Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Ludwig Tieck to Sophie Bernhardi TEI-Logo

Liebste Schwester,
Wie hast du es nur über das Herz bringen können zu dencken, daß ich deinen Brief unwillig hin werfen würde, weil du mir kein Geld schickst? Nicht wahr, es ist nicht dein Ernst? – Es thut mir überhaupt ausserordentlich leid, daß du dich über diese Kleinigkeit so ängstigst, da ich dies Geld so ausserordentlich nöthig gar nicht brauche, als du dir einzubilden scheinst, es wäre besser wenn ich es hätte, aber da es ist nicht, so verliehre ich gar nichts dabei, meine Lebensart geht dennoch fort, wie sonst. Jeder Student hat Credit in Halle, überdies bezahle ich alles, was ich verzehre nur vierteljährig, oder überhaupt nur, wenn ich gerade Geld habe, du kannst also daraus schon sehn, daß man wenigstens ein halbes Jahr hier ohne einen Pfennig Geld leben kann. – Aengstige dich also um Gottes willen nicht weiter. – Daß dein Brief so kurz gewesen ist, hatt mir ausserordentlich leid gethan, ich hätte ihn viel länger gewünscht, ich habe ihn nicht unwillig hingeworfen, sondern ihn sorgfältig aufgehoben, wie ich alle Briefe die ich aus Berlin erhalte.
Ob ich und Schmol noch Freunde sind? – Wenigstens sind wir nicht das Gegentheil. Ich will dir aufrichtig schreiben: Schmol ist kein Mensch für mich, du mußt dich aber ja hüten, daß du deswegen da ich aufrichtig bin, nicht auf mich böse wirst, statt es auf S. zu werden, da ich weiß, daß du viel Theilnahme an ihm nimmst, und mehr als er verdient, denn du (ich schmeichle nicht) denckst und empfindest unendlich feiner, du bist bei weitem klüger als er, du denckst ungleich männlicher als er, und verdienst in jeder Rücksicht tausendmahl den Vorzug vor ihm, wenn du auch nicht meine Schwester wärst, ich würde eben so sprechen. Daß er ein gutes, sehr gutes Herz habe, kann und will ich nicht läugnen, aber ein guter Mensch, der nichts weiter als gut ist, ist noch sehr wenig. Und ob er auch diese Herzensgüte stets behalten wird? Wenigstens möchte ich mir wünschen, daß sie in einen Kampf mit seinen Hauptneigungen käme, wenigstens ist sein Character manchmal sehr zweideutig. Daß er die Eitelkeit selbst ist, wirst du zugeben, er steht stundenl[an]g vor dem Spiegel, kann sich 3-4 mahl ankleiden, ist nie glüklicher als in Gesellschaften von Frauenzimmern, ist höflich und gleich galant gegen alle ohne Ausnahme, gefällt sich im Putz so ausserordentlich, kurz, – er ist schon in der Rücksicht fatal. Seit ich ihm d[ie]se Schwachheit erwiesen habe, ist er (dencke wie armseelig!) mein Vertrauter nicht mehr. Er verheimlicht mir izt alles. Er ist im Dencken und Empfinden ein Pedant, in seinen Augen ist kein Mensch (ohne Ausnahme als etwa Biester) verehrungswürdig als der Bauer; Diesen und Künstler schäzt er nur, um keine Blösse zu geben, denn er ist ohne allen jugendlichen und poetischen Enthusiasmus. Er kann von der Freiheit, der Revolution in Frankreich und dem unglüklichen Zustand der Pohlen eben so kalt und möglich kälter sprechen als über seine Frisur. – Kann ein solcher Pedant mit solchen armseeligen Gefühlen wohl liebenswürdig sein? – Ist er wohl für mich geschaffen, der ich das Gegentheil von allem diesem bin, du aufrichtig liebe Schwester, wenn du mich wirklich recht zärtlich liebst, so kannst du dich unmöglich für d[ie]sen sehr interessiren, wir sind fast die beiden Extreme, und schon aus d[ie]sem Grunde wirst du mir nicht böse werden, denn daß ich dir von ihm die Wahrheit schreibe, daß ich sie selbst mit Widerwillen