhüte, daß es unmöglich werden sollte, einen pöbelhaften Schmierer und seine Rotte aufzustellen, ohne das Ideal dazu von Ihnen und Ihren Freunden zu entlehnen!
Die Bibliothek der hiesigen Schaubühne würde in einen leeren Raum verwandelt werden, wenn jeder mißtrauische Mensch das Recht hätte, alle Schauspiele daraus zu entlehnen, in welchen etwa ein einzelner Zug vorkommt, worin er einige entfernte Aehnlichkeit mit sich zu entdecken glaubt, und die theatralischen Vorstellungen würden zuletzt aufhören, wenn lauter solche Gebrechen dargestellt werden sollten, die im ganzen Lande nicht zu Hause sind.
Ihre litterarische und physische Existenz, vielleicht sogar Ihr Name, ist dem Verfasser des Chamäleons gänzlich unbekannt.
Ich wohne jezt mit Ihnen an einem Orte und habe nichts von Ihnen gelesen als Ihren Sternbald und Ihre beiden Briefe an mich. Die leztern hätte ich Ihnen gern erlassen.
Gehen Sie mit Ihrer bessern Seele zu Rathe. Sehen Sie zu, ob Sie es für sich verantworten könnten, den Schulberg auf sich und Ihre Freunde zu deuten.
Ich werde es für mich nie verantworten noch veranlassen.
Iffland.
Berlin den 22. November 1800.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 22. November 1800
  • Sender: August Wilhelm Iffland ·
  • Recipient: Ludwig Tieck ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Johann Valentin Teichmanns Literarischer Nachlaß. Hrsg. v. Franz Dingelstedt. Stuttgart 1863, S. 289–290.
Language
  • German

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