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Ludwig Tieck to Sophie Bernhardi TEI-Logo

Jena.
Liebste Schwester,
Vorerst nur ein Paar Worte auf deinen letzten Brief. Dem unverschämten Schneider berichte, daß ich den 1sten März gewiß sein Geld von hier abschicken werde, so daß er es den 6ten oder 7ten hat, eher kann ich nicht, will er damit nicht zufrieden sein, so mag er thun, was er will. Du wärst thöricht, wenn Du Dich darüber weiter ärgern wolltest.
Ihr zieht ja also noch weiter von den Eltern weg. Warum hast Du mir nicht von den Spitzbuben etwas umständlicher geschrieben? Das muß ja wunderbar und interessant sein. Ach, wenn Du nur gesünder wärst! Dein muntrer Brief hat mich doch auch melankolisch gemacht, ich sah Deine Stimmung so ganz darinn, die ich kenne, ich habe einmal wieder recht weinen müssen, als ich allein war. Nimm Dich doch ja in Acht, mir fällt es so oft ein, wie ich hart gegen Dich gewesen bin, es ist der rechte Satan in uns, daß wir beim Umgange lieber kränken, als lieben, und es nachher nur bereuen können. Fasse nur Muth, vielleicht wirst Du gesünder und stärker, denke nicht an sterben, das Ganze wäre ja dann nur ein Leben spielen, ein Spielen mit der Liebe, usw. Ich mag nicht daran denken. Ich könnte mich nicht damit trösten, daß wir uns gewiß wieder sehn, daß wir doch nicht getrennt sind, daß alles nur Schein, nur körperlicher Betrug ist, weil es keinen geistigen geben kann, weil alles gewiß so ist, wie wir es hoffen und wünschen. Glaube mir nur, ich würde unaussprechlich elend sein, das habe ich in der Abwesenheit recht gefühlt. Durch die Trennung versteht man sich erst recht. Ewigkeit und Natur und der Spiegel des Universums in uns, können uns überhaupt nur aufrecht erhalten, denn ohne diese wäre der schon ein verächtlicher Mensch, der um viel geringere Beschwerden das Leben ertrüge.
Ich bin hier fast immer krank gewesen, ich kann kaum gehn, ich bin ganz mager geworden, doch jetzt ist mir wieder besser, das Kind ist allerliebst, sie hat nun schon 3 Zähne, woran sie nur wenig gelitten hat. Malchen ist auch wohl und läßt Dich und Bernhardi und die Eltern recht herzlich grüssen. Schicke mir doch ja, wenn Du etwas gearbeitet hast, auch für das Journal, Du nimmst es nicht übel, wenn ich vielleicht hie und da einen Ausdruck ändre. So den Aufsatz, der auch Schlegeln gefiel, und der doch eigentlich gegen ihn war. Daß du Schützens Gedichte nicht gefunden, thut mir leid, sag’s ihm lieber, vielleicht hat er noch eine Abschrift, grüsse ihn, ich danke für seinen Brief, den ich nächstens beantworten werde. Auch Bing grüsse ja. Der Dicke scheint ja fast übermüthig, er soll nur allerhand ersinnen, Du aber lies den Jakob Böhm mit Andacht, und wir werden einen neuen Ort haben, wo wir uns begegnen, Du wirst einen neuen Sinn, ich möchte sagen, eine neue Seele bekommen, mir erscheint die Welt anders, ich weiß seitdem von Gott. Für Bernh. ist er nicht. Viel Glück zu Deinem Cajetan, der scheint ja trefflich einzuschlagen. Ich freue mich sehr, Euch die Genovefa zu schicken, ich denke, ihr sollt einen rechten Genuß davon haben. Bing dazu, jetzt sind 10 Bogen gedruckt 20 werden es, so wie sie fertig sind, schicke ich sie ab, und ihr müßt sie recht in der Andacht lesen. Auch mir dann darüber schreiben, denn Du besonders mußt mir viel darüber sagen können, und wenn Dir das Werk nicht so gefällt, wie Dir bisher ohne Ausnahme noch nichts von mir gefallen hat, so habe ich meine Absicht ganz verlohren. Ich möchte noch weiter gehn, und sagen, es müsse Dich so entzücken, wie bisher noch keine Poesie, auch
[Das übrige ist weggeschnitten.]
Metadata Concerning Header
  • Date: [zwischen Anfang 1800 und dem 28. Februar 1800]
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Sophie Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Krebs, Siegfried: Philipp Otto Runges Entwicklung unter dem Einflusse Ludwig Tiecks. Mit 5 ungedruckten Briefen Tiecks. Heidelberg 1909 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte; 1, 4), S. 160–162.

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