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Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

[1] Dreßden. Den 20ten Januar.
Es ist eine sehr lange Lücke in meinen permanenten Brief gekommen, weil ich eine Zeit her theils eine schlechte Gesundheit, eine noch schlechtere Laune hatte, und für nichts Sinn hatte als für meine Arbeit. Ich habe nun schon den zweiten sehr reichhaltigen Brief von Dir vor mir, und weiß nicht, wie ich das Alles beantworten soll. Wer weiß ob das was ich antworte an Dich gelangt, oder wo Du es lesen wirst, ob diesseits oder jenseits des Meeres. Zuerst von dem Aufsatze; Karoline wird Dir ihren Frevel schon gebeichtet haben. Allein das muß ich doch sagen, daß ich auch ohnedas nach Deinem lezten Brief den Aufsatz würde weggeschickt haben. Du schreibst nehmlich; Du würdest bey der Rückkehr noch früh genung, vielleicht glänzender in den Horen erscheinen. Diese Wahl fand nicht Statt. Nahmst Du diesen Aufsatz zurück, so brachst Du mit Schillern. Du wirst das begreifen, wenn Du bedenkst, das er so voreilig gewesen war, Deinen Namen [2] unter die Mitarbeiter zu setzen, und er nun einmal auf den Dante verseßen war. – Die Billigkeit gegen die Verleger mußt Du Dir abgewöhnen; und glänzend erscheinst Du hier wieder, wenn Du Dich auch künftig übertreffen solltest. Auch werden weit mehr Stücke aus größeren Werken in die Horen kommen, und das Honorar ist so weit ich weiß, beträchtlich. Ich habe drüber gesetzt: Danteʼs Hölle. Fragment. und in einer Note die Akademie citirt. – Ich besorge, daß ich Dir wegen der verlangten Notizen nicht werde nützlich seyn können. Der erste Versuch ist sehr unglücklich abgelaufen. Im Bayle habe ich Sordello vergebens gesucht; über den Lancelot du Lac konnte man mir keine Auskunft geben, so wenig als über den Mazzoni difesa di Dante: was aber das ärgste der Tiraboschi ist nicht auf der Bibliothek: ob das lezte Bosheit des Bibliothekars oder Impotenz der Bibliothek ist, weiß ich nicht. Das lezte ist nicht unwahrscheinlich. [3] Die neue Litteratur ist sehr mangelhaft.
Wenn Du nicht die Einrichtung der hiesigen Bibliothek kennst, so mußt Du es für eine eigne Unverschämtheit halten, daß ich Deine Aufträge so lange unbesorgt ließ. Die Sache ist so; mit Mühe und Noth erhalte ich zwey bis höchstens drey Bücher auf einmal, wenn ich hinschicke, welches man mir bey den Empfehlungen die ich habe, nicht verweigern kann. Will ich aber etwas nachschlagen und weiß etwa vollends den Titel nicht ganz genau, so muß ich mich mit ein paar alten Gesichtern herumbeißen, und bekomme am Ende doch wohl nichts. Das ganze Personale besteht nehmlich aus lauter Non-valeurs, bis auf Einen, der zwar für mich thut, was er kann, der aber mit Geschäften überhäuft ist, zum Glück für mich in der alten Litteratur gut bekannt, in der neuen aber desto schlechter. – Nächstens ein Mehreres. In den Mem[oires] der Berl[iner] Soc[ietät] ist eine Abhandlung von Merian über den [4] Dante. Ist Dir mit einem Auszuge oder mit einer Nachricht davon gedient? – Du erwähnst auch die Geschichtsschreiber der Provenzal.[ischen] Poesie. Ich kenne nur Crescimbeni storia della volgar poesia und Millot histoire des Troubadours. Meynst Du noch andre? –
