Paris den 15ten May 99.
Nimm diesen Brief wie ein Fragment aus einer verlohrnen Correspondenz, mein lieber Tiek. Wie wollte ich es versuchen in einem das alles zusammen zu drängen was eine ununterbrochene Reihe von Briefen Dir nur hätte schildern können. Von Paris, von Frankreich, von Spanien sage ich kein Wort, von den Gallerien weißt Du schon viel durch Deinen Bruder, nur über die Theater will ich Dir schreiben was mir eben in die Feder kömt.
Sechzehn oder mehr täglich geöfnete und gefüllte Theater! – wie hat mir das in Deutschland imponirt so oft ich es hörte! und wie verdrießt es mich jezt um so mehr daß ich einen ganzen Winter in Paris ohne französiche Comödie und auch eigentlich ohne Tragödie zubringen soll! Daß ich täglich die 16 Affichen an der Ecke meiner Straße sehn muß und sehr oft nicht weiß welches von den 3 mal 16 Stücken nur irgend des Ansehns werth sein möchte! Ordentlicher Theater gab es 6 in Paris als ich herkam davon 3 für die Tragödie und Commödie. Das Odeon sonst théatre françois wo man die alten, ächten Tragödien, manche Dramen und auch Molliersche ec. Comödien gab. Dies Theater hat Gott diesen Winter mit Feuer gestraft weil es wohl 30 mal fast ununterbrochen Misentropie et Repentir gegeben hat; jetzt zieht die Truppe in den kleinen Theatern herrum und ist halb zerstreut. Dann das Théatre de la République im palais royal, wo man Comödien und auch Tragödien gab, was aber damals schon in den letzten Zügen lag und schon darum nicht gedeihen konnte weil das Publicum die Schauspieler als Patrioten, oder Terroristen – wie man es hier nennt, haßte. Die wahre französische Comödie war damals im Théatre Faydeau. Dies vortrefliche Schauspiel existirt nicht mehr. Man hatte es mit dem des Th[éatre] de la Rep[ulique] vereinigt wie sie sonst vereinigt gewesen waren, aber pollitischer Zwiespalt und Unordnung in den Directionen ist der Ruin des Theaters hier geworden. Die Regierung hat es aus sehr löblicher Absicht der Concurenz und seinem natürlichen Wuchse überlassen wollen, es hat sich aber gezeigt daß auch hier der Boden zu schlecht ist und daß die Pflanze des Treibhauses bedarf. Die zu große Anzahl der unbedeutenden Theater die sich dadurch erhalten daß sie dem schlechten Geschmacke des Publicums alles zu Gefallen thun, und daß sie in der Stadt verbreitet und wohlfeiler sind, hat das gute Schauspiel ruinirt was nur durch eine imposante Reunion aller vorzüglichsten Schauspieler seinen Platz behaupten konnte. Sie reisen jetzt einzeln in den Provinzen herrum und werden am Ende wohl wieder hier zusammentreffen.*) Mit diesen Intervallen ist aber imer viel verlohren, der schlechte Geschmack gewinnt Zeit sich zu etabliren. Ich möchte nur gern sagen, daß auch der Geschmack hier in einem Zustande der Chrise sey, daß der Moment des Aufnehmens und der Erweiterung niemals brillant sein könne, daß die Kunst bereichert aus dieser scheinbaren Ermattung hervorgehn werde. So läßt es sich aber nur dann hoffen wenn man rohe, edle Kräfte im Chaos mit einander streitend sieht, – hier ist aber nichts roh, nichts edel und auch kein Chaos. – Die Revol[ution] hat offenbar bis jetzt noch keine sichtbar vortheilhafte Wirkung auf die Kunst gehabt, der neue französische Geist hat sich in ihr noch nicht gezeigt. Wo sollte man das ehr erwarten als in der Musick bei der der Künstler am unmittelbarsten seine Stimmung ausdrücken kann, und ich habe nichts gehört was einen erhöhten Geist zeigte, den Marseillermarsch und noch einen ähnlichen etwa ausgenommen. Was macht Reichard in Berlin wo er in jeder Rücksicht so wenig an seiner Stelle ist, und warum kömt er nicht hieher wo man eigentlich seiner bedarf? Die große Oper bedarf einer neuen Inpulsion und ich kenne keinen andern Componisten der sie zu geben im Stande wäre als er. Die Musik bedarf neuer Wercke um dem Tanze wenigstens das Gleichgewicht halten zu können, und eines Directors der Credit genug hat um eine Revolution mit ihr vorzunehmen und um die Sänger zu vertreiben die einem alle Freude, selbst an Glucks Musik verderben. Das ist schwer, denn dies sind zugleich die Lieblinge des schlechten, in die französische Manier noch ganz versunkenen Publikums, aber ich halte es nicht für unmöglich, denn obgleich dies Schreien, dies Schluchzen und Zittern der Stimme, dies rasende Spiel – dasselbe was sie in ihrer Tragödie aplaudiren, in dem sich die Leidenschaft immer in allen vier Extremitäten des Körpers zugleich zeigt, obgleich dies, sage ich, weit mehr in der französischen Natur liegt die von aller Würde so entfernt ist, so sind sie doch bei allem Vorurtheil sehr empfänglich und nehmen viel auf Autoritäten an. – In der Mahlerei ist viel gesche[he]n, das hat aber Davied und einige andere gethan und nicht die Revol[ution] – doch kann sie viel dazu thun, – was könnte sie nicht, wenn sie eigentlich noch da wäre; so aber spielt die Regierung sie nur fort und die Bürger sehn zu. Der Verlust der Christ[lichen] Mythologie ist allerdings gros für die Mahlerey denn auch die schlechte ist mir mehr werth als keine; nur hier scheint er mir geringer weil schon lange nicht mehr und vieleicht nie ein Franzose fähig gewesen ist das Schöne in ihr aufzufassen und ein frommes Bild zu mahlen. Eben so zeigt sich in der