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Ludwig Tieck to Carl Friedrich Ernst Frommann TEI-Logo

Berlin. den 30. Januar 1801.
Theurer Freund,
Ich setze mich nieder, um Ihnen einen recht weitläuftigen und umständlichen Brief zu schreiben, damit ich doch ein Weniges von meiner Schuld gegen Sie abtrage. Sie ist aber nicht so groß, als Sie glauben werden, und wenn ich es Ihnen sage, so hören Sie gewiß auch auf, böse zu sein, denn ich vermuthe, daß Sie es sind. Ich danke Ihnen nehmlich erst so spät für die überschickten Veelin-Exemplare der Oper, weil ich sie erst so spät, ganz kürzlich vor 10 Tagen erhalten habe, so daß Ihr Datum des Briefes beinahe 2 Monath alt ist. Wie es zugeht, mag Gott wissen, die Sachen von Jena hierher bleiben viel länger unterwegs, als die von Berlin nach Jena, und dann, lieber Freund, was hatte Sie bewogen, die Adresse so falsch zu machen? Grundfalsch. Denn ich wohne nicht in der Lindenstraße, sondern in der Linienstraße Nr. 151, die gerade eine halbe Meile von einander entfernt sind, so daß die Postbothen, die nicht allzueifrig sind, das Paket gewiß 4 Wochen haben liegen lassen: der Briefträger weiß zwar meine Wohnung sehr gut, es ist aber hier die einfältige Einrichtung, daß die Briefe, wobei Pakete sind, von ganz anderen Menschen ausgetragen werden. Sie müssen mir dies durchaus glauben, denn es ist ganz wahr, obgleich die Preußische Post ihre Accuratesse immer behaupten will. Ich vermutete auch schon, daß ich die Exemplare der Oper nicht erhielt, die Sie mir versprochen hatten (?) – Wie lieb ist es mir, einmal wieder Nachrichten von Ihnen zu haben! Es geht Ihnen wohl, und ich wünsche, daß es dabei bleiben mag. Wir sind recht wohl, d. h. Malchen und Dortchen, ich so ziemlich, doch auch viel unpäßlich wie alle Winter, von der Gicht spüre ich so viel wie nichts. Aber ich leide an einer gewissen Schwäche, an einem Hange zur Verdrüßlichkeit und übeln Laune, der mir sonst so ganz unbekannt ist. Das Wetter ist freilich so ungesund, als es nur immer sein kann.
Ich bin fleißig bei dem Poetischen Journal, und daß ich es etwas aufgehalten habe, soll dieser Schrift gewiß nicht zum Nachtheil gereichen. Ich denke, auch denen über manche Dinge den Sinn zu eröffnen, die sonst ganz von Gott verlassen und in der Dummheit einheimisch sind. Die Dame, die das Urtheil über Ben Jonson gefällt hat, mag recht liebenswürdig sein, auch gern gute und geschmackvolle Sachen lesen, aber warum will sie sich damit abgeben, die Poesie zu verstehen? Das Verständniß darüber zu eröffnen, darauf geht das Journal aus, und dazu hab’ ich mir die Mühe gegeben, dieses Stück zu übersetzen, der ich freilich selber etwas besonderes machen könnte. Ich erhalte von vielen Seiten Aufmunterung zu dieser Arbeit, mehr als ich erwartet hatte, u. endlich wird das Gute gewiß durchdringen. Die Sachen von Mnioch kommen mir recht erwünscht, sie sind seltsam genug, und ich habe schon vor einiger Zeit selber dergleichen schreiben wollen: der Mühe bin ich nun fürs Erste überhoben. Ich schicke Ihnen daher heut über 8 Tagen diese Gedichte nebst den Briefen über Shkspeare, u. den Posttag darauf einen Aufsatz über B. Jonson, der eigentlich das ganze Englische Theater angeht. Danken Sie Mnioch für seinen Beitrag und Brief, ich bin eben auch dabei, an ihn zu schreiben, er verdient gewiß, nicht zu den gewöhnlichen Menschen gerechnet zu werden. Das 2te Gedicht von dem G. v. Tümpeling ist nicht zu gebrauchen. Ich thue es gern, daß wir die Shaksp. Sonette noch aufschieben, aus mehr