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Ludwig Tieck to Carl Friedrich Ernst Frommann TEI-Logo

Werthgeschätzter Freund,
Ich muß vermuthen, daß Sie meiner versäumten Antwort wegen in einem gewissen Grade erzürnt sind, u. ich muß gestehn, daß mir meine Saumseligkeit sehr leid gethan hat. Freilich gehört das Briefschreiben u. Antworten darauf zu den nothwendigen Uebeln, wie Sie in Ihrem lezten Briefchen sagen, indessen ist es doch nicht ganz das, was mich abgehalten hat, sondern im Gegentheil, weil ich Lust hatte, Ihnen recht umständlich zu schreiben, habe ich den Brief von einem Tage zum andern aufgeschoben, und da ist es nicht anders, der Geschäftsmann und Kaufmann muß schon mit dem Gelehrten Geduld haben, der gar zu leicht in die üble Gewohnheit kommt, daß er auch einen Brief, selbst wenn darinn zum Theil von Geschäften die Rede sein sollte, con amore schreiben will: schreiben doch Geschäftsleute nur gar zu leicht selbst Ihre [ihre] Amour-Briefe im Curialstyl. Verzeihen Sie mir also, und schieben Sie zum Theil meine Versäumniß auf Unpäßlichkeiten u. verdrüßliche Stimmungen.
Zuerst sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank für die Anweisung, die Arnold annahm, wenn er sie mir gleich bis jetzt noch nicht ganz bezahlt hat, indessen ist keine Frage, daß ich in diesen Tagen den Rest auch von ihm erhalten werde. Sie haben mir dadurch einen rechten Freundschaftsdienst erwiesen, wofür ich Ihnen dankbar bin, ob ich gleich nicht geschrieben habe, was ich hätte thun sollen: auch dafür danke ich Ihnen, daß Sie mir noch in der Messe das übrige Honorar geben wollen, ich wüßte mir auch sonst wahrlich nicht zu helfen: da Sie mir schreiben, Sie würden den Octavian nicht zur Messe fertig drucken können, so habe ich Ihnen nicht die einzelnen Akte schicken wollen, ich bin jetzt fast ganz fertig, und in 14 Tagen können Sie gewiß eine schöne u. richtige Abschrift haben: der 2te Th. ist etwas, doch nicht viel stärker, als der erste, und ich habe lieber etwas gezögert, um alle Correkturen und Kleinigkeiten noch recht mit Liebe hineinzubringen, das Ganze liegt mir diesmal so am Herzen, daß ich es gerne sehe, wenn ich nach dem Drucke auch nicht ein einziges Wort anders wünsche, darum seien Sie nicht verdrüßlich, daß Sie die Copie noch nicht in Händen haben, Sie erhalten sie gewiß in der von mir festgesezten Zeit, so daß auch der Druck anfangen kann, wenn Sie jezt alle Pressen leer haben, doch bitte ich nochmals um guten Druck und Correktur. Sie sehen, welche Aufmerksamkeit ich auf die Copien gewandt habe, in der 2ten, die nehmlich nicht von meiner Hand ist, habe ich Kleinigkeiten hinzugefügt, andre ausgestrichen, Verse abgeändert, darum bitte ich nach dieser zu drucken, ich habe sie genau durchgesehen, man könnte aber schwierige Stellen, die vielleicht unleserlich sind, nach meiner Handschrift herausbringen, und da Sie doch vielleicht die lezte Correktur lesen, könnten Sie meine Handschrift immer zu Rathe ziehen. Sie haben Recht, daß alle Verse u. Zeilen mit einem großen Buchstaben anfangen müssen, es macht sonst einen Uebelstand, und ich hab mich geirrt, darum muß der Setzer auch auf die kleinen Buchstaben in den Anfängen (wie sie in der Copie stehn) keine Rücksicht nehmen. Ich meine auch, daß Sie mit dem Ein- und Ausrücken recht haben mögen, nur suchen Sie es doch einzurichten, daß dabei so wenige Verse als möglich, wo möglich gar keine, gebrochen werden, und da es ein Drama ist, müssen durchaus zwischen den einzelnen Stanzen und den Quartetts der Sonette keine Zwischenräume statt finden, es wird genug durch die ausgerückten Buchstaben markiert, besonders da 2 Stanzen manchmal in einander übergehn. Durchaus aber müssen die Verse, die im Maaß der Romanze geschrieben sind, keine eingerückten Buchstaben haben, (ich meine die, wie die Hälfte des Prologes, die Reden des Schlafes, die meisten Reden der Romanze, eine in Stanzen ausgenommen) diese müssen ohne Absätze fortgehen, u. es war ein Irrthum von mir, daß ich hierinn eine Art von Abtheilung einführen wollte. Ich fürchte, ich werde ordentlich geschwätzig, aber ich glaube, Sie werden doch meine Meinung verstanden haben. Das 2te Stück erhalten Sie ganz allein von meiner Hand geschrieben, aber noch deutlicher als das erste, weil mir die Durchsicht der Abschrift sonst eben so viel Zeit wegnimmt, als wenn ich die Hälfte noch einmal schreiben sollte, dse Zeit will ich lieber auf meine eigene Abschrift verwenden. Diese erhalten Sie gewiß um die festgesezte Zeit, und es ist besser, ich schicke Ihnen gleich das Ganze, als actweise, damit es noch in meiner Macht steht, Kleinigkeiten beim völligen Beschlusse zu verbessern.
