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Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

[1] Leipzig den 11ten Februar 1792.
Ich wünschte sehr, daß Du itzt etwas unternehmen könntest, was Deine Seele ganz in Thätigkeit setzte. Meine feurigsten Wünsche werden zwar ohne Deine eigne äußerliche Anstrengung und vielleicht ohne den Willen des Schicksals nicht vermögen Dich zu beseelen; doch glaube ich ist es nicht ohne Nutzen wenn ich Dir itzt einmal alles das sage was ich darüber denke. Ich halte es für äußerst wichtig, daß Du itzt einmal alle Deine schriftstellerischen und künstlerischen Plane überdenkst, Deine Kräfte mißest, und einen oder den andern Plan zur Vollendung ernstlich vornimmst. – Ich glaube daß die Freuden des Künstlers Dir vorzüglich angemeßen sind, und das Du ohne sie die höchsten Freuden entbehren würdest, deren Du fähig bist. – Wenn Du allen Künstlerarbeiten entsagtest, so würde ich besorgen daß Du in Leere und Herzenskälte versinken würdest. Bringe auch den Beifall andrer [2] des Volks in Anschlag und scheue Dich nicht zu berechnen, was er Dir seyn kann.
Obwohl fast alle Menschen Dir vorwerfen, und Du selbst gewissermaßen zuweilen eingestanden hast, daß ein dunkles Gefühl Deines Werths Dich zu unrichtigen Urtheilen verleitete, oder daß Du Dir wegen Dinge, die es nicht können, einen Werth beylegtest, so urtheilst Du doch selbst, wie ich glaube, von Deinem poetischen Talent im ganzen, und Deinen Kunstwerken im einzelnen, lange nicht günstig. Wie ganz Du der Sprache mächtig bist, kannst Du selbst nicht verkennen; und ich brauche Dir nicht zu sagen, daß Du der höchsten Liebe fähig bist. Die Kraft in die innerste Eigenthümlichkeit eines großen Geistes einzudringen, hast Du an Dir oft mit Unmuth mit dem Namen ,Uebersetzertalentʻ gebrandmarkt; und an Göthen, der sie uns in weiterm Umfange gezeigt hat, bewundertest Du sie, als Wahrzeichen des großen Geistes. – Es ist wahr Du hast nur wenige vortrefliche Kunstwerke selbst gedichtet und diese wenigen [3] sind so ganz individuell. – Dieß rührt aber daher weil Du seit der Zeit daß Du schöne Werke dichten kannst, so wenig versuchst. – Durch das Gedicht an den Kunstrichter welches ich neben Deine besten stelle, hast Du Deine Stärke in einer von Dir noch unversuchten Art gezeigt, und ich glaube es würde Dir in dieser Art ganz vorzüglich gelingen. Du würdest darin originell seyn: ich meyne nehmlich die Philosophie des Schönen poetisch behandelt. –
Wer kann sagen ob Du Anlage hast ein Welt- oder Universal-Dichter zu werden? – Gesetzt aber man wollte es nur darum verneinen, weil Du es bis itzt noch nicht warst; „noch viel Verdienst ist übrig“. Wer nur einen Ton der Empfindung und Begeisterung anzugeben weiß, kann ein sehr großer Dichter seyn. –
Ich wünschte Du riefest Deine alten Plane zurück ins Gedächtniß – die Erzählung von Dante – das Trauerspiel Ugolino – das Trauerspiel Cleopatraden Aufsatz über den Ath[eismus]. – Vielleicht findet sich dann eine glückliche Laune. Ob sich gleich die Liebe nicht erzwingen läßt, so glaube [4] ich doch nicht daß Alles so ganz von der Gnade des Herrn abhängt, und daß die Willkühr nichts vermögte.
Was Deinen prosaischen Styl betrifft, so hat die B.[öhmer] in so weit recht, daß er sich nicht gleich ist. Der Aufsatz über das hohe Lied, über die Künstler und endlich über den Dante; alle sind verschieden, so wie auch selbst in Deinen Briefen. Deine Art zu reden schließt sich sehr an den Gegenstand, und schreitet mit Deinem Geiste selbst stark vorwärts. Ich bin weit entfernt, dieß als eine Unvollkommenheit anzusehen. Viele der größten Schriftsteller haben denselben Gang genommen. Dein Styl ist von gutem Periodenbau, feiner Auswahl und gedankenreich. Ueberfluß an ausländischen Worten und Wendungen und hie und da Mangel an Kürze könnte vielleicht von einigen darin getadelt werden. –
