Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Sophie Bernhardi to Ludwig Tieck TEI-Logo

Liebster Bruder
Ich freue mich sehr darauf den Konrektor zu sehen, er wird mir doch gewiß recht viel von dir erzählen er ist bei dir gewesen und weiß gewiß was du machst ob du gesund bist und auf Michaeli nach Berlin komst darauf liebster Bruder verlaße ich mich nun schon ganz gewiß. Woher komt es das du mir darüber gar nichts schreibst? Thue es doch ja im nächsten Brief vergiß es nicht oder glaube etwa das du es schon gethan hast du hast es noch kein einziges mal gethan und mir liegt so sehr viel daran ich bitte dich sehr vergiß es nicht. Den Brief an die Weller habe ich noch nicht fortgeschickt vergib mir das lieber Bruder ich wolte dir nicht gern etwas darüber schreiben. Wen du in ernst glauben köntest das dir die Nachricht die ich ihr von dir gegeben habe schaden könte so würde ich darüber untröstlich sein, aber nicht wahr lieber Bruder das ist nicht dein Ernst gewesen? Ich habe ihr das so geschrieben das sie es ganz gewiß eingesehn hat das ich es nur gethan habe um sie loß zu sein sie hat mir auch noch nicht wieder geschrieben und glaubt gewiß die ganze Geschichte nicht sondern erräht nun die Wahrheit das du nicht mehr an sie denckst sie ist dadurch auf jeden Fall schon sehr gekränkt warum nun noch einen Brief von dir worin du ihr schreibst das du in der Schweiz lebst? Mich dünckt wen es möglich ist das dir meine Nachricht schaden könte so kan es diese auch. Zudem mus sie es nicht für Spot halten wen sie nun noch einen Brief von dir erhält der den meinigen so sehr wiederspricht? Und wie sehr müste sie dadurch gedemühtig[t] werden wen sie sich von uns verspottet glaubte. Und dan lieber Bruder was kanst du ihr schreiben? Entweder dein Brief ist in kalt[en] vieleicht gar etwas bittern Ausdrücken geschrieben oder ein wehmüth[ig] zürnender Abschied von ihr. Und wen sie dich nun wirklich geliebt ha[t] welchen Eindruck müste dan ein solcher Brief machen? Ich habe ih[r] mit so viel Schonung als möglich geschrieben das du sie nicht mehr liebs[t] warum wilst du es (und vieleicht mit Härte) wiederholen? Warum wi[lst] du ein Andenken was ihr durchaus schmerzlich sein muß so unnöhtig erneuern. Aus allen diesen Gründen liebster Bruder kont ich mich nicht entschliesen den Brief abzuschicken verlangst du es aber doch so bitt[e] ich dich schreib mir sogleich und ich schicke ihn sogleich fort. Wen ich Unrecht habe so bitte ich dich recht sehr vergib mir auch wen du im Ernst glaubst das dir mein Brief an die W schaden kan auf diesen Fall wil ich deinen sogleich abschicken. Ich bitte dich recht sehr liebster Bruder schreib mir doch recht bald und vor allen Dingen ob du komst. Ach lieber Bruder wen ich dich erst so erwarten könte das Du immer bei mir bliebst aber wan wird das sein? Wird es jemals sein? Du schriebst neulich an Bernhardi das du dich in Berlin unglücklich fühlen würdest ach mein bester das hat mich sehr gekränckt das hat viele von meinen schönen Planen zerrißen. An deiner Seite im Schoß meiner Familie zu leben das wahr das feste Ziel meiner Wünsche. Wird das sein können wen dir Berlin verhast ist? Doch das thut nichts wir leben auf jeden Fall zusammen das ist meine liebste Hoffnung dieser Gedancke macht mich froh und leicht und ich bin in diesen Augenblick so gewiß davon überzeugt das du bald nach Berlin komst das es mir scheint als bedürfte es nicht einmal eine Frage mehr. Wen nur der Konrektor erst in Berlin währe der bringt mir gewiß das Versprechen mit das du komst. Vater ist so gesund das wir uns selbst darüber wundern auch Mutter und der Künstler die dich alle herzlich grüßen laßen. auch bin ich recht gesund aber ich werde gewiß recht krank wen du nicht komst darauf kanst du dich verlaßen. Schreib mir ja recht bald vergiß das ja nicht lebe recht wohl und dencke recht oft an deine dich liebende
Schwester
Sophie Tie[c]k
Be[r]lin
den 26ten August: 93
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 26. August 1793
  • Sender: Sophie Bernhardi ·
  • Recipient: Ludwig Tieck ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Erlangen · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Letters to and from Ludwig Tieck and His Circle. Unpublished Letters from the Period of German Romanticism Including the Unpublished Correspondence of Sophie and Ludwig Tieck. Edited by Percy Matenko, Edwin H. Zeydel, Bertha M. Masche. Chapel Hill 1967 (= UNC Studies in the Germanic Languages and Literature; 57), S. 334–336.

Zur Benutzung · Zitieren