als einer Rücksicht: in manchem können Sie mir gewiß einen guten Rath geben; vielleicht, daß ich im 4. St. ein Schauspiel übersetze, oder zur Hälfte, das gewiß von Sh. ist, und auf das noch niemand einige Aufmerksamkeit verwendet hat. Es müssen nun überhaupt einige gelehrtere Stücke kommen, damit den Nikolaiten der deutschen Bibliothek u. dgl. ihr dummes Gewäsch auch in dieser Rücksicht nichts fruchtet. Wenn [man] die allgemeine Dummheit ansieht, möchte man allen Muth verliehren. – Da ist ja wieder ein Ding, ein wahrer Dreck, herausgekommen, der Babylonische Thurm, in Jena ist es ohne Zweifel gemacht, aber von wem? Wissen Sie nichts darum? Nicht, daß es mich eben interessierte, ich möchte es nur wissen, weil ich eine Vermuthung darüber habe. – Wir leben in Berlin auch sehr eingezogen, und sehn uns fast nur mit Bernhardis, ich denke oft mit großer Sehnsucht nach Jena zurück. Wie frölich wollte ich sein, wenn ich dort einmal wieder, besonders im Sommer, sein könnte! Ich gebe es nicht auf, und hören Sie, was ich mir darüber ausgedacht habe. In den letzten Tagen der Ostermesse komme ich nach Leipzig und sehe Sie dort; haben Sie vielleicht in Ihrem Logis einen kleinen Raum für mich übrig? Im vorigen Jahre waren Sie so gut, es mir anzubieten. Doch sprechen Sie aufrichtig darüber, wenn ich Ihnen irgend zur Last falle, thu’ ich es nicht, das versteht sich. Dann reise ich (auch vielleicht mit Ihnen) auf ein Paar Tage nach Jena; doch können wir über diesen letzten Punkt noch in Leipzig sprechen. Ich fühle jetzt erst, wie sehr es mir in Jena gefallen hat und wie es mir Zeitleben in Berlin nicht gefallen kann, darum werde ich auch niemals wieder hier wohnen. Auf Ostern gehe ich nach Dresden, d. h. wenn das Wetter gut ist, in den ersten Tagen des April, und komme von Dresden nach Leipzig.
Dann bleibe ich mahl für einige Jahre in Dresden, um die Kunst zu studieren. Diesen Bescheid können Sie dem Doktor sagen, dessen Nahmen ich nicht habe lesen können, ich schließe aber aus einem Briefe von Fr. Schlegel, daß es Niemand anders, als dieser ist. Wo bekommen Sie die undeutliche Hand her? Sie kann gewiß mit der meinigen wetteifern.
Ihrer lieben Frau sagen Sie viele herzliche Grüße von mir, auch Malchen, läßt recht von Herzen grüßen. Mit ihren lieben Kindern müßen doch die Kränklichkeiten wohl nichts zu bedeuten haben. Grüßen Sie auch Wesselhöfts von uns beiden, wir haben immer einmahl an ihn schreiben wollen, er ist ein äußerst braver Mann, der mir immer sehr gefallen hat, und in dessen Gesellschaft sich manche von meinen Ideen noch deutlicher entwickeln würden, weil er so recht unbefangen und wahr ist. Was machen seine Kinder? – Von Dorothea muß ich Ihnen noch melden, daß wir ihr im Herbste hier die Blattern haben impfen lassen, sie hat sie sehr glücklich überstanden, und gar keine Spur davon zurückbehalten, sie wird immer größer, dicker und klüger, sie spricht und rennt den ganzen Tag.
Liebster Freund; heitzen Sie doch Ihren Correktoren und Setzern etwas mehr ein, in der Oper, besonders in der kleinen Vorrede sind viele schreckliche Druckfehler, ich zeige alle beim 3. T. an. Sie müssen beide Stücke noch zu Ostern, wo möglich, fertig machen. Ist die Rezension von Zerbino wirklich von Schütz? So muß ich sagen, daß ich seine Mäßigkeit bewundre, so wie die Idee, aus dem Zerbino einen Auszug zu machen; oder es ist eine Einleitung dazu, daß nie mehr von mir in der L. Z. die Rede sein wird, oder nur auf eine niederträchtige Weise, denn sonst kann ich es nicht begreifen.