Bildhauerei noch keine Wirkung der Revol[ution] – auch muß man billig sein und sagen daß es schon viel ist wenn eine solche Revol[ution] diese Künste in den ersten 10 Jahren nur nicht ganz zurück bringt, denn die alten Künstler gehen natürlich darüber zu Grunde, und der Enthusiasmus der Jugend wendet sich in einer Revol[ution] nicht leicht auf die mühsame Kunst. Das Jahr 93 hat einige colossale Statuen in Gips hervorgebracht die nicht zu verachten sind, aber es war nur ein Moment in dem alles den Caracter der Revol[ution] annahm. Der Styl in beiden Künsten hat sich ofenbar seit 20 Jahren sehr geändert, der Geist folgt langsamer nach. Die Kunst aus Lud[wigs] 15 Zeit setzt sich – zu ihrem Nachtheil – sehr gegen die aus Lud[wigs] 14 Zeit ab, – auf jene folgt nun der neuere – antiquere Styl! Dieser zeigt sich auf dem Theater nur in den Costümen, die zum theil wircklich musterhaft gut sind, in den Decorationen, obgleich nur wenig, im Ballet. Dies ist, nächst der Comödie, das vollkommenste Schauspiel in Paris, denn so vil auch daran zu wünschen übrig bleibt, so sehr giebt es doch wenigstens eine Idee von dem was es in seiner höchsten Vollkommenheit sein kann. Im Ballet hat die französische Manier seit 10–15 Jahren offenbar weichen müssen und der gute Geschmack herrscht im Ganzen. Es ist unstreitig das reitzenste Schauspiel, – das Reitzen wird aber dieser Kunst so leicht daß es das auch ohne alles Kunstverdienst sein könnte. Prüft man dieses darin so muß man den Künstlern viel Lieblichkeit der Phantasie, viel Kentniß der schönen Formen und des Effects zugestehn, oder vielmehr der hübschen Mädchen die die Hauptsache dabei sind, – sehr vil natürliche und ausgebildete Gracie, doch fehlt es den Componisten und Tänzern an Genie um dem Schauspiel einen recht eigentlichen Kunstcaracter zu geben, um es recht zum Ganzen zu machen, um eine Stimmung, einen Geist des dichtenden Künstlers darin zu zeigen. Die Pantomieme überwiegt den eigentlichen Tanz zu sehr. Wie schön wäre ein im Geiste der Feerey gedichtetes Ballet, in dem nichts zu Materielles, Kraftvolles die lustigen Traumgestalten unterbrächen. Die herkulanischen Gemählde sind die wahren Studien für diese Kunst. Jeder Sässel, jedes Gefäß muß der Leichtigkeit und Eleganz des Ganzen entsprechen. Der männliche Körper ist selten elegant genug zum schönen Tanze, ich würde Mädchen zu den meisten Rollen brauchen, – meine Phantasie wird durch nichts mehr gestöhrt als durch viereckige Waden. – Auf die Tragödie hat der neuere Styl weniger gewirkt als irgend wo – das Costüm ausgenommen. Hier sieht man fast nur den corrumpirten Alten, und nie kann man mehr französische Manier zusammen sehn als an einem gewöhnlichen tragischen Schauspieler, es sei in der gesprochenen oder gesungenen Tragödie. Die Mahler scheinen es diesen nur nachgemacht zu haben und erreichen sie lange nicht weil ihnen das Moyen der Bewegung und der Stimme abgeht um diesen Reichthum von Geschmacklosigkeit und Absurdität zu zeigen. Es ist natürlich daß auf dem Theater der gute Geschmack schwerer durchdringt; diese Schauspieler gehören zu diesen Dichtern, die noch lange die Muster bleiben werden, denn es fehlt den Dichtern wie den Schauspielern und dem Publico an eigentlichem Geist zur Tragödie: – darum kennen Sie nur die Manier. Diese Unfähigkeit geht auf allen Ausdruck der größeren Leidenschaft, die sie immer nur ganz phisisch und in der Caricatur darzustellen wissen. Von Bayonne bis R[o]uen und von Straßburg bis Brest ist ein und dasselbe tragische Spiel zu finden, und allerdings beweist schon dies daß eine Schauspielkunst in Frankreich sei, aber welche Kunst! Indessen möchten unsere Schauspieler ihnen immer etwas von ihrer Natur für einiges von dieser Kunst abgeben, denn auch der schlechte französische Acteur gebraucht doch seine Stimme, seine Arme und Hände, er sezt doch alle seine Moyens in Bewegung statt daß sie bei den unsrigen meist ganz unentwickelt bleiben. Solche Broullons wie unsere gewöhnlichen Schauspieler (und Schriftsteller) sind würde auch das schlechteste französische Publicum nie leiden. Die französische Manier in der Tragödie ist allerdings eines hohen Grades von Schönheit fähig und wie Du vieles in ihren tragischen Dichtern bewundern mußt so würde Dich eine ganz französisch – aber vollkommen gespielte Tragödie hinreißen. So hat man sie sonst hier gesehn, – die im Winter erschienen[en] Memoiren der Schauspielerin Clairon werden Dir den besten Begriff davon geben können, – jetzt aber erheben sich wenige über die Mittelmäßigkeit. Darum sagte ich Dir daß man den alten Styl corumpirt sieht. Die Frauen sind im Ganzen besser als die Männer, wie überall, die Raucour die schon durch ihre Größe und ihre Stimme Efect macht, muß man in einigen Rollen bewundern. – Ein Schauspieler den ich über dem Ganzen von dem er sich so absondert und weil man ihn so lange nicht gesehen hatt, fast vergessen hätte, Talma ist ein Künstler und hat Geschmack. In ihm zeigt sich der neuere, bessere Styl, auch hat David ihn unterrichtet und er erinnert eben so an die guten Gemählde der neuen Schule als die andern Schauspieler an die Mahler unter Lud[wig] 15, an die alte Akademie erinnern. Dabei hat er in England seine Kunst studirt. – Glaube nicht, was