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Ludwig Tieck to Sophie Bernhardi, August Ferdinand Bernhardi TEI-Logo

Liebste Kinder,
Ihr seid gewiß böse, und mit Recht, daß Ihr so gar nichts von Euch hören laßt, weil wir nicht geschrieben haben. Es soll nicht wieder geschehen, daß ein Brief von uns so lange ausbleibt, wie es nun so geht, wenn man das Schreiben von einem Tage zum andern verschiebt. Neben andern Ursachen, die mich abgehalten haben, bin ich auch fleissig gewesen. Wir denken beständig an Euch, vorzüglich an Dich liebste Schwester; wir hören, Du bist nicht wohl, was fehlt Dir? Wenn Du doch nur gesund bliebest. Ich glaubte gewiß, Fichte würde Nachrichten von Euch mitbringen, und es ist nicht geschehn. Er sagt, Du wärst wahrscheinlich guter Hofnung; schreib mir doch, ob er darinn Recht hat, und ob Du Dich in diesem Falle auch genug in Acht nimmst: ob unsere Eltern noch gesund sind: wir sind bisher recht wohl gewesen, ausser daß ich an Flüssen sehr gelitten habe, die mich fast immer lahm erhalten. Das Kind ist sehr gesund, und wird immer schöner, und das ist keine Einbildung von uns beiden, denn es fällt allen Leuten sehr auf, dabei wird es schon sehr verständig und haselirt und spielt, im kommenden Winter soll es wenigstens Ein Regiment kommandiren. Nun ist es seit gestern entwöhnt und fügt sich gut, nur Malchen leidet, und ist recht betrübt, darum schreibt sie auch heute nicht, sie läßt aber von Herzen grüssen. O liebe Schwester, dürft’ ich nur Deinetwegen nicht so bekümmert sein, ich bin oft ganz melankolisch. Was habt Ihr zu Buonaparte gesagt? Der Bernhardi wird sich doch wohl um die politischen Sachen bekümmern. – Ihr werdet nun auch gern hören wollen, wie es mit uns gegangen ist. Wir kamen glücklich hier an, und waren recht vergnügt und munter, wir haben auch Hardenberg hier gesehn, der nachher mit seinem Bruder, einen Officier, wiederkam, welche beide ganz in unser Urtheil von der Veit einstimmen. Es ist um die Kreutzschwerenoth zu kriegen, mit Erlaubniß sei’s gesagt, wie die Bestie sich hier benimmt (o laßt den Brief nicht drucken und zeigt ihn Niemand) die andern sind wie verzaubert, das macht, weil alles eine Einzige Schweinewirthschaft ausmacht. Du hast ganz recht gehabt, liebste Schwester, und Du wirst wieder einmahl über meine Dummheit lachen. Die Veit müste nur noch ihren Rosenfarbnen Attlas, schwarz aufgeschlagen tragen, so wäre es gar komplett. Doch dergleichen wagt sie nicht, weil sie ihr doch diesen Abgeschmack ausgeredet haben. Sonst macht Schelling der Schlegel die Cour, daß es der ganzen Stadt einen Scandal giebt, die Veit dem Wilh. S. und so alles durcheinander, und die Weiber würden sich freuen, wenn wir mit darinn hineingingen, Fried. ist allen mit der Lucinde lächerlich, wie nothwendig. Diese Menschen müsten gerade alles beobachten, weil sie die Moral verachten wollen, und weil mit ihrem Benehmen auch ihre Lehre fällt, und für falsch gehalten wird. Sagt aber Schleym. nichts davon. Es ist zu bedauern, daß diese Menschen von den göttlichsten Anlagen zu wahren Affen durch die abgeschmackten Weiber werden, denn seid nur überzeugt, daß die Schlegel (hier Caroline) eigentlich die Ursach aller Zänkereien ist, in welche die beiden jetzt verfangen sind, und wie sie es nicht merken, weil sie nachher immer die Weibliche spielt, und es mildern will, wenn es geschehn ist; sie sind hier fast durchgängig gehaßt, nun will das freilich blutwenig sagen, weil das durchgängig meist aus Pöbel besteht; aber kurz, es ist mir doch auch zuwider, und du liebste Schwester kennst ja auch meinen Abscheu gegen das Comödiespielen. Wilhelm gewinnt immer mehr, je länger man ihn sieht, er ist die Gutmüthigkeit selber, und möchte kein Wasser betrüben, nun aber unternimmt er eine Rolle, die sie eigentlich von mir abgesehn haben, und der Wilh. durchaus nicht gewachsen ist, das ewige Sprechen über Kotzeb. über Lit. Zeit. über Merkel, über alle Lausekerls ist so unausstehlich, daß