Es ist Februar, 1. F., und wenn Sie unbillig sind, so werden Sie sagen, daß ich mit meinem Briefe nur darauf gewartet habe, um sie daran zu erinnern, Sie wollen mich um Msk. nicht mahnen, ob ich Ihnen gleich welches schuldig bin, und ich mahne Sie um Geld, da Sie mir keins schuldig sind. Kann man unartiger sein? Doch denke ich, muß es Ihnen viel leichter sein, Geld, als mir, Mskpt. zu bekommen, und darum ist das Verhältniß ganz recht. Doch ernsthaft gesprochen, Sie waren bei meiner Abreise aus Jena so gut, mir zu sagen, vor Febr. 1801 könnten Sie mir nicht helfen, und daraus habe ich geschlossen, daß es Ihnen jetzt möglich sein muß. Ich will Sie also so ernsthaft und höflich darum bitten, als ich nur immer kann, und Sie können versichert sein, daß ich es höchst nöthig brauche, weil es meine Art ist, außerdem weder daran zu denken, noch jemand beschwerlich zu fallen. Aber wie viel? 200 r ich mag meinen Überschlag machen, wie ich will, denn ich bin noch allerhand Kleinigkeiten schuldig, dann bliebe ich bei Ihnen, nach Abzug der 2 St.[ücke] J[ournal] nach meiner Rechnung noch mit 20 oder 30 r im Rest. Sein Sie also so gut, wenn Sie irgend können, und das muß ich sonst [?] voraussetzen, sonst bin ich in der größten Verlegenheit, und ich füge nichts mehr hinzu, weil ich von Ihrer Freundschaft versichert bin, das es Ihnen selber das unangenehmste Gefühl sein würde, mich in dieser zu wissen. – Mit dem Oktavian haben Sie mich recht erschreckt; also wäre es nun nicht mehr möglich? Vielleicht doch noch. Ich bin sehr dabei, wie bei allem, was ich angefangen habe; nur versagen mir oft Kräffte und Laune, und der Mangel dieser beiden muß an diesem Werke durchaus nicht sichtbar sein, darum muß es am Ende nach Ostern, vielleicht erst Michaelis kommen, wenn es denn durchaus nicht anders möglich ist, doch bin ich verdrüßlich darüber, und da ich einmal ins Bitten gekommen bin, so würde ich Sie auch noch bitten, es Ostern mit wie als fertig zu berechnen, weil ich sonst meine Einrichtungen gar nicht treffen kann, und das Msk. erhielten Sie alsdann auch gewiß. Was sagen Sie dazu? Ich arbeite mit großer Liebe daran, und wenn ein Dichter über seine Werke urteilen darf, so glaube ich, daß er die Genoveva erreichen, in manchem wohl übertreffen wird. Es scheint mir, als würde ich nie den Verdrüßlichkeiten entnommen werden, die sich von einem Jahr zum andern zu mir mit hinüber schleppen, ich meine die armseligste aller Verlegenheiten, die des Geldes, das sich vielleicht dadurch an mir rächt, weil ich es immer so von Herzen verachtet habe. Ich muß oft fürchten, daß mich meine Arbeiten krank machen, weil ich sie so ernstlich nehme, und mich doch mit so vielen belade; wir haben ausgemacht 2 Louisd’ p. C.; – ohne böse zu werden, sondern als Freund, wie ich Sie mir bei diesem ganzen Briefe, und nicht als Kaufmann denke, wäre es Ihnen durchaus soviel, mir 3 Frd’or p. B. zu geben? Ich komme darauf, weil ich mit Cotta, selbst mit dem hiesigen Maurer, Contrakte für die Zukunft gemacht habe, und diese sich nicht geweigert haben, einen Antrag eines anderen habe ich abgelehnt, der mir eben so viel bot, weil es mir nicht convenierte, ich mich auch nicht gar [zu] vielem verpflichten mag. Sie werden mir antworten, wie Sie mir damals schon sagten, Sie druckten es mehr aus Freundschaft für mich; aber es muß doch endlich einmal durchdringen, die Leute werden doch gezwungen werden, das Gute zu lesen. Antworten Sie mir ganz nach ihrer Überzeugung, auf jeden Fall wünsche ich, daß Sie den Oktavian drucken, da ich Sie kenne und weiß, wie sehr Sie mich immer als Freund behandelt haben, gegen Niemand anders würde ich auch diese Zumuthung äußern, da wir den Vertrag einmal abgeschloßen haben.