Deine Dißertazion über das Zeitalter Homers war mir sehr intereßant. Sie ist mir auch ein neuer Beweis Deiner Theilnahme an meinen Arbeiten und an ihrem Erfolg. Du besorgtest vielleicht, ich würde mit einer unreifen Hypothese in die Welt hinein talpsen. Was ich schrieb, war nur ein Anreiz für Dich, Deine Meynung zu entwickeln, und eine Frucht des Augenblicks. Das einzige Bleibende darin sind einige Resultate, und darauf gebaute Analogie über die Geschichte der Stammverschiedenheit. Ich werde erst künftigen Winter das Zeitalter des H.[omer] bearbeiten und ich halte besonders hier Deinen Rath so wenig für entbehrlich, daß ich Dich im voraus bitte, alsdann den Homer selbst noch einmal zu lesen, und mir Deine Ausbeute mitzutheilen. – Wenn ich in der Geschichte der Griechen, während der Zeit der Re[5]publiken auch wohl mir selbst helfen kann, so fühle ich sehr gut, daß es mir an dem eignen Talent für die Kentniß des höchsten Altherthums der Menschheit fehlt – um so mehr muß ich mich hier bemühen, mir fremde Einsicht zuzueignen. – Ich hoffe alsdann Deine geographia und Köppens Leben und Gesänge Homers, (worin ich wenigstens Heynens Vorlesungen zu finden hoffe) haben zu können. Bis iezt kann ich eigentlich nicht entscheiden. Ich kenne weder die Marm.[ora] Oxon[iensia] noch die Theorie von Bentley und Newton, noch von deutschen Chronologen, Gatterer pp. – Meine Quellen sind bis iezt Homer selbst, Apollodor nach Heyne und Strabo. – So wie ich aber in dem leztern weiter gelesen habe, so fällt die Meynung der Engländer von selbst. Denn er glaubt im Homer mehr als einmal Anspielungen auf Alterthümer und Gebräuche zu finden, die erst nach der Jonischen Wanderung Statt fanden. – Ich habe vergebens im Strabo und Herodot nach Spuren geforscht, die über die äußerst wichtige Periode, da die väterliche Herrschaft der Stammesfürsten in städtische Verfaßung übergieng, [Aufschluß gäben.] Ich glaube jedoch Spuren gefunden zu haben, daß es noch einige Zeit nach dem Zuge in [6] dem Griechischen Asien Fürsten gab. Und damit fiele der einzige Grund jener paradoxen Meynung, die ich Deinen Gründen sehr gern gefangen gebe.* Für die kühne Voraussetzung die Ilias und Odyßee sey das Werk eines Zeitalters, hast Du noch nichts angeführt, was mich überzeugen könnte. Gegen den Vergleich mit Moses muß ich recht sehr protestiren. Eine Sammlung von Sagen, Gesetzen, Gebräuchen, Geschichten, und ein Werk! Humbold meynt die Dorier hätten viel Aehnlichkeit mit den Hebräern!! So spielt selbst Ihr den Griechen mit. –
Was Du von Deinen künftigen Arbeiten schreibst, intereßirt mich in hohem Grade. Könnten wir nur an einem Orte leben, und unsre Arbeiten und Unternehmungen unmittelbar theilen. Ihr könnt selbst kaum so ungeduldig der Entwicklung Eures Schicksals entgegensteuern, wie ich sie erwarte. – Wie sehr freut es mich, daß Du Dich zu schöpferi[7]schen Werken gestimmt fühlst. So gut wird mirs vielleicht lange nicht werden. Du hast eine so gute Meynung von meiner Kunstkentniß, daß Du glaubst ich würde nicht beym Kennen stehen bleiben. Wohl mir, wenn Du nicht zu viel hoffst! Jezt kann ich nur arbeiten. Wie lange das kann ich nicht bestimmt beantworten; ‚bis ich fertig binʻ. (Nach Art des sublimen Dekrets der französischen Konvention; ‚Die Revoluzion soll dauern, bis Friede wirdʻ) Ob ich von den vielen künstlerischen und philosophischen Entwürfen, die als Embryonen in meinem Kopfe ruhen, einige ausführen werde, das ruht im Schooße des Schicksals. Diese Werke werden nicht in der Zeit gebohren, es bedarf keiner Arbeit sie zu bilden, aber Muße, reine Stimmung ungetrübte Heiterkeit, Ruhe kurz Alles was ich noch hoffe und zu verdienen suche. Bis dahin will ich nur arbeiten und zugleich mich in den Waffen üben, mit denen ich dann um den Lorber kämpfen will. Ich meyne Sprache, Manier; alles was Werkzeug ist. –
