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Sophie Bernhardi to Ludwig Tieck TEI-Logo

Berlin den 5ten Octb. <1795>
Liebster Bruder
Ich sehe Dich also vor Ostern nicht wieder, und darüber soll ich nicht traurig sein. Wirklich lieber Bruder Du verlangst sehr viel zu viel. Du frägst was Du mir in einigen Tagen sein kanst. Gewiß diese Frage kam nicht aus Deinem Herzen sonst köntest Du ja auch fragen was Du mir in 14 Tagen sein köntest. O Gott was wolte ich darum thun Dich einen Tag eine Stunde bei mir zu haben und Du frägst was Du mir in einigen Tagen sein kanst. Überhaupt lieber Bruder hat mir Dein Brief aus mereren Gründen sehr wehegethan es herscht ein Ton darin den ich mir nicht erklären kan <.> ich habe ihn sehr oft gelesen und hätte manchen Ausdruck so gerne gemildert es scheint (vergib mir das) als wenn Du den freundschaftlichen Thon darin hättest erzwingen wollen. Dieser Gedancke hat mich würcklich einige Tage unglücklich gemacht. Ach ich wünschte ich könte Dir alles was ich fühle fürchte und hoffe recht deutlich darstellen. Du lebst jezt im Geräusch der Welt und diese Welt gefelt Dir. Du studirst es unter Menschen blos Mensch zu sein. Wirst Du Dich da nicht nach einem jeden zu sehr modelliren müßen? Und wen Du Dir nun durch dis Modelliren den Beifal der Menschen erwirbst wen sie Deinen Meinungen beipflichten blos weil es die deinigen sind wird Dir das nicht ein Gefühl von unfehlbarkeit geben? Und wird Dir dis zu große Zutrauen auf Deine Kräfte nicht Deine Bescheidenheit rauben die Dich in den Augen vernünftiger Menschen so liebenswürdig machte. O Vergieb mir liebster Bruder alles was ich schreibe aber mich dünkt Du hast Dich etwas verändert ich glaube Du bist ein klein wenig eitler geworden <.> sei nicht böse über meine Offenherzigkeit ich konte es ohnmöglich verschweigen. Es kan sein das ich mir das nur einbilde es kan auch sein das mir Dein Brief nur kälter scheint das er es nicht ist aber er hat mir sehr viel Kummer gemacht und darum wirst Du mir das vergeben was ich Dir geschrieben habe. Du weist das ich alle meine Hoffnungen und Wünsche auf Dich eingeschränkt habe, wen ich nun glauben müste das Du mich jemals weniger lieben würdest als jezt. Wen Du Dich jemals ernstlich fragtest was ich Dir in ein zwei Tagen sein könte. Wen es Dir jemals etwas leichtes sein könte die Freuden des Wiedersehens ein halbes Jahr aufzuschieben wie Du das alles jezt von mir verlangst. Lieber Bruder ich würde dan jede Hoffnung auf eine frohe Stunde aufgeben. Glaube nicht lieber Bruder das ich ohnmöglichkeiten verlange Du kanst nicht kommen und so wehe mir das thut so mus ich damit zufrieden sein <;> aber Du forderst ich soll nicht traurig sein das ist ohnmöglich das kan ich nicht unterdrüken. Du schreibst Du würdest auf Ostern 14 Tage hier sein und ich hofte Du würdest dan schon ganz hierbleiben <.> du schreibst mir darüber gar nichts ich weis nicht was Du eigentlich studirst wen Du hierzubleiben denckst kurz kein Wort von Deinen Planen für die Zukunft. Ist das wohl freundschaftlich? Ach liebster Bruder wen Du erst wieder hier bei uns sein wirst dan ist alles weit besser da kan mir eine üble Laune nicht so viel Kummer machen den ich glaube würcklich dein Brief an mich ist in einer solchen Laune geschrieben. Den Brief an die Weller habe ich so gleich abgeschickt verzeih mir das ich es nicht schon lange gethan habe ich habe vieleicht zu viele Besorgniß gehabt sie muß ihn nun schon haben. Schreib mir nur ja sogleich wieder so wie Du diesen Brief erhälst ich bitte dich liebster bester Bruder verschiebe es ja nicht den wen ich jezt lange auf einen Brief warten müste so würde mich das mehr quälen als jemals ich würde dan den Gedancken nicht unterdrüken können das Dich meine Offenherzigkeit beleidigt hätte und das ich dan keinen Augenblick ruhig sein könte darf ich Dir wohl nicht erst sagen. Schreib ja gleich das ist das einzige was ich jezt von Dir bitte und das Du mich lieb behälst. Vater Mutter und der Künstler laßen Dich alle herzlich grüßen sie alle freuen sich jezt schon sehr darauf wen Du erst wieder ganz bei uns sein wirst. Und ich muß dir gestehen so lange das noch hin ist das ich schon oft davon schwaze als wen es in ein paar Wochen sein würde. Ich denke es mir jezt schon so lebhaft wie angenehm es sein wird wen wir uns wieder mündlich unsere Gedancken mittheilen können. Freilich wirst Du dan auch nicht so oft bei mir sein können wie ich wohl wünschte <.> du wirst dan Bekantschaften machen kurz mehr in der großen Welt leben als sonst aber ich weis gewiß diese große Welt wird den Schimmer worin sie Dir jezt erscheint verlieren und Du kerst dan gewiß wärmer zu mir und zu Deinen Freunden zurük. Ich mag nicht das durchlesen was ich Dir geschrieben habe den ich glaube gewiß Du würdest dan den Brief gar nicht erhalten ich würde es machen wie der Künstler und ihn zerrreissen den ich glaube ich habe Dir etwas sehr albernes geschrieben. Aber Du wirst mir das gewiß vergeben den selbst wen ich Dir unrecht gethan habe so ist es aus zu ängstlicher Besorgnis um dich geschehen. Deine Liebe und Deine Freundschaft ist mir alles und es würde mich unglücklich machen wen ich auch nur einen kleinen Theil davon verliehren solte. Schreib mir doch auch ob ich Dir den Mantel hinschiken soll und schreib mir ja bald ja gleich wen Du mich nur ein klein wenig liebst. Die Freude nach Golzow zu reisen ist mir vereitelt Louise verheirahtet sich nicht allso reisen wir nun auch nicht hin. Ich bitte Dich noch einmal mein bester Bruder schreib mir ja sogleich. Lebe recht wohl bleibe gesund und vergiß mich nie so wie Dich nie nie vergeßen wird Deine Dich ewig zärtlich liebende Schwester
Sophie Tieck
Grüß doch Wakenroder recht herzlich von mir.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 5. Oktober 1793
  • Sender: Sophie Bernhardi ·
  • Recipient: Ludwig Tieck ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Göttingen · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schweikert, Uwe: Korrespondenzen Ludwig Tiecks und seiner Geschwister. 68 unveröffentlichte Briefe. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1971, S. 319–321.

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