[1] Leipzig, den 18ten May 91.
Mein Freund, der Ungestüm mit dem Du bey der Abfahrt aufbrausetest hat mich beunruhigt. Ich weiß Du hast ihn noch nicht überwunden, sondern wirst der Laune seyn wie so oft in Göttingen. Aber Du mußt ihn überwinden. Du mußt Deinen Grundsätzen getreu seyn, sonst denke ich Du seyst nicht stark genung Gott zum Trotz Dich glücklich zu machen. – Für mich war der Abschied sehr herrlich. Denn als ich Dich umarmte, fühlte ich sehr stark daß Du auch mein bist, weil ich Dich liebe. Den Rückweg nach H[annover] war ich in herrlichem Taumeln. Ich biete Dir alles was ich habe und mehr als bis itzt gab – wegen der bekannten Muthlosigkeit. Diese zu überwinden brauche ich nur ein gewaltsames Aufraffen meiner Kräfte, – denn bey meinem Intereße an der Natur ist der Stoff unendlich. – Ich habe mich oft durch einen gewissen <geistigen> Schmutz der allen Dingen anhängt an Betrachtung des Intereßanten hindern lassen. Es ist derselbe Stoff <die Welt> der dem dummen Wilden eckelt und dem erhabneren Betrachter zur Lust dienen muß. Mein Wahlspruch ist in diesen Worten
[2] Die Geisterwelt ist nicht verschlossen
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
Auf! Schüler, bade unverdroßen
Die irdsche Brust in Morgenroth.
Ich bin bereichert durch die Briefe der B [Caroline Böhmer]. Etwas unbegreiflich bleibt sie mir – nehmlich wie bey der Erhabenheit die leichtbewegliche Phantasie und die Zartheit des Gefühls seyn kann. Du darfst Dirs nicht gereuen (denn wenn Du diese heilige Idee entweihest, so würdest Du Reue fühlen) lassen. – Mit Ihrer Erhabenheit sympathisire ich und das zartere erreiche ich mit dem Verstande. – Ich glaube nicht daß ich ihre Zartheit verletzen würde <auch> bey dem freisten Verhältnisse. – Sey so gütig einige der Gedichte für mich abzuschreiben.
den 20ten.
Ich denke mir dich in den Wirbel kleiner Sorgen und kleiner Geschäfte. Du wirst lernen das geringe durch grosse Zwecke zu adeln wie die B[öhmer]. – wie Geist über den Waßern schwebend. – Du bist oft zu ungeduldig dazu. – Die ganz poetische Bildung trägt dazu bey. – Der Zweck der Kunst ist die [3] Schönheit des Lebens hervorzubringen, und das bewirkt sie auch. Wenn aber ein Mann mit sich selbst oder mit der Welt noch nicht ganz in Uebereinstimmung ist, so fehlt es dazu an Kraft, und sie weckt grade das Gegentheil, die Harmonie <eines Augenblicks> macht die <beständigen> Dissonanzen fühlbarer; man erliegt desto mehr unter der Last der Alltäglichkeit. Es liegt <dann> etwas ganz zerreißendes in der Poesie welches ich aus Erfahrung weiß.
den 21ten.
Schreib mir doch was Du über die Rehbergen und über die Voigten urtheilst. Mit meinem Verhältniß mit R [Caroline Rehberg] bin ich itzt recht sehr zufrieden. Sie hat Dir wohl davon gesagt, da Du sie gewonnen hast. – Eigentlich hält das Genie ihres Bruders sie in Fesseln; sie müßte ihrem Geiste folgen, denn ihr Bruder ist sehr Ausnahme von der Regel, er ist der ungewöhnlichste Mensch den ich kenne, und sein Weg ist gar nicht für Weiber. Dennoch nimmt sie in unzähligen Dingen seine Resultate an. Ein sehr kluger Mann müßte viel aus ihr machen können; es liegt sehr viel in ihr, sie ist aber zu wenig mit Männern umgegangen, um sich entwickeln zu können. Es ist mir also lieb daß Ihr Euch ordentlich gespro[4]chen, und daß Ihr vielleicht, wie ich mir denke, mit einander correspondiren werdet. – Ich muß indessen gestehen daß seit der Zeit daß mein Urtheil über Menschen eine andre Wendung genommen, ich nicht recht aufs reine kommen kann mit dem Urtheil über sie. – Aeußerst verhaßt ist mir die Art mit der man in unserm Hause meinen Umgang mit ihr ansieht, so daß er mir in Hannover ganz verdorben wird.
Fr. Schl.
p.p. Dieser Brief ist unter Zerstreuungen in einzelnen Viertelstunden geschrieben.