viele in Deutschland glauben, daß sich der enge Geschmack hier seit der Revolution so sehr erweitert habe daß sie die Meisterstücke fremder Nationen auf ihren Bühnen aufnehmen könnten. Einzeln schreiten sie glaube ich darin fort, die Masse ist aber voller als je von ächtem, französischem Vorurtheil, was durch die größere Unwissenheit noch viel greller dasteht. Macbeth, der Mohr von Venedig und noch andere sind auf das Theater gebracht, nichts beweist aber so den entgegengesezten Geist dessen der in diesen Meisterstücken ist als diese abscheulichen Umarbeitungen, denn alles Große und Caracteristische an ihnen ist vertilgt. Ich habe noch vor einigen Tagen den Spaß gehabt Schillers Räuber hier zu sehn, die man übrigens, wie alle diese Stücke, sehr selten giebt. Es ist in der Terreur und für die Terreur gemacht und doch ist alles Kraftvolle so rein herrausgeschnitten, das Ganze so elend moralisirt und gedämpft daß höchstens eine dem Abelino ähnliche pathetische Posse übrig bleibt. – Daß sie Menschenhaß und Reue sehr gutiren wird man ihnen doch nicht anrechnen sollen. Ein Stück was so auf alle menschlichen Thränendrüsen calculirt ist muß von Petersburg bis Madrid gefallen. – Das wenige Merckwürdige was ihre eignen Dichter in den lezten 10 Jahren hervorgebracht haben sollst Du in Berlin bei mir finden. –
Nun aber habe ich lange genug getadelt und will nun loben, – daher von ihrer Commödie und allem was damit zusammenhängt. – Ich kenne kaum etwas Vollkommeneres in der Kunst als eine gute franz[ösische] Comödie so gespielt wie ich sie hier noch gesehn habe. Diese Precision, Leichtigkeit und Feinheit, dies Ensemble muß jedem noch neu sein der auch unsere besten Theater gesehn hat. Die ungebildete Kunst läßt bei uns der Orginalität und dem Genie des großen Schauspielers mehr Raum, aber es sind nur Einzelne die für wenige Einzelne spielen, hier sehe ich die gebildete Kunst im ganzen Schauspiel, und fühle mich unter gebildeten Menschen. Denn so wie jener schlechte Geschmack in der fast Totalität des Publicums ist, so ist es auch hier der Gute. Für die wahre Comödie die nur den Verstand angeht sind sie gemacht, zur Farce fehlt es ihnen schon an Laune, – an komischem Geist. Geht die Comödie aus ihren Schrancken, und nur irgend ins Leidenschaftliche so ist ihr gutes Urtheil dahin und ihre moralische Ohnmacht zeigt sich in ihrer platten Moralität, in ihrer Liebe zu allen Gemeinpläzen. Diese elende Tendenz hat durch die Revol[ution] sicher sehr zugenommen, sie erlauben jezt weit weniger daß der Verstand und der Wiz mit den Dingen spielen sondern nehmen es ernsthaft und – platt. Die gewöhnlichen Dramen sind nur allzusehr für sie gemacht und wir erleben es noch daß Kotzebue und Ifland in Paris herrschen, es fehlt ihnen dazu nur eine Ingredienz – heftigere, schreiendere Leidenschaft. – Gute Comödien im großen Styl sind seit der Revol[ution] so wenig erschienen als gute Tragödien, und doch bedürfte man sehr eines neuen Comischen Dichters der seiner Zeit das wäre was Molliére der seinigen war. Hätte Beaumarchais mehr Figaros schreiben können so wäre er der wahre Mann. Mollière wird wenig gespielt. Kein Franzose giebt zwar zu daß er ihn nicht bewundre, aber das Theater ist lehr.
Kleine Stücke sind das beste was die jetzige Zeit hervorbringt. Die Musick hat sich sehr hervorgedrängt so daß jezt alles leichter zur Oper als zur Comödie wird, doch so daß die Musick nur begleitend und das Stück die Hauptsache ist. Von dieser Art sind Adolphe et Clare, le Prisonnier und l’Opera Comique die ich dir hier schicke. Vieleicht komme ich zu spät und sind sie in Berlin schon ganz bekannt, sind sie es aber nicht so überseze sie jede in einem Abende und verkaufe sie so theuer als Du kannst dem Theater. Ich habe die Partituren die etwa jede 7 Thlr. kosten nicht kaufen wollen ehe ich wußte ob Du sie brauchen kannst, Dein Bruder kann sie Dir aber gleich schicken wenn Du sie forderst. Zur Probe lege ich die Singstimme der Arien bei. Mit einigen Stimmen und einer Violine kann man diese Stücke auf jedem Gesellschaftstheater geben. Du wirst gleich sehen wie sehr sie zu einem hübschen Spiel practiren, ganz Berlin wäre entzückt wenn es sie so sehn könnte wie sie hier auf dem Theater der kleinen Oper, théatre des Italiens gegeben werden. Die Sprache muß durchaus schnell und leicht sein und das Spiel höchst fein und nicht zu marquirt sonst könnte im Deutschen z. B. der Streit zwischen Mann und Frau in Adol[phe] et Clare leicht grob werden. Die hiesige Schauspielerin für diese Rollen ist ganz ein Pendant zur Unzelmann, auch wird sie diese Rollen sehr gut spielen, – ein Etourdi wie hier, zum Adolphe und zum Prisonnier möchte aber wohl fehlen. Die Musick ist hübsch, dieser kleinen spirituellen Musik sind die Franzosen sehr gewachsen. Adolphe und der Prisonnier müßten eine idealisirte Cornetstournüre haben, die Anzüge müssen sehr soignirt sein. Gaspar ist hier eine exellente Figur, grade wie ein Landedelmann bei solchem Spaß seinen Jäger aus seiner Rüstkammer ausputzen würde, – er hat eine große Hellebarde. Eben so ist die Wache extravagant militairisch und fürchterlich. Der Etourdi muß ganz nothwändig jung und hübsch sein und muß viel kleines Spiel und eine leichte Stimme haben. Hier werden diese Arien sehr bunt in der kleinen italiänischen Manier gesungen es macht sich aber gut. – Der alte Commandant in Prisonnier ist hier die hübscheste Copie eines alten Ludwigsritters wie sie auf den festen Schlössern waren. –
