Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Sophie Bernhardi to Ludwig Tieck TEI-Logo

Endlich liebster Bruder erhälst du eine Antwort auf deinen Brief. Vergib mir das ich nicht eher geschrieben habe die Nachricht das du nicht kommen wirst hatte mich sehr traurig gemacht ob sie mir gleich gar nicht unerwartet kam den ich habe das Versprechen immer nur als ein Mittel mich zu beruhigen angesehn. Ich muß dir gestehen liebster Bruder ich kan mich noch gar nicht darin finden das ich dich vor Ostern nicht sehen soll es ist sehr traurig das ich nun jede Hoffnung verlohren habe so unwahrscheinlich es wahr so hatte ich doch schon so manche Anstalten zu deiner Ankunft getroffen und ich kan mich noch jezt nicht davon überzeugen das es ganz gewiß ist das du nicht komst. Mir ist jezt alles so wehmütig ich bin jezt doppelt besorgt um dich werde ja nicht kranck lieber Bruder. Ach wen ich dich doch nur auf eine Stunde sehen könte nur einmal mit dir sprechen. Und du hast mir auch so lange nicht geschrieben Du weist doch wie viel Freude mir ein Brief von dir macht und doch machst du mir diese Freude so selten besonders da du nun nicht komst so soltest du doch recht oft schreiben. Wirst du den auf Michaeli noch nach Goettingen gehen? Schreib mir doch das auch. Vergib mir lieber Bruder du erhälst einen sehr närrischen Brief ich kan ohnmöglich etwas vernünftiges schreiben den ich muß bei jeden Wort die Tränen unterdrücken ich fühle es um so lebhafter das du von mir entfernt bist es macht mich um so trauriger das du noch so lange nicht komst du selbst lieber Bruder kenst mich am besten und weist also wohl das ich mich so leicht nicht zufrieden geben kan wen mir so eine Hoffnung fehl schlägt.
Und doch liebster Bruder möchte ich dir nicht gern so viel vorklagen weil du dich sonst dadurch zu einem Schrit köntest verleiten laßen der dir nacher sehr leid thun könte den ich weiß das so eine Reise sehr viel kostet und ich ach Gott das ist sehr traurig ich kan dir nichts geben. Ach liebster Bruder wen es dir je einfallen könte das ich dir meine Liebe so oft versichere und sie dir doch so wenig beweise doch nein das wird gewiß nicht geschehen ich weiß gewis das du davon überzeugt bist das ich es nicht kan. Vergib mir lieber Bruder ich weiß selbst nicht was ich schreibe der Gedancke das du nicht komst das ist der einzige den ich dencken kan. Ich hätte dir gern Rambachs Bild geschickt aber ich habe heut nicht zeit es einzupacken ich wolte dir auch gern noch einige Kleinigkeiten mitschicken die ich dir geben wolte wen du herkommen würdest nun muß ich es ja schicken und damit bin ich noch nicht ganz fertig. Ich ging am Sontag aus Unmuht in die Comödie das Stük ist sehr guht ich sahe Leichtsin und kindliche Liebe oder der Weg zum Verderben Schauspiel in 5 Aufzügen Mattausch spie[lte] den Heinrich Dantan vortreflich er sahe ganz aus wie du und er wahr mir sehr lieb um dieser Ahnlichkeit willen wen ich glauben könte das er dich jemals hätte spielen sehen so würde ich behaupten das er dich kopirt hätte. Ich wolte glauben das diese Aehnlichkeit nur in meiner Einbildung bestände wen sie nicht der Künstler nicht auch bemerkt hätte. Ich sehe ein das es sehr nöthig ist der Mamsell Weller es ziemlich deutlich merken zu laßen das du sie nicht magst sie hat einmal an mich geschrieben und ein ganzes Register meiner guhten Eigenschaften geschickt auch einen Brief an dich beigelegt ich sahe das der Brief an dich etwas enthielt und vermuhtete das sie mir das Postgeld mitgeschickt haben würde weil sie mir schon hier das Geld für den Brief aufdringen wolte den ich dir nach Goettingen schickte und konte also der Neugier nicht wiederstehen den Brief zu öfnen. Das thut mir jezt sehr leid wen ich das nicht gethan hätte so wolte ich ihr den Brief wieder schicken und ihr schreiben das du nicht mehr in Erlangen währest sondern einen Posten bei der Armee erhalten hättest das ich also ihre Briefe nicht mehr besorgen könte und auch keine Nachricht von dir erhalten würde so ohngefähr werde ich ihr aber doch schreiben der Brief an dich enthält den abscheulichsten Unsin ich schicke ihn dir nicht ich kan ihn doch vieleicht noch brauchen. Er enthielt richtig das Postgeld ist das nicht impertinent? Wirst du mir meine Neugier wohl verzeihn Ich verspreche dir für diese Verzeihung die W vom Halse zu schaffen. Schreib mir nun bald mein lieber Bruder ich bitte dich recht darum auch um deine Reisebeschreibung die von B nach E hat mir sehr viel Vergnügen gemacht nun ich erwarte recht bald einen Brief von dir nächstens wen ich mich erst etwas daran gewöhnt habe das du mein liebster Bruder nicht komst wil ich dir auch recht viel schreiben. Sei nicht böse lieber Bruder das ich dir so viel dummes zeug geschrieben habe. Schreib mir bald viel und oft das ist jezt alles was ich wünsche. Noch eins Schmohl wahr nach Ostern in Berlin wir begegneten uns er sah mich star an und that als wen er mich nicht kente. Lebe wohl lieber Bruder gruß Wakenroder ja so das hätte ich beinahe vergeßen Bernhardi läst dich grüßen ich sol ihn entschuldigen das er dir nicht schreib[t] er ist jezt ein Mann der in Amt und Würden Steht und das macht ihm viel zu schaffen. V. M. und d. K: laßen dich grüßen sie sind alle sehr gesund. Lebe wohl lieber Bruder vergiß mich nicht und höre nicht auf mich zu lieben da ich dich nun so lange nicht sehen kan lebe wohl ich bin ewig deine dich liebende Schwester Sophie Tie[c]k.