Mein Freund, der Ungestüm mit dem Du bey der Abfahrt aufbrausetest hat mich beunruhigt. Ich weiß Du hast ihn noch nicht überwunden, sondern wirst der Laune seyn wie so oft in Göttingen. Aber Du mußt ihn überwinden. Du mußt Deinen Grundsätzen getreu seyn, sonst denke ich Du seyst nicht stark genung Gott zum Trotz Dich glücklich zu machen. – Für mich war der Abschied sehr herrlich. Denn als ich Dich umarmte, fühlte ich sehr stark daß Du auch mein bist, weil ich Dich liebe. Den Rückweg nach H[annover] war ich in herrlichem Taumeln. Ich biete Dir alles was ich habe und mehr als bis itzt gab – wegen der bekannten Muthlosigkeit. Diese zu überwinden brauche ich nur ein gewaltsames Aufraffen meiner Kräfte, – denn bey meinem Intereße an der Natur ist der Stoff unendlich. – Ich habe mich oft durch einen gewissen <geistigen> Schmutz der allen Dingen anhängt an Betrachtung des Intereßanten hindern lassen. Es ist derselbe Stoff <die Welt> der dem dummen Wilden eckelt und dem erhabneren Betrachter zur Lust dienen muß. Mein Wahlspruch ist in diesen Worten
[2] Die Geisterwelt ist nicht verschlossen
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
Auf! Schüler, bade unverdroßen
Die irdsche Brust in Morgenroth.
Ich bin bereichert durch die Briefe der B [Caroline Böhmer]. Etwas unbegreiflich bleibt sie mir – nehmlich wie bey der Erhabenheit die leichtbewegliche Phantasie und die Zartheit des Gefühls seyn kann. Du darfst Dirs nicht gereuen (denn wenn Du diese heilige Idee entweihest, so würdest Du Reue fühlen) lassen. – Mit Ihrer Erhabenheit sympathisire ich und das zartere erreiche ich mit dem Verstande. – Ich glaube nicht daß ich ihre Zartheit verletzen würde <auch> bey dem freisten Verhältnisse. – Sey so gütig einige der Gedichte für mich abzuschreiben.
den 20ten.
Ich denke mir dich in den Wirbel kleiner Sorgen und kleiner Geschäfte. Du wirst lernen das geringe durch grosse Zwecke zu adeln wie die B[öhmer]. – wie Geist über den Waßern schwebend. – Du bist oft zu ungeduldig dazu. – Die ganz poetische Bildung trägt dazu bey. – Der Zweck der Kunst ist die [3] Schönheit des Lebens hervorzubringen, und das bewirkt sie auch. Wenn aber ein Mann mit sich selbst oder mit der Welt noch nicht ganz in Uebereinstimmung ist, so fehlt es dazu an Kraft, und sie weckt grade das Gegentheil, die Harmonie <eines Augenblicks> macht die <beständigen> Dissonanzen fühlbarer; man erliegt desto mehr unter der Last der Alltäglichkeit. Es liegt <dann> etwas ganz zerreißendes in der Poesie welches ich aus Erfahrung weiß.
den 21ten.
Schreib mir doch was Du über die Rehbergen und über die Voigten urtheilst. Mit meinem Verhältniß mit R [Caroline Rehberg] bin ich itzt recht sehr zufrieden. Sie hat Dir wohl davon gesagt, da Du sie gewonnen hast. – Eigentlich hält das Genie ihres Bruders sie in Fesseln; sie müßte ihrem Geiste folgen, denn ihr Bruder ist sehr Ausnahme von der Regel, er ist der ungewöhnlichste Mensch den ich kenne, und sein Weg ist gar nicht für Weiber. Dennoch nimmt sie in unzähligen Dingen seine Resultate an. Ein sehr kluger Mann müßte viel aus ihr machen können; es liegt sehr viel in ihr, sie ist aber zu wenig mit Männern umgegangen, um sich entwickeln zu können. Es ist mir also lieb daß Ihr Euch ordentlich gespro[4]chen, und daß Ihr vielleicht, wie ich mir denke, mit einander correspondiren werdet. – Ich muß indessen gestehen daß seit der Zeit daß mein Urtheil über Menschen eine andre Wendung genommen, ich nicht recht aufs reine kommen kann mit dem Urtheil über sie. – Aeußerst verhaßt ist mir die Art mit der man in unserm Hause meinen Umgang mit ihr ansieht, so daß er mir in Hannover ganz verdorben wird.
Fr. Schl.
p.p. Dieser Brief ist unter Zerstreuungen in einzelnen Viertelstunden geschrieben.