Dresden [...] 1801.
Ich schicke Dir hier nach meinem Versprechen das Liederspiel zurück, das ich mit großem Vergnügen gelesen habe; da Du aber ein ganz aufrichtiges Urtheil von mir verlangst, so wär’ es sehr Unrecht von mir, wenn ich es Dir nicht ganz so mittheilte, wie es mir beim Lesen und beim nachherigen Ueberlegen vorgekommen ist. Du weißt, was mir in Deinen beiden ersten Stücken so sehr gefiel, war ein gewisses künstliches Gegenüberstehn der Personen und Gesangesmassen, wie ich es nennen möchte, wodurch in den Liedern selbst eine fortschreitende Handlung war, und wodurch alles korrespondirte und sich gegenseitig trug und erhielt. Dies scheint mir in diesem Stücke zu fehlen, wodurch es ein wildes verworrenes Ansehn erhält, und doch monoton wird, alle Töchter drücken einen Gedanken aus, ebenso die Künstler, Mann und Frau stehn fast ganz müssig, die Handlung erregt eine falsche Erwartung, die nachher nicht befriedigt wird. Wozu lässest Du das Theater verwandeln? Ich sollte meinen, bei einem solchen Tableau müßte wirklich die Unveränderlichkeit der Bühne ein Gesetz sein; denn durch die bloße Verwechselung der Scene entsteht schon ein viel größerer Anspruch, eine Ausbreitung, die dem kleinen Detail Schaden thut; wenn ich das Final abrechne, so hat Göthe wohl in Jery und Bâtely die Aufgabe sehr schön gelöst. Ich fürchte auch, was das Aeußere anbetrifft, die erste Scene mit dem Herunterklettern muß sich auf jedem Theater kleinlich machen, und was noch schlimmer ist, Du hast dadurch das Pikante vorangestellt; denn nachher ist es mit dem Vorfall schon vorüber, es steht nur still und erhält eine Auflösung, die ängstlich klar und deutlich ist, und die man eigentlich gar nicht erwartet. Wozu sind überhaupt die handelnden Personen Künstler? Es thut nichts zur Sache, als daß es eine gewisse Heftigkeit in dem jungen Menschen zeigt, die mir wenigstens nicht hat gefallen wollen; es geht aber mit der Liebe ein wenig zu schnell, was sich mit der großen Innigkeit besonders der andächtigen Lieder nicht vereinigen läßt. Von diesen Liedern muß ich Dir überhaupt sagen, daß sie mir in diesem Stücke keine angenehme Empfindung erregt haben, sie sind fast alle die heiligsten, die Göthe je gedichtet und Du gesungen hast, sie sind wie Kernsprüche aus der Bibel, die eine unendliche Anwendung zulassen, die aber schon für sich tausend mannichfaltige Geschichten und Empfindungsspiele enthalten; will man sie nun, wie hier geschehn, in die Welt einführen, so verlieren sie durchaus ihren Charakter von Allgemeinheit und Größe, sie erläutern einen geringfügigen Umstand, wodurch sie fast zur Parodie werden, wie es besonders mit dem göttlichen: Trocknet nicht, Thränen der heiligen Liebe geschehn ist. Eben so unerwartet kam mir das Lied aus dem Meister: Kennst Du das Land, was hier nothwendig seinen [Lücken] – – – – – schöninnigen und geheimnißvollen kindischen Charakter verlieren muß. Am meisten hat mich fast der Klopstock überrascht und gestört, der doch mit seiner hohen Anmaßung noch überdies schwerfällig und unverständlich ist, so daß er gewiß mit dieser Ode nicht populär sein kann. Ich glaube überdies, diese Sachen von Göthe müssen niemals populär werden, sie können es auch nicht; auf dem Theater werden sie eben entheiligt, welcher Comödiant soll es sich unterstehn, das: Die ihr Felsen und Bäume bewohnt, herzusingen? Es ist ja dieses ähnlich als im Göthe selbst der innerste Göthe, er hat dergleichen in keines seiner musikalischen Stücke aufgenommen, weil es die Andenken seiner glänzendsten Lebensmomente sind. Mir wenigstens thut es weh, diese Töne auf irgend eine Weise verknüpft wieder zu finden. Du kannst es nicht vermeiden, daß es sich nicht selbst parodirt. Warum willst Du nicht überhaupt bei kleinen Liedern stehn bleiben, die eben im Zusammenhange ergreifen, weil sie so klein und verständlich sind? Hier im Schweizerkostüm hätt’ ich mir: „Wenn ich ein Vögli wär’,“ und „Ich hab’ einmal ein Schätzel g’habt,“ erwartet und gewünscht. Es konnte eine Familie sein, die von den Unruhen vertrieben, sich hier niedergelassen, ein desperater Sohn will fort, in den Krieg, seinen Freund aufsuchen, der sich seitdem verloren; die Schwestern können ihn nicht zurückhalten, er klettert heimlich den Fels hinauf, indeß zeigt sich von oben der Freund und Geliebte, die gegenseitige Erkennung, die Liebe, die Nachricht vom Frieden und dergleichen, recht alte Schweizerleute in Mann und Frau hätten wohl was Schönes machen können, dazwischen einmal der Kuhreigen u. dgl. – Verzeih mir meine umständliche Kritik, die vielleicht zu strenge sein mag. – Wir sind hier alle wohl, nächster Post wird Mama schreiben, die außerordentlich munter ist. Ich danke Dir noch einmal für Deine freundliche Aufnahme, und denke noch mit Sehnsucht an Euren schönen Aufenthalt.
Grüß alle herzlich von mir.