schreibe, wirst du mir auf mein Wort glauben. – Schon in Berlin (ich habe d[ie]sen Streich erst vor einiger Zeit erfahrn) schrieb er an Reichardts, er war besorgt, Bothe mögte übel von ihm sprechen und so aus der Gunst Reichardts verdrängen (welche kleinliche armseel[i]ge Besorgniß!) er theilte mir diesen Gedanken mit und auch den, daß er R. schreiben wolle, sie sollten sich vor Bothen in Acht nehmen. – Du kannst dencken, daß ich ihm d[ie]sen dummen Streich (denn das ist doch wohl der eigentliche Nahme dafür) aus allen Kräfften auszureden suchte, ist stellte ihm vor, daß er bei R. durch einen solchen Brief entweder für einen Verläumder, oder für einen Menschen mit einem bösen Gewissen gelten müste, – er gab mir Recht, versprach den Brief nicht abzuschicken, – er hat ihn dennoch abgeschickt! – du glaubst nicht, wie viel er dadurch bei R. verlohren hat. – In einem andern Briefe aus Berlin an R. hat er nun entsezliches Geschwätz gemacht, von unserem Zusammenwohnen, von unsrer Einrichtung, unsrer Armuth, der Vorsehung und gnädigen Gönnern und s.w. – Du weißt, wie entsezlich verhaßt mir eine solche anscheinliche Bettelhaftigkeit ist (wenn sie es im Grunde auch nicht sein mag) es ist kein verhaßteres Verhältniß, als jemandem Verpflichtungen zu haben, (wenn er nicht mein vertrauter Freund ist) und das mit mir und R. nun gar nicht einmahl der Fall ist, war mir der ganze Brief, als wenn er drinn bäte, sie mögten uns doch recht oft zum Essen einladen; du kannst dencken, wie ich mich ärgerte, – doch di[e]se Alteweiberschwatzhaftigkeit habe ich ihm verziehen. – Er studirt jezt nicht mehr Theologie, sondern Cameralwissenschaft, mir sagte er von dieser Veränderung erst nach einigen Tagen, und kannst du dir die Impertinenz vorstellen, Reichard, dem er so ausserordentlich viel zu danken hat, den er wie seinen Vater um Rath hätte fragen sollen, hat er noch keine Silbe davon gesagt, (es sind nun schon über 6 Wochen) – Er hat gemerckt, oder vielmehr geschlossen, daß ich in meinen Briefen von ihm schreibe (denck’ wie armseel[i]g.) was thut er? – An einem Nachmittage, wo ich bei Rei[c]ha[r]ds bin, sucht er meinen Kofferschlüssel, schließt ihn auf, und liest den ganzen Brief von dir, worinnen du ihn gegen mich vertheidigt hast? – Thut dies wohl ein offener Mensch, der nur einige Delikatesse besizt, ich will nicht sagen ein ehrlicher? – Auch diesen dummen Streich habe ich ihm verziehn und fast hätte ich ihm um Verzeihung bitten müssen, so eigensinnig war er, und so wenig fühlte er, das Gemeine seiner Handlung. – In Coswig hat er der Amtmännin von seiner frühsten Jugend auf ausserordentliche Verbindlichkeiten gehabt, auf einer neulichen Reise zu seinen Eltern findet er in seiner entsezlichen Einbild[un]g, daß er nicht genug faitirt wird, weil die Frau gerade Freunde erwartete, er schreibt also einen höchst beleidigenden Brief in dem suffisantesten Tone, worinn er ihr seine Freundschaft aufkündigt, viel von eigner Krafft und hohen Gönnern darinn spricht, von Leuten die er verachten könne, und von einem Amtmann, der ihn doch auch nicht forssen würde, (sein eigner Ausdruck) Der ganze Brief ist in einem Ton geschrieben, den man gewöhnlichen dummen Bauernstolz nennt, die richtigste Benamung nach meiner Mein[un]g. – Doch genug und übergenug, – vergieb mir, liebe S, – aber ich mußte dir dies schreiben, denn es scheint sonst als hättest du dich von der blossen allgemeinen (doch sehr suffisanten) Höflichkeit d[ie]ses Menschen täuschen lassen, ihm etwas mehr als gemeine Gefühle zuzutrauen.