Ein anderes allerliebstes kleines Schauspiel ist das Veaudeville. Erst seit der Revol[ution] hat dies ein eignes Theater. Ich schicke Dir hier zwei zur Probe. Die Arien haben immer bekante Musick, – daher ist so ein Stück zur Noth in 24 Stunden gemacht und gespielt. Die Schauspieler sind zugleich die Dichter, jedes Stück hat in der Regel 2–3 Verfasser. Theils sind es Stücke im genre des Scarron, und diese sind besonders hübsch, weil sie ein allerliebstes Bild aus jener Zeit ausmachen, und tausend Erinnerungen an Menschen und Anecdoten, Bonmots erregen die jeder Zuschauer kennt. Die genauste Beobachtung des Costüms ist wesentlich dabei. Hier bringen sie es dadurch oft so weit daß der Schauspieler dem den er vorstellt ähnlich sieht und daß man würklich Pirron mit seinen Freunden, Molliere mit Reniard und seinen Zeitgenossen, Rabelai mit Ronsard, Racine, Voltaire ec. zu sehen glaubt. Ich kann schlechterdings nicht wissen wie Dir der Scarron gefallen muß, denn ich kann ihn von der Vorstellung nicht trennen, von diesem vortreflichen Spiel des leidenden lustigen Mannes der immer den Schmerz in einem Winckel des Mundes hat und das Lachen im andern. Eine andere Classe ist die wo Arlequin ec. erscheint. Arlequin ist hier mehr spirituel als der Italiänische, diese Stücke sind allerliebste Kleinigkeiten, voll Wiz und Satyre und sogar Naivität. Andere Veaudevilles geben ein lustges und frappantes Bild der Sitten dieser oder jener Stände, andere sind ganz Kinder des Tages und beziehn sich auf eben roulirende Anecdoten. Coment faire ist nur eins von denen die hier auf Misentropie et Rep[entir] gemacht sind. Ich dencke es soll Dich und andere amüsiren. Aber vieles wird durch das Spiel, durch den Gesang der fast gesprochen ist und nur ganz leise mit wenig Violinen begleitet wird, durch die Reime des Couplets zu etwas, was beim Lesen nichts sein mag. So ein Theater wünschte ich Dir. Es ist Zirkelrund und ganz klein. Die Zuschauer machen gleichsam eine lustige Gesellschaft. Weder Musik noch Decerationen machen Aufwand, – mit 12 Personen ist so ein Theater leidlich zu montiren. Es müßte weit vom großen Schauspielhause abliegen und alle Woche 3 mal spielen. Die große Abwechselung der Stücke sichert ihm einen beständigen Zulauf, und wie nüzlich wäre unsere[r] Schwerfälligkeit so ein kleines leichtes Schauspiel. Nur müßte sich das genre rein erhalten und nie eine Thräne darin fließen. Das große Schauspiel würde nicht ein mal an Einnahme leiden, denn es gewinnt wenn der Geschmack am Schauspiel überhaupt zunimmt. Auch könnte man gewissermaßen gemeinschaftliche Casse mit ihm machen, – die Kosten von ihm bestreiten lassen und ihm die Einnahmen geben. Unsere berühmten Männer wären nicht so gut aufs Theater zu bringen, – ihr häusliches Leben ist weder so hübsch noch so bekannt. Die Nürrenberger die zusammen lebten, Hans Sachs ec. Dürer ec. ließen sich noch am ersten so vorstellen, in Hans Sachsischen Versen müßten sie sprechen. An Autoren die zugleich Schauspieler wären fehlt es, denn Deine Ader reicht allein nicht hin um das zu ernähren. Es müsten jedes mal 3 – wenigstens 2 Stücke gegeben werden, und alles lange und nicht amüsante würde das Theater denatüriren. Man müßte viele Uebersezungen zu Hülfe nehmen. Man müßte Dir gleich alle hiesigen schicken die Du dann nach Gefallen arrangirtest. Ohne eine Verbindung von mehrern wizigen Freunden ist es aber doch nicht denckbar, – (denn Posse muß es nicht werden, die muß als Nachspiel der Comödie bleiben) – hier werden die Stücke fast bei Tisch unter den Schauspielern gemacht und so ist es recht. Man könnte denn manche ohne Musik geben, – doch sind die Couplets sehr wesentlich. Schreib geschwind ein halb Dutzend zur Uebung und gieb sie als Nachspiele auf das Theater, goutirt man sie sehr so ist ja dann weiter zu sehn. –
Empfiehl mich Bernhardi, Deiner Schwester und Deiner Frau auf deren Bekantschaft ich mich freue. Wackelst Du als Vater noch immer so mit dem Kopfe? – Dein Hauswesen soll mich sehr amüsiren. –
Antworte mir nach dem Haag an Bielfeld adressirt, bei dem ich bis zum 20sten July sein werde. Willst Du etwas besonders aus England wissen so frage und ich werde Dir von da aus antworten. Den 2ten Klosterbruder habe ich kaum gesehn und noch nicht gelesen.
Nachschrift. Dies Paket machte ich vor 4 Monatten und gab es einem Reisenden nach Deutschland mit. Der behielt es 4 Wochen und reiste nicht ab. Ich hielt es des Postgelds nicht werth und nahm es selbst endlich mit. Jezt in Embden den 13ten September im Augenblicke vor meiner Einschiffung gebe ich es meinem Reisegesellschafter Buch. Es hat durch diese Verzögerung noch den geringen Werth verlohren den es für Dich haben konnte, jetzt habe ich angestanden es Dir zu schicken so wenig halte ich auf dies geschriebene und Gedruckte und besonders wenig auf die Musick. Schreib mir nach London chez Mr: Balan, Chargé d’affaires ec. In 4 Tagen bin ich da.
*) Seit Vorgestern den 28 May spielt diese fast vereinigte Gesellschaft wieder.
