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Clemens Brentano to Ludwig Tieck TEI-Logo

Marburg, den 11ten Jenner 1802.
Ihr gütiges Schreiben traf mich erst in Erfurt auf meiner Rückreiße hierher, ich würde ihnen schon sicher früher geschrieben haben, hätte ich etwas Bestimmtes von der Sache gewust, und jezt, ihnen selbst kann nichts unangenehmer sein, als mir, waß ich drüber weiß, denn ich hatte wahrlich bisher keine einzige Aussicht und Hoffnung, als sie an unserm Theater zu wißen, denn Ihnen nahe zu sein, und zu helfen, wo es meine Kräfte erlaubten, die Bühne von Fr. aus wieder für Deutschland in ihre Rechte einzusezzen, ja ich wollte mich unter ihrer Leitung ganz der Sache widmen, und durch diese Kunst mehr im Bürgerlichen gewurzelt, meinem geringen Talente eingreifendere und festere Bewegungen geben. – Göthe? hat er sie empfohlen? Es ist nicht alles von Göthe zu erwarten. O für mich ist die Geschichte so erbärmlich, daß ich ungern davon spreche, der Kaufmann, dem ihr Brief zum Uebergeben geschickt wurde, hat ihn grade dem grösten Vieh bei der ganzen Direktion übergeben dem Doktor G [...], das ganze Theater steht nun wie vorher und [...], der unwißendste, dummste, ungeschickteste Schauspieler ist wie ehedem an der Regie. Die zwei erträglichsten Männer in Fr. auf deren Hülfe ich rechnen konnte, Geheimrath Willmer, Göthes Jugendfreund, und Moriz Bethmann schreiben mir beiliegende Briefe – Sollten sie noch keine Antwort auf Ihren Brief erhalten haben, so wäre eine satirische Anfrage im Hamburger Coresp. wo sich die Frankfurter Theater Direktion jezt aufhalte, eine verdiente Rache. Ob Göthe wohl geschrieben hat, es wäre das Gegentheil ein großer Unverstand – und Sie nach Frankfurt befördern wäre mehr Vorschub für die deutsche Kunst, als Propyläen. Ich bin so böß, ich weiß nicht wie, mir bricht alles vor den Füßen, auch dies. Eine erneuerte Anfrage und zwar derb, wenn Sie keine Antwort erhielten, könnte nüzzlich sein, auch eine Frage an Göthe. Faßen sie sich, denn ich weiß, es thut ihnen gewiß leid, wie mir, aber diese Leute verdienen es nicht beßer.
Ich habe mit Ritter, der mit mir bis Gotha reißte, über allerlei gesprochen, und eine Idee von mir, die auch er lebhaft faßte, durchdringt mich jezt noch mehr. Wie wäre es, ein Theater von Grund aus nach eignen Ideen unter ihrer Leitung zu errichten, es zum Voraus mit einer Anzahl neuer Stükke zu unterstüzzen, etwa im Geschmacke von Gozzi’s Schooskind, der Sakchischen Truppe doch in Hinsicht auf Zeit und Ort modifizirt, ich bin sicher es ließe sich eine Zahl tauglicher Subjekte unter den Laien der Kunst finden, die ihr Talent unter ihrer Leitung einer von Auswürfen der Bürgerlichen Gesellschaft reinen Verbindung fürs Theater gerne hingäben. Klingt diese Idee auch bei Ihnen an? Ließe sich wohl eine Stadt finden, die zusammen träte etwa Bremen mit Aktien, oder eine Stadt in Schlesien? – Nach der Lage der Sachen meine ich es wäre bald Zeit zu so etwas, schreiben Sie mir doch hierüber einige gütige Worte, ich bin mit allem dem meinigen zur Unterstüzzung in ohngefähr zwei Jahren total fähig, wenn einige Hofnung ist, daß eine solche Unternehmung sich nicht selbst und mein kleines Vermögen zerstöre, Sie wißen nicht, wie determinirt ich bin, und wie gerne ich täglich lieber Cinthio, Trufaldin und Scaramuzz wäre, als Brentano. – Ihre gütige Lektüre des Godwi hat mich gerührt, es ist mir wie ein Vater, der ein krankes krüppelhaftes Kind erzeugte, das Theils nicht verstanden, und meistens verachtet wird, wenn ein glücklicher Vater spricht, ich habe mich heute doch an Manchem deines armen Sohnes gefreut. – Zur Göthischen Aufgabe hab ich ein Stück geschickt, das wohl in Vielem mehr ihnen gefallen könnte, als Göthen, es heist, Last es euch gefallen. Diesen Winter übersezze ich einen Band unbekanter alter spanischen Novellen, sonst beschäftige ich mich mit dem theatralischen, und habe mehrere Schauspiele entworfen. Immer aber noch kann ich mich nicht überzeugen, daß unsre Trauerspiele sein dürften wie Griechische, auch nicht wie Schillersche, höchstens wie Schaksspearsche, die doch eigentlich Häußliche sind. Trauerspiele ohne Vaterland, sind wie Helden ohne Schicksal, die Seele muß Held sein, und die Reihe der Begebenheit, die Geschichte Schiksal, ich habe die Idee zu einem Trauerspiel mit 25 Helden die vom Schicksal getödet werden, den lezten aber kanns aus Müdigkeit nicht hinunter kriegen und stirbt selbst, er aber wird Schicksalloß von den Göttern davon geführt, und im 5 Akt im Himmel unter den Göttern als weinendes Kind geboren. Sein sie mir gut, ich bin ihr treuster, liebendster Schüler, und Diener
Clemens Brentano.
So eben habe ich eine kindische Freude, um des kindischen halber verzeihen sie mir, daß ich sie äußere. Arnim, den sie kennen, und sicher lieben, schreibt mir seinen ersten Brief von Regensburg, und schreibt mir so viel über sein Entzükken über Sie, ich weiß sicher, daß vielleicht Arnim der einzige Deutsche ist, der Sie ließt, wie sie es meinen. Sie glauben nicht, wie reich mich Arnims Brief macht, und verzeihen sie, daß ich wie ein Kind sein Spielzeug ihnen das zeigen muß, wenn irgend ein Mensch gerne für sie sich regt und opfert, so ist es sicher Arnim und Brentano, er für den Frohsinn, ich für die Wehmuth ihrer Muse.
Ich wohne bei H. v. Savigny in Marburg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 11. Januar 1802
  • Sender: Clemens Brentano ·
  • Recipient: Ludwig Tieck ·
  • Place of Dispatch: Marburg · ·
  • Place of Destination: Dresden · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Briefe an Ludwig Tieck. Ausgewählt und hrsg. von Karl von Holtei. Band 1. Breslau 1864, S. 94–97.

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