Für dein neuliches liebes Geschenck dancke ich recht sehr, tausendmahl, – aber liebe Schwester, – nicht unnöthig in der Zukunft, hörst du? – Zwinge dir nicht selbst etwas Nothwendiges ab, um es mir etwa zu schicken, denn ich habe die Aussicht wirklich, ziemlich gut zu leben, – ich schreibe jezt für Rambach eine kleine Erzählung, dann einen ansehnlichen Roman, dann schicke ich ihm Alla-Moddin, und Anna Boleyn, – alle d[ie]se Sachen sind schon bei mir bestellt, – aber sage keinem Menschen etwas davon, – daher bitte ich dich auch recht sehr, meine lieben Eltern nicht dahin zu bewegen mir etwas zu schicken, denn ich weiß, wie nöh[ti]g es mein Vater braucht, vorzüglich für den guten Christian, – also hörst du? Nicht so etwas? – Wenn ich hier fleissig bin, kann es mir nie mangeln mein lieber Rambach hatt es mir zu gewiß versproch[en], der Contrakt mit dem Buchhändler (der mir wenigstens 150 Rtt verschafft) ist auch schon seit Ostern gemacht – Verzeih, daß ich von Geldsachen spreche, es ist sonst meine Sache gar nicht, es geschehe auch bloß um dich zu beruhigen. –
Auf deine Weste freue ich mich schon recht, sie wird mir gewiß gefallen, – Sag’ doch dem Prediger Lüdecke (dem ich mich gehorsamst empfehle) daß ich mir die Freiheit nehmen w[ü]rde, mit dem nächsten Posttag die Quittung zu schicken, ich habe nur heut keinen meiner Professoren zu Hause getroffen, um ein Testimonium mitzuschicken. Ich habe es nicht vergessen, nur verschoben.
Was macht denn Christian? Warum schreibt er mir denn durchaus nicht? Ich will hoffen, daß er die Bücher für Mad. Toll noch immer sorgfältigst besorgt, laß durch ihn an sie meine Empfehl[un]g ja machen, daß er’s auf keinen Fall vergißt! – Laß doch durch ihn auch den guten Espeut grüssen, und ihm sagen ich würde ihm gewiß nächstens schreiben, wenn er mir etwa zuerst schreiben will, so laß ihm doch anbieten, seinen Brief in den deinigen einzulegen.
Pieskern hab’ ich selbst gesprochen, ich bin nach Bilzig zu Schmole mit Schwiegern geritten, wo ich den lieben alten guten Jungen antraf, er und Spillner lassen herzlich grüssen. – Schmol ist schon seit 3 Wochen bei seinen Eltern, und wartet sehnlichst- auf einen Gevatterstand.
Meine Einrichtung willst du wissen? – Um 5 Uhr etwas früher oder später steh ich auf, lasse mich frisiren, (welches hier jährlich nur 6 Th. kostet,) trinke Kaffee, ziehe mich an, von 6-7 hab’ ich bei Jakob Psychologie, von 7-8 bei Knapp Exegese, wo ich aber sehr oft fehle, weil ich die Theologie noch gar nicht verdauen kann. Von 8-9 les’ ich, geh’ aus, oder schreibe. – von 9-10. Logick und Metaphysick bei Jakob. – Um 12 Uhr esse ich, (wir beide wöchentlich, zu 1 rl. 8 pf) Um 2-3 römische Antiquitäten bei Wolf, dann gehe ich aus, oder arbeite.
Ich gehe viel mit Burgsdorf um, der mich sogar bereden will auf Michaeli mit ihm nach Göttingen zu gehn, wenn ich kein Stipendium hätte, wer weiß, was ich thäte, denn er ist unter allen hier mein bester Freund! Von ihm kann ich auch soviel Geld leihen als ich will, wenn ich es sehr nöthig brauchte, also mache dir ja keine unnöthige Sorgen.
Auf Michaelis komme ich gewiß, ganz gewiß nach Be[r]lin, – grüsse alle, meine lieben Eltern, Pet[ern], Christian, k[ur]z, jed[en], wem daran gelegen ist, und glaube daß ist stets sein wird.
Dein zärtl. Brud.
Tieck.
Halle
am 7tn Aug.
1792.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 7. August 1792
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Sophie Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Halle (Saale) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Letters to and from Ludwig Tieck and His Circle. Unpublished Letters from the Period of German Romanticism Including the Unpublished Correspondence of Sophie and Ludwig Tieck. Edited by Percy Matenko, Edwin H. Zeydel, Bertha M. Masche. Chapel Hill 1967 (= UNC Studies in the Germanic Languages and Literature; 57), S. 301–304.

Zur Benutzung · Zitieren