Nimm diesen Brief wie ein Fragment aus einer verlohrnen Correspondenz, mein lieber Tiek. Wie wollte ich es versuchen in einem das alles zusammen zu drängen was eine ununterbrochene Reihe von Briefen Dir nur hätte schildern können. Von Paris, von Frankreich, von Spanien sage ich kein Wort, von den Gallerien weißt Du schon viel durch Deinen Bruder, nur über die Theater will ich Dir schreiben was mir eben in die Feder kömt.
Sechzehn oder mehr täglich geöfnete und gefüllte Theater! – wie hat mir das in Deutschland imponirt so oft ich es hörte! und wie verdrießt es mich jezt um so mehr daß ich einen ganzen Winter in Paris ohne französiche Comödie und auch eigentlich ohne Tragödie zubringen soll! Daß ich täglich die 16 Affichen an der Ecke meiner Straße sehn muß und sehr oft nicht weiß welches von den 3 mal 16 Stücken nur irgend des Ansehns werth sein möchte! Ordentlicher Theater gab es 6 in Paris als ich herkam davon 3 für die Tragödie und Commödie. Das Odeon sonst théatre françois wo man die alten, ächten Tragödien, manche Dramen und auch Molliersche ec. Comödien gab. Dies Theater hat Gott diesen Winter mit Feuer gestraft weil es wohl 30 mal fast ununterbrochen Misentropie et Repentir gegeben hat; jetzt zieht die Truppe in den kleinen Theatern herrum und ist halb zerstreut. Dann das Théatre de la République im palais royal, wo man Comödien und auch Tragödien gab, was aber damals schon in den letzten Zügen lag und schon darum nicht gedeihen konnte weil das Publicum die Schauspieler als Patrioten, oder Terroristen – wie man es hier nennt, haßte. Die wahre französische Comödie war damals im Théatre Faydeau. Dies vortrefliche Schauspiel existirt nicht mehr. Man hatte es mit dem des Th[éatre] de la Rep[ulique] vereinigt wie sie sonst vereinigt gewesen waren, aber pollitischer Zwiespalt und Unordnung in den Directionen ist der Ruin des Theaters hier geworden. Die Regierung hat es aus sehr löblicher Absicht der Concurenz und seinem natürlichen Wuchse überlassen wollen, es hat sich aber gezeigt daß auch hier der Boden zu schlecht ist und daß die Pflanze des Treibhauses bedarf. Die zu große Anzahl der unbedeutenden Theater die sich dadurch erhalten daß sie dem schlechten Geschmacke des Publicums alles zu Gefallen thun, und daß sie in der Stadt verbreitet und wohlfeiler sind, hat das gute Schauspiel ruinirt was nur durch eine imposante Reunion aller vorzüglichsten Schauspieler seinen Platz behaupten konnte. Sie reisen jetzt einzeln in den Provinzen herrum und werden am Ende wohl wieder hier zusammentreffen.*) Mit diesen Intervallen ist aber imer viel verlohren, der schlechte Geschmack gewinnt Zeit sich zu etabliren. Ich möchte nur gern sagen, daß auch der Geschmack hier in einem Zustande der Chrise sey, daß der Moment des Aufnehmens und der Erweiterung niemals brillant sein könne, daß die Kunst bereichert aus dieser scheinbaren Ermattung hervorgehn werde. So läßt es sich aber nur dann hoffen wenn man rohe, edle Kräfte im Chaos mit einander streitend sieht, – hier ist aber nichts roh, nichts edel und auch kein Chaos. – Die Revol[ution] hat offenbar bis jetzt noch keine sichtbar vortheilhafte Wirkung auf die Kunst gehabt, der neue französische Geist hat sich in ihr noch nicht gezeigt. Wo sollte man das ehr erwarten als in der Musick bei der der Künstler am unmittelbarsten seine Stimmung ausdrücken kann, und ich habe nichts gehört was einen erhöhten Geist zeigte, den Marseillermarsch und noch einen ähnlichen etwa ausgenommen. Was macht Reichard in Berlin wo er in jeder Rücksicht so wenig an seiner Stelle ist, und warum kömt er nicht hieher wo man eigentlich seiner bedarf? Die große Oper bedarf einer neuen Inpulsion und ich kenne keinen andern Componisten der sie zu geben im Stande wäre als er. Die Musik bedarf neuer Wercke um dem Tanze wenigstens das Gleichgewicht halten zu können, und eines Directors der Credit genug hat um eine Revolution mit ihr vorzunehmen und um die Sänger zu vertreiben die einem alle Freude, selbst an Glucks Musik verderben. Das ist schwer, denn dies sind zugleich die Lieblinge des schlechten, in die französische Manier noch ganz versunkenen Publikums, aber ich halte es nicht für unmöglich, denn obgleich dies Schreien, dies Schluchzen und Zittern der Stimme, dies rasende Spiel – dasselbe was sie in ihrer Tragödie aplaudiren, in dem sich die Leidenschaft immer in allen vier Extremitäten des Körpers zugleich zeigt, obgleich dies, sage ich, weit mehr in der französischen Natur liegt die von aller Würde so entfernt ist, so sind sie doch bei allem Vorurtheil sehr empfänglich und nehmen viel auf Autoritäten an. – In der Mahlerei ist viel gesche[he]n, das hat aber Davied und einige andere gethan und nicht die Revol[ution] – doch kann sie viel dazu thun, – was könnte sie nicht, wenn sie eigentlich noch da wäre; so aber spielt die Regierung sie nur fort und die Bürger sehn zu. Der Verlust der Christ[lichen] Mythologie ist allerdings gros für die Mahlerey denn auch die schlechte ist mir mehr werth als keine; nur hier scheint er mir geringer weil schon lange nicht mehr und vieleicht nie ein Franzose fähig gewesen ist das Schöne in ihr aufzufassen und ein frommes Bild zu mahlen. Eben so zeigt sich in der Bildhauerei noch keine