Dein
L. Tieck.
Ich schicke Dir hier nach meinem Versprechen das Liederspiel zurück, das ich mit großem Vergnügen gelesen habe; da Du aber ein ganz aufrichtiges Urtheil von mir verlangst, so wär’ es sehr Unrecht von mir, wenn ich es Dir nicht ganz so mittheilte, wie es mir beim Lesen und beim nachherigen Ueberlegen vorgekommen ist. Du weißt, was mir in Deinen beiden ersten Stücken so sehr gefiel, war ein gewisses künstliches Gegenüberstehn der Personen und Gesangesmassen, wie ich es nennen möchte, wodurch in den Liedern selbst eine fortschreitende Handlung war, und wodurch alles korrespondirte und sich gegenseitig trug und erhielt. Dies scheint mir in diesem Stücke zu fehlen, wodurch es ein wildes verworrenes Ansehn erhält, und doch monoton wird, alle Töchter drücken einen Gedanken aus, ebenso die Künstler, Mann und Frau stehn fast ganz müssig, die Handlung erregt eine falsche Erwartung, die nachher nicht befriedigt wird. Wozu lässest Du das Theater verwandeln? Ich sollte meinen, bei einem solchen Tableau müßte wirklich die Unveränderlichkeit der Bühne ein Gesetz sein; denn durch die bloße Verwechselung der Scene entsteht schon ein viel größerer Anspruch, eine Ausbreitung, die dem kleinen Detail Schaden thut; wenn ich das Final abrechne, so hat Göthe wohl in Jery und Bâtely die Aufgabe sehr schön gelöst. Ich fürchte auch, was das Aeußere anbetrifft, die erste Scene mit dem Herunterklettern muß sich auf jedem Theater kleinlich machen, und was noch schlimmer ist, Du hast dadurch das Pikante vorangestellt; denn nachher ist es mit dem Vorfall schon vorüber, es steht nur still und erhält eine Auflösung, die ängstlich klar und deutlich ist, und die man eigentlich gar nicht erwartet. Wozu sind überhaupt die handelnden Personen Künstler? Es thut nichts zur Sache, als daß es eine gewisse Heftigkeit in dem jungen Menschen zeigt, die mir wenigstens nicht hat gefallen wollen; es geht aber mit der Liebe ein wenig zu schnell, was sich mit der großen Innigkeit besonders der andächtigen Lieder nicht vereinigen läßt. Von diesen Liedern muß ich Dir überhaupt sagen, daß sie mir in diesem Stücke keine angenehme Empfindung erregt haben, sie sind fast alle die heiligsten, die Göthe je gedichtet und Du gesungen hast, sie sind wie Kernsprüche aus der Bibel, die eine unendliche Anwendung zulassen, die aber schon für sich tausend mannichfaltige Geschichten und Empfindungsspiele enthalten; will man sie nun, wie hier geschehn, in die Welt einführen, so verlieren sie durchaus ihren Charakter von Allgemeinheit und Größe, sie erläutern einen geringfügigen Umstand, wodurch sie fast zur Parodie werden, wie es besonders mit dem göttlichen: Trocknet nicht, Thränen der heiligen Liebe geschehn ist. Eben so unerwartet kam mir das Lied aus dem Meister: Kennst Du das Land, was hier nothwendig seinen [Lücken] – – – – – schöninnigen und geheimnißvollen kindischen Charakter verlieren muß. Am meisten hat mich fast der Klopstock überrascht und gestört, der doch mit seiner hohen Anmaßung noch überdies schwerfällig und unverständlich ist, so daß er gewiß mit dieser Ode nicht populär sein kann. Ich glaube überdies, diese Sachen von Göthe müssen niemals populär werden, sie können es auch nicht; auf dem Theater werden sie eben entheiligt, welcher Comödiant soll es sich unterstehn, das: Die ihr Felsen und Bäume bewohnt, herzusingen? Es ist ja dieses ähnlich als im Göthe selbst der innerste Göthe, er hat dergleichen in keines seiner musikalischen Stücke aufgenommen, weil es die Andenken seiner glänzendsten Lebensmomente sind. Mir wenigstens thut es weh, diese Töne auf irgend eine Weise verknüpft wieder zu finden. Du kannst es nicht vermeiden, daß es sich nicht selbst parodirt. Warum willst Du nicht überhaupt bei kleinen Liedern stehn bleiben, die eben im Zusammenhange ergreifen, weil sie so klein und verständlich sind? Hier im Schweizerkostüm hätt’ ich mir: „Wenn ich ein Vögli wär’,“ und „Ich hab’ einmal ein Schätzel g’habt,“ erwartet und gewünscht. Es konnte eine Familie sein, die von den Unruhen vertrieben, sich hier niedergelassen, ein desperater Sohn will fort, in den Krieg, seinen Freund aufsuchen, der sich seitdem verloren; die Schwestern können ihn nicht zurückhalten, er klettert heimlich den Fels hinauf, indeß zeigt sich von oben der Freund und Geliebte, die gegenseitige Erkennung, die Liebe, die Nachricht vom Frieden und dergleichen, recht alte Schweizerleute in Mann und Frau hätten wohl was Schönes machen können, dazwischen einmal der Kuhreigen u. dgl. – Verzeih mir meine umständliche Kritik, die vielleicht zu strenge sein mag. – Wir sind hier alle wohl, nächster Post wird Mama schreiben, die außerordentlich munter ist. Ich danke Dir noch einmal für Deine freundliche Aufnahme, und denke noch mit Sehnsucht an Euren schönen Aufenthalt.
Grüß alle herzlich von mir.
Dein
L. Tieck.