Berlin den 12ten Juli: 93
den 21ten Juli
Was wirst du dencken lieber Bruder das du den Brief noch nicht erhalten hast oder was soll ich sagen um mich zu entschuldigen? Es ist unverzeihlich das weiß ich aber doch lieber Bruder vergib mir ich habe jezt immer so viel zu thun das ich es an jeden Postag vorhabe ihn fort zu schicken. Du weist lieber Bruder wie gern ich an dich schreibe also kanst du dir dencken wie sehr ich jezt überhäuft bin da ich dich sogar darüber versäume sei nur deshalb nicht böse. Wirst du den auf Michaeli noch nach Berlin kommen ich habe alles angewandt mich zu überreden das du nicht komst das das Versprechen nur wieder ein Mittel mich zu trösten ist aber es ist mir nicht gelungen ich verlaße mich jezt ganz gewiß darauf und freue mich sehr auf den Augenblick wo ich dich wiedersehen werde wo ich dich mit den vollem Bewustsein an meine Brust drücken kan das weder Zeit noch Trennung unsere Lie[be] schwächen kan. Ach lieber Bruder was währe doch das Leben ohne Freundschaft? Was währe ich ohne dich? Wen ich keinem und mir keiner lieb währe wen ich mit niemand weinen und mich mit niemand freuen könte? Wen ich krank währe und das nicht einmal einen Menschen besorgt machte. Ach lieber Bruder wie werht du mir bist fühle ich erst seit du von mir entfernt bist jezt fühle ich erst das es mir ohnmöglich ist immer ohne dich zu leben oder doch ohne die Hoffnung dich wiederzusehen. Die Zeit vergeht so schnel und doch mir viel zu langsam ich wundere mich oft das eine Woche schon vorüber ist und doch wünsche ich das es die folgende nur auch erst sein mögte. Ich habe jezt auch Adalbert und Emma gedrukt von Bernhardi nächstens wil ich dir eins schicken. Grüß doch Wakenroder es freut mich sehr das er noch an mich d[enkt] sag ihm nur ich währe gesund und auch zufrieden ich weiß ja d[as] du gesund und in seiner Geselschaft auch froh bist und das ist ja alles was ich wünsche wen er manchmal an mich schreiben wolte so es mir sehr angenehm sein es wird mich sehr freuen wen ich von ihm selbst höre wie er sich in Erlangen befindet. Deine Nachläßigkeit im schreiben darf ich dir nun nicht mehr vorwerfen das habe ich nun für immer verdorben das sage ihm nur Es thut mir sehr leid das er nicht mehr in Be[r]lin ist er besorgte immer meine Briefe recht pünklich und besuchte mich auch oft und das wahr mir immer sehr lieb jezt bin ich ganz einsam. Den Mantel haben sie aus Golzow geschickt das habe ich schon ein par mal geschrieben. Hochzeit wird erst gegen Michaeli dan komme ich Dir einige Meilen näher wen du nun wieder nach Berlin komst dan wünsche ich das ich dich eine Strecke begleiten könte bis Wörliz ohngefähr das ist jezt meine lieblings Idee. Lebe wohl bester Bruder ich muß jezt abrechen sonst kan ich den Brief wieder nicht fortschicken lebe recht wohl und vor allen Dingen vergiß ja nicht Deine
Sophie Tie[c]k.
Metadata Concerning Header
  • Date: 12. bis 21. Juli 1793
  • Sender: Sophie Bernhardi ·
  • Recipient: Ludwig Tieck ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Erlangen · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Letters to and from Ludwig Tieck and His Circle. Unpublished Letters from the Period of German Romanticism Including the Unpublished Correspondence of Sophie and Ludwig Tieck. Edited by Percy Matenko, Edwin H. Zeydel, Bertha M. Masche. Chapel Hill 1967 (= UNC Studies in the Germanic Languages and Literature; 57), S. 328–331.

Zur Benutzung · Zitieren