Wirkung der Revol[ution] – auch muß man billig sein und sagen daß es schon viel ist wenn eine solche Revol[ution] diese Künste in den ersten 10 Jahren nur nicht ganz zurück bringt, denn die alten Künstler gehen natürlich darüber zu Grunde, und der Enthusiasmus der Jugend wendet sich in einer Revol[ution] nicht leicht auf die mühsame Kunst. Das Jahr 93 hat einige colossale Statuen in Gips hervorgebracht die nicht zu verachten sind, aber es war nur ein Moment in dem alles den Caracter der Revol[ution] annahm. Der Styl in beiden Künsten hat sich ofenbar seit 20 Jahren sehr geändert, der Geist folgt langsamer nach. Die Kunst aus Lud[wigs] 15 Zeit setzt sich – zu ihrem Nachtheil – sehr gegen die aus Lud[wigs] 14 Zeit ab, – auf jene folgt nun der neuere – antiquere Styl! Dieser zeigt sich auf dem Theater nur in den Costümen, die zum theil wircklich musterhaft gut sind, in den Decorationen, obgleich nur wenig, im Ballet. Dies ist, nächst der Comödie, das vollkommenste Schauspiel in Paris, denn so vil auch daran zu wünschen übrig bleibt, so sehr giebt es doch wenigstens eine Idee von dem was es in seiner höchsten Vollkommenheit sein kann. Im Ballet hat die französische Manier seit 10–15 Jahren offenbar weichen müssen und der gute Geschmack herrscht im Ganzen. Es ist unstreitig das reitzenste Schauspiel, – das Reitzen wird aber dieser Kunst so leicht daß es das auch ohne alles Kunstverdienst sein könnte. Prüft man dieses darin so muß man den Künstlern viel Lieblichkeit der Phantasie, viel Kentniß der schönen Formen und des Effects zugestehn, oder vielmehr der hübschen Mädchen die die Hauptsache dabei sind, – sehr vil natürliche und ausgebildete Gracie, doch fehlt es den Componisten und Tänzern an Genie um dem Schauspiel einen recht eigentlichen Kunstcaracter zu geben, um es recht zum Ganzen zu machen, um eine Stimmung, einen Geist des dichtenden Künstlers darin zu zeigen. Die Pantomieme überwiegt den eigentlichen Tanz zu sehr. Wie schön wäre ein im Geiste der Feerey gedichtetes Ballet, in dem nichts zu Materielles, Kraftvolles die lustigen Traumgestalten unterbrächen. Die herkulanischen Gemählde sind die wahren Studien für diese Kunst. Jeder Sässel, jedes Gefäß muß der Leichtigkeit und Eleganz des Ganzen entsprechen. Der männliche Körper ist selten elegant genug zum schönen Tanze, ich würde Mädchen zu den meisten Rollen brauchen, – meine Phantasie wird durch nichts mehr gestöhrt als durch viereckige Waden. – Auf die Tragödie hat der neuere Styl weniger gewirkt als irgend wo – das Costüm ausgenommen. Hier sieht man fast nur den corrumpirten Alten, und nie kann man mehr französische Manier zusammen sehn als an einem gewöhnlichen tragischen Schauspieler, es sei in der gesprochenen oder gesungenen Tragödie. Die Mahler scheinen es diesen nur nachgemacht zu haben und erreichen sie lange nicht weil ihnen das Moyen der Bewegung und der Stimme abgeht um diesen Reichthum von Geschmacklosigkeit und Absurdität zu zeigen. Es ist natürlich daß auf dem Theater der gute Geschmack schwerer durchdringt; diese Schauspieler gehören zu diesen Dichtern, die noch lange die Muster bleiben werden, denn es fehlt den Dichtern wie den Schauspielern und dem Publico an eigentlichem Geist zur Tragödie: – darum kennen Sie nur die Manier. Diese Unfähigkeit geht auf allen Ausdruck der größeren Leidenschaft, die sie immer nur ganz phisisch und in der Caricatur darzustellen wissen. Von Bayonne bis R[o]uen und von Straßburg bis Brest ist ein und dasselbe tragische Spiel zu finden, und allerdings beweist schon dies daß eine Schauspielkunst in Frankreich sei, aber welche Kunst! Indessen möchten unsere Schauspieler ihnen immer etwas von ihrer Natur für einiges von dieser Kunst abgeben, denn auch der schlechte französische Acteur gebraucht doch seine Stimme, seine Arme und Hände, er sezt doch alle seine Moyens in Bewegung statt daß sie bei den unsrigen meist ganz unentwickelt bleiben. Solche Broullons wie unsere gewöhnlichen Schauspieler (und Schriftsteller) sind würde auch das schlechteste französische Publicum nie leiden. Die französische Manier in der Tragödie ist allerdings eines hohen Grades von Schönheit fähig und wie Du vieles in ihren tragischen Dichtern bewundern mußt so würde Dich eine ganz französisch – aber vollkommen gespielte Tragödie hinreißen. So hat man sie sonst hier gesehn, – die im Winter erschienen[en] Memoiren der Schauspielerin Clairon werden Dir den besten Begriff davon geben können, – jetzt aber erheben sich wenige über die Mittelmäßigkeit. Darum sagte ich Dir daß man den alten Styl corumpirt sieht. Die Frauen sind im Ganzen besser als die Männer, wie überall, die Raucour die schon durch ihre Größe und ihre Stimme Efect macht, muß man in einigen Rollen bewundern. – Ein Schauspieler den ich über dem Ganzen von dem er sich so absondert und weil man ihn so lange nicht gesehen hatt, fast vergessen hätte, Talma ist ein Künstler und hat Geschmack. In ihm zeigt sich der neuere, bessere Styl, auch hat David ihn unterrichtet und er erinnert eben so an die guten Gemählde der neuen Schule als die andern Schauspieler an die Mahler unter Lud[wig] 15, an die alte Akademie erinnern. Dabei hat er in England seine Kunst studirt. – Glaube nicht, was viele in