
[1] Nennhausen bei Rathenow an der
Havel d. 13.ten Febr. 1801.
ich weiß den Augenblick nicht mehr nach Tagen und Monden zu bestimmen, da ich zuletzt an Sie schrieb. Aber sehr lange ist es her. Diese Sonne stand damals noch nicht am Himmel, und auch die Sterne waren anders und kreiseten höher im ewigen Raume und winkten Glück mir und Freude. Sie sind verschwunden. Diese Welt trat aus einem neuen Chaos hervor. Noch kenne ich sie nicht, denn 5. Monde nur habe ich in ihr erst gelebt, und schaue noch immer um mich, ob auch außer mir etwas sey, des ich mich freuen könne. In mir blieb eine himmlische Scene die stille Betrachtung des Lebens. Wenn mir das genügen könnte – wenn der Mensch sich nicht sehnte [2] nach Licht und Leben außer ihm – Sie wißen es wol noch nicht, wie so sehr glücklich ich war. Ich sage es Ihnen einmal, wenn diese Sonnenkreise geendigt sind, und ein neuer Frühling des Lebens vom höhern Himmel herabsteigt. Leopoldine war es auch. Sie hat mich verlaßen. Das wußten Sie noch nicht und ahndeten darum auch nicht den tiefen Schmerz in meiner Brust. Auch ich hoffte zu sterben. Ich war sehr krank, und sahe den Genius schon, mit der gesenkten Fackel, der meiner Leopoldine so freundlich erschien u sie hinüberführte in die Rosen- und Myrthenhaine der Sterne. Aber der Nerv meines Lebens war noch zu stark für die Parze. Ich lebe wieder, ein Knospenreis, das Blätter und Blüthen und [3] Früchte verlohren hat, und nun den Frühling erwartet, da sie ihm wiederkehren werden.
Wüßten Sie das Schicksal, daß mich armen Mann getroffen hat: Sie würden sich nicht wundern, daß ich so lange nicht an Sie schrieb. Länger als ein Jahr war ich unabläßig besorgt um das Leben der geliebten Frau. Die letzten Monate kam ich nicht mehr von ihrer Seite. Sie starb endlich in meinen Armen einen himmlischen Tod, mit freiem Bewußtseyn bis zum letzten Augenblicke des Lebens, mit einem verklährten Lächeln, das mir Trost und Frieden in die Seele gesprochen hat. Es war am 9.ten 8br des vorigen Jahrs. Ich habe seitdem in stiller [4] Trauer gelebt u selbst in einem verzehrenden Fieber daniedergelegen. Noch bin ich nicht, der ich war. Aber mit der Zunahme der physischen Kraft ergreife ich das Leben schon mehr und suche meine Freunde wieder auf, um meinen Schmerz und meine Freude mit ihnen zu theilen. Meinen Dank für die Uebersendung Ihrer Gedichte sage ich Ihnen noch oft. Ich will den Frühling mit ihnen verleben. Mein Erziehungsinstitut mußte ich aufgeben, u ich lebe also wieder ohne Beziehung unter den Menschen; jetzt bei meinem Freunde, dem Hn. v. Briest zu Nennhausen. Vielleicht komme ich bald zu Ihnen. Wo ist Ihr Bruder? Grüßen Sie ihn, auch Ihre trefliche Frau. An Gries schreibe ich nächstens. Entschuldigen Sie mich. Leben Sie wohl. Wie steht es mit der gelehrten Welt? Ich kann das nicht mehr lesen. Adieu. Ganz der Ihrige Hülsen
Havel d. 13.ten Febr. 1801.
ich weiß den Augenblick nicht mehr nach Tagen und Monden zu bestimmen, da ich zuletzt an Sie schrieb. Aber sehr lange ist es her. Diese Sonne stand damals noch nicht am Himmel, und auch die Sterne waren anders und kreiseten höher im ewigen Raume und winkten Glück mir und Freude. Sie sind verschwunden. Diese Welt trat aus einem neuen Chaos hervor. Noch kenne ich sie nicht, denn 5. Monde nur habe ich in ihr erst gelebt, und schaue noch immer um mich, ob auch außer mir etwas sey, des ich mich freuen könne. In mir blieb eine himmlische Scene die stille Betrachtung des Lebens. Wenn mir das genügen könnte – wenn der Mensch sich nicht sehnte [2] nach Licht und Leben außer ihm – Sie wißen es wol noch nicht, wie so sehr glücklich ich war. Ich sage es Ihnen einmal, wenn diese Sonnenkreise geendigt sind, und ein neuer Frühling des Lebens vom höhern Himmel herabsteigt. Leopoldine war es auch. Sie hat mich verlaßen. Das wußten Sie noch nicht und ahndeten darum auch nicht den tiefen Schmerz in meiner Brust. Auch ich hoffte zu sterben. Ich war sehr krank, und sahe den Genius schon, mit der gesenkten Fackel, der meiner Leopoldine so freundlich erschien u sie hinüberführte in die Rosen- und Myrthenhaine der Sterne. Aber der Nerv meines Lebens war noch zu stark für die Parze. Ich lebe wieder, ein Knospenreis, das Blätter und Blüthen und [3] Früchte verlohren hat, und nun den Frühling erwartet, da sie ihm wiederkehren werden.
Wüßten Sie das Schicksal, daß mich armen Mann getroffen hat: Sie würden sich nicht wundern, daß ich so lange nicht an Sie schrieb. Länger als ein Jahr war ich unabläßig besorgt um das Leben der geliebten Frau. Die letzten Monate kam ich nicht mehr von ihrer Seite. Sie starb endlich in meinen Armen einen himmlischen Tod, mit freiem Bewußtseyn bis zum letzten Augenblicke des Lebens, mit einem verklährten Lächeln, das mir Trost und Frieden in die Seele gesprochen hat. Es war am 9.ten 8br des vorigen Jahrs. Ich habe seitdem in stiller [4] Trauer gelebt u selbst in einem verzehrenden Fieber daniedergelegen. Noch bin ich nicht, der ich war. Aber mit der Zunahme der physischen Kraft ergreife ich das Leben schon mehr und suche meine Freunde wieder auf, um meinen Schmerz und meine Freude mit ihnen zu theilen. Meinen Dank für die Uebersendung Ihrer Gedichte sage ich Ihnen noch oft. Ich will den Frühling mit ihnen verleben. Mein Erziehungsinstitut mußte ich aufgeben, u ich lebe also wieder ohne Beziehung unter den Menschen; jetzt bei meinem Freunde, dem Hn. v. Briest zu Nennhausen. Vielleicht komme ich bald zu Ihnen. Wo ist Ihr Bruder? Grüßen Sie ihn, auch Ihre trefliche Frau. An Gries schreibe ich nächstens. Entschuldigen Sie mich. Leben Sie wohl. Wie steht es mit der gelehrten Welt? Ich kann das nicht mehr lesen. Adieu. Ganz der Ihrige Hülsen