[8] Verstehe mich recht! Ich habe vorigen Sommer einige Zeit fruchtlos dazu angewandt, mich mit jenen Entwürfen zu beschäftigen. Ich sehe iezt ein, daß und wie ich geirrt habe. Uebrigens ist der Plan meines wissenschaftlichen Lebens nun ziemlich reif geworden. Außer den Behandlungen der alten Geschichte, wovon Du Dir vielleicht schon einen allgemeinen Begriff machen kannst, habe ich zwey Werke vor. Das erste ist etwas, was ich bald unter dem Namen Geist der Neuen Geschichte, bald unter dem, Kritik des Zeitalters, oder Theorie der Bildung vereinigen zu können glaubte. Das andre ist eine Ergänzung, Berichtigung und Vollendung der Kantischen Philosophie. Beyde erfodern mehr Reife, aber vielleicht nur mäßige Zeit. Das Alterthum wird meine Heimath bleiben. Habe ich mir in diesem Fache nur erst einen Namen gemacht, so hoffe ich manche schöne Wünsche wirklich zu machen, und das [9] Studium der Alten wenigstens in Deutschland neu zu beleben.
Forkels Geschichte der Musik habe ich gelesen. Es ward mir dabey wie dem Aeschylus beym Komiker; ‚die Eingeweide fiengen an zu reißen und zu brennenʻ. Oder wie dem Ulyßes, da er den Frevel der Freyer und der Dirnen sieht; ‚das Herz in seiner Brust fieng an zu bellen, wie ein zorniger Hundʻ. Der Mensch versteht weniger von den Griechen, als ein Eunuch von der Liebe, und weniger von der Musik als ein Ruße von der Menschlichkeit. Künftigen Winter werde ich eine Apologie der Griechischen Musik schreiben.
Für das mitgetheilte Blatt von Humbold danke ich recht sehr. Es enthält wirklich schöne Gedanken. Wenn er sich nur nicht immer selbst verläugnete. Er ist ein philosophischer Hofmann. Ich kann es nicht leiden, daß er einem jeden gerecht seyn will. Auch wird es ihm theuer zu stehen kommen, [10] eine geistige Echo seyn zu wollen, alle einzelne Persönlichkeiten in sich zu vereinigen. Er wird seine Bestandheit <zulezt> verliehren, wenn es nicht <schon> geschehen ist, und entmannt, keinen Ton mehr geben können, als einen fremden. Er wird aus sittlicher Unmäßigkeit Bankrott machen. –
Mit Karolinen bin ich iezt ganz wohl zufrieden, lieber Gevatter. Du brauchst sie also nicht zu strafen, welches doch zulezt auf Dein Haupt zurückkehren möchte. Ich kann es wohl leiden, daß sie sich an mir zu weilen eine Güte thut, weil sie es doch bey Dir nicht mehr kann; wo es auch zu ernsthaft. Sollte es zu toll werden, so werde ich mich schon meiner Haut wehren. Alles Ueble in ihrer Seele treibt nach Außen, so wie in den gesundesten Konstitutionen die Krankheitsstoffe in die Extremitäten fahren. – Gute Nacht. –
[6]
* Alles übrige erklärt sich dadurch, daß Homer alte Gesänge vor sich hatte.
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  • Schlegel, Friedrich von  Literaturbeschaffung  Mazzoni, Jacopo: Discorso in Difesa di Dante
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Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 20. Januar 1795
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Amsterdam · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 223‒226.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.60
  • Number of Pages: 10 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,8 x 11,4 cm
Language
  • German

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