Deutschland glauben, daß sich der enge Geschmack hier seit der Revolution so sehr erweitert habe daß sie die Meisterstücke fremder Nationen auf ihren Bühnen aufnehmen könnten. Einzeln schreiten sie glaube ich darin fort, die Masse ist aber voller als je von ächtem, französischem Vorurtheil, was durch die größere Unwissenheit noch viel greller dasteht. Macbeth, der Mohr von Venedig und noch andere sind auf das Theater gebracht, nichts beweist aber so den entgegengesezten Geist dessen der in diesen Meisterstücken ist als diese abscheulichen Umarbeitungen, denn alles Große und Caracteristische an ihnen ist vertilgt. Ich habe noch vor einigen Tagen den Spaß gehabt Schillers Räuber hier zu sehn, die man übrigens, wie alle diese Stücke, sehr selten giebt. Es ist in der Terreur und für die Terreur gemacht und doch ist alles Kraftvolle so rein herrausgeschnitten, das Ganze so elend moralisirt und gedämpft daß höchstens eine dem Abelino ähnliche pathetische Posse übrig bleibt. – Daß sie Menschenhaß und Reue sehr gutiren wird man ihnen doch nicht anrechnen sollen. Ein Stück was so auf alle menschlichen Thränendrüsen calculirt ist muß von Petersburg bis Madrid gefallen. – Das wenige Merckwürdige was ihre eignen Dichter in den lezten 10 Jahren hervorgebracht haben sollst Du in Berlin bei mir finden. –
Nun aber habe ich lange genug getadelt und will nun loben, – daher von ihrer Commödie und allem was damit zusammenhängt. – Ich kenne kaum etwas Vollkommeneres in der Kunst als eine gute franz[ösische] Comödie so gespielt wie ich sie hier noch gesehn habe. Diese Precision, Leichtigkeit und Feinheit, dies Ensemble muß jedem noch neu sein der auch unsere besten Theater gesehn hat. Die ungebildete Kunst läßt bei uns der Orginalität und dem Genie des großen Schauspielers mehr Raum, aber es sind nur Einzelne die für wenige Einzelne spielen, hier sehe ich die gebildete Kunst im ganzen Schauspiel, und fühle mich unter gebildeten Menschen. Denn so wie jener schlechte Geschmack in der fast Totalität des Publicums ist, so ist es auch hier der Gute. Für die wahre Comödie die nur den Verstand angeht sind sie gemacht, zur Farce fehlt es ihnen schon an Laune, – an komischem Geist. Geht die Comödie aus ihren Schrancken, und nur irgend ins Leidenschaftliche so ist ihr gutes Urtheil dahin und ihre moralische Ohnmacht zeigt sich in ihrer platten Moralität, in ihrer Liebe zu allen Gemeinpläzen. Diese elende Tendenz hat durch die Revol[ution] sicher sehr zugenommen, sie erlauben jezt weit weniger daß der Verstand und der Wiz mit den Dingen spielen sondern nehmen es ernsthaft und – platt. Die gewöhnlichen Dramen sind nur allzusehr für sie gemacht und wir erleben es noch daß Kotzebue und Ifland in Paris herrschen, es fehlt ihnen dazu nur eine Ingredienz – heftigere, schreiendere Leidenschaft. – Gute Comödien im großen Styl sind seit der Revol[ution] so wenig erschienen als gute Tragödien, und doch bedürfte man sehr eines neuen Comischen Dichters der seiner Zeit das wäre was Molliére der seinigen war. Hätte Beaumarchais mehr Figaros schreiben können so wäre er der wahre Mann. Mollière wird wenig gespielt. Kein Franzose giebt zwar zu daß er ihn nicht bewundre, aber das Theater ist lehr.
Kleine Stücke sind das beste was die jetzige Zeit hervorbringt. Die Musick hat sich sehr hervorgedrängt so daß jezt alles leichter zur Oper als zur Comödie wird, doch so daß die Musick nur begleitend und das Stück die Hauptsache ist. Von dieser Art sind Adolphe et Clare, le Prisonnier und l’Opera Comique die ich dir hier schicke. Vieleicht komme ich zu spät und sind sie in Berlin schon ganz bekannt, sind sie es aber nicht so überseze sie jede in einem Abende und verkaufe sie so theuer als Du kannst dem Theater. Ich habe die Partituren die etwa jede 7 Thlr. kosten nicht kaufen wollen ehe ich wußte ob Du sie brauchen kannst, Dein Bruder kann sie Dir aber gleich schicken wenn Du sie forderst. Zur Probe lege ich die Singstimme der Arien bei. Mit einigen Stimmen und einer Violine kann man diese Stücke auf jedem Gesellschaftstheater geben. Du wirst gleich sehen wie sehr sie zu einem hübschen Spiel practiren, ganz Berlin wäre entzückt wenn es sie so sehn könnte wie sie hier auf dem Theater der kleinen Oper, théatre des Italiens gegeben werden. Die Sprache muß durchaus schnell und leicht sein und das Spiel höchst fein und nicht zu marquirt sonst könnte im Deutschen z. B. der Streit zwischen Mann und Frau in Adol[phe] et Clare leicht grob werden. Die hiesige Schauspielerin für diese Rollen ist ganz ein Pendant zur Unzelmann, auch wird sie diese Rollen sehr gut spielen, – ein Etourdi wie hier, zum Adolphe und zum Prisonnier möchte aber wohl fehlen. Die Musick ist hübsch, dieser kleinen spirituellen Musik sind die Franzosen sehr gewachsen. Adolphe und der Prisonnier müßten eine idealisirte Cornetstournüre haben, die Anzüge müssen sehr soignirt sein. Gaspar ist hier eine exellente Figur, grade wie ein Landedelmann bei solchem Spaß seinen Jäger aus seiner Rüstkammer ausputzen würde, – er hat eine große Hellebarde. Eben so ist die Wache extravagant militairisch und fürchterlich. Der Etourdi muß ganz nothwändig jung und hübsch sein und muß viel kleines Spiel und eine leichte Stimme haben. Hier werden diese Arien sehr bunt in der kleinen italiänischen Manier gesungen es macht sich aber gut. – Der alte Commandant in Prisonnier ist hier die hübscheste Copie eines alten Ludwigsritters wie sie auf den festen Schlössern waren. –