ich oft ganz stumm bin, nun mochte sie […] en, daß ich jetzt irgend was schreibe, ich thu es aber nicht, ich will für mich leben, und meinen eignen […] ast [?] treiben, sie aber machen ernst [?] daraus: Fried. war in Berlin viel liebenswürdiger, wir kommen mehr auseinander. Die Veit ist unbeschreiblich brutal: Musikkennerinn, Vertraute der Schlegel, Lucinde in einer Brechpotenz, eine wahre Polychrestpille, zu allen Dingen nutze, und die Schlegel ist auch mehr listig als klug, und mehr klug als verständig, und mehr verständig als edel, und mehr edel als eine Frau: man ist mit ihr wie mit einem Rhinozeros (hätt ich bald geschrieben) wie mit einem Androgyn, oder vielmehr – hol’s der Teufel, ich kann mich nicht besinnen – mit einem Hermaphrodit. Daß die beiden Weiber sind, fällt einem gar nicht ein. Bernhardi hat ja allerhand zu ihrem Besten gethan, was nicht recht hat gelingen wollen, die Diogenes Laterne ist äußerst niederträchtig, wie das Ding von Kotzebue, ich bin aber fest überzeugt, daß wenn ich jetzt nicht ihr Freund wäre, ich längst eine Posse gegen sie geschrieben hätte, denn diese Schwerfälligkeit, und die Gesellschaft dieser Weiber, die Luciferinde und die andre, es ist ein Stoff, der sich dem Komiker ganz von selbst anbietet; es geht über Ovids Metamorphosen hinaus, daß die Brendelchen eine Lucinde und Künstlerinn ist, die jetzt sogar einen Roman schreibt. Man könnte ordentlich Juvenalisch über diese abgeschmackten Huren werden. Zeigt den Brief nur keinem Menschen: aber Bernhardi, dem ich oft Schwäche unnöthig vorwarf, ist mir seit dem sehr männlich und verehrungswürdig erschienen. Ich war mit Hardenberg denn auch in Weimar, wo wir Richtern zu uns hatten. Noch nie bin ich von einem Menschen so getäuscht; er ist bei weitem nicht so häßlich, als man ihn beschreibt, auch nicht so krank aussehend, aber der närrischste Kerl von der Welt, von dem was wir so treiben, versteht er kein Wort, ja auch nicht einmahl von der rechten Philosophie, sonst ganz wie ein Kind, was die Kinder so liebenswürdig, aber auch leicht fatal macht; man könnte ihm oder gegen ihn nichts böses thun, wenn man ihn einmahl gesehen hat, er imponirt nicht im mindesten, so daß man gleich mit ihm vertraut wird, nur Lieben K., hat er Weisser’s Art zu disputiren, ganz seine Art, Bernhardi wird das Gewicht dieses Ausdrucks hoffentlich empfinden, wenn ich wegsah, kann man sich den ganzen Weisser vorstellen. Ist es nun nicht erschrecklich, daß alle Menschen, die erst die lebhafteste Opposizion und Ketzergilde formiren, am Ende wieder in den ordinären Fuhr- und Dreckweg gerathen? Er dringt auf logische Consequenz, und mag doch Fichte nicht, wenn man mit ihm streitet, will er nichts von Bildern wissen, u. degl. man soll bei der Stange bleiben, ja recht bei der Stange, wie die lieben Ochsen. Herder wird hinter allen Kantischen Schriften Metaschriften machen; kein einziger Hypochondrist wird wenigstens in unserm Zeitalter auf die Grille verfallen, es dürfte einmahl an Arschwischen gebrechen. Verzeiht mir, ich lese gerade den Fischart und diese Stelle ging nur Bernh. an. Wieder auf Richter zu kommen. Was noch viel schlimmer ist, so hat er eine erschreckliche Aehnlichkeit mit dem Stink-Schulz, wenigstens in der Sprache, und in der Art einem auf den Leib zu rücken, u. degl. Nun, ihr werdet die Wahrheit dieser Beobachtungen selber bemerken können, denn er kömmt noch in diesem Winter nach Berlin, ich habe ihm schon von Dir, liebe Schwester, gesagt, und er ist begierig, Deine Bekanntschaft zu machen, ich werde ihm dann einen Brief mitgeben und Ihr müßt ihn alsbald nur ein wenig festhalten, denn er ist unstäter, wie der Wind, und läuft hin und her, verspricht allen sie zu besuchen und vergißt es gleich wieder, es wäre viel, wenn er sich nicht in Dich verlieben sollte, denn sein erstes Gespräch ist von der Liebe, ich glaube er reist recht eigentlich darauf. Erwartet ihn nur. Göthe ist auch hier, er reist in einigen Tagen ab, ich habe