Liebste Schwester,
Was machst du? Meinen lezten Brief mit meiner Reisebeschreibung wirst du doch hoffentlich selbst erhalten haben. Frage doch Bernhardi warum er mir nicht schreibt, ich habe schon so sehnlich auf einen Brief von ihm gehoft, für deinen Brief danck’ ich dir recht sehr, schreibe mir nur immer, daß du mit meinen lieben Eltern gesund und wohl seid, wenn es nehmlich auch immer wahr ist. An Bernhardi schreib ich nächstens. – Ich bin schon in Nürnberg gewesen, es ist eine gothische, höchst abentheuerliche Stadt, es freute mich sehr, den Ort so zu sehn, von dem ich schon so viel gelesen hatte und den ich mir in meiner Jugend immer so närrisch dachte, nun habe ich doch auch die Nürnberger Pfefferkuchen in ihrem eigentlichen Vaterlande gegessen. Es war gerade eine Schauspielertruppe da und sie spielten gerade Macbeth und gerade die Umarbeitung von Stephani, der du dich rege noch erinnern wirst, wir haben sie mehrmals auf dem kleinen Theater gespielt. – Manches wurde sehr gut gemacht, das Theater in Nürnberg ist das älteste in Deutschland, die Königinn spielte die Mord[...]szene besser, als ich sie je in Berlin gesehen habe, wenn nur die Umarbeitung selber nicht gar so kläglich wäre! Ich, Wack.[enroder] (der dich grüssen läßt) u[nd] Schütz waren hingeritten, es sind 2 klägliche Reuter, und 9 Uhr abends ritten wir zurück, es war äusserst abentheuerlich, die Nacht u[nd] der Wald machten die Gegend finster u[nd] schauerlich. Die Frösche u[nd] Waldvögel sangen laut durch die todte Einsamkeit, im Walde fanden wir ein[en] Felsen, um ihn Zigeuner, und eine Zigeunerinn rief einem grossen Hund [der] durch den Wald lief, ich weiß nicht aus welcher Ursache, u[nd] mit einem wunderbaren Geschrei den Hund von unsern Pferden zurückrief, ich wurde recht in die Ideen meiner Kindheit u[nd] meiner damahligen Romanenlectüre zurückversezt. – Am Himmelsfahrttage (der hier ein Feiertag ist), ritt ich mit W.[ackenroder] nach Pommersfelde ([...] Meilen von hier). Dort ist ein prächtiges Schloß und eine der größten und schönsten Gemähldegallerien in Deutschland, ich habe mich dort außerordentlich gefreut, ich habe auch ein Original von Raphael gesehen, es war göttlich, so ein schönes Ideal und doch so individuell, so einzig, so charakteristisch alle Züge, die höchste Ruhe der reinsten Schönheit und doch Sprache und Geist in jeder Muskel der Madonna u[nd] ihres lieben Kindes; zeige diese Stelle dem Künstler, er kann sie dir vielleicht erklären, wenn du sie (was ich nicht glaube) nicht ganz verstehen solltest. Grüße ihn.
Es ist hier ein herrliches Land. – Schakspear, W.[ackenroder] u[nd] die Natur umher machen mich sehr glücklich, es giebt göttliche Aussichten hier, ich darf nur 10 Schritt gehn, so bin ich aus dem Thor u[nd] in einer sehr romantischen Gegend. Auch das katholische Wesen rund um Erlang.[en] mag ich sehr gern leiden, es hat so etwas eigends patriarchalisches. –
Ich höre Collegia bei Harles, Bayer u[nd] Mehmel, Aesthetick (z.[um] Spaß) Pindar (zur Repetition) u[nd] über griechische Prosaisten um manches neue zu lernen, mit Harles bin ich ziemlich gut Freund, ich habe ein paar alte Manuscripte von der hiesigen Bibliothec auf mein Zimmer, die ich etwas studiere. – Pieskers Addresse? Ich weiß sie nicht recht – Schick mir doch den Rambach u[nd] laß ihn grüssen, auch grüsse Seideln.
Bleibe du, meine Eltern, mein Bruder, ich u[nd] die ganze Welt gesund, Gott gebe uns bald Frieden im deutschen Reich u[nd] beschütze uns und unsre heilige Religion gegen Türken und Jacobiner, es sollte billig in den Kirchen so gebetet werden.