Weitläufig ist mein Brief genug, aber er wird mir sauer zu schreiben. Die Genov. wird im Ganzen sehr geliebt, aber in einer stillen Kirche, ein Geschrei scheint sich nicht darüber zu erheben, u. für mich ist es auch eben so gut, freilich für Sie nicht; ich glaube, es wäre besser gewesen, Sie einzeln erscheinen zu lassen. Sollte nicht vielleicht einmahl zu einer neuen Ausgabe dieses einzelnen Stückes Gelegenheit werden, in der ich noch manche Kleinigkeiten verbessern könnte?
Auf Ostern will ich Ihnen mündlich noch allerhand Plane mittheilen, einen Vorschlag muß ich Ihnen durchaus noch schriftlich thun.
Wir hatten vom Simplicissimus gesprochen, und Sie waren der Meinung, ihn bis Ostern 1802 zu lassen: ich habe seitdem aus Trägheit keinen andern Verleger gesucht, u. bin jetzt in der Stimmung, das ganze Ding lieber liegen zu lassen, wer es verstehen kann, für den ist es da, die Übrigen nehmen nur Aerger daran. Aber eine ordentliche Wuth, einen wahren Heißhunger habe ich, die Galatea des Cervantes zu übersetzen, die gewiß auch kein anderer Mensch übersetzen kann. H. Soltau ist schon so klug und bescheiden gewesen, zurückzutreten. Von dieser Übersetzg wollte ich versprechen, daß auch der strengste und bösartigste Kritiker keine Fehler drinn entdecken sollte, denn ich habe seitdem im Spanischen sehr zugenommen, auch fallen hier eine Menge Kleinigkeiten weg, die beim D[on] Qu[ichote] in Betracht kommen, Lokalbeziehungen u. dgl. Dagegen könnten die Deutschen aus keinem Werke mehr lernen, wenn es nur halb so gelingt, wie ich mir einbilde, daß es mir ganz gelingen soll. Ich möchte, daß Sie es druckten. Es werden 2 mäßige Bände, es sind viele schwierige Gedichte, es ist das poetischte von allen Werken des Cervantes. Meine Forderung ist 2 Louisd. p. C., die mir die Zeit, die ich darauf verwenden muß, nur äußerst mittelmäßig vergüten. Ich bin überzeugt, daß mir hiebei kein anderer Concurrent in den Weg treten kann, weil die Sache gar mühsam und schwierig ist. Ist die Galatea, und nachher auch der Persiles übersetzt, so denke ich ein eigenes Werk, ein literarisches, über Sh[akespeare] zu schreiben, wie sans comparaison das von Eschenburg über Shk. ist.
Grüßen Sie Gries von mir. Mein Brief wird ein Buch, wie Malchen eben bemerkt, die meine Briefseligkeit für eine Wirkung des großen Sturmes halten muß, der jetzt immer wüthet.
Leben Sie recht wohl, verzeihen Sie mir meine Zudringlichkeiten, wenn Sie die hauptsächlichste erfüllen können, und recht bald, so werden Sie dadurch aufs äußerste verbinden
Ihren Freund
L. Tieck.
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  • Date: 30. Januar bis 01. Februar 1801
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Carl Friedrich Ernst Frommann ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Günther, Hans: Ungedruckte Briefe L. Tiecks. In: Euphorion 20 (1913), S. 642–645.

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