Wenn Du das Denkmahl, das Du dem Dante zu setzen versprachst, nicht vollendest, so versündigst Du Dich wahrlich an diesem herrlichen Haupte, an Dir selbst, und an der Göttin der Kunst. Du hattest ein ver[5]borgnes Heiligthum derselben entdeckt. In Deine Macht war es gegeben, es aller Welt zu zeigen, und nun willst Du es wieder in ewige Vergessenheit herabsinken lassen. – Wenn Du in Amsterdam bleibst, so wünschte ich daß Du gleich mit ganzem Eifer daran giengest. Du hast schon so gut gelernt, die Zeit zu stehlen daß dieß kein Hinderniß seyn wird: wenn Du nur noch das andre lernst was schwerer ist, – die üble Laune überwinden. – Die Geschichte der griechischen Poesie ist ein Werk von Umfang, es fordert ungestörte Ruhe, und Du legst diese Arbeit vielleicht für Dein Alter zurück. Ein historisches Werk halte ich Dir ganz angemeßen. Ich wünschte, daß Du bey der Wahl auch auf das Rücksicht nähmst, was dem deutschen Volke am nächsten liegt. Die florentinische Geschichte giebt gewiß einen herrlichen Stoff. Italien ist die Wiege der neuern Politik, und der neuern Kriegskunst; und ist von jeher reich an Verschwörungen und großen Verbrechern gewesen. – Sollte nicht vielleicht auch Biographie eine Unternehmung für Dich seyn? –
Ich habe diesen Winter mich mit der Deutschen Geschichte beschäftigt und nebenher manches <andre> historische Werk gelesen. [6] Ich glaube, daß in unsrer Geschichte mancher Stoff zu historischen Kunstwerken liegt. Sollte man die Geschichte des ganzen Volkes zu einem Werke bilden, so glaube ich müßte der Character derselben die Einheit seyn, die das ganze verknüpfte; <ferner> die Geschichte des Ritterwesens in Deutschland, des Flors und Verfalls der Macht der Städte im Mittelalter, die Geschichte der neuern Cultur, der Reformation, die Periode des Königs von Preußen, der dreyssigjährige und der siebenjährige Krieg. – Auch zu Biographien bieten sich Wallenstein, <Bernhard von Weimar>, Mansfeld, Luther, Eugen, Friedrich II. u.s.w.
Wenn Du itzt zu weiter nichts fähig bist, so wünschte ich doch daß Du nach einem Plane die besten historischen Werke, ferner die besten Werke über Gesetzgebung, Politik, Theorie der Finanzwissenschaft, Geschichte der Menschheit u.s.w. durchläsest. Ich warne Dich dabey vor dem Lesen zur Nahrung ohne Beziehung auf Deine wichtigsten Zwecke: ich rechne hiezu auch das Recensiren. –
Misverstehe diesen Brief nicht so wie den vorigen. – Nirgends zeigt sich unsre [7] anmaaßende Unwissenheit so nackend, als wenn wir rathen, urtheilen, verdammen, über Dinge, die in der Tiefe eines fremden Bewußtseyns verborgen liegen. Wir Armen tappen nun einmal an der Außenseite der Dinge herum. Und dieß fühle ich auch itzt sehr lebhaft. Dennoch wenn ich nur einen fruchtvollen Gedanken über Dich selbst in Dir rege gemacht, nur einen Wunsch belebt habe, der vielleicht zur That werden kann, so werde ich mich freuen diesen Brief geschrieben zu haben. – Laß mich noch das hinzusetzen, daß um zu wirken, ich <vielleicht> mannichmal Gefahr laufen mußte, Deine Empfindlichkeit zu beleidigen. –
Mit mir ist es noch wie bisher. – Die Frohndienste sind die Hauptsache. Dabey habe ich seit ich hier bin, bald dieß, bald jenes getrieben, und diese Abwechslung glaube ich ist mir vortheilhaft gewesen. – Eine zahllose Menge Plane habe ich ausgeheckt, und ich werde auch gewiß ernstlich Hand an irgend ein Werk legen. Wenn ich auf dem Wege, den ich in Göttingen ging, – beständig mit dem Verstande zu genießen ohne zu handeln – blieb, [8] so hätte er mich sicher in Kurzem zum Selbstmorde geführt. – Die Liebe zu einem Gegenstande, der Kampf mit Hindernissen und die Freude des erkämpften Gelingens muß unsern eilenden Geist aufhalten; denn sonst wird diesem Kurzsichtigen die Welt bald zu klein.