Dein dich liebender Bruder:
Tieck, vulgo. Raph[a]el
Was machst du? Meinen lezten Brief mit meiner Reisebeschreibung wirst du doch hoffentlich selbst erhalten haben. Frage doch Bernhardi warum er mir nicht schreibt, ich habe schon so sehnlich auf einen Brief von ihm gehoft, für deinen Brief danck’ ich dir recht sehr, schreibe mir nur immer, daß du mit meinen lieben Eltern gesund und wohl seid, wenn es nehmlich auch immer wahr ist. An Bernhardi schreib ich nächstens. – Ich bin schon in Nürnberg gewesen, es ist eine gothische, höchst abentheuerliche Stadt, es freute mich sehr, den Ort so zu sehn, von dem ich schon so viel gelesen hatte und den ich mir in meiner Jugend immer so närrisch dachte, nun habe ich doch auch die Nürnberger Pfefferkuchen in ihrem eigentlichen Vaterlande gegessen. Es war gerade eine Schauspielertruppe da und sie spielten gerade Macbeth und gerade die Umarbeitung von Stephani, der du dich rege noch erinnern wirst, wir haben sie mehrmals auf dem kleinen Theater gespielt. – Manches wurde sehr gut gemacht, das Theater in Nürnberg ist das älteste in Deutschland, die Königinn spielte die Mord[...]szene besser, als ich sie je in Berlin gesehen habe, wenn nur die Umarbeitung selber nicht gar so kläglich wäre! Ich, Wack.[enroder] (der dich grüssen läßt) u[nd] Schütz waren hingeritten, es sind 2 klägliche Reuter, und 9 Uhr abends ritten wir zurück, es war äusserst abentheuerlich, die Nacht u[nd] der Wald machten die Gegend finster u[nd] schauerlich. Die Frösche u[nd] Waldvögel sangen laut durch die todte Einsamkeit, im Walde fanden wir ein[en] Felsen, um ihn Zigeuner, und eine Zigeunerinn rief einem grossen Hund [der] durch den Wald lief, ich weiß nicht aus welcher Ursache, u[nd] mit einem wunderbaren Geschrei den Hund von unsern Pferden zurückrief, ich wurde recht in die Ideen meiner Kindheit u[nd] meiner damahligen Romanenlectüre zurückversezt. – Am Himmelsfahrttage (der hier ein Feiertag ist), ritt ich mit W.[ackenroder] nach Pommersfelde ([...] Meilen von hier). Dort ist ein prächtiges Schloß und eine der größten und schönsten Gemähldegallerien in Deutschland, ich habe mich dort außerordentlich gefreut, ich habe auch ein Original von Raphael gesehen, es war göttlich, so ein schönes Ideal und doch so individuell, so einzig, so charakteristisch alle Züge, die höchste Ruhe der reinsten Schönheit und doch Sprache und Geist in jeder Muskel der Madonna u[nd] ihres lieben Kindes; zeige diese Stelle dem Künstler, er kann sie dir vielleicht erklären, wenn du sie (was ich nicht glaube) nicht ganz verstehen solltest. Grüße ihn.
Es ist hier ein herrliches Land. – Schakspear, W.[ackenroder] u[nd] die Natur umher machen mich sehr glücklich, es giebt göttliche Aussichten hier, ich darf nur 10 Schritt gehn, so bin ich aus dem Thor u[nd] in einer sehr romantischen Gegend. Auch das katholische Wesen rund um Erlang.[en] mag ich sehr gern leiden, es hat so etwas eigends patriarchalisches. –
Ich höre Collegia bei Harles, Bayer u[nd] Mehmel, Aesthetick (z.[um] Spaß) Pindar (zur Repetition) u[nd] über griechische Prosaisten um manches neue zu lernen, mit Harles bin ich ziemlich gut Freund, ich habe ein paar alte Manuscripte von der hiesigen Bibliothec auf mein Zimmer, die ich etwas studiere. – Pieskers Addresse? Ich weiß sie nicht recht – Schick mir doch den Rambach u[nd] laß ihn grüssen, auch grüsse Seideln.
Bleibe du, meine Eltern, mein Bruder, ich u[nd] die ganze Welt gesund, Gott gebe uns bald Frieden im deutschen Reich u[nd] beschütze uns und unsre heilige Religion gegen Türken und Jacobiner, es sollte billig in den Kirchen so gebetet werden.
Dein dich liebender Bruder:
Tieck, vulgo. Raph[a]el