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Ludwig Tieck to Sophie Bernhardi TEI-Logo

Liebste Schwester,
Du hast mir noch in keinem deiner Briefe eigentlich weh gethan, als in deinem lezten Briefe. – Es herrscht seit einiger Zeit eine Art von Mißverständniß unter uns, zwar eine von deiner Seite, du glaubst mich geändert, kälter und dgl. Aber ich kann dir betheuern, daß du dich hierinn gänzlich irrst, in Rücksicht deiner kann ich mich zeitlebens nicht ändern, gewisse Gefühle kann der Mensch nicht verliehren, ohne ein armseeliger Mensch zu werden und ich hoffe nicht, daß dies mit mir der Fall ist, oder je sein wird. Ich hoffte auf einen Brief von dir, darum schrieb ich so lange nicht, weil ich erst eine Antwort von dir erwartete, was kann ich dafür und wie konnte ich es wissen, daß d[ie]ser Brief auf der Post verlohren gegangen sei? – ich war in tausend Aengsten, ich konnte nicht begreifen, warum du nicht schriebst, und darum verschob ich immer wieder einen neuen Brief. Wackenroder bat ich, einm[a]hl in meinem Nahmen an dich zu schreiben, nicht als ein Geschäfft, sondern weil ich gerade etwas sehr dringendes zu thun hatte, was auf keine Weise aufgeschoben werden konnte. – Liebe Schwester, laß doch deine Phantasie und deine Aengstlichkeit nicht immer so viel Gewalt über dich, ich schwöre dir, daß ich nichts so sehr liebe, als dich, daß ich dich ewig so lieben werde, daß ich mit Rührung an die Stunden denke, in denen ich dich nur wieder sehen werde. Es ist mir ein höchst erfreulicher Gedanke, wenn ich dich, und den Künstler vielleicht auch in Golzow [antr]effen könnte, wir wollten dort ein paar recht schöne Tage mit einander leben, ich habe mir das Ganze schon recht angenehm ausgemahlt. – Auf Ostern od[er] Pfi[n]gsten komme ich ge[w]iß hin, und dann wünsch ich nichts sehnlicher, als dich dort zu finden, ich bin aber noch immer unschlüssig, um welche, von den beiden Zeiten, ich nach Berlin reisen werde, auf Ostern ist meist noch so schlechtes Wetter, kalt und unfreundlich, wir könnten wenig ausgehn und in Golzow selbst würdest du wenig Vergnügen finden; dagegen ist Pfingsten die schönste Zeit im Jahre, alles blüht und grünt, es ist warm, die Festlichkeiten auf dem Lande selbst, –kurz, überleg es dir einmahl recht, ob es auf Pfingsten nicht in vieler Rücksicht angenehmer wäre, denn ich verspreche dir, daß die Collegia nicht meine Rückreise nach Göttingen beschleunigen sollen. Antworte mir, so bald du kannst, auf d[ie]sen Brief und auf meine Anfrage.
Etwas hab’ ich in deinem Briefe nicht recht verstanden, du schreibst mir, dein Brief und eine Einlage von Piesker sei verlohren gegangen, der Verlust ist mir also doppelt schmerzlich, du meinst doch aber nicht etwa den Brief, einen kleinen, den du mir schon vor langer Zeit einmahl von Piesker schicktest? Auf d[ie]sen Brief hab’ ich Pieskern ja geantwortet, und du hast doch wahrscheinlich die Antwort gleich abgeschickt? Bernhardi muß dir 2 Briefe von mir gegeben haben, in welchem sich von den einen beiden eben die Antwort des Piesker befand, – antworte mir doch hierauf, – warum hat Piesker keinen neuen Brief an mich eingelegt und woher weißt du, daß der vorige verlohren gegangen ist? Hat Piesker nicht versprochen, daß er Ostern oder Pfingsten nach Berlin kommen wollte? – Grüsse doch Bernhardi, und jeden, den du von meinen Freunden und Bekannten siehst, vorzüglich aber meinen Bruder und meine lieben Eltern, ich war in rechter Angst, daß einer von euch kranck sein würde. – Und nun, liebste Schwester, sei ja ruhig, sei nicht wieder so unnöthig ängstlich, ich bitte dich recht sehr darum, antworte mir, sobald du kannst, auf d[ie]sen Brief und beweise mir, daß du dich nicht mehr mit Besorgnissen quälst, die gänzlich ungegründet sind; daß ich dich innig liebe und lieben werde, davon kannst du stets und fest überzeugt sein.
Nächstens, sehr bald werd’ ich dir wieder schreiben und einen Brief an Piesker einlegen, den du dann wohl so gut sein wirst, zu besorgen.
Lebe tausend[m]ahl wohl
Dein zärtl. Bruder.
Tieck.
Göttg.
am 13tn Februar.
Du hast meine Addresse gar nicht nö[thig. Schreib] meinen Nahmen auf den Brief, ich [bekomme sie i]mmer richtig.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 13. Februar 1794
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Sophie Bernhardi ·
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Letters to and from Ludwig Tieck and His Circle. Unpublished Letters from the Period of German Romanticism Including the Unpublished Correspondence of Sophie and Ludwig Tieck. Edited by Percy Matenko, Edwin H. Zeydel, Bertha M. Masche. Chapel Hill 1967 (= UNC Studies in the Germanic Languages and Literature; 57), S. 346–347.

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