Von itzt bis Ostern darf ich nun auch gar nichts treiben als Jurisprudenz. Es thut mir wohl auch nur dieß mit ganzem Eifer zu treiben. Es ist auch eine Freude – zu arbeiten. Doch damit sie recht poetisch bliebe, müßte die Arbeit freylich nicht oft kommen. Vor Ostern kann ich Dir höchstens noch einen Brief schreiben. Darum laß uns noch etwas schwatzen über einige litterarische Sachen. –
Fausts Leben von Klinger (erst kürzlich herausgekommen) ist ein Buch voll Originalität, glühender Darstellung Witz, und Erfindung. Wer es flüchtig lieset wird es für eine Satyre auf die Vorsehung halten; das ist es sicher nicht, und wäre als solche schlecht. – Die feinste Vollendung fehlt, wie immer bey Klingern. – Der Zweck des Ganzen [9] ist äusserst versteckt. Wenn das Werk nicht ein Haufen unzusammenhängender Gemählde seyn soll, so muß die Einheit in dem Character des Faust liegen. Sehr viel fehlt aber daß sich Alles auf diesen beziehen sollte, ja nur daß er <selbst> ganz verständlich wäre. Faust ist bey ihm ein Mann von aller Kraft zu Gutem und Bösen, aber nicht großer Mann wie bey Göthe. Er ist voller Eigendünkel, Wollust, und Trägheit. –
Schiller hat eine Uebung in Stanzen (eine Uebersetzung des Virgil) dem Volke vorgelegt. Sie scheinen mir nicht schlecht. Seine Abhandlung über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen, enthält viel vortrefliches. Sie ist bestimmt, gedrängt, schmucklos und männlich, wie ich noch nichts von ihm laß. – Man merkt das Studium des Kants darin, den er doch einseitig gefaßt zu haben scheint, nehmlich nur von der rationalen Seite, so wie die ganze Abhandlung einseitig ist. (Diese findet sich im ersten Stück der neuen Thalia.) –
Kürzlich laß ich einen komischen Roman, der nicht sehr bekannt ist, Hermann und Ulrike von Wezel: ich fand ihn nicht ohne Einsicht; der Witz ist treffend, aber bitter und kalt. Es herscht überall eine gewisse [10] Lessingische Kälte darin; man hört oft den feinen Beobachter. Doch ist es gar nicht ohne Verdienst. Es fehlt vornehmlich an der Einheit; diese liegt weder in Herm[anns] Charakter noch in Hermanns und Ulrikens Liebe: und dennoch ist auf beydes das Intereße so sehr gerichtet, daß man in dem Genuße der beständigen Episoden dadurch gestört wird. –
Gestern sahe ich Göthens Bild von Lips. – Ein herrlicher Kopf, darüber weiter nicht geschwatzt werden muß. – Ich schicke ihn Dir erst Ostern: ich weiß ja noch nicht ganz gewiß ob Du in Amsterdam bleibst. Die Auslage fällt mir itzt schwer, und da das Bild groß, die Reise weit und also der Transport schwierig ist, so dächte ich Du ließest es Dir etwa von einem Amsterd[amer] Kaufmann der hier zur Messe kömmt mitbringen. –
Hier sind die Sonnette von Hardenberg. Ich bitte aber um zarte Behandlung. Ich sehe ihn noch oft, und hier ist niemand, den ich so gern sehe. Anfangs war ich Willens ihn ganz an mich zu ziehen; ich glaubte ihm dann sehr viel nützen zu können. Ihn zu beherschen ist zwar nicht schwer; aber seine grenzenlose Flüchtigkeit zu fesseln, würde vielleicht selbst einem Weibe einmal schwer werden. – Dieß ist eins; und [11] dann halte ich es auch itzt besser ihn im ganzen so gehen zu lassen; ich freue mich über ihn, und <nur> selten rege ich etwas an in seiner Seele. Es kann alles aus ihm werden – aber auch nichts. –
Laß mich bald von Dir hören. Fr. Schl.

