Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Ludwig Tieck to Sophie Bernhardi TEI-Logo

Liebste Schwester,
Wie geht es dir denn? Mich wundert, daß ich noch keinen Brief aus Berlin erhalten habe, doch, die Post ist wahrscheinlich daran Schuld, du bist doch wohl, und meine lieben Eltern auch und alles im ganzen Hause steht doch noch wie sonst? – Ach, wenn ich erst eine Weile wieder von dir gewesen bin, dann fühle ich erst recht, wie viel du mir bist, werde um Gottes willen nicht kranck, das mußt du mir ja nicht zu Leide thun, wenn ich von dir entfernt bin, dann fangen mir meine Dummheiten erst recht an, zu gereuen, wodurch ich dich so manchmal, selbst, diesen Michaelis noch beleidigt habe, du mußt sie nicht auf meine Rechnung schreiben, denn glaube mir, ich liebe dich so sehr, als ich nur irgend etwas in der Welt lieben kann, ich kenne aber auch nur sehr wenig Menschen, die es so sehr verdienen sollten, als du, und es bleibt dabei! wir ziehn noch ein[m]ahl zusammen, du kannst dich darauf verlassen: Auf Ostern freue ich mich schon recht sehr, vollends wenn unsre Reise noch zu Stande kömmt. – Mein neuliches Urtheil über Schmoln widerrufe ich, er hat mir einen langen Brief geschrieben und darinn die bitterste Reue über seinen dummen Streich gezeigt, er bittet mich und dich tausendmahl um Vergebung. Es ist ein sonderbarer Mensch, er hat wirklich ein gutes Herz und handelt nie nach diesem, sondern stets nach seinem Verstände, und nach zusammenges[e]zten, künstlichen Planen, die er ohne alle Noth formirt, ich will ihm alles vergeben, thu du es auch, und sei seines ganzen Briefes wegen ausser Sorgen, beruhige auch meine Eltern darüber. – Wenn du dich in Be[r]lin nur so wohl befändest, als ich hier, so wär ich glüklich und zufrieden. Wahrscheinlich ist doch schon ein Brief von dir unterwegs. – Hat Wakkenrod[er] dich indeß besucht? Ist ein Ofen in der Stube gesezt? Hast du englisch gelernt? – Antworte mir und schreibe mir immer hübsch lange Briefe, – du solltest auf Ostern gleich mit nach Erlangen gehn, das wäre wohl das gescheidteste. – Ich habe einen ganz kleinen Roman nach Berlin geschickt, bitte doch Wakkenroder, daß er ihn dir auf einen Nachmittag bringt, oder vorliest, denn du wirst die kleine Schreiberei schwerlich lesen können, doch du kennst ja den Anfang schon, es ist Adalbert und Emma. – Schreibe mir doch auch, was du darüber sagst. – Daß du Wakkenrodern und Bernhardi, wenn du sie siehst, von mir grüssest, versteht sich von selbst, ebenso meine lieben Eltern, die meinetwegen ja unbesorgt sein sollen, denn es geht mir hier so gut, als es mir nur gehen kann. – Noch eins: Wenn mein Coffer nicht schon abgeschickt sein sollte, so laß ihn nur gradezu in Berlin, schicke mir bloß in einem Paket alle meine Papiere, (wenn du es finden solltest, auch ein altes Stück in Quart, wo Roxane, Zeangir und Mustapha vorkommen) bloß ein[i]ge Paar Strümpfe und noch ein[i]ge Hemden, mit allem übrigen bin ich hier versorgt, und kann von Burgsdorfs Wäsche n[e]hmen soviel ich will, Unterhemden, und die Westen kannst du alle in Berlin behalten auch Halstücher, nur noch ein[i]ge Schnupftücher, den Schlafrock und die Nankingjakke schicke, die Röcke nicht. – Ich habe mir hier einen Ueberrock, ein Paar Beinkleider, und noch einen schwarzen Rock machen lassen, womit ich in Gesellschaft gehn kann; also wenn der Coffer noch nicht abgeschickt ist, so können meine Eltern das Geld sparen. – Schreibe mir ja recht fleissig, hörst du? – Und daß ich dich auf Ostern ja recht gesund finde! – Bleibe gesund, oder ich werde dir zum Possen auch kranck, und dann wollen wir sehn, wer am längsten kranck bleibt. – Aber du hast mir schon zu viel zu Gefallen gethan, du thust mir diesen Gefallen auch ge[w]iß? Nicht wahr? – Ja! – Lebe wohl. – Ich bin hier übrigens sehr fleissig, nicht so faul wie in Halle, ich besuche die Collegia sehr regelmässig. – D[ein z]ärtlichster Bruder. Tieck. Am 20tn Novbr.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 20. November 1792
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Sophie Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Letters to and from Ludwig Tieck and His Circle. Unpublished Letters from the Period of German Romanticism Including the Unpublished Correspondence of Sophie and Ludwig Tieck. Edited by Percy Matenko, Edwin H. Zeydel, Bertha M. Masche. Chapel Hill 1967 (= UNC Studies in the Germanic Languages and Literature; 57), S. 313–315.

Zur Benutzung · Zitieren