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Ludwig Tieck to Sophie Bernhardi TEI-Logo

Liebste Schwester,
Du hast gewiß schon lange auf einen Brief von mir gewartet und ich muß es zugeben, meine Trägheit im Briefschreiben ist unverzeihlich. Doch, verzeihe mir, liebe Schwester, bald will ich nun alle diese Sünden in Berlin wieder gut machen, denn es dauert nun gar nicht mehr lange, so bin ich dort. Nur noch einige Wochen, denn am 10ten September reise ich schon von hier fort, nach Hamburg, und dann kome ich gleich nach Berlin. –. Dann will ich dir von diesen Reisen erzählen, jezt habe ich nicht Zeit, oder Lust dazu.–.
Was macht deine Gesundheit? – Nimm dich ja bei dem jetzigen Wetter vor Verkältungen in Acht, die Ruhr ist in den hiesigen Gegenden sehr häufig und gefährlich. Auch vor Zahnschmerzen hüte dich, wenn du auch zuweilen Entkräftungen spürst, so trinke doch zuweilen Chokolade, sie soll gegen die Auszehrung sehr gut sein und ich fürchte immer so viel für dich ! –
Nimm dich ja in Acht! Hörst du ?
Was machen meine Eltern ? – Was macht der Künstler? Ich freue mich ausserordentlich, euch alle nun so bald wieder zu sehn.
Frage doch den Künstler einmahl, ob er nicht nach einem Kupferstich eine gute Büste machen könne, wenn das geht, so soll er mir in Berlin den Schakspear abgiessen. Ich wünsche, daß es möglich wäre. – Er ist doch gesund! –
Schreib mir ja noch einmahl, ehe ich von hier abreise, laß auch durch den Künstler den Mahler Niedlich grüssen, sage doch Bernhardi, oder wer es sonst sein mag, er soll auch Wißmann grüssen. – Ich mag an keinen Menschen nun mehr recht schreiben, da ich sobald nach Berlin komme.
Schicke doch den einliegenden Brief sogleich auf die Post. Der Piesker ist doch ein sehr grosser Esel, daß er mir gar nicht schreibt. – Faule Hunde sind wir doch insgesammt und nicht werth, daß uns die Sonne bescheint: eben darum ist auch jetzt so schlechtes Wetter, wenigstens hier in Göttingen. Der Piesker sollte bei den Unruhen in Pohlen doch auch etwas muntrer geworden sein, aber er rührt sich nicht.
Grüsse alle Menschen, die auch etwas von mir wissen wollen, vorzüglich aber dich selbst, damit du nicht wieder glaubst, ich hätte dich vergessen, eine Krankheit, die du nun schon so oft gehabt hast und die dich auch jetzt gewiß wieder angewandelt hat. Nein, liebe Schwester, ich denke Tag und Nacht an dich und fürchte beständig, du möchtest kranck werden, auch für meine Eltern bin ich besorgt, m[an]chm[a]l fällt mir auch der Künstler ein, der sich immer gern so grosse Löcher in den Kopf stößt, oder von Treppen herunter fällt, und dergleichen mehr.
Vergiß nicht, daß ich am 10ten September von hier abreise, antworte mir also bald auf diesen Brief, sonst könnte ich deine Antwort leicht nicht mehr in Göttingen treffen.
Dein zärtlicher Bruder.
Tieck.
Gött[ingen], den 10ten August: 94
Wackenrod[er] läßt dich herzlich grüssen. –
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 10. August 1794
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Sophie Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Markert, Heidrun: „Schakspear, W[ackenroder] u[nd] die Natur umher machen mich sehr glücklich“. Zwei ungedruckte Briefe Ludwig Tiecks aus der Entstehungszeit der Romantik. In: Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin unter Mitarbeit v. Heidrun Markert (Hrsg.): Ludwig Tieck (1773-1853). „lasst uns, da es uns vergönnt ist, vernünftig seyn! –“. Bern [u.a.] 2004 (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik; 9), S. 355–356.

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