ihn einigemahl gesehn und wir haben vieles miteinander gesprochen, über Shaksp. über meine Arbeiten, er ist immer sehr freundlich und gut gewesen, ich habe ihn veranlaßt, Ben Jonson und mehr andre [?] zu lesen, worinn er sehr meiner Meinung war. Ich habe nun das Trauerspiel Genovefa fertig gemacht, o wie freu’ ich mich darauf, es Euch, wenn ich die Aushängebogen [erhalte] zu schicken, auf Dein Urtheil, auf Dein Gefühl darüber, liebe Schwester, bin ich vorzüglich begierig. Hier hat es bei Schlegels grosse Sensation gemacht, auch bei Malchen, der ich mehr traue, denn die übrigen können doch höchstens die Künstlichkeit empfinden. Gestern habe ich Göthe die Hälfte vorlesen müssen, indem wir beide ganz allein waren, und er schien sehr damit zufrieden, heute soll ich es ihm vollends hinauslesen. Er hat mir viel Gutes darüber gesagt. Ich war gar nicht genirt, und hatte es vorher recht sehr geglaubt zu sein. Bernhardi hat ja Hufeland bei Herz gesehen, ich armes Wurm hatte wirklich im Sommer hier schon durch Schlegel alles richtig gemacht, und nachher es rein vergessen, worüber ich so viel Schlimmes habe hören müssen. Nun Bernhardi rezensire nur auch recht fleissig, es fehlt wirklich ganz an guten Rezensenten, wie Ihr auch sehn müßt. Bernhardi höre: Mein Journal, die 4tel Jahrschrift ist richtig (das behalt aber auch noch bei Dir, wie diesen ganzen Brief) sie erscheint unter dem Titel: Poetisches Journal, auf Ostern 2 Hefte, nun hoff’ ich hast Du den Theaterartikel im Archiv schon eingehn lassen und schickst mir lieber die Sachen unter Deinem Nahmen, ich kann es Dir auch besser bezahlen, denn das Format ist nicht so groß, und eng gedruckt, und für den Bogen 2 Louisd’: nur muß es freilich etwas […] werden, weil es vierteljährig erscheint, von unbedeutenden Sachen geschwiegen, etwas allgemeiner witzig, und auch über das Spiel der Comödianten wieder [?]: Göthe hat sich auch für den Artikel im Archiv interessirt. – Habt Ihr von Schütz nicht noch Gedichte gefunden? Mir fehlen welche, sagt es ihm doch auch, wenn Ihr sie nicht findet, und er soll mir mehr schikken. Bernhardi, wenn Du sonst gute Sachen hast, schick sie mir, auch die Schwester, von der ich mir gleich den Aufsatz ausbitte, den sie seit lange liegen hat, und der uns allen gefiel, ich weiß nicht, wie er überschrieben war. Auch andre Sachen, auch Bücher, wenn Ihr sie nicht unterzubringen wüßt. Setz Bernh. nicht die Bambocc. um den Preis fort, Du bekömmst bei jedem mehr. Nun Schwester […], bist du wohl, so suche im Frühlinge eine Gelegenheit auf 4–6 Wochen zu uns zu kommen, die Gelegenheit findest Du gewiß, z. B. mit Unger, ich holte Dich dann von Leipzig ab, am besten aber mit Reichardt, wo […] Dich dann von Giebichstein abholten: vergönne ihr das, Bernhardi, auf die Art würd’ es Dich gar nichts kosten und wir würden hier recht glüklich sein, Platz haben wir genug. Kann Bernh. abkommen, so wäre es noch tausendmahl schöner, dann wären wir hier recht vergnügt. Wir sind in Berlin […] iger und witziger gewesen, als man es hier ist, denn hier merken [?] sie’s immer, wenn so was […] vorfällt. – Malchen kann heut nicht schreiben, Du sollst sie entschuldigen, nächstens wenn sie hergestellt ist, schreibt sie gewiß. Nun leb wohl, ich muß mich anziehn, es ist bald 5 Uhr, […] zu Göthe zu gehn. Ich habe grosse Lust, ihm anzutragen, mich einmahl in Weimar […] Theater spielen zu lassen, ich muß es doch endlich versuchen. Schiller ist nun […] weggezogen, nach Weimar. Malchen läßt tausendmahl grüssen.
Adieu! liebste, beste Schwester und Bernhardi.
L.
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  • Date: Freitag, 6. Dezember 1799
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Sophie Bernhardi · , August Ferdinand Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Klee, Gotthold: Ein Brief Ludwig Tiecks aus Jena vom 6. Dezember 1799. In: Euphorion. Drittes Ergänzungsheft (1897), S. 212–215.

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