An Herrn Schlegel.
Auch ich bin in Arkadien gebohren;
Auch mir hat ja ein heißes volles Herz,
Die Mutter an der Wiege zugeschworen
Und Maaß und Zahl in Freude und in Schmerz.
Sie gab mir immer freundlich himmelwärts
Zu schaun, wenn selbst die Hoffnung sich verlohren;
Und stählte mich mit Frohsinn und mit Scherz;
Auch ich bin in Arkadien gebohren!
Komm, reiche mir die brüderliche Hand!
Zu Brüdern hat uns die Natur erkohren,
Und uns gebahr ein mütterliches Land.
Ich habe Dir längst Liebe zugeschworen,
Gern folgsam meinem bessern Genius.
Gib mir die Hand, und einen Bruderkuß!

[12] Zarte Schwingungen umbeben leise,
Meines Busens junges Saytenspiel,
Und ein höher schlagendes Gefühl
Athmet in mir in so fremder Weise.
Deine Lieder wehn aus fernem Kreise
Aus der Aftertöne Marktgewühl
Ach! so freundlich, heilig, lieb und kühl
Her zu meines Pfades stillem Gleise.
Mancher Stunde liehʼ ich Flügel schon,
Daß zu Dir, der jüngsten Muse Sohn,
Zu Dir, dem Holden, Lieben, sie mich brächte;
Daß ich mich an Deine Brust gelehnt,
Und an reineren Genuß gewöhnt,
An des Schicksals stillem Neide rächte.

(Statt des letzten Terzetts vorher, und wie mich dünkt besser:)

Argloß herzlich bötʼ ich Dir alsdann
Alles was ich itzt Dir bieten kann –
Hier mein volles Herz und meine Rechte.)

Du wirst diesen Kindern ansehen, wie leicht und auch – wie schnell sie in die Welt gesprungen sind. Lächle und freue Dich, und halte nicht Gericht über sie. –

[13] Nro. 3. Oft schon hört ich, wenn im Dichterlande
Ich zu jeder stillen Laube gieng,
Welche schirmend vor dem Sonnenbrande
Einen Dichterjüngling kühl umfieng,
Deine Lieder und ein goldner Ring
Knüpftʼ im Traum, den mir die Hoffnung sandte
Und an dessen Lippʼ ich schmachtend hieng
Freundlich uns in sanfte Lebensbande.
Wäre dieser Traum der Ehrenhold
Einer schönen Feenzeit gewesen,
Da Du mich zu Deinem Freund erlesen;
Ewig wolltʼ ich, meinem Schicksal hold,
Treue schwören allen guten Wesen
Und von jedem Geistesfehl genesen. –

Nro. 4. ist eigentlich ursprünglich nur ein Variant von Nro. 1.

Auch ich bin in Arkadien gebohren,
Auch mir hat mancher gute Genius
Am Mutterbusen Liebe zugeschworen,
Und manchen süßen, freundlichen Genuß.
Auch ich empfand in Ahndungen verlohren
Das leise Wehn von manchem Geisterkuß,
Und fühlte oft im heiligen Erguß
Mich zu der Sonne reinem Dienst erkohren.
Verzeihʼ wenn mich mein eignes Herz nicht trügt,
Und mich auf Flügeln stolzer Träume wiegt,
Daß ich so kühn in Eure Reihen trete;
[14] Und fassest Du mich auch so rein und warm,
Wie ich Dich liebe, mit Dir Arm in Arm,
Um Ewigkeit für unser Bündniß bete. –

[15] Eine flüchtig hingeworfne Idee die vor langer Zeit gefaßt, und an die weil es heute mit fort sollte, ich die letzte Hand nicht habe legen können.

Freudigstaunend ehrt der Priester
Im beseelten Bilde seinen Gott.
Also ehrʼ ich unsrer Freundschaft Bild
Wähle meines Geistes schönste Blumen
Für die heitre Stirn zum Kranz. –
Ernste Liebe ist des Bildes Seele
Duldung, strenge Wahrheit, feste Dauer. –
Nimmer also schrecke uns die Furcht,
Kurzen Taumel werde Eckel strafen;
Langsam ward das Denkmahl,
Und es winkt der Ewigkeit.

Fr. Schl.
[16]
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  • Schlegel, Friedrich von  Abschrift  Novalis: An Herrn Schlegel
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 11. Februar 1792
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Amsterdam · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 41‒47.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.9
  • Number of Pages: 12 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,1 x 11,4 cm
Language
  • German

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