Ein anderes allerliebstes kleines Schauspiel ist das Veaudeville. Erst seit der Revol[ution] hat dies ein eignes Theater. Ich schicke Dir hier zwei zur Probe. Die Arien haben immer bekante Musick, – daher ist so ein Stück zur Noth in 24 Stunden gemacht und gespielt. Die Schauspieler sind zugleich die Dichter, jedes Stück hat in der Regel 2–3 Verfasser. Theils sind es Stücke im genre des Scarron, und diese sind besonders hübsch, weil sie ein allerliebstes Bild aus jener Zeit ausmachen, und tausend Erinnerungen an Menschen und Anecdoten, Bonmots erregen die jeder Zuschauer kennt. Die genauste Beobachtung des Costüms ist wesentlich dabei. Hier bringen sie es dadurch oft so weit daß der Schauspieler dem den er vorstellt ähnlich sieht und daß man würklich Pirron mit seinen Freunden, Molliere mit Reniard und seinen Zeitgenossen, Rabelai mit Ronsard, Racine, Voltaire ec. zu sehen glaubt. Ich kann schlechterdings nicht wissen wie Dir der Scarron gefallen muß, denn ich kann ihn von der Vorstellung nicht trennen, von diesem vortreflichen Spiel des leidenden lustigen Mannes der immer den Schmerz in einem Winckel des Mundes hat und das Lachen im andern. Eine andere Classe ist die wo Arlequin ec. erscheint. Arlequin ist hier mehr spirituel als der Italiänische, diese Stücke sind allerliebste Kleinigkeiten, voll Wiz und Satyre und sogar Naivität. Andere Veaudevilles geben ein lustges und frappantes Bild der Sitten dieser oder jener Stände, andere sind ganz Kinder des Tages und beziehn sich auf eben roulirende Anecdoten. Coment faire ist nur eins von denen die hier auf Misentropie et Rep[entir] gemacht sind. Ich dencke es soll Dich und andere amüsiren. Aber vieles wird durch das Spiel, durch den Gesang der fast gesprochen ist und nur ganz leise mit wenig Violinen begleitet wird, durch die Reime des Couplets zu etwas, was beim Lesen nichts sein mag. So ein Theater wünschte ich Dir. Es ist Zirkelrund und ganz klein. Die Zuschauer machen gleichsam eine lustige Gesellschaft. Weder Musik noch Decerationen machen Aufwand, – mit 12 Personen ist so ein Theater leidlich zu montiren. Es müßte weit vom großen Schauspielhause abliegen und alle Woche 3 mal spielen. Die große Abwechselung der Stücke sichert ihm einen beständigen Zulauf, und wie nüzlich wäre unsere[r] Schwerfälligkeit so ein kleines leichtes Schauspiel. Nur müßte sich das genre rein erhalten und nie eine Thräne darin fließen. Das große Schauspiel würde nicht ein mal an Einnahme leiden, denn es gewinnt wenn der Geschmack am Schauspiel überhaupt zunimmt. Auch könnte man gewissermaßen gemeinschaftliche Casse mit ihm machen, – die Kosten von ihm bestreiten lassen und ihm die Einnahmen geben. Unsere berühmten Männer wären nicht so gut aufs Theater zu bringen, – ihr häusliches Leben ist weder so hübsch noch so bekannt. Die Nürrenberger die zusammen lebten, Hans Sachs ec. Dürer ec. ließen sich noch am ersten so vorstellen, in Hans Sachsischen Versen müßten sie sprechen. An Autoren die zugleich Schauspieler wären fehlt es, denn Deine Ader reicht allein nicht hin um das zu ernähren. Es müsten jedes mal 3 – wenigstens 2 Stücke gegeben werden, und alles lange und nicht amüsante würde das Theater denatüriren. Man müßte viele Uebersezungen zu Hülfe nehmen. Man müßte Dir gleich alle hiesigen schicken die Du dann nach Gefallen arrangirtest. Ohne eine Verbindung von mehrern wizigen Freunden ist es aber doch nicht denckbar, – (denn Posse muß es nicht werden, die muß als Nachspiel der Comödie bleiben) – hier werden die Stücke fast bei Tisch unter den Schauspielern gemacht und so ist es recht. Man könnte denn manche ohne Musik geben, – doch sind die Couplets sehr wesentlich. Schreib geschwind ein halb Dutzend zur Uebung und gieb sie als Nachspiele auf das Theater, goutirt man sie sehr so ist ja dann weiter zu sehn. –
Empfiehl mich Bernhardi, Deiner Schwester und Deiner Frau auf deren Bekantschaft ich mich freue. Wackelst Du als Vater noch immer so mit dem Kopfe? – Dein Hauswesen soll mich sehr amüsiren. –
Antworte mir nach dem Haag an Bielfeld adressirt, bei dem ich bis zum 20sten July sein werde. Willst Du etwas besonders aus England wissen so frage und ich werde Dir von da aus antworten. Den 2ten Klosterbruder habe ich kaum gesehn und noch nicht gelesen.
Nachschrift. Dies Paket machte ich vor 4 Monatten und gab es einem Reisenden nach Deutschland mit. Der behielt es 4 Wochen und reiste nicht ab. Ich hielt es des Postgelds nicht werth und nahm es selbst endlich mit. Jezt in Embden den 13ten September im Augenblicke vor meiner Einschiffung gebe ich es meinem Reisegesellschafter Buch. Es hat durch diese Verzögerung noch den geringen Werth verlohren den es für Dich haben konnte, jetzt habe ich angestanden es Dir zu schicken so wenig halte ich auf dies geschriebene und Gedruckte und besonders wenig auf die Musick. Schreib mir nach London chez Mr: Balan, Chargé d’affaires ec. In 4 Tagen bin ich da.
*) Seit Vorgestern den 28 May spielt diese fast vereinigte Gesellschaft wieder.