Ich danke auch für die übersandten Exemplare: eben so für die Briefcouverts, doch um recht vollständig zu sein, so habe ich ungern die weißen vermißt: ich bin für beides, außer meinem Danke, in Ihrer Schuld: da Sie über mein Nicht-Antworten böse sind, so würden Sie es vielleicht noch mehr, wenn ich Ihnen nach und nach alle diese Couverte, mit Briefen von mir, zurück schickte. –
Jetzt von dem Poet. Journal zu sprechen. Um aufrichtig zu sein, so haben Sie mir eine Last vom Herzen genommen, da Sie mir mit dem Vorschlage entgegen gekommen sind, es mit dem 2ten Stück aufhören zu lassen. Nicht, als wenn ich nicht ziemlich viel dazu ausgearbeitet hätte, oder es mir an Beiträgen fehlte, ich habe einiges mit vieler Mühe und auch gelehrt ausgearbeitet, dazu habe ich fremde Beiträge, die recht interessant sind, so daß ich mit diesem Vorrath so ziemlich die beiden restierenden Stücke ausfüllen könnte. Das ist es also gar nicht, was mir die Lust zu dsem Unternehmen genommen hat, sondern nur die Idee, daß die Fortsetzung eben so wenig vom Publikum als der Anfang bemerkt werden dürfte: dse Vorstellung kann den Dichter bei einem Kunstwerke nicht stören, weil sich dses ganz für sich selber erfüllt, aber wohl den Gelehrten, denn ein Journal, welches keine Wirkung nach außen hat, ist ein Unding, u. darum hätte ich vielleicht keins unternehmen sollen: also, wie gesagt, Sie erzeigen mir einen rechten Gefallen, wie Sie mir vorschlagen, wenn Sie es hiemit aufhören lassen, ich habe mich gescheut, Ihnen diesen Vorschlag zu thun. Es ist auf jedem Falle besser, Sie hätten auch nur Verdruß, wenn die folgenden Stücke nicht mehr abgingen. Meine Schuld vergrößert sich freilich dadurch, die ich bei Ihnen habe, ich denke aber, daß wir uns hierüber vergleichen wollen, vielleicht komme ich in der Messe auf einige Tage nach Leipzig, und wir sprechen dann mündlich darüber.
Das 2te, was mich an der Fortsetzung d. Journals gehindert hat, ist, unter uns gesagt, die Art, wie ich die Briefe über Shakspear angefangen habe. Nicht, daß ich mit diesen unzufrieden wäre, so wie sie an sich selber sind, denn ich bin überzeugt, könnte ich sie so ausführen, wie ich sie angefangen habe, so würden sie ein sehr gutes u. originales Buch werden, nur würden sie ein Buch von wenigstens 4 Bänden: auch ist es die beste Prosa, die ich vielleicht noch geschrieben habe, aber die Anlage und der Ton darinn führt so nothwendig auf einen Roman, daß, wenn sich dieser nicht aus ihnen entwickelt, das Ganze unharmonisch und unzusammenhängend ist, dies aber auszuführen ist ein Kunstwerk, welches sich nicht so fragmentarisch ausführen läßt: ich habe mich also mit diesen Briefen etwas übereilt, und fühlte zu bestimmt, wie alles Wissenschaftl. trocken gegen den Anfang ausfallen müßte. Sie sehen, wie ich hier ganz als Freund und nicht als Autor mit Ihnen spreche. Ich bin aber dabei, mein Studium über den Shk. auf eine andere Art zu bearbeiten, in einer mehr wissenschaftl. Form. Dses Buch sollte zugleich eine Uebersicht der ganzen neueren Poesie, des Theaters, besonders des Engl., Shaksp. Leben u. die Zergliederung seiner Werke enthalten; ich habe große Lust, da ich alle Materialien dazu schon liegen habe, es noch in dsem Jahre auszuarbeiten, und es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie geneigt wären, den Verlag zu übernehmen, auch wäre dies wohl die gültigste und beste Fortsetzung des P. Journals, dem auch die elenden Recensenten, wegen der Gelehrsamkeit, mehr Respekt schenken würden. Ich glaube, daß es guten Eingang beim Publikum finden wird, u. überzeugt bin ich, daß diese Arbeit eine große Lücke, die jeder fühlt, ausfüllen muß. Uebernehmen Sie es, so können wir von meiner Schuld (wenn es nicht zuviel ist) abrechnen. Das Werk wird 2 Bände stark, oder wenn Sie sich entschließen könnten, in Quart zu drucken, Ein Band. Ich weiß nicht gewiß, ob ich bis künftige Ostern fertig würde, denn ich habe mir fest vorgenommen, keins von meinen Werken wieder zu übereilen.
Dieses ist einer von meinen Vorschlägen, welchen ich Sie zu überlegen bitte, ob Sie ihn annehmen können u. wollen. Außerdem will ich Ihnen noch einige Plane mittheilen, die mir jezt recht sehr am Herzen liegen, bei denen ich Sie aber recht sehr bitte, sie für jezt noch Niemandem zu sagen, weil aus dergleichen zu leicht Mißbrauch entsteht, oder unnützes Geschwätz im Publikum, welches zu leicht die beste Absicht vereiteln kann. Ich habe mich in diesem Jahre sehr fleißig mit dem Studium der alten deutschen Litteratur beschäftigt, und sehe ein, daß, wenn man einige der Hauptwerke erneuern u. erwecken wollte, man dadurch der ganzen neuern Poesie ein Fundament geben könnte. Keins von diesen Werken hat einen so alten u. großen Charakter als das Lied der Niebelungen, welches ich sehr studiert habe, auch vieles andere dazu gelesen, u. zu diesem Behufe auch jezt Dänisch, Schwedisch u. Isländisch lerne: aus diesem Gedichte, wenn man die Nordische Mythologie daran knüpft, kann vielleicht eine Art von Ilias und Odyssee werden, u. ich fühle eine wahre Begeisterung, diese neue Bearbeitung u. Umdichtung über mich zu nehmen, ich bin auch überzeugt, daß jezt kein anderer es so machen kann, als ich, weil nicht leicht jemand die Studien dazu gemacht hat. Dieses große Gedicht wird aber doch nicht mehr als einen Band ausfüllen. – Hat dieser beim Publikum Eingang gefunden, so kann man nachher (vielleicht auch zugleich mit den Niebelungen) eine neue Bearbeitung der deutschen Heldenbücher folgen lassen. Diese beiden Sachen müssen einen dauerhaften Grund auf viele Jahre legen, das Publikum zur Poesie erziehn, und man wird alsdann erst wissen, was die Deutsche Poesie ist.
In Verbindung mit diesem steht eine andere Idee, die aber auch unabhängig für sich ausgeführt werden kann, u. ein für sich bestehendes Werk ausmacht. Eins der schönsten Kunstwerke aus den Zeiten des Minnegesanges ist das Gedicht von den Pflegern des Graals: dieses Gedicht besteht aus zweien Theilen, von denen der erste die berühmte Geschichte des Parcival, u. der 2te Theil, die Geschichte des Titurell u. anderer Ritter enthält, die zu Artus Tafelrunde gehören: das Ganze ist wunderbare, abentheuerliche Rittergeschichte, Liebe u. Religion in der zartesten Mischung. Niemand versteht jezt die Sprache, oder hat nur Gelegenheit es zu lesen, weil der Titurell nicht wieder abgedruckt ist: ich habe auf der hiesigen Bibliothek Gelegenheit gehabt, diese, u. manche andre Werke zu studieren, u. bin ebenfalls entschlossen, dieses Werk in zweien, in sich zusammenhängenden Gedichten neu zu bearbeiten.
Ueberlegen Sie sich alle meine Vorschäge, u. sagen Sie mir bald etwas darüber, ich mag Ihnen noch nichts von meinen Bedingungen sagen, die nach meiner Mühe u. Zeitaufwand, die mich jedes dieser Werke kosten, verschieden sein müssen. Nur bitte ich Sie noch, Niemandem etwas von diesen Planen mitzutheilen; mündlich, oder in einem andern Briefe von andern poetischen Vorsätzen, die mir ganz allein zugehören.
Ueber Mangel an Umständlichkeit werden Sie bei diesem Briefe nicht klagen können: auch denke ich, habe ich Ihnen auf alle Punkte geantwortet, wenn ich hinzufüge, daß Dorothea u. meine Frau recht gesund sind, beide lassen Sie u. Ihre liebe Frau u. Kinder von Herzen grüßen; ich befinde mich auch wohl, seitdem ich mich der Brownischen Curart ergeben habe, das ist aber erst seit 8 Tagen geschehen, den Winter hab ich unter fortwährenden Unpäßlichkeiten zugebracht.
Daß ich Sie alle herzlich grüße, versteht sich von selbst, auch Wesselhöft sagen Sie einen herzlichen Gruß von uns allen.
Ich hoffe, der 2te [Teil des] Oktavian soll Ihnen noch mehr als der erste gefallen. Mir gefällt er wenigstens mehr, und ich kann Ihnen überhaupt gestehn, daß ich noch keine Arbeit mit dieser Liebe durchgeführt habe.
Der Ihrige,
L. Tieck.
Metadata Concerning Header
  • Date: [vor dem 22. April 1802]
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Carl Friedrich Ernst Frommann ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Günther, Hans: Ungedruckte Briefe L. Tiecks. In: Euphorion 